In den Landen der Löwen (1045-1046) Teil 03: Der Adelsrat

Aus AlberniaWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Chronik

1045
28. Ingerimm: Unterredung des versammelten Adels auf Burg Draustein, im Vorfeld des Tag des Blutes; aufgrund eines Botendienstes erreicht auch Irmintrudt von Bienenhain die ‘Heimstatt der Löwen‘.


Platzierungen an der großen Rittertafel

Am Kopfende: Wappen haus stepahan.png Arlan Stepahan

(Tafelseite; links): Wappen haus taladan.png Wappen haus kerkall.png Geweiht Wappen haus heckendorn.png Wappen haus bienenhain.png Wappen haus heckendorn.png Wappen haus schilfenberg.png Wappen Firunsgrund.png Wappen haus niamrod.png Wappen haus Taldair.png
(Tafelseite; links): Turon Taladan, Morgan Kerkall, Rhona Leuenglanz von Draustein, Jerodin von Heckendorn, Aendred von Bienenhain, Jaran von Heckendorn (dahinter Siona Wellenstein), Tommelian von Schilfenberg, Josold von Firunsgrund, Faolyn ui Niamrod und Rondraine ni Taldair
(Tafelseite; rechts): Wappen haus falkraun.png Wappen haus wellenstein.png Wappen haus windisch.png Wappen haus arland.png Wappen haus crumold.png Wappen haus dunlaith.png Wappen haus stepahan.png Wappen haus farranar.png Wappen haus stepahan.png Wappen haus dragentrutz.png
(Tafelseite; rechts): Lûran Falkraun (dahinter Rovena Taladan), Arnbrecht Wellenstein, Isewain von Windisch (dahinter Arwulf Taladan), Éachain Arland, Roric Crumold, Khorena Dunlaith, Rondred Stepahan (dahinter Jendan von Tannengrund, Invher von Yennalin), Daran Farranar (dahinter Moran von Eichenstrunk), Ruada Stepahan (dahinter Invher Darrag), Johril Dragentrutz (dahinter Callean Vialigh)


Besondere Ergebnisse des Adelsrats

Entscheidungen

  • Ruada Stepahan soll sich nach Birchféhn begeben, um dort Finn Arland zu fragen, ob er sich der Gemeinschaft in den Gundelwald anschließen will.


Ankündigungen


Der Adelsrat

Daran Farranar hatte auf dem ihm zugewiesenen Eichenstuhl am hinteren Ende der Ritterfafel Platz genommen. Er trug dem Anlass und der Jahreszeit entsprechend eine edle, farngrüne Leinencotta, welche am Halsausschnitt mit einer silbernen Fibel in Form eines Drachen verschlossen war. Sein Schwert hatte er wie alle anwesenden Ritter, Edle und Würdenträger vor sich auf die große Tafel gelegt, mit dem Klingenort voran, so wie es ihm sein Lehnsherr zuvor aufgetragen hatte. Höflich nickte er Herrn Josold von Firunsgrund zu, welcher ihm direkt gegenüber saß. Seit Darans Ankunft an der Seite von Baron Rondred Stepahan auf Burg Draustein, waren zwei Tage ins Land gegangen. Seitdem hatten sich täglich weitere Steinvasallen, Weiße Löwen und Günstlinge auf der altehrwürdigen Höhenburg der Stepahan versammelt. Am gestrigen Tage war dann auch Graf Arlan Stepahan mit größerem Gefolge erschienen. Wie man hörte, wollte er die erste Hälfte des Sommers und wohl auch den Jahreswechsel hier verbringen.

Noch einmal wandte sich Daran mit einem kurzen Blick nach hinten. Sein Knappe Moran von Eichenstrunk stand kerzengerade am rechten Platze. Über ihm ruhte an der Wand das Wappenschild mit dem schwarzen viergliedrigen Baumdrachen auf goldenem Grund des Hauses Farranar. Eine große Ehre für Daran, da er ja selbst kein Vasall des Barons von Draustein und auch kein geschworenes Schwert des Grafen von Bredenhag, noch ein Weißer Löwe war. Zumindest noch nicht. Sein Schild war zwar nicht so makellos wie der schreitende weiße Löwe von Rondred Stepahan neben ihm, aber dafür war es mit streitbaren Schrammen und Dellen geschmückt.

Zu seiner Rechten saß Ruada Stepahan, ebenfalls vom Blute der Löwen und wie er selbst in Diensten auf Burg Crann Feyaras stehend. Sein Lehnsherr hatte zu seiner Linken Platz genommen und ließ sich gerade vom heranwachsenden Jendan von Tannengrund den Becher mit Wein füllen. Daran wollte hier und heute keinen bitteren Gedanken an die Herrscher von Maradom und ihre Sippschaft verschwenden. Stattdessen nickte er freundlich Johril Dragentrutz zu, der soeben den letzten Platz auf ihrer Seite der Rittertafel eingenommen hatte. Dieser war schon vor seinem Traviabund mit Veriya Falkraun, ein Günstling von ‘Falke und Löwe‘ gewesen. Ein aufrechter Recke, mit dem er schon sein Brot und Fleisch geteilt und im Kampf sein Blut vergossen hatte. Daran bemaß mit ruhigem Blick die Rittertafel, an der sich zwanzig Streiter versammelt hatten und im Hintergrund noch einmal die Hälfte an Knappen.

Dann sah er zum Kopfende der großen Eichentafel. Hier hatte sich Hochwohlgeboren Arlan Stepahan, der Baron von Draustein und Graf von Bredenhag niedergelassen, umgeben von seinen Vasallen aus Draustein, während seine Getreuen aus den Heckenlanden zumeist zu seiner Linken Platz genommen hatten. Daran kannte Arlan Stepahan schon viele Jahre. Im Unabhängigkeitskrieg kämpften sie Seite an Seite im Scharmützel im Libellengras. Und nach dem Krieg war Daran ihm sogar in die umstrittene Wildermark gefolgt. Der Baron von Draustein wollte ihn am letzten Tag im Mond des Vaters von Feuer und Stahl in den Schwertbund der Weißen Löwen zu Draustein aufnehmen. Eine immense Ehre für Daran und sein Geschlecht. Dies war auch der Grund, warum alle Mitglieder der Weißen Löwen sich auf dem Boden Drausteins versammelt hatten. Immerhin dienten manche schon seit der Zeit von Gräfin Maelwyn Stepahan nicht mehr am Unterlauf des Großen Flusses, sondern vielmehr in den Heckenlanden, so wie Turon Taladan, Rondred Stepahan und Jaran von Heckendorn. Im Augenblick wechselte Hochwohlgeboren Stepahan aber noch ein paar letzte Worte mit Lehnsvogt Lûran Falkraun, welcher auf dem ersten Stuhl zu seiner Rechten saß. Wie Daran bereits vernommen hatte, gab es seit einigen Götternamen immer wieder besorgniserregende Überfälle, unweit der nördlichen Lehnsgrenze zu Draustein, zwischen den Baronien Crumold und Gräflich Abagund, was den Anlass zu dieser Zusammenkunft bot.

Grübelnd blickte Lûran Falkraun auf sein vor ihm liegendes Schwert, als der Graf sich an Turon Taladan wandte. Er fixierte einen Flecken Rost am Knauf der alten und vertrauten Waffe. ‘Hätte ich einen Knappen, dann würde dieser etwas zu hören bekommen’, dachte er bei sich und schmunzelte. Der Vogt von Draustein trug heute seinen Wappenrock der Weißen Löwen. Die einst dunkle, wallende Mähne war einem leicht ergrauten, kurzen Haarschopf gewichen und die Zeit hatte tiefe Furchen in seinem Antlitz hinterlassen. Rovena Taladan, welche ihm Arlan für den Tafeldienst zugeteilt hatte, füllte seinen Becher mit etwas Wein auf. »Danke, Rovena!«, flüsterte Lûran ihr mit einem freundlichen Lächeln zu. Das Mädchen deutete eine Verbeugung an und trat wieder hinter Lûrans Stuhl. In diesem Moment fiel der Blick des Weißen Löwen auf seinen Nebensitzer, Arnbrecht Wellenstein. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er, seinen alten Freund und Waffenbruder Arnvald neben sich zu sehen. So sehr ähnelten sich der stattliche Mann hier und die verblassenden Erinnerungen an den Gefährten von einst. Noch immer schmerzte der Verlust des Freundes und dessen grausames, wenn auch heroisches Ende. Im selben Ansturm der Gefühle, trat auch erneut der tragische Tod seines eigenen Sohnes, Ardan, wieder hervor und erfüllte Lûrans Herz mit Trauer. ‘Ich hoffe mein alter Freund, deinem Sohn bleibt ein solches Schicksal erspart. Weder Niederlage noch Unglück sollen ihm je widerfahren’, dachte er bei sich, nahm seinen Becher mit Wein und trank. Sein Blick ruhte nun wieder auf dem Makel seines Schwertknaufes und er versank erneut in düstere Gedanken.

Callean Vialigh ahnte nichts von den schmerzhaften Gefühlen seines älteren Anverwandten jenseits der großen Tafel. Den sechzehnjährigen Knappen trug eine immer noch anhaltende Welle von Stolz und Euphorie, denn es war nicht nur eine große Ehre für ihn selbst, dieser Versammlung beiwohnen zu können, sondern in erster Linie eine große Gunst, die seinem Schwertvater Johril Dragentrutz geschenkt worden war und dies ließ Calleans Herz aufgeregt schlagen. Darüber hinaus faszinierte ihn die Anwesenheit so vieler namhafter Streiterinnen und Streiter. Viele von ihnen Weiße Löwen, die hier nicht nur Rat halten, sondern in ein paar Tagen auch den Traditionen des altehrwürdigen Schwertbunds folgend alte Rituale mit Blut und Schwert pflegen würden. Weil ihm noch die Erfahrung an die leidvollen, schweren Momenten der Ritterschaft fehlten und das feierliche, glanzvolle, idealisierte Bild jener rondrianischen Gemeinschaft, der er später einmal ebenfalls angehören würde, daher stark in ihm wurzelte, fiel es Callean schwer, vor Aufregung ruhig zu stehen. Unentwegt musterte er ehrfürchtig wie neugierig mit aufmerksamem Blick die Männer und Frauen am Tisch, denn er wollte nichts verpassen.

Morgan Kerkall trat ein. Er bewegte sich ruhig und mit gemessenen Schritten, wenn auch unterstützt durch den Stock auf den er sich stützte, zu seinem Platz an der Tafel. Mit einem kurzen Kopfnicken grüße er alle Anwesenden. Der Herr von Dunkeltann trug den Wappenrock der Weißen Löwen und sein Schwert. Er nahm wieder den seit Jahren verwaisten Platz an der Tafel ein. Seinem finsterem Gesicht sah man an, dass er in Gedanken war. ‘Das letzte mal als ich hier war, saß Maelwyn Stepahan am Kopf der Tafel und wir hielten Rat. Sie war immer mehr als eine Lehnsherrin gewesen, eine Frau zu der ich blindes Vertrauen hatte, jemand in deren Herz genau so schlug wie seines. Auch ihr Tod war ein Grund, warum es mir so schwer gefallen war, wieder in das Leben zurückzufinden. Warum sie und nicht ich?‘ Morgan wischt sich kurz über ein Auge und zwinkert mit dem anderen.
‘Ja, ich habe nach ihrem Tod auch den meinigen in Mendena gesucht. Ja, und fast hätte ich ihn auch gefunden. Aife hat mich gefunden und die Frauen und Mannen des Trosses haben mich irgendwie am Leben gehalten. Dann kam die Zeit der Schmerzen und diese Fragen: Warum soll ich Leben? Warum lasst ihr mich nicht einfach sterben? Die Kinder und Aife, ja ... und wer bin ich jetzt? Nicht mehr der starke, unbändige Löwe von einst, Schwertmeister und ... Arlan hat mich gerufen und das Pflichtgefühl hat mich hergebracht. Reiß dich zusammen alter Mann!‘ Morgan richtet sich im Stuhl auf und schaute mit wachem Blick in die Rund und lauschte den ersten Gesprächen.

Nachdem das Gespräch zwischen Herrn Lûran und dem Grafen abgeschlossen und der Drausteiner Vogt in brütendes Schweigen verfallen war, sah Arnbrecht gespannt zum Kopf der Tafel. Sicherlich würde Arlan Stepahan nun das Wort ergreifen und den Rat eröffnen.


Der Auftakt

Arlan Stepahan erhob sich aus seinem Eichenstuhl. Der Herr von Burg Draustein trug eine Cota aus roter Wolle mit einem aufgestickten weißen Löwen auf der Brust. Auf seinem Haupte schmückte ihn ein festlicher Chaperon mit Eichenblattzaddeln.
»Auf unsere Ahnenreihe, die uns an Rondras Tafel bereits erwartet. Auf die ruhmreichen Toten!«, brachte Arlan zur Begrüßung seiner geschworenen Schwerter seinen Trinkspruch aus, wie so manches Mal zuvor. Bei der lautstarken Erwiderung seiner letzten Worte trank der Baron von Draustein einen kräftigen Schluck aus seinem Pokal, ehe er diesen wieder auf die schwere Tischplatte zurückstellte. Sodann gebot er seinen Vasallen und dienenden Rittern mit einer Handbewegung Platz zu nehmen.
»Es freut mich, dass Ihr alle meinem Ruf nach Burg Draustein gefolgt seid. Es sind wieder einige Jahre ins Land gegangen, seitdem wir uns zuletzt an dieser Tafel versammelt haben. Die Weißen Löwen unter Euch wissen, dass wir in zwei Tagen den traditionellen ‘Tag des Blutes‘ begehen und in diesem Jahr mit Herrn Daran einen neuen Bundbruder begrüßen möchten«, erklärte Arlan mit einem feierlichen Unterton und sah dabei zum Ende der Tafel wo der Waffenmeister von Burg Crann Feyaras sich ihm höflich zuneigte.
»Allerdings ist dies nicht der Grund für unsere heutige Zusammenkunft! Wie manche von euch wohl schon vernommen haben, vor allem jene die hier in Draustein ein Lehen unterhalten oder hier in Diensten stehen, gibt es seit einiger Zeit besorgniserregende Überfälle von Raubgesindel womöglich sogar von planvoll vorgehenden Renegaten«, erklärte der Baron nachdenklich und legte dabei die Stirn in Falten.
»Dies ist auch der Grund, warum Herr Mardred Taladan und Herr Caertan von Nymphensee heute nicht hier sind, da sie in der Schildwacht weilen, mit Blick auf die Lehnsgrenze zu Gräflich Abagund.« Bei seinen letzten Worten hatte sich Arlan den beiden Schildvasallen neben ihm zugewandt, welche im Blute oder im Eid mit den genannten Rittern verbunden waren.
»Wohlgeboren Falkraun wird uns gleich mehr zu den Überfällen auf der Krume Crumolds berichten und auch über die Vorkommnisse im Süden von Gräflich Abagund, ehe wir noch zu anderen Themen die Aussprache suchen«, führte Arlan weiter aus und sah dabei ermunternd in die Runde.
»Sicherlich haben auch einige meiner Vasallen etwas zu verkünden, oder sich im Vorfeld zu diesem Adelsrat Gedanken gemacht!« Nach seinen letzten Worten nahm er wieder Platz und sah dann zu seinem treuen Lehnsvogt.

Der Vogt von Draustein hielt einen Moment inne und überlegte kurz, ob er für seinen Bericht aufstehen sollte, blieb jedoch sitzen. Nach einem kurzen Räuspern begann er klar und vernehmlich mit seiner Schilderung der Vorkommnisse.
»Einige von uns haben schon mehrmals, in kleinerer Runde, über die Geschehnisse in Crumold und Gräflich Abagund gesprochen. Da unser Graf Arlan jetzt wieder bei uns weilt und wir fast vollzählig versammelt sind, möchte ich nun mit Euch über unser weiteres Vorgehen beraten. Für all jene, welche nicht im Bilde sind, fasse ich die Vorkommnisse nochmals kurz zusammen.« Lûran prüfte nochmals seine Sitzposition und setzte sich aufrecht hin und fuhr fort.
»Bereits im letzten Götterlauf, es war wohl Mitte Peraine, erhielten wir die Kunde von einem Überfall auf einen Pilgerzug, welcher durch Crumold zog. Hierbei wurde der Vogt der Baronie Traviarim getötet, welcher mit den Pilgern reiste. Die Angreifer waren gut gerüstet und vermutlich Renegaten. In den folgenden Monden kam es zu weiteren Übergriffen in Crumold und Gräflich Abagund. Allem Anschein nach lagert das hierfür verantwortliche Gesindel in einem Moor im Grenzgebiet der beiden Lehen, dem sogenannten Thilanmoor.«

Ruada zuckte unmerklich zusammen. ’Nicht schon wieder ein Moor’, ging es ihr durch den Kopf, doch sie schob den Gedanken rasch beiseite.

Lûran blickte derweil kurz in die Runde der Anwesenden, ob es Einwände, Anmerkungen oder Fragen gäbe und fuhr dann mit seiner Zusammenfassung fort.
»Im Boron, dieses Götterlaufes machte zudem eine fragwürdige Gestalt auf sich aufmerksam. Man sagt, ein in blau gekleideter Ritter, habe sich dem Steuereintreiber des Hauses Crumold entgegen gestellt und ihn unverrichteter Dinge von dannen gejagt. Ob dieser Verleumder der praios gefälligen Ordnung mit den Renegaten in Verbindung steht, ist unklar, aber der Unmut gegenüber der Obrigkeit, lässt darauf schließen.« Der weiße Löwe sah hinüber zu Turon Taladan, um sich dessen Zustimmung gewiss zu sein und räusperte sich erneut.
»Hier und da konnten die Männer des Grafen Cullyn ui Niamad, mit Hilfe der treuen Bevölkerung, einige Halsabschneider aufgreifen und aufknüpfen. Dies wurde jedoch blutig und grausam vergolten. Am zehnten Tag der Herrin Hesinde, fand man die Leichen von fünf Bauersleuten am Fuße eines Galgens. Sie hatten dem ansässigen Dorfschulzen dabei geholfen, den Gehenkten aufzugreifen.« Lûran schüttelte angewidert den Kopf und fuhr fort.
»In den letzten drei Monden ist es weder dem Grafen Cullyn ui Niamad noch dem Baron von Crumold gelungen, der Lage Herr zu werden. Ich bin nun zutiefst besorgt, denn ich befürchte, dass auch Draustein bedroht wird. Bisher kam es diesseits der Grenzen Drausteins zu keinerlei Vorkommnissen. Dies mag jedoch daran liegen, dass die Grenzgebiete von Beginn der Vorfälle an durch unsere Vasallen scharf bewacht werden. Ich glaube, wir müssen weiterhin wachsam sein, denn wir wissen nicht, was sich womöglich auch im Gundelwald zusammenbraut.«


Die Aussprache

Ruada räusperte sich. »Wird vermutet, dass die Angreifer in Verbindung mit den Überfällen auf Burg Fergardh vor rund sechs Götterläufen stehen? Dann würden sie sich vermutlich zunächst auf Gräflich Abagund konzentrieren. Nunja, und was den Steuereintreiber angeht: Vielleicht hat sich das Haus Crumold damals ebenfalls Feinde gemacht«, mutmaßte sie.

Auf das ‘vor rund sechs Götterläufen’ hellhörig geworden, sann Callean Vialigh hinter seinem Schwertvater stehend angestrengt über die fallenden Worte nach. Geprägt durch den erst kürzlich begangenen Gedenktag zu Ehren der Gefallenen der ‘Schlacht der Krähen’ im Lehen seiner Familie, und damit einhergehend den Tod seines Vaters Jarwain von Tannengrund, kam der junge Tommeldommer nicht umhin, an andere Ereignisse zurück zu denken, die vor rund sechs Götterläufen auch noch passiert waren. Aber er musste feststellen, dass die Erinnerungen an jene blutige Heckenfehde, die er selbst als Page von Haus Heckendorn auf Burg Bredenhag erlebt hatte, überwogen, und er später wohl der schmerzhaften Notwendigkeit würde folgen müssen, Herrn Johril über Burg Fergardh und Gräflich Abagund zu befragen, auch wenn dies bedeutete, zugeben zu müssen, dass sein geschichtliches Wissen Lücken aufwies. Doch momentan konnte er den Gesprächen über damalige Vorkommnisse, das Haus Crumold und dergleichen nur schwer folgen.

»An Feinden hat es meinem Haus noch nie gemangelt!«, stellte Roric Crumold in kühnem Tonfall fest und sah dabei zum hinteren Ende seiner Tafelseite. Ein knappes Lächeln auf den Lippen. Der Edle von Orkenheck trug einen eng taillierten Kittel aus grüner Wolle mit einer Vielzahl an Knöpfen an den Unterarmen.
»Ob dieses Lumpenpack in Verbindung zu den Überfällen auf Burg Fergardh steht, kann ich nicht sagen. Ich habe zumindest nichts darüber gehört. Ausschließen würde ich es aber bislang auch nicht«, erklärte Herr Roric und lehnte sich dann schließlich wieder in seinen Stuhl zurück.

Rondraine ni Taldair runzelte nachdenklich die Stirn, während sie mit innerem Blick auf die bedenkliche Situation die Faust ihrer infolge wiederholter Verletzungen versehrt verbliebenen Schwerthand ballte, um die steifen Sehnen und Muskeln zu dehnen. Infolge Lockerung und Anspannung der Faust wechselten, entließen jeweilige Fingergelenke ein dumpfes Knacken und dem unangenehm resultierenden Schmerz begegnete sie mit gepressten Zähnen, was man der Anspannung ihrer Wangenknochen ablesen konnte. Rondraine lächelte Herrn Faolyn flüchtig zu und atmete tief ein. Die Ritterin trug neben Reiterstiefeln und Lederhose eine mit Goldfaden verzierte wattierte Weste über einem Leinenhemd, der aufrecht schreitende Wolf des Hauses Taldair war auf goldenem Grund eines stilisierten Lederschildes an die Brust genäht. Das mittelblonde Haar der Endvierzigerin war zu einem Haarknoten gebunden und dem durchscheinenden Gebindetuch diente ein Schapel als Kopfzier. Sie schaute an Herrn Josold vorbei weiter zu Tommelian und lächelte gezwungen, als sich die Blicke der beiden Bundpartner trafen.
Mit der Linken tastete sie nach dem Schwertknauf des Familienschwerts Buin nan tonn, welches einst ihre Ahnherrin Wulfwen ni Taldair bei ihrem Turniersieg auf Burg Bredenhag errang und in einer verzierten Scheide auf dem Tisch lag. ‘Ein unbekannter Ritter … Renegaten‘, dachte sie geringschätzig, während am anderen Ende der Tafel Herr Lûran ausführte. ‘Herr Mardred und Herr Caertan sind absent geheißen, die Lehnsgrenzen zu überwachen. Hm, ...‘, machte sich innere Anspannung breit.
Als sie ihren Blick dann erneut in Richtung Tommelian lenkte, schaute sie an diesem vorbei und bedachte den Weißen Löwen Jaran von Heckendorn mit einem maßvollen Blick, bevor ein Hadern aufgeschobener Konsequenz einer unumgänglichen Anklage ihre Aufmerksamkeit auf die Tempelvorsteherin des Rondra Tempels zu Draustein lenkte. Rondraine ballte erneut die Faust ihrer Schwerthand und genoss den Schmerz folgender Entspannung. ‘Ich werde Hochwürden Rhona ansprechen müssen, um Rat zu ersuchen, wie Anklage wider einer Knappin der Göttin vorzutragen sei.‘
Schwermut folgte ein tiefer Atemzug. Sie presste die Lippen. ‘Eindringen in die Krypta ... Störung der Totenruhe ... Aufbrechen der gesalbten Totenwickel...‘, machte sich Empörung in der Ritterin breit. ‘... Thalionlieb Lechmin ni Taldair ... Für Rondra, durch mein Blut...‘, betonte Rondraine gedanklich die Inschrift der Grabstätte und besann sich abrupt zu Aufmerksamkeit. Gestrafft musterte sie ihren Dienstherrn, um die Reaktion seiner Haltung und Gesichtsmimik zu messen, während sich das Gespräch der Vertrauten des Hauses Stepahan entwickelte.

Zu den Vertrauten von Haus Stepahan zählte sich Èachain Arland schon lange nicht mehr. Vor mehr als einer Dekade war die Edle in Ungnade bei der Altgräfin und dem nun greisen Kanzler der Heckenlande gefallen. Die Arland schätzte, dass sich das auch nicht geändert hatte, selbst wenn ihr durch den Grafen großzügig die Vermählung in das Haus Glenngarriff gewährt worden war, doch das schrieb sie zum guten Teil auch der Fürsprache von Frau Aedre zu.
Die Löwenlande waren ihr fremd geworden und nach allem, was sie von Aelfric Gwenliar gehört hatte, schien sie in guter Gesellschaft: Auch der Graf war selten in seiner Heimat. ‘Und häufiger noch in der Ferne...‘, stellte sie grimmig fest, als sie an die letzten Reisen Arlans nach Weiden und Garetien dachte, ‘Travia und Boron.‘
Zumindest bewies der anfängliche Trinkspruch des Grafen Konsequenz. Wie ruhmreich aber die Toten letztlich waren, musste wohl jeder für sich selbst entscheiden. Auch wenn sie Maelwyn Stepahan keineswegs vermisste - deren Einzug in Rondras Hallen stand wohl außer Frage -, aber im Tod von Rhéged Taladan und Ardan Falkraun konnte die Edle nur wenig Ruhm erkennen.
Daneben fehlte an dieser Tafel das Gesicht der Pranke des Löwen und bislang hatte es Arlan Stepahan versäumt, das wichtige Amt neu zu besetzen. Ob sich der betagte und mühsam ins Leben zurückgekehrte Morgan Kerkall nun noch als Nachfolger eignete, würde sich wohl im Verlauf des Rats hier erweisen. Womit Èachain wieder zum Gegenstand der Beratungen zurückkehrte, um ihrer Vasallenpflicht Genüge zu tun: »Aus Birchféhn kann ich nach meinem Gespräch mit dem Verwalter vermelden, dass bislang keine Spuren gefunden wurden, Hochwohlgeboren. Hattet Ihr Gelegenheit zur Abstimmung mit Hochwohlgeboren ui Niamad? Vielleicht auf der Anreise?«

Arlan war den Worten von Frau Éachain interessiert gefolgt. Ihr Oheim Jerodin von Heckendorn hatte ihr einen Platz zwischen Isewain von Windisch und Roric Crumold gewiesen. Ihr Vater war der Weiße Löwe Niall Arland gewesen, der einst an der Seite von Arlans Mutter Maelwyn und seinem Schwertvater Arnvald stritt, bevor er vor gut achtzehn Jahren auf Crumolds Auen fiel.
»Ich habe vor meiner Abreise von einer vertrauenswürdigen Ritterin einen Botendienst erbeten. So Phex ihr gewogen ist, sollte sie im Verlauf des heutigen Tages noch Burg Draustein erreichen und Kunde von Hochwohlgeboren Niamad mit sich führen«, erklärte ihr Lehnsherr und fügte noch hinzu, »es ist gut zu wissen, dass es am nordwestlichen Saum des Gundelwalds bislang keinerlei Anzeichen für lichtscheues Gesindel gibt! Ich hoffe, dass Aelfric Gwenliar wohlauf ist und auch weiterhin ein wachsames Auge auf den Wald hat.«

»Das ist Herr Aelfric, Hochwohlgeboren«, gab Éachain noch zurück, als sich auch schon neben ihr Isewain von Windisch bemerkbar machte.

Der Edle von Leuenblick hatte sich an der schweren Tafel nach vorne gebeugt und strich sich ein letztes Mal durch den dunkelblonden Bart, da ihn die Erinnerungen an den Kriegsrat von 1038 zurückhielten.
Damals war er selbst in einer ähnlichen Position gewesen, wie Daran Faranar am heutigen Tag: Ein geschworenes Schwert von Haus Stepahan und seit einer Handvoll Götterläufe in Diensten. Doch Isewains Beständigkeit war auf dem Rat weiterhin geprüft worden, da er als Waffenmeister zugunsten von Josold von Firunsgrund abgelöst worden war, während der Farranar heute bereits wusste, dass er übermorgen aufgenommen werden würde.
Es war keine Bitternis in den Gedanken des Windisch. Die Aufnahme Darans in den Schwertbund würde verdient sein, nachdem er bereits vor einigen Götterläufen vorgeschlagen worden war, und Isewain hatte schon in der Wildermark gemeinsam mit dem Mann gestritten, unter dessen Wappenschild nun ein schmächtiger Knappe stand.
Nein, sein letztes Innehalten war der Erinnerung geschuldet an den offenen Streit unter Männern, die er heute Bundbrüder nennen konnte, besonders aber seinem damaligen Misstrauen gegenüber Mardred Taladan - ausgerechnet dem Mann, der heute die Wehr der Schildwacht führte. Auch die fast ketzerischen Äußerungen von Rhéged Taladan hatte Isewain nicht vergessen. Damals war er in seiner Beständigkeit geprüft worden und gedachte auch nun nicht, von dieser Rittertugend abzuweichen. Die Frage heute war nur, ob weitere Geduld noch angebracht war oder ob sie bereits zu ängstlichem Zaudern verkam.
»Mehr als die Hälfte der Lehen der Leuenlande liegt im Schatten des Waldes - von Grimmwald bis Gundelbrück«, hob Isewain an und blickte in die Gesichter der entsprechenden Lehnsnehmer, darunter drei Steinvasallen.
»Wir leben mit dieser Prüfung und sind wachsam, besonders seit den Vorkommnissen in Crumold vor mehr als einem Götterlauf. Wenn dort im Gundelwald jedoch eine zusätzliche Bedrohung wächst, sollten wir dies ebenso herausfinden, wie den Ort, wo sich die Strauchdiebe im Abagund versteckt halten.« Die grünen Augen des Windisch ruhten kurz auf dem Antlitz seines Bundbruders Lûran Falkraun, ehe er in die Runde blickte.

»Das denke ich ebenfalls, Herr Isewain«, antwortete der Vogt von Draustein, welcher den eindringlichen Blick bemerkt hatte. »Doch aus diesem Grund müssen wir unsere eigenen Regeln beugen und die Ruhe des Gundelwaldes stören.« Lûran wandte seinen Kopf zum Baron von Draustein. »Erhalten wir Eure Erlaubnis, Truppen in den Gundelwald zu führen und die Sicherheit unserer Ländereien sicherzustellen?«

Rondraine hob die Augenbrauen an und die Stirn zog Falten. In Wolfswald wuchsen die Kinder mit dem Schauermärchen über den Wald auf. Sie selbst hatte die Familientradition am Opferstein in dem ihrem Lehen namensgebenden Wald ausgeführt. Mit einem unangenehmen Ziehen in den Eingeweiden nahm sie die Forderung des Vogts von Draustein an wahr. ‘Der Wald schafft seine eigenen Regeln‘, stellte Rondraine für sich fest. ‘Wenn die Regeln des Waldes nicht geehrt werden, dann wird er sich gegen uns wenden.‘ Mit einem Räuspern machte die Taldair auf sich aufmerksam, um einer Erwägung des Grafen zuvorzukommen: »Verzeiht bitte Herr Lûran, warum nicht in den Regeln des Waldes vertraute Späher mit Aufdeckung betrauen, bevor der Frieden mit dem Gundelwald durch eindringende Truppen möglicherweise Konflikt erführe? Als ehemaliger Jagdmeister mögt Ihr sicher ein Aufspüren des Feindes durch waldkundige Schritte einer taktischen Aufklärung in unbekanntes Gebiet geführter Truppenbewegung vorziehen.«

Arlan war dem Wortwechsel aufmerksam gefolgt, zog jedoch bei den Worten seines Bundbruders bereits eine Augenbraue nach oben und sah dann mit fragendem Blick nach den Worten seiner Dienstritterin zu Lûran. »Sicher meinte Wohlgeboren Falkraun einen Jagdtrupp und keinen Heerbann!«  Rondraine nickte wissend, dass ihre Sorge aufgenommen worden war, während Arlan mit einer abschließenden Antwort auf die an ihn gerichtete Frage erst einmal warten wollte.

Lûran schmunzelte und hob beschwichtigend die Hände. »Verzeiht meine unbedacht gewählten Worte. Natürlich habe ich nicht geplant, ein schwer bewaffnetes Banner in den Gundelwald zu entsenden. Trotzdem sollten die entsandten Frauen und Männer in der Lage sein, sich ihrer Haut zu erwehren und möglichen Gefahren unbeschadet zu entgehen.«

Mit einer gelassenen Geste ihrer Schwerthand zeigte sich Rondraine beruhigt. »Selbstverständlich, Herr Lûran«, pflichtete Rondraine bei. »Bedenkt man die Gefahr der Entdeckung eines Spähtrupps durch die Rebellen, dann vermögen einzelne dem Wald ehrfürchtig gefasste Späher auf nebelhafte Pfade entsendet am wenigsten Aufmerksamkeit zu verursachen. Ein solches Vorgehen schlösse Berücksichtigung der Gefahren des Gundel mit ein, obgleich der Wald voraussichtlich die Herzen ein jedes Eindringlings wiegt, sobald die sicheren Pfade verlassen werden«, gab die Ritterin zu bedenken und schloss: »Da mag ein Jagdtrupp ein gewogenes Mittel sein.«  »Inwieweit Erkundigungen bei den mit dem Gundel im Einklang lebenden Gemeinen mit einbezogen werden sollten, möchte ich gleichfalls zu bedenken geben. Wenn der Blaue Fuchs zwischen Grimmwald und Gundelbrück den Frieden des Waldes beugt, dann sind die treuen und in Sachen des Waldes sensiblen Herzen unserer Schutzbefohlenen eine zuverlässige Quelle nutzbarer Hinweise«, schloss Rondraine, ließ den Blick beginnend bei Herrn Lûran in die Runde, bevor sie den Blick Arlan Stepahans‘ suchte.

Dieser gab Rondraine mit einer zugeneigten Kopfbewegung zu verstehen, dass ihr Vorschlag gehört wurde. Alsdann sah ihr Dienstherr zum Herr von Dunkeltann, der sich anschickte, das Wort zu erheben.

Morgan Kerkall nickte dazu: »Nun auf unserer Seite des Gundelwaldes und auf den für uns erlaubten Pfaden, sollten die Unsrigen wandeln. Wenn Räuber, Renegaten oder wie wir sie auch nennen mögen, sich im Gundelwald verstecken, dann müssen sie auch auf dem einen oder anderen Wege den Wald verlassen oder betreten, um in das Land zu ziehen. Dort sollten wir ansetzen! Zu tief in das Gebiet von Gunderiel vorzudringen, ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis, könnte ungeahnte Folgen haben. Uns ist nicht umsonst das Betreten des Waldes verboten!«

Faolyn ui Niamrods Mundwinkel zuckten nach oben, als er sich an die mahnenden Worte seines Schwertvaters erinnerte, die stets mit einer unheilverkündenden Miene gesprochen wurden. Natürlich macht ein Verbot einen solchen Ort noch viel reizvoller, gerade für einen jungen Knappen. Und natürlich war Faolyn in den Wald gegangen, allerdings war ihm schnell langweilig geworden. Was will man auch in einem Wald, den man nur betreten hat, um einmal darin gewesen zu sein?

»Eben deshalb wird auch kein Freier in den Wald gehen. Auch kein Jagdvolk«, pflichtete Khorena Dunlaith bei. Die grauhaarige Ritterin, die erst im fortgeschrittenen Alter zur Ritterin ehrenhalber ernannt worden war, hielt sich üblicherweise zurück. Es war selten, dass sie in adliger Gesellschaft etwas sagte. »Die Gerüchte aus Crumold kennen wir schon lange. Und da ist immer noch Angst bei den Händlern, die durch die Brückenwacht kommen. Feuer über dem Wald haben wir in Gundelbach während des langen, kalten Regens im Winter jed’nfalls nicht gesehen, Hochwohlgeboren. Und vom Jagdmeister habe ich auch nichts darüber gehört.«

Rondred Stepahan hatte bislang geschwiegen, auch wenn es viel zu sagen gegeben hätte. Aufmerksam war er den Worten des versammelten Adels gefolgt, insbesondere jenen von Lûran. Dessen Vorschlag bewaffnetes Volk in den Gundelwald zu entsenden war ein sicheres Zeichen dafür, dass sein Bundbruder, der die althergebrachten Sitten stets in Ehren hielt, in großer Sorge um Land und Menschen war. Doch auch das Ansinnen von Rondraine, Morgan und Khorena war unterstützenswert. »Hat man denn überhaupt seit dem Winter über dem Gundelwald Rauchschwaden gesehen?«, wollte der Baron von Wallersrain wissen.

»Mir ist nichts Entsprechendes bekannt geworden«, gab Arnbrecht Wellenstein zurück. »Seit meiner Amtsübernahme als Jagdmeister haben wir den Waldrand, soweit es möglich war, scharf überwacht, so wie Herr Lûran dies als Vogt angewiesen hat. Das betrifft natürlich auch Wildhüter und sonstiges Jagdgesinde, die für uns die Augen offen halten. Da die eigentlichen Grenzen Drausteins den alten Karten nach tief im Wald liegen, konzentriere ich mich bislang auf den Lauf der Draue und den Abschnitt des Gundelwalds zwischen Draustein und Leuenblick. Hier am Leuenstieg gab es ja schon in der Vergangenheit und nach dem Separationskrieg Überfälle. Aber wie schon gesagt wurde, kam es bislang zu keinen neuen Vorkommnissen und ich halte es nicht für weise, diese herauszufordern. Darin stimme ich mit Wohlgeboren Kerkall überein.« Kurz hielt der jüngste der Steinvasallen inne und nickte dem alten, aber verdienten Kämpen direkt gegenüber zu. »Wer auch immer dort im Wald leben sollte, nimmt ein hartes Leben auf sich, um nicht von uns entdeckt zu werden und die einzige Möglichkeit, häufig in den Saum des Waldes zu gelangen, sehe ich in den Moorlandschaften im äußersten Nordosten. Das Aichmoor ist dafür bekannt, dass selbst die Hirten es umgehen, und es liegt günstig zu Crumold und Gräflich Abagund.«

»Es ist so wie Wohlgeboren gerade sagte!«, pflichtete Turon Taladan dem Sohn seines alten Waffenbruders Arnvald Wellenstein mit rauer Stimme bei. Der Taladan trug einen Tappert aus leichter blauer Wolle und rotem Seidenfutter. Sorgsam hatte er seinen Gehstock, welcher mit einem weißen Frauenkopf aus Mammuton veredelt war, an seinen Stuhl gelehnt. Der Junker von Jasalintir war mit Abstand der älteste Würdenträger bei dieser Adelsversammlung und diente bereits vier Baronen des Hauses Stepahan als Ratgeber. Doch seit seiner Erhebung zum Kanzler der Heckenlande und Lehnsvogt von Gräflich Tommeldomm, war er in den letzten Jahren ebenso selten in den Landen der Löwen gewesen, wie Arlan Stepahan. »Das Aichmoor ist in der Tat ein unwirtlicher Flecken Land. Wenn ich die Schildwacht mit einer Burg vergleichen würde, wäre es sicherlich der Zwinger!«, stellte der alte Recke fest. »Als junger Ritter hatte ich bei wolkenlosem Himmel und hocherhobener Praiosscheibe eine ansehnliche Sicht bis nach Grimmwald. Bisweilen hat man auch eine guten Blick auf das nahgelegene Moor, bevor einem Erlen, Eschen und Moorbirken, sowie einige Anhöhen die mittelbare Sicht nehmen. Von Jasalintir quert man es nur mit einem guten Grund und einem ortskundigen Torfstecher. Allerdings wäre man dann noch immer in der Schildwacht, wo mein Sohn Mardred mit seinen Getreuen unsere Wacht im Norden stellt. Doch auch von hier fehlt, nach meinem derzeitigen Kenntnisstand, jede Spur des Raubgesindels«, verkündete der alte Steinvasall und sah dann schulterzuckend zu seinem Bundbruder auf der anderen Seite der Tafel.
»Wie Wohlgeboren Falkraun bereits schon feststellte, kam es bislang zu keinen Überfällen auf Drausteiner Boden. Ebenso hat Wohlgeboren Arland vorhin schon deutlich gemacht, dass man auch in der Umgebung von Birchféhn keine Spuren der Halsabschneider gefunden hat und auch Wohlgeboren Wellenstein ist bislang kein Übergriff gemeldet worden. Kurzum, wir haben bislang keinerlei Anzeichen gefunden, dass sie hier sind!« Ehe er fortfuhr, ließ der Weiße Löwe seine Einschätzung der Lage für einen Moment auf die Versammelten wirken. »Obschon Wohlgeboren Falkraun eingangs schon das Thilanmoor in Gräflich Abagund als wahrscheinlichen Unterschlupf für die Schurken nannte, wüsste auch ich gerne, dass diese sich nicht doch im nördlichen Gundelwald versteckt halten. Immerhin erstreckt sich der Wald dort über zwei Baronien! Wie sehen das die anderen Herrschaften?«, beendete Turon seine Rede schließlich mit einer Frage an die Rittertafel.

Morgan nickte: »Ja, und der Waldrand des Gundelwaldes ist die Grenze, eine Grenze, die von uns nicht kontrolliert werden kann, ohne in die Rechte anderer Barone einzugreifen oder uns über die Wünsche der Holden hinwegzusetzen. Im Krieg ist es wichtig, sich in die Sichtweise seines Feindes hineinzuversetzen. So ist es ein Leichtes, sich den Häschern von Gräflich Abagund zu entziehen, wenn man den Wald betritt und im Wald sind keine Büttel zu erwarten.« Morgan strich sich über den ergrauten Bart. »Wann waren wir das letzte Mal dort?«

»Wir betreten den Wald für gewöhnlich nicht! Das hatte Wohlgeboren Kerkall vorhin schon deutlich zum Ausdruck gebracht. Daher habe ich auch keine Erinnerung, wann jemand von uns zuletzt in den Tiefen dieser Waldwildnis war«, meldete sich plötzlich Schwertschwester Rhona Leuenglanz von Draustein zu Wort, die links neben Morgan Platz gefunden hatte. Es war ihr anzumerken, dass sie das Vorhaben von Wohlgeboren Falkraun bislang nicht unterstützte. Mit Blick auf ihren Bruder Arlan am Kopfende der Tafel, fügte sie schließlich noch hinzu: »Ich meine auf unserer Seite der Gundel!«

Ruhig zur Seite gewand erwiderte Morgan: »Hochwürden, ich meinte hier den firunwärtigen und den zwischen Firun und Rahja gelegenen Waldrand. Hier könnte sich das Räuberpack durch ein kurzes Eindringen in unseren Wald der Büttel von Gräflich Abergund entziehen, ohne tiefer in das Reich Gunderiels vorzudringen!«
»Also den Waldsaum beim Wehrhof Grimmwald und die nordöstlichen Wälder an der Grenze zu Gräflich Abagund?«, fasste Rhona nochmals mit einem fragenden Unterton zusammen und sah dabei zu Morgan.
Morgan nickte: »Ja, den Grenzbereich meine ich.«
»Womöglich habt Ihr mit Eurer Vermutung Recht! Wenngleich ich aufgrund der Rede von Wohlgeboren Wellenstein nicht glauben will, dass sie dort zu finden sind«, entgegnete schließlich die Rondrianerin.

»Aber wir könnten uns Gewissheit verschaffen«, erhob wieder Isewain von Windisch die Stimme. »Zumindest was das Aichmoor und Grimmwald betrifft. Ich würde mich mit meiner Lanze anbieten, Herrn Mardred zu verstärken. Wir legen uns dann zwischen Aichmoor und Grimmwald auf die Lauer.” Der Weiße Löwe blickte von Rhona zu Morgan und wieder zurück zur Hochgeweihten. »Was ist Eure Vermutung, Hochwürden?«

»Dieses Raubgesindel hat es bislang wohl aus gutem Grund vermieden, seinen Fuß auf den Boden Drausteins zu setzen. Eine zusätzliche Lanze in der Schildwacht, zwischen Grimmwald und Jasalintir, wäre aber auch in meinen Augen begrüßenswert«, bekannte schließlich die Schwertschwester und nickte dabei dem ihr gegenübersitzenden Weißen Löwen wohlwollend zu. Rhona wusste allerdings, dass damit noch lange nicht das Ansinnen Lûrans und Turons ausgeräumt war. Auch ihrem Mann Mardred fehlte es, anders als ihr selbst, an einer vorsichtigen Ehrfurcht vor dem Gundelwald. Wenngleich auch er diese Waldwildnis nicht ohne zwingenden Grund betreten würde.

Rondraine ballte abermals ihre versehrte Schildhand, nestelte die Bänder am Saum ihres Hemdes auf und schob das Leinen bis an den Ellenbogen. Die am Unterarm befindliche knotige Narbe juckte. Rondraine streifte das Leinen darüber und dachte nach: ‘Wenn der Adelsrat beschließen sollte Mardred darin zu unterstützen, die Aufklärung auch in den Wald zu führen, werde ich mich anbieten.‘ Dann fragte Rondraine: »Wie wird verfahren werden, wenn Spuren erschlossen werden, die in den Gundelwald führen? Was, wenn Renegaten aufgetan werden und in den Wald flüchten? Wird die Lanze des Edlen von Leuenblick zu Draustein dem Wald ehrfürchtig begegnen und sich zurückziehen? Wir Taldair achten die Traditionen und Konventionen der Wälder.«

Der Angesprochene runzelte die Stirn und fasste die Dienstritterin des Grafen ins Auge. Isewain wusste, dass sie Lehnsnehmerin in Tommeldomm war und hatte von seiner Gemahlin erfahren, dass sich die Taldair bei der Turney von Havena ausgezeichnet hatte. Ebenso wie Éachain Arland, die er seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte und auch nicht sonderlich vermisste, war die Bredenhagerin wohl in fortgeschrittenem Alter noch niedergekommen. All das war ihm jedoch ohne Belang, als er nun das Gefühl gewinnen musste, dass Rondraine ni Taldair die Tugendhaftigkeit seines Handelns bezweifelte.

»Eure Worte scheinen die Ritterlichkeit meines Handelns zu bezweifeln, Wohlgeboren? Was Euch nicht zusteht. Zumal Hochwohlgeboren noch nicht entschieden hat, wie mit den Alten Pflichten umgegangen werden soll.« Isewain strich sich kurz durch den Bart und fügte dann hinzu: »Wenn Ihr Euch freiwillig melden wollt, sagt es doch offen und direkt, denn dafür sitzt Ihr an dieser Tafel.«

Während der Vorwurf der Ritterlichkeit erwogen wurde, schob Rondraine ihren Stuhl zurück und erhob sich, den Edlen gefasst anblickend. Sie ließ ihn ausreden und erklärte: »Wohlgeboren von Windisch, meine vorgetragene Sorge umfasst das Gleichgewicht ritterlicher Tugendhaftigkeit auf der einen Seite der Waage und der Ehrfurcht vor den alten Pflichten und Konventionen. Ich möchte dringend darauf hinweisen, den vertrauten Hüter mit Namen Albarius Graustab in dieser Sache anzuhören. Ein Handeln im Umgang mit den Gesetzen des Gundel auf der einen Seite muss wohl beraten sein, bevor Mut und Demut im Zuge eines Gefechts auf der anderen Seite ein gewogenes Gleichgewicht der Tugendhaftigkeit suchen. Wenn das Gewicht und die Folgen eines Konflikts mit den Traditionen nicht vorher erwogen wurden, dann wird Tugendhaftigkeit sehr schwer ein Gleichgewicht erzielen.« Rondraine bot Herrn Isewain eine beschwichtigende Geste, neigte ihr Haupt und suchte anschließend aufrecht den Blick des Edlen. »Bitte erwägt die Sorge um die Folgen eines Konflikts mit den Alten Traditionen, denn Ehre und Tugendhaftigkeit des Hauses Windisch ist nicht Ziel meiner Sorge.«  Rondraine hatte schließend die Schwerthand an die linke Brust geführt und ergänzte: »Sodann Albarius gehört wurde und Hochwohlgeboren auch den Ratschlag des Rates erwogen hat, melde ich mich in die Verantwortung Herrn Mardred zu unterstützen, um Ehrfurcht vor den Alten Konventionen des Waldes zu vertreten.« Mit einem Blick zum Grafen setzte sich Rondraine und rückte den Eichenstuhl.

Turon Taladan war aufgrund der missverständlichen Rede verstimmt. Ohnehin stand Rondraine ni Taldair bei diesem in keinem besonderen Ansehen, da sie vor einem Jahr seinen Enkelsohn Roric, den Bastard seines Sohnes Rhéged, auf dem Weg nach Burg Bredenhag im Saum des Farindel verlor und der Junge seitdem als verschollen galt.

Roric Crumold zog bei den Worten der Ritterin eine Augenbraue nach oben. ‘Was sollte diese herausfordernde Rede, als ob wir Drausteiner derlei Ratschlag bräuchten? Eine Flussfrau will den Alteingesessenen etwas über Ehrfurcht und alte Pflichten gegenüber dem Wald lehren? Folgt dann im nächsten Schritt eine Unterweisung der Weißen Löwen in Ritterlichkeit? Nein, das war ja bereits schon im ersten Schritt geschehen!‘, grübelte der Ritter missbilligend und schüttelte dabei seinen Kopf. Roric sammelte sich für einen Augenblick und wollte gerade etwas auf die Rede von Frau Rondraine erwidern, als ihm die Schwester von Rondred Stepahan zuvorkam.

Ruada runzelte die Stirn. »Euer Vorschlag, Wohlgeboren«, sie nickte der Taldair knapp zu, »ist im Grunde richtig. Doch ist Albarius Graustab eher mit dem Farindel vertraut. Es gibt allerdings hier in Draustein durchaus Kundige, die sich nicht nur als Berater, sondern auch als Begleiter bestens eignen würden.«
Rondraine nickte und stimmte zu: »Das ist gut!«
Die Stepahan richtete ihren Blick auf die Edle von Birchféhn. »Wohlgeboren Arland, habt Ihr Kunde über den Aufenthaltsort Eures Bruders?«

Éachain sah nach der Meinungsverschiedenheit über die unglückliche Wortwahl der Bredenhagerin überrascht zur jungen Stepahan auf. »Ich habe Fínn nicht persönlich angetroffen, Hohe Dame, weiß aber von Herrn Aelfric, dass er jenseits des Birchgrunds im Gundelwald Wacht hält.«

Morgan Kerkall hatte sich das alles angehört und begann dann ruhig und nachdenklich zu sprechen. »Ich möchte hier niemanden zu nahe treten und unsere persönlichen ritterlichen Ehrgefühle und Tugenden in Ehren halten. Ich kenne viele von euch von Kindertagen an«, er schaute an den Kopf der Tafel »und habe einige bei ihren ersten Schritten begleitet.« Dabei sah er vertraut zu Ruada hinüber. »Doch die Abmachungen mit der Holden beruhen auf Urväter, Vertrauen und Gegenseitigkeit. Länger als meine Familie hier in Draustein dient. Wenn diese für unsere Vorfahren richtig war, sollten wir uns recht überlegen, wie wir handeln. Wir sehen zur Zeit nur unsere Seite. Wir sollten die Tugend der Verantwortung nicht vergessen. Verantwortung für unsere Schutzbefohlen und gegenüber den Vorfahren.«

Isewain von Windisch nickte und blickte in die Runde. »Jeder, der hier auf Draustein auf seine Schwertleite vorbereitet wurde, jeder der hier in den Stammlanden des Löwen Haus Stepahan die Treue hält, kennt die Inschrift auf dem Sturmtempel
Nun fasste der Windisch seinen Bundbruder ins Auge, der aus eigener Kraft den Aufstieg in die Reihen der Steinvasallen vollbracht hatte. »Außer der Pflicht, den Gundelwald zu meiden und dieses Gesetz auch bei den Gemeinen durchzusetzen, ist mir nicht bekannt, dass es weitere Traditionen, Abmachungen oder gar einen Bund zwischen Haus Stepahan und der Herrin im Wald gibt. Es gibt hier in Draustein keinen Ort wie den Spiegelsee oben im Bleichen Gebirge, um mit den Holden zu sprechen, oder? Nur Haus Crumold ist dafür bekannt...
Wie sollen wir die andere Seite sehen können, Wohlgeboren«, griff der Windisch Morgans Worte auf, »wenn wir durch das überlieferte Gesetz nicht die Weisheit der Holden erfahren können?« Die Stimme Isewains hatte zum Schluss einen ehrfurchtsvollen Unterton angenommen.

»Und doch unterscheiden wir uns von Haus Crumold. Dieses hat ja eine wesentlich engere Beziehung zu Gunderiel als wir«, machte der Angesprochene deutlich.
Eine Aussage, die Isewain mit einem Stirnrunzeln quittierte, doch Morgan fuhr bereits fort: »Aber Hochwohlgeboren, ich meine mich zu erinnern, dass die Holde auch schon das eine oder andere Mal sich für Eure Familie eingesetzt hat.«
Man sah Morgan an, wie er in alten Gedanken grub und dann fortfuhr: »Gab es nicht jemandem, dem Gunderiel besonders zugetan war? Ich glaube, es war der Burgweibel Bardan Bruckwasser! Er müsste in meinem Alter sein. Vielleicht wäre er eine Hilfe, um Verbindung mit der Holden aufzunehmen...«
Nur leise, direkt neben Morgan war noch zu vernehmen: »Dem trau ich zehnmal mehr, als diesem Druiden...« 
Während Turon Taladan nur mit den Schultern zuckte, bestätigte die Schwertschwester der Rondra Morgans Geflüster mit einem knappen Nicken. Wenngleich offen blieb, gegenüber wen man Vorbehalte hatte. Isewain hingegen war langsam unwohl, dass der Name der mächtigen Fee so häufig verwendet wurde, da dies nach seiner Ansicht Unglück geradezu heraufbeschwor.

Rhonas Bruder war allen Reden aufmerksam gefolgt. Arlans Augen suchten schließlich jene von Morgan Kerkall: »Die Beziehung von Haus Stepahan zu Gunderiel geht über die von Wohlgeboren Windisch dargelegten Erfordernissen nicht hinaus. Das einzige Mal, wo ich bislang selbst auf die Holde traf, war im Zuge des sogenannten Blutkonvents von Bredenhag. Dieser liegt inzwischen aber auch schon mehr als zehn Jahre zurück. Damals erwies sich diese als unerwartete Verbündete. Ich würde durchaus sagen, dass der gute Bardan ihre Gunst errang«, stimmte Arlan seinem Bundbruder zu. »Ob uns dies heute noch von Nutzen ist, kann ich schwerlich sagen, es aber auch nicht ausschließen.« Dann bemaß der Baron mit langem Blick die Tafel.
»So mancher Ritter hat sich mit seinem Ratschlag bislang vornehm zurückgehalten und doch wurde schon vieles gesagt! Gibt es noch einen weiteren Gesichtspunkt von Belang, den es in dieser Sache zu berücksichtigen gilt?«, fragte der Baron von Draustein.

Éachain Arland meldete sich daraufhin nochmals zu Wort.
»Wenn es sich bewahrheitet, dass die Vogelfreien sich in den Wald zurückziehen können, dann werden sie vermutlich das Wohlwollen und den Schutz der Holden genießen, Hochwohlgeboren. Nachdem nun das Verhältnis zu Haus Crumold deutlich besser ist, als zu der Zeit wo Hochgeboren Ilaine auf Gut Bellenwyn isoliert war, schlage ich vor, dass Ihr direkt Kontakt mit Eurer Schwester oder Haus Crumold sucht, Hochwohlgeboren.«
Dem Wort isoliert hatte die Edle eine eigentümliche Betonung gegeben. Tatsächlich war diese Bezeichnung eine sehr freundliche Umschreibung der zurückliegenden Vorgänge in der benachbarten Baronie.

Obschon Roric Crumold zur Rechten der Edlen von Birchféhn saß und jedes einzelne Wort laut und vernehmlich verstanden hatte, sah er gleichmütig zu Aendred von Bienenhain und von diesem zu Jaran von Heckendorn. Sodann verschränkte er die Arme vor der Brust.

»Euren Ratschlag will ich gerne bedenken!«, bekräftigte hingegen Arlan Stepahan. »Da Haus Crumold seit Jahrhunderten eine unverbrüchliche Verbindung zum Wald unterhält, kann ich kaum glauben, dass diese Gesetzlosen in der Gunst der Herrin des Waldes stehen, selbst wenn sie dort womöglich einen Unterschlupf gefunden haben. Zu widerstreitend erscheinen mir die jeweiligen Begehrlichkeiten«, betonte der Baron von Draustein mit ernster Mine. Überraschend fügte er schließlich hinzu: »Mein Schwager ist in dieser Wirrnis eher dem Pfade Borons zugeneigt, als jenem Rondras.«

Ein spärliches Schmunzeln hatte sich für einen Moment auf das Gesicht des Barons von Wallersrain gelegt. Vermutlich hatte sein Vetter diese Antwort gewählt, um deutlich zu machen, dass Baron Illaen Crumold die Hilfe von Haus Stepahan weder suchte noch in dieser Sache willkommen hieß. Wenn nur die Hälfte der Schilderungen um den überfallenen Pilgerzug im Süden Crumolds und dem Tod von Vogt Praiodan Valdorin der Wahrheit entsprachen, würde Haus Crumold in den Augen von so manchem Adligen noch schwächer wirken, als es das derzeit ohnehin schon tat. Immerhin war es Illaen Crumold bislang nicht gelungen, diese Wegelagerer ausfindig zumachen und aufzuknüpfen. Daher war Arlan gut beraten sich nicht drängend einzumischen und seine Worte mit Blick auf den Adelsrat mit Vorsicht zu wählen. Zwar hegte Rondred kein begründbares Misstrauen an der Loyalität von Roric Crumold, doch im Zweifel war Blut nun einmal stärker als Wasser. Wenngleich sich Rondred Stepahan bislang mit seinem Ratschlag und seinen Ansichten eher zurückgehalten hatte, erregte nunmehr ein einfaches Wort, welches Éachain verwandte, seine Aufmerksamkeit. Daher musste sein Vetter wohl noch einen Moment warten, um die entscheidende Frage von Lûran endlich zu beantworten.
»Ich danke der edlen Herrin von Birchféhn, dass sie die einfache Wahrheit so offen ausspricht!« Rondred hatte sich leicht nach vorne gebeugt, um in das Antlitz von Éachain Arland zu blicken. Wohlwollend nickte er der Ritterin zu und richtete sodann seine Aufmerksamkeit wieder auf den Adelsrat.
»Für meinen Geschmack haben wir für dieses Raubgesindel zum Teil recht milde Umschreibungen gefunden. So viel hier und heute schon mehrfach das Wort Renegat und selbst von blauen Füchsen war schon die Rede. Doch niemand hat es bislang für mich besser auf den Punkt gebracht als Frau Éachain. Bei diesem Gesindel handelt es sich um nichts anderes als um Vogelfreie! Es sind Halsabschneider und Geächtete!«, erklärte der Stepahan nicht laut, aber mit zunehmendem Zorn in der Stimme.
»Ich habe mich bereits in Havena gefragt, was dieses erneute Gerede über Renegaten und blaue Füchse zu bedeuten hat? Wo kommen diese so plötzlich her? Und wie kann es sein, dass sie heute wohl mehr Köpfe zählen als nach dem Tod von Albor von Hohenfels, auf dem Saatfest zu Honingen vor mehr als zwölf Jahren?«, fragte er mit rhetorischem Schwung. Rondred war sich sicher, dass Arlan und auch einige andere Adlige genau wussten, wovon er sprach. Arlan hatte ja selbst gegen die blauen Füchse nach ihrem Bruch mit Gräfin Galahan gekämpft. Zwar leidenschaftslos und von innerem Kummer befangen, aber dennoch mit erhobenem Schwert - immerhin stand man ja einst auf derselben Seite. Auch Rondred hatte vor sechs Jahren im Verlauf der Überfälle auf Burg Fergardh mit Geächteten zu tun gehabt. Dabei aber den Weg des Wortes und nicht des Eisens gewählt. So war er schließlich der Tugend der Barmherzigkeit gefolgt.
»Der Traum eines freien Albernia wurde mit dem Bußgang von Königin Invher und dem Frieden von Abilacht beerdigt. Aus und vorbei! Wer nach all den Jahren noch immer glaubt, diese Niederlage durch Überfälle ins Gegenteil zu verkehren, ist entweder ein leichtfertiger Träumer oder schlicht ein geschickter Blender! Mit der Gesinnung der Renegaten aus den ersten Jahren des Unabhängigkeitskrieges haben diese Geächteten nichts mehr gemein«, verkündete Rondred aufgebracht. »Sie geben sich vermeintlich nur diesen Anschein, um in der buckligen Bevölkerung auf Gehör und Unterstützung zu stoßen. Doch ein jeder, der mit blutiger Axt und Bauernwehr, aus Habgier oder auch nur aus verblendeter Verbundenheit mit Albernia seinem Nächsten nach dem Leben trachtet, ist für mich ein liederlicher Vogelfreier!«

»Ich gebe Euch im Prinzip Recht«, erklang leise Ruadas Stimme. »Und doch müssen wir sie erst stellen und verurteilen. Sie scheinen über gute Mittel zu verfügen. Herr Lûran berichtete von gut gerüsteten Kämpfern und gar einem vermeintlichen Ritter. Es ist durchaus möglich, dass jemand von Einfluss sie unterstützt. Gegebenenfalls wäre dies ebenfalls eine Spur, die man verfolgen könnte. Wem nützen diese Überfälle?«

Für Johril Dragentrutz war es ein Privileg, ein Teil dieses Adelsrats zu sein. Der aus Grenzmarken stammende Recke hatte gleich neben Ruada Stepahan einen Platz am Ende der Tafel gefunden. Er freute sich über die Auffassung der Ritterin neben ihm. Johril hatte sich schon gewundert, dass niemand der Versammelten dies bislang erwähnte. »Ich sehe das auch wie Frau Ruada«, meldete sich nun das ehemalige geschworene Schwert von Baronin Farnwart zu Wort. »Wie sonst ist zu erklären, dass man diese Vogelfreien bislang noch nicht aufgegriffen hat? Selbst wenn sie tatsächlich einen Unterschlupf im nördlichen Gundelwald unterhalten und dort zur Jagd gehen, wachsen noch immer keine Schwerter und Brünnen auf den Bäumen! Wem diese Überfälle hingegen nützen, vermag ich nicht zu sagen, aber es ist auch in meinen Augen wichtig, diese Frage zu stellen.«

Morgan hob eine Augenbraue. »Wäge im Kampf stets die Kosten und Nutzen ab. Wohl gesprochen Ruada, aber in dieser Rechnung sollten wir nicht nur den Nutzen, sondern auch den Schaden nicht vergessen. Wessen Ansehen und wessen Land wird geschädigt?«, wollte Morgan wissen. Dem ergrauten Recken fiel dabei die viel zu vertraute Anrede Ruadas in diesem Kreise nicht weiter auf.

»Auf Gräflich Abagund’scher Seite, gehört das Gebiet rund um das Thilanmoor zu einem Junkergut des Hauses Granna«, antwortete Lûran. »Das sind meines Wissens treue Gefolgsleute des Hauses Niamad. Auf Seiten des Hauses Crumold gehört der südliche Teil des Moores zu den Ländereien des Barons selbst«, fuhr er fort, während er sich seinem Bundbruder zuwandte. »Wenn das Ziel der Vogelfreien also nur darin bestehen sollte, dem Ruf und dem Ansehen von Graf Niamad und von Baron Crumold zu schaden, dann würde das alles Sinn ergeben.«

Nachdenklich legte Ruada Stepahan den Kopf schief, war das Gespräch doch nun wieder an dem Punkt angelangt, den sie schon recht zu Beginn angebracht hatte. Nicht deutlich genug, wie ihr jetzt klar wurde.


Wirrnisse um das Junkertum Sprützmoor

Wie zur Bestätigung erhob nun der Junker von Nebelwacht seine Stimme: »Das würde allerdings auch bedeuten, dass Draustein bislang nicht in dieser Rechnung beteiligt ist«, führte Arnbrecht Wellenstein den Gedanken weiter. Außer seiner Wortmeldung zu den Spuren an der Waldesgrenze hatte der jüngste der Steinvasallen bislang nichts zum Rat beigetragen und durfte sich - wie einige andere - durchaus von der unverhohlenen Aufforderung des Grafen angesprochen fühlen.
»Da die Löwenlande bislang selbst nicht angegriffen wurden, wir aber bereits mehr als wachsam sind, sollten wir uns nicht in einen eventuellen Konflikt zwischen diesen Parteien verwickeln lassen, nachdem Ihr, Hochwohlgeboren, diesen einst geschlichtet habt... besonders nicht bevor klar ist, welche Absichten der Graf des Abagunds nun verfolgt«, schloss Arnbrecht und verbiss sich die Bemerkung, dass Cullyn als ehemaliger Streiter im Separationskrieg sehr wohl wissen müsste, welche Maßnahmen zu ergreifen waren. Es war kein Geheimnis, dass der heutige Graf vom Abagund auf eben die gleiche Art und Weise von Utengund aus gegen die Nordmärker gekämpft hatte wie die sogenannten Vogelfreien heute gegen ihn.

Arlan Stepahan war durchaus zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Adelsrats, wenngleich die Unterredung seit den Worten seines Vetters Rondred, für ihn selbst nun politisch heikler wurde. Wenn Phex ihm gewogen war, dann würde er noch heute Kunde von Burg Utengund erhalten. Arnbrecht hatte hingegen Recht mit seiner Befürchtung. Allerdings wollte Arlan nicht selbst etwas erwidern. Bisweilen war es für ihn klüger, Turon etwas Passendes sagen zu lassen. Daher reichte ein kurzer Blick des Barons zu seinem altgedienten Ratgeber, um diesen nur Augenblicke später das Wort ergreifen zu lassen.

»Wie man hört, hat Hochwohlgeboren Niamad im Winter zur Jagd geblasen«, eröffnete der Kanzler von Bredenhag eilfertig. »Er hat das neue Jagdgut Schlehengrund eingeweiht und dabei seiner neubestallten Verwalterin...«, stockte Turon unverhofft, als ihm der Name der Verwalterin just nicht einfallen wollte. Schließlich machte er eine wegwerfende Handbewegung und nahm das Wort wieder auf: »Es ist jedenfalls ein Weib des Hauses Granna, ich meine, es ist die Tochter der ehemaligen Kanzlerin Rowena. Der Graf hat ihr jüngst das Leben gerettet, als diese unvorsichtigerweise bei der Jagd auf eine Rotte mit Überläuferkeilern traf.« Aus der Sicht von Turon, war damit im Grunde auch schon alles über die wunderlichen Winterwerke des Grafen von Abagund gesagt. ‘Er zieht eine Jagd auf Wild, jene auf Gesetzlose vor‘, dachte der Weiße Löwe bitter. Erst dann kam er auf den weiteren Gedankengang von Arnbrecht zu sprechen und sah dabei bewusst zur rechten Seite der Tafel, wo Roric Crumold saß.
»Wie hier sicherlich alle bereits wissen, der Adel Drausteins vor jenem aus Bredenhag, kam es Ende des Winters zum Abschied von Rowena ni Granna und zur Bestallung von Annlair Crumold mit dem Amt des Kanzlers von Abagund. Vor diesem Hintergrund scheinen sich die einstigen Konflikte der Häuser Niamad und Crumold derzeit eher in Grenzen zu halten«, erläuterte der Taladan weiter, erhob dann allerdings mahnend den Zeigefinger.
»Eine Sache ist aber womöglich von besonderem Interesse. An der Spitze des Crumolder Junkertums Sprützmoor, steht mit Ronwian ui Seradh ein geschworenes Schwert von Graf Niamad. Allerdings sind mir die genauen Umstände dieser doch unerwarteten Erhöhung nicht mehr ganz geläufig. Womöglich aber jemanden aus Draustein?« Was er selbst davon hielt, schob Turon ebenso zur Seite, wie die Farben der Häuser Granna und Seradh. Nach seinen letzten Worten ruhte sein Blick für einen Moment noch auf Arnbrecht Wellenstein, ehe er zu seinem Becher griff.

Außer einem dankbaren Nicken für die hintergründigen Erläuterungen, hatte der Nebelwachter jedoch nichts hinzuzufügen - im Gegenteil. Dass Annlair Crumold jüngst zum Kanzler berufen worden war, hatte Arnbrecht schon fast wieder vergessen, nachdem das neue Amt des Jagdmeisters seine Aufmerksamkeit ebenso einnahm wie der fortschreitende Ausbau von Burg Nebelwacht. Ganz zu schweigen von den Belehnungen der Dienstrittergeschlechter des Grafen in Crumold. Aufgeschlossen blickte der Junker deshalb in die Runde, ob sich jemand zu den Ausführungen des greisen, aber noch immer wachen, Taladan melden wollte.

Der Brustkorb des Crumolder hatte sich bei den Worten des Steinvasallen einmal merklich gehoben. Herr Roric zog es erst einmal vor, die versammelten Herrschaften aus den Augenwinkeln zu beobachten und dabei an seinem Becher zu nippen.

Nachdem für einen langen Moment Schweigen herrschte, ergriff Rondred Stepahan schließlich das Wort: »Womöglich weiß Wohlgeboren Crumold etwas über diese Belehnung? Immerhin ist Illaen Crumold doch sein Vetter und die familiären Bande werden ihn doch sicherlich ab und an nach Burg Crumold führen«, sprach der Kronenrat das Naheliegende aus und sah dabei über seine linke Schulter in Richtung des Edelmanns.

Daraufhin räusperte sich der angesprochene Ritter, fuhr sich etwas verlegen durch seinen Bart und sah dann letztlich zu Arlan Stepahan am Kopfende der Tafel.
»Mein Lehnsherr, ich weiß wenig genug und will deshalb niemanden hier in die Irre führen. Es geht um Ereignisse die nun schon drei Winter zurückliegen«, bekundete er etwas zögerlich. »Die Umstände dieser Belehnung sind selbst für mich verworren. Ich weiß aber, dass es zwei Ansprüche auf die Junkerkrone des Lehens Sprützmoor gab. Der einstige Herr von Burg Sprützmoor, kam im Unabhängigkeitskrieg ums Leben. Sein einziger Erbe, ein naher Anverwandter, wurde inzwischen für Tod erklärt. Er war wohl ein Heckenritter. An den Namen kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern. Er klingt aber so ähnlich wie jener von Herrn Aendred!«, erinnerte sich Roric mit Blick auf den dienenden Ritter von Haus Bienenhain.

»Demzufolge lautete sein Name so ähnlich wie ‘Aendred von Langwitz‘. Denn das Junkertum Sprützmoor war einst ein Lehen von Haus Langwitz!«, warf Turon Taladan erinnernd ein. »Es unterstand Junker Yendan von Langwitz. Aber bitte Wohlgeboren, so fahrt doch fort!«

Dieser hatte bei den Worten des Taladan nur mit den Schultern gezuckt, sprach dann aber weiter: »Es gab in diesem Zusammenhang den unerwarteten Anspruch eines jungen Ritters, der behauptete der Sohn des besagten Heckenritters zu sein«, erzählte der Edle von Orkenheck weiter. »Mein Vetter hat die Ansprüche des Ritters schließlich anerkannt, weil eine Bardin aus Honingen den Leumund von diesem ‘Aendred von Sprützmoor‘ bestätigen konnte... So wurden schließlich die Ansprüche von Ismilda von Leuchtenfels verworfen. Die beiden, also dieser plötzlich aufgetretene Ritter und die einstige Vögtin von Sprützmoor, sind wohl auch irgendwie miteinander verwandt, was die Dame Ismilda allerdings bestreitet«, grübelte Roric angestrengt weiter und schwieg dann schließlich.

»Das klingt in der Tat verworren! Doch wie fiel nun das Junkertum Sprützmoor an Haus Seradh?«, verlangte nunmehr Arlan Stepahan zu erfahren.

»Ich weiß nur, dass mein Vetter gezwungen war, Burg Sprützmoor unter dem neuen Junker zu belagern, da dieser wohl Renegaten unterstützte und diesen Obdach gewährte. Die Burg konnte nur mit Hilfe von Ronwian ui Seradh und den gräflichen Drachenreitern zurückgewonnen werden. Die Waffenhilfe von Graf Niamad war an die Bedingung geknüpft, dass das Lehen sodann an Herrn Ronwian fiel.« Herr Roric machte bei den letzten Ausführungen einen zunehmend beschämten Gesichtsausdruck, da seine Schilderungen kein gutes Licht auf seine Anverwandten in der Baronie Crumold warfen. »Das ist so ziemlich alles, was ich darüber weiß«, bekundete er am Ende seiner Erzählung.

»Gab es Überlebende auf Seiten der Renegaten und der anderen Belagerten?«, warf Lûran Falkraun ein und lehnte sich dabei, mit beiden Ellenbogen aufgestützt, nach vorn auf die Tafel.

»Es heißt, dass mein Vetter und seine Getreuen alle Schergen erschlagen haben!«, antwortete Roric. Doch es lag keine Überzeugung in seiner Stimme.

»Falls dies nicht der Fall sein sollte, gäbe es zumindest eine starke Motivation, sich an Haus Crumold und Haus Niamad zu rächen... Die frühere Vögtin hieß tatsächlich Ismilda von Leuchtenstein und ihr Sohn war als Neffe des hingerichteten Junkers Yendan zum Erben bestimmt - ich gehe davon aus, dass das noch mit Zustimmung von Haus Crumold geschah.« Kurz blickte [Eachain Arland|Éachain Arland]] zu Roric Crumold, der sie nur gleichmütig ansah, ehe sie fortfuhr.
»Wie dem auch sei: Frau Ismilda hatte auch eine Tochter, die wohl nicht viel jünger als ihr Bruder war, der verschwundene Heckenritter. Warum die Verwalterin den zurückgekehrten Mann nicht als ihren eigenen Sohn erkannte... oder erkennen wollte, werden wir von hier aus wohl nicht ergründen«, schloss die Edle. Éachain hielt es nach den verworrenen Wortmeldungen von Turon und Roric für müßig, nochmals auf eine Audienz bei Haus Crumold hinzuweisen. »Aber vielleicht, Wohlgeboren«, wandte sie sich direkt an Roric, »wisst Ihr, warum sich dieser zum neuen Junker von Sprützmoor ernannte Mann bald schon mit Renegaten zusammen getan hat, so dass die Burg mit Gewalt genommen werden musste?«

»Womöglich weil er im Herzen ihre Gesinnung teilte«, mutmaßte Herr Roric Crumold auf die Frage von Frau Éachain. Dabei ärgerte er sich gleichsam über seine unvollständige Erinnerung des Familiennamens der einstigen Vögtin von Sprützmoor, so dass seine Antwort einen ungewollt bärbeißigen Unterton trug.
Es war nicht die Art von Herrn Roric Geschichten zum Besten zu geben, die er nicht selbst bezeugen konnte. Zumindest würde er hier und jetzt aber ein anderes Missverständnis ausräumen können. So sah er zur Edlen von Birchféhn und setzte wieder gefasst hinzu: »Bei diesem ‘Aendred von Langwitz‘, der vor drei Wintern letztlich zum Junker von Sprützmoor ernannt wurde, soll es sich aber nicht um den Sohn von Frau Ismilda von Leuchtenstein gehandelt haben, sondern vielmehr um ihren vermeintlichen Enkel. Der Sohn war der Heckenritter, den man nach göttergefälligen zwölf Jahren für tot erklärte«, vergegenwärtigte der Crumolder, worauf Éachain nickte.

Da ergriff Johril Dragentrutz am hinteren Ende der Tafel das Wort: »Ich würde gerne auf die Frage von Frau Eáchain eine mögliche Antwort finden«, erklärte der Ritter. »Womöglich spielte ja diese Bardin aus Honingen eine größere Rolle. Wenn ich Herrn Roric richtig verstanden habe, dann bezeugte sie dessen Leumund vor Hochgeboren Crumold. Entweder ist dieser 'Aendred von Langwitz' ein bauernschlauer Blender, oder diese Bardin kannte sehr wohl seine fanatische Gesinnung? Möglicherweise geht es aber inzwischen tatsächlich nur noch um Rache«, hob auch der Ritter aus Grenzmarken abschließend hervor, während er mit seiner Schildhand auf die Edle von Birchféhn verwies, die den Gedanken bereits geäußert hatte. Andere Ungereimtheiten sprach er hingegen nicht an, wenngleich ihn der Name und das Alter der Bardin ebenso interessierten, wie der Umstand, dass der vermeintliche Enkel von Vögtin Ismilda von Leuchtenstein wohl nicht in ihrer Obhut aufgewachsen war. Demzufolge mochte es sich bei dem unbekannten Ritter auch um einen Bastard handeln, der nach dem Tod seines Vaters dessen Ross und Rüstung an sich genommen hatte. So gesehen war es überhaupt fraglich, ob dieser ‘Aendred von Langwitz‘ tatsächlich ein Ritter war. Ein Fuchs war er aber auf jeden Fall!

Arnbrecht hatte schon eine Weile die Stirn gerunzelt, da die wenigen Informationen aus Crumold geradezu ungeheuerlich schienen. »Dieser Aendred kann doch gar nicht familiäre Bande zur alten Junkersfamilie oder Frau Ismilda haben«, überlegte er.
»Als ihr mutmaßlicher Enkel hätte er doch traviagefällig in die Familie aufgenommen werden müssen? Was sie aber wohl abgelehnt hatte«, erinnerte der Nebelwachter nochmals. »Über den Verbleib von Frau Ismilda und ihrer Tochter ist nach dem Herrschaftswechsel nichts bekannt geworden, Herr Roric?«, fragte Arnbrecht nochmals den Crumolder direkt.

Die umstehenden Knappen bemerkten wohl als erste, wie sich die schwere Eichentür zum Rittersaal langsam öffnete und der bereits von Herrn Morgan erwähnte Burgweibel der Steinlöwen vorsichtig seinen breiten Kopf durch den Türspalt steckte. Auf dem Haupt trug dieser einen stattlichen, bisweilen mit Scharten verzierten Eisenhut, der unter dem Bandbeschlag wohl mit rotem Samt aufwartete und so die besondere Stellung seines Trägers hervorhob. Ebenso war Bardan Bruckwasser in die Jahre gekommen und sein stattlicher Bart hatte inzwischen die Farbe von Birkenrinde angenommen. Abwartend hielt er sich im Hintergrund.

Roric Crumold schüttelte hingegen als Antwort auf die Frage von Arnbrecht vielsagend den Kopf: »Darüber habe ich nichts gehört!« Der Edle von Orkenheck sah vom Jagdmeister der Leuenlande schließlich interessiert zum eingetretenen Burgweibel, der nun auf ein Fingerzeig seines Dienstherrn allmählich die Tafel umrundete, während Arlan Stepahan einstweilen noch das Wort erhob: »Die Geschichte um das Junkertum Sprützmoor hat zumindest verdeutlicht, dass Haus Niamad und Haus Crumold gegenwärtig geeint im Kampf gegen die Vogelfreien sind!«, fasste der Baron von Draustein die wohl sicherste Erkenntnis zu diesem Teil der Aussprache zusammen. Dann deutete er dem Burgweibel an heranzukommen. Dieser beugte sich an sein Ohr und trug dem Burgherrn wohl eine wichtige Nachricht zu. Dies schien dem Baron offenbar zu gefallen, woraufhin sich Bardan mit großen Schritten wieder anschickte, den Rittersaal zu verlassen.
»Weibel Bruckwasser hat mir gerade berichtet, dass die von mir entsandte Botin mit einer Nachricht von Hochwohlgeboren Niamad eingetroffen ist. Er führt sie nun herein«, verkündete Arlan Stepahan zufrieden.


Nachricht von Graf Cullyn ui Niamad

Arwulf Taladan, der Schildknappe von Herrn Isewain war überaus angetan von der mit Bardan Bruckwasser durch die Tür schreitenden Ritterin. Irmintrudt von Bienenhain war in eine knielange graue Cotta mit kupfernem Fürspann am Halsausschnitt gewandet, als sie sich der Adelsversammlung näherte. Ihren braunen Rechteckmantel, der als Zier einen ockergelben Besatz aufwies, trug sie bequem über dem Schildarm. Die Ritterin hatte es vorgezogen ihren Schwertgürtel nicht abzulegen, der im Grunde den einzigen Hinweis darauf versprach, dass sie von Stand war, oder zumindest im Waffenhandwerk Unterrichtung erfahren hatte. Doch diese Augenscheinlichkeiten interessierten Arwulf in diesem Moment nicht weiter. Vielmehr nahm er wahr, dass ihr langes blondes Haar wie ein güldener Wasserfall über ihre Schultern floss, als sie eine huldvolle Verbeugung andeutete und ihre geballte Schwerthand zum Herzen führte. Ihr Gesicht war geradezu ebenmäßig geschnitten, mit einem ausgeprägten Kinn, welches ihr zusätzlich Kühnheit verlieh. Während Arwulf darüber sinnierte, ob er ihr schon einmal begegnet war, bewegten sich offenbar ihre Lippen...

»Rondra mit Euch, mein Graf!«, grüßte die Ritterin mit klarer tragender Stimme, während Arlan Stepahan den rondrianischen Gruß erwiderte. Die Bienenhain sah kurz zu Morgan Kerkall, mit welchem sie erst unlängst auf Reisen war und auch zu Josold von Firunsgrund, der ihr vor einigen Jahren auf dem Bredenhager Buhurt die Minne antrug und nickte beiden knapp zu. Ihren Schwertvater Jaran von Heckendorn bedachte sie ebenso mit einem huldvollen Blick. Sodann fasste die Ritterin unter ihren Mantel und zog einen gefalteten und gesiegelten Brief hervor.
»Hochwohlgeboren Niamad entsendet Euch seine Grüße und hofft, Euch auf dem Treffen der Besten alsbald persönlich zu sprechen«, berichtete sie wortgetreu den Gruß des Flussmanns, während Graf Arlan ihr gesonnen zunickte und sie an seine Seite rief, um das Schriftstück zu erhalten. »Seid vielmals bedankt für diesen Botendienst, Frau Irmintrudt. Ihr könnt Euch einstweilen zu Weibel Bruckwasser gesellen und mit diesem vor der Türe warten, womöglich gibt es noch Fragen«, bat sie der Graf freundlich die Adelsversammlung wieder zu verlassen. Während sich die Eichentüre wieder schloss und Arwulf Taladan allmählich in das hier und jetzt zurückfand, hatte Arlan Stepahan das Siegel mit Seedrache und Trinkhorn gebrochen und das kleine Schriftstück schweigsam gelesen.

»Es kam wohl seit geraumer Zeit zu keinen größeren Überfällen mehr, da die Drachenreiter nun verstärkt im Süden von Gräflich Abagund präsent sind. Allerdings hat man im Peraine zwei Gruben mit verscharrten Vogelfreien gefunden, es waren einmal zwei und einmal vier Tote darin«, erzählte der Weiße Löwe und legte dabei die Stirn in Falten.
»Bei Dreien der Erschlagenen hat man zudem Hautbilder entdeckt, welche einem Fuchs nachempfunden sind. Waffen und Rüstungen hat man hingegen keine gefunden. Allerdings gab es nördlich des Gundelwalds weitere Sichtungen von Bewaffneten, welche aber dann in der Waldwildnis verschwanden«, so die sinngemäßen Worte von Hochwohlgeboren Cullyn ui Niamad. Dann reichte er seinem Drausteiner Lehnsvogt das gefaltene Schriftstück und sah sodann in die Runde.

Entscheidungen

Lûran Falkraun nahm das Pergament und überflog die Zeilen der Nachricht, während er kaum merklich die linke Augenbraue nach oben zog. Er faltete das Blatt wieder zusammen und ließ es vor sich auf der Tafel ruhen, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte.
»Nun, auch wenn Graf Niamad uns versichern mag, dass die Lage sich beruhigt habe und versucht, die Ereignisse in ihrer Dringlichkeit herunterzuspielen, so denke ich trotz alledem, dass wir uns selbst ein Bild von der Lage machen sollten.« Der Vogt von Draustein starrte nachdenklich auf den Knauf seines Schwertes und das gebrochene Siegel des Hauses Niamad daneben.

Morgan Kerkall hatte sich leicht vorgebeugt und sah dabei in die Runde des Rates: »Wir haben hier Erkenntnisse zusammengetragen, ob diese nun allumfassend sind oder nicht, und uns beraten. Am Ende sollte ein Rat einen Rat geben und daraus sollte dann ein Entschluss folgen!«

»Ich sehe das so, wie mein geschätzter Bundbruder«, meldete sich nunmehr auch Jaran von Heckendorn mit ernster Stimme zu Wort. Der Vogt von Gräflich Bredenhag und Junker von Heckenwacht hatte sich lange ausgeschwiegen. »Die Nachricht von Graf Niamad sagt mir drei Dinge: Die Geächteten erschlagen sich inzwischen selbst. Ich vermute, dass es hier um weit mehr ging, als nur um die üblichen Zwistigkeiten unter Räubern. Vielleicht ein blutiger Machtkampf um die Anführerschaft? Blaue Mäntel können ein begehrenswertes Statussymbol sein«, mutmaßte Jaran mit einem gezwungenem Lächeln.
»Die drei Leichen mit den Hautbildern in Gestalt eines Fuches waren womöglich noch Renegaten der ersten Stunde. Die anderen hingegen wohl nur noch bloße Halsabschneider. Männer und Frauen, die nichts mehr zu verlieren haben, weil der Strick bereits in Abilacht oder Seshwick auf sie wartet. Das mitgenommene Eisen war ihnen viel zu kostbar, um es den Toten zu überlassen. Die vermeintlichen Sieger waren also immer noch stark genug, um die Waffen fortzutragen«, verdeutlichte der Weiße Löwe weiter.
»Zu guter Letzt sind wir wieder beim Gundelwald, wo sich das Gesindel vor den Blicken der Drachenreiter und gräflichen Büttel durchaus zu verbergen weiß! Daher ist es auch mein Rat, einige handverlesene Streiter zu entsenden, um herauszufinden, wo sich diese Vogelfreien versteckt halten!« Zum Ende seiner kurzen Rede sah Jaran zu seinem Bundbruder Lûran Falkraun und nickte ihm zu.

Arlan Stepahan dankte seinem Vasallen aus den Heckenlanden für dessen Ratschlag und sah danach nochmals zur Tafel: »Gibt es weitere Stimmen?« 

Der alte Taladan nickte beifällig: »Der Saum des nördlichen Gundelwalds ist zwar lang und finster. Dennoch bin ich weiterhin davon überzeugt, dass sich diese Halsabschneider nicht auf unserer Seite der Gundel verbergen; derlei Mordbuben haben ihre Körpersäfte nicht im Gleichgewicht und obsiegen nur selten über ihre niederen Triebe. Raub, Vergewaltigung und Mord sind in ihrer Nähe so sicher, wie Blutegel in den Tümpeln des Aichmoors!«, warf dieser bedeutungsschwer ein. »Dennoch habe ich bereits schon vorhin meine Unterstützung für die Absicht meines Bundbruders erklärt. Trotz meines Missfallens ist es bei Weitem klüger, eine Handvoll ausgesuchter Streiter zu entsenden, als womöglich gegenüber Graf Niamad das Nachsehen zu haben, falls sich die Halunken doch dort verbergen sollten. Immerhin zählt alles Land westlich der Gundel zu Draustein und die Verantwortung über dieses Waldland obliegt Haus Stepahan

Ruada räusperte sich. »Wir werden bei einem solchen Vorstoß nicht sicherstellen können, dass sich die Auserwählten nur auf unserer Seite des Waldes bewegen«, gab sie zu bedenken und wandte sich an Graf Arlan: »Ich denke, Ihr solltet daher unbedingt vorher das bereits avisierte Gespräch mit Hochwohlgeboren Niamad suchen. Darüber hinaus erlaubt die Frage: Wünscht Ihr auch Rat hinsichtlich der Streiter, die entsandt werden sollen oder schweben Euch hier bereits konkrete Reckinnen und Recken vor?«

Der Baron von Draustein schenkte seiner jüngeren Anverwandten ein zugeneigtes Lächeln und nickte seinem alten Ratgeber knapp zu. »Da ich die Sorgen von Wohlgeboren Falkraun ebenso ernst nehme, wie den Rat der hier versammelten Edlen, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Entsendung einiger ausgewählter Streiterinnen und Recken in den Gundelwald ein gerechtfertigtes Mittel ist, um uns Gewissheit zu verschaffen«, verkündete er schließlich.
»Ihre Aufgabe soll es sein, den möglichen Unterschlupf der Vogelfreien westlich der Gundel zu finden. Jener Geächteten, die schon seit Jahr und Tag das südöstliche Abagund unsicher machen. Sofern dies möglich ist, sollen sie deren Obdach auflösen und die Gefangenen nach Burg Jasalintir bringen! Im Falle einer deutlichen Übermacht, sollen sie hingegen ebenfalls in die Schildwacht zurückkehren, von wo ich selbst in den kommenden Tagen nach Burg Utengund aufbrechen will, um von meiner Seite aus die Unterredung mit Graf Cullyn ui Niamad zu suchen. Anschließend werde ich einige Tage auf der weißen Zinne verweilen, ehe ich gegen Mitte Rahja nach Burg Draustein zurückkehren will.«
Zuversichtlich sah der Stepahan in die Runde: »Da ich weiß, dass die Ritterschaft unter dem Banner des weißen Löwen ein Born an Edelmut und Tugendhaftigkeit ist, sorge ich mich auch nicht, um deren ehrfurchtsvollen Umgang mit dem Gundelwald und jenen Geschöpfen, die uns Menschen zugetan sind«, versicherte er weiter.
»Frau Rondraine...«, hob er nun unmittelbar seine dienende Ritterin aus den Heckenlanden hervor, » ...Ihr habt vorhin Eure Tatkraft bekundet. Daher werdet Ihr ein Teil der Schar sein!« Rondraine nickte bestätigend, während der Graf bereits fortfuhr: »Ebenso wird Bardan Bruckwasser, ein Teil der Gemeinschaft sein, da er in der unmittelbaren Gunst der Holden steht«, erklärte er weiter. Da Arlan, der im Gegensatz zu seinem Vetter Rondred, den Jahreswechsel hier am Unterlauf des Großen Flusses verbringen wollte, mochte er der Edlen eine angemessene Aufgabe zukommen zu lassen.
»Wohlgeboren von Windisch hat hingegen schon vorhin seine Bereitschaft erklärt, sich mit der Lanze Leuenpforte auf den Weg in die Schildwacht zu begeben, um dort Herrn Mardred bei seiner Wacht im Norden zu unterstützen. Ihr wolltet ein Auge auf den Saum des Gundelwalds zwischen dem Aichmoor und dem Wehrhof Grimmwald haben«, erinnerte sich der Stepahan an die sinngemäßen Worte seines geschätzten Bundbruders.
»Dies kann uns von großem Nutzen sein, falls sich ein paar Vogelfreie zur Flucht durch diesen unwirtlichen Landstrich entscheiden, oder sogar den Fehler begehen, das Aichmoor als Einfallstor zu nutzen. Bedenken, die Wohlgeboren Wellenstein bereits schon äußerte.« Das Isewain von Windisch frühestens am ersten Rahja von Burg Draustein aufbrechen konnte, ließ der Bundmeister der Weißen Löwen unerwähnt. Ansonsten war Arlan gespannt über die weiteren Vorschläge seiner Vasallen. »Nun, wen soll ich außerdem in den Gundelwald entsenden?«

»Fínn Arland«, warf Ruada Stepahan ein, um sogleich einzuschränken: »sofern er willens und verfügbar ist.«

Der junge Callean Vialigh hatte die bisherigen Worte der Erwachsenen von seinem Platz hinter seinem Schwertvater Johril Dragentrutz mit großem Interesse verfolgt. Auch wenn er die Schwierigkeiten und das Zögern der Ritter nicht zur Gänze durchdrang, die es wohl gab, weil sich das Gesindel in der Heimat einer Holden versteckte, obwohl es am Hofe doch jemanden zu geben schien, der in der Gunst der Holden stand und dadurch als Mittler dienen konnte, wollte Callean nur zu gerne zu denen gehören, die den Verbrechern Einhalt geboten. Sie mussten schließlich für ihre Taten bestraft und die Sicherheit der Lande wiederhergestellt werden! Daher beobachtete er gespannt, ob sein Schwertvater auf die Frage Seiner Hochwohlgeboren eigene Bereitschaft signalisieren würde.

Rondraine ni Taldair hatte sich zunächst herausgenommen und den Rat verfolgt. Nachdem der Graf sie in die Erkundung des Waldes einbezogen hatte, knetete sie zunächst die Köchel der Schwerthand und rieb über die knotige Narbe des rechten Unterarms. Ihr war unwohl bei dem Gedanken an Zauberwirker, wog ab und schloss: »Hochgeboren, ich möchte den Entschluss, eine ausgewählte Gruppe zur Aufklärung in den Gundelwald zu entsenden, unterstützen und hebe den Vorschlag der hohen Herrin Ruada hervor, den genannten Fínn Arland in Rat und Beistand einzubeziehen, um einem nicht auszuschließenden Konflikt mit der Holden vorausblickend zu begegnen. Um Anzeichen magischer Regung zu beurteilen und einem Unwillen der Holden frühzeitig sensibel zu begegnen, sollte dringend ein Vertrauter druidischer Tradition einbezogen werden. Sollte Fínn Arland sich nicht willens erweisen, empfehle ich Hochwohlgeboren den Rat des Waldvertrauten anzuhören und gräfliches Geheiß der Aufklärung möglicherweise neu zu gewichten. Mir ist der Umfang magiekundiger Unterstützung von Hochwohlgeboren nicht geläufig. Im Falle einer mangelnden Verfügbarkeit des Fínn Arland, sollte vielleicht doch der Hüter Albarius herangezogen werden, wenn Vordringlichkeit sofortigen Handelns besteht. Vielleicht bestätigen Anwesende gewinnbringende Vorteilhaftigkeit eines magiekundigen Waldvertrauten, wenn Aufklärung tiefer in die Waldwildnis vordringen soll?«
Kurz blickte die Ritterin ebenso wie ihr Dienstherr in die Runde, atmete durch und ergänzte: »Des Weiteren sollte eine politische Geste der Verbundenheit im Kampf wider den bewaffneten Aufruhr Vogelfreier und Geächteter an den Grafen Cullyn ui Niamad nach Burg Utengund erfolgen und auch ein Schulterschluss mit Hochgeboren Illaen Crumold nicht vergessen werden. Eine über die Grenzen der Baronie Draustein hinausgehende weitsichtige Perspektive möchte ich anraten und Bundpartner zum gemeinsamen Handeln motivieren. Aber verzeiht bitte, politisches Handeln unseres Grafen ist sicher nicht die Perspektive, in der mein Rat Gehör bedarf.« Anspruchslos ergeben und mit einer demütigen Geste lehnte sich Rondraine zurück.

Turon Taladan war dem Ratschlag bisweilen mit gerunzelter Stirn gefolgt. Er war kurz versucht gerade auf den letzten Satz der Taldair eine Erwiderung zu finden, ließ es aber dabei bewenden, als er bemerkte, dass Arlan offenbar schon eine Antwort auf der Zunge lag.

»Habt Dank für Euren Ratschlag Wohlgeboren Taldair, ich werde sogleich darauf zurückkommen«, versicherte der Graf von Bredenhag seiner Dienstritterin. »Doch seid so gut und lasst mich einstweilen meiner Base eine Antwort geben.« Sodann wandte sich dieser Ruada Stepahan zu. Das Lächeln auf seinem Antlitz war vielsagend.
»Eine schnelle Reiterin wäre noch vor dem Untergang der Praiosscheibe am ‘Tag des Blutes‘ von Birchféhn zurück. Wenn Phex und seine elf Geschwister ihr gewogen sind, sogar mit einer Antwort von Fínn Arland und nicht nur von Aelfric Gwenliar.«

»Durchaus denkbar«, nickte die Jüngere, das Lächeln erwidernd. »Und ich bin gern bereit, es zu überprüfen, Hochwohlgeboren.« 

»Dann ist es beschlossen!«, gab Arlan zufrieden zurück. So würde auch Ruadas Schildknappin einen weiteren Eindruck von der geschichtsträchtigen Heimstatt der Weißen Löwen erhalten und tatsächlich war der Kopf des zuvor offensichtlich gelangweilten Mädchens sofort zu seiner Schwertmutter herumgeruckt. Auch Ruada hatte sich kurz lächelnd zu Invher umgewandt, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Versammlung lenkte.

»Dann werde ich mich Euch natürlich anschließen, Hohe Dame. Ihr genießt meine Gastfreundschaft auf Bírchfehn«, ließ Èachain Arland verlauten. »Wenn dem nichts anderes entgegensteht.«

Arlan nickte der Edlen zu und sah dann zu Rondraine ni Taldair: »Ich kann meinen Entschluss nicht davon abhängig machen, ob gerade ein vertrauenswürdiger Wächter gegen den vermuteten Hader des Waldes zur Hand ist. Dafür sind die weltlichen Konsequenzen im Falle eines ständigen Unterschlupfs der Vogelfreien, in den Landen der Löwen gegenüber Graf Niamad, zu brisant. Ansonsten hatte ich gerade schon angekündigt, dass ich in den kommenden Tagen selbst nach Burg Utengund aufbrechen werde.«
Bei seinen letzten Worten hatte Arlan fragend eine Augenbraue gehoben, da er dies bereits schon erwähnt hatte. ‘Eine politische Geste wird daraus wohl eher nicht erwachsen, da diese dem Ansehen von Cullyn eher schaden wird. Sie würde vielmehr sein Unvermögen unterstreichen, nicht alleine Herr der Lage zu werden‘, überlegte Arlan. »Würde Hochwohlgeboren Niamad die Hilfe der Weißen Löwen brauchen, hätte er längst Nachricht nach Draustein entsandt, das Gleiche gilt für Hochgeboren Crumold«, hob er abschließend hervor.

Arnbrecht nickte in Gedanken auf die letzten Worte seines Lehnsherrn, hing allerdings der Bedeutung von Arlans Reise zum Grafenhof des Abagund nach. Das Treffen zweier Grafen verlieh den Vorkommnissen im Grenzgebiet der drei Baronien eine große Bedeutung: wenn es den gewieften Strauchdieben gelang, sich weiterhin den Häschern zu entziehen, konnten sie den Hochadel schnell lächerlich machen - vom betroffenen Niederadel ganz zu schweigen.
Der Junker dachte sorgenvoll an seinen Sohn, der auf Betreiben seiner Gemahlin seit fast einem Götterlauf auf Utengund weilte und fand sich bestätigt, was seine Haltung zu Sidhrics Zukunft anbelangte.

»Der Adel Albernias war seit jeher stolz!«, unterstrich Baron Rondred Stepahan wohl noch einmal den letzten Satz seines Vetters und sah dabei zu Frau Rondraine am Ende der Tafel. Er selbst würde in wenigen Tagen nach Wallersrain reiten. Wenn sein Vetter ihn hier mitsamt seinem Gefolge brauchen würde, hätte er es ihm bereits gesagt.

Rondraine begegnete dem Blick Rondreds anerkennend und gab zur Antwort: »Wohlan, meinen Rat einer politischen Geste hatte ich bereits vorsichtig relativiert, da mir die Perspektive überregionaler Bestrebungen nicht ansteht. Selbstverständlich habt Ihr recht.« Die Ritterin stand allerdings in ihrer Körpersprache aufrecht zu ihrer Meinung.
»Einen Schulterschluss gemeinsamer Haltung der Bundpartnerschaft muss nicht diskreditierende Wirkung erwachsen, wenn das Handeln und Korrespondenz Hochwohlgeborens Vertrauen unterstützt. Die Bundpartnerschaft mit Truppenunterstützung vor Ort aufzudrängen, war nicht Inhalt meines Rates! Es gibt Möglichkeiten subtiler politischer Gestik. Beispielsweise die symbolische Bereitschaft, durch Präsenz wie beschlossen im Norden und Süden Drausteins zu unterstreichen. Wenn unser Handeln zuvorderst auf innenpolitische Interessen Drausteins verweist und gleichzeitig Verbindlichkeit überregionaler Gemeinsamkeit ausdrückt, sollte Ehre und Würde kein Diskredit empfangen. Ich denke, einem Rat erwächst allein Vorteilhaftigkeit, wenn unterschiedliche Positionen erwogen werden und so... «, Rondraine bedachte Baron Rondred mit einem anerkennenden Nicken, » ...achte ich erfahrene Anregung abweichender Position und schätze politische Perspektive, um von Hoch- und Hochwohlgeboren für meine eigene Position als regierende Ritterin anzunehmen und zu lernen.«

»Da Ihr mich gerade persönlich angesprochen habt, Wohlgeboren Taldair, will ich Euch gerne eine Antwort geben«, erwiderte der Baron von Wallersrain unmittelbar im Anschluss. »Haus Stepahan unterhält einen Bund zu Haus Fenwasian, auch wenn dieser in der Vergangenheit bisweilen etwas schwierig war. Wir stehen auch mit anderen Häusern gut. Im Falle von Haus Niamad erwächst die Nähe aber allein über Rangkrone und Scholle.« Dann sah Rondred sie unverwandt an: »Wir schätzten es bislang sehr, dass sich Graf Cullyn ui Niamad nicht in die Angelegenheiten Drausteins einmischt. Die Herrschaft von Haus Stepahan über die Lande der Löwen gab es schon vor ihm und sie wird die Herrschaft von Haus Niamad über den Süden des Abagunds sicherlich überdauern. Ich sehe keine Notwendigkeit zu großen symbolischen Gesten! Uns dienen sie nicht und die Vogelfreien wird dies wohl kaum einschüchtern und von ihrem blutigen Werk abhalten.«

Arlan hatte bei den Worten seines Vetters zustimmend genickt. Schließlich fügte er hinzu: »Ich stimme mit Wohlgeboren Taldair, in ihrem letzten Punkt überein. Ein gutes Urteil erwächst zumeist durch die Abwägung verschiedener Positionen.«

Der Vogt von Draustein hatte einige Zeit den Vorschlägen aus der Runde gelauscht und seine Gedanken abgewogen. Er hatte zunächst vor, den jungen Dienstritter Caertan von Nymphensee zu entsenden, jedoch eingesehen, dass dieser allein zu unerfahren sei, was die Geschichte um den Gundelwald betraf. So blieb ihm wohl nur eine Möglichkeit übrig. Lûran wandte sich an Graf Arlan: »Euer Hochwohlgeboren. Ich würde mich selbst dazu bereit erklären, zusammen mit meinem Dienstritter Caertan von Nymphensee, den Spähtrupp zu begleiten.«

Arnbrecht Wellenstein räusperte sich leise und nickte nachdenklich. »Da sich Herr Lûran so großmütig gemeldet hat - und ich kann mir für diejenigen, die in den Gundelwald gehen, keinen besseren Waidmann als Begleiter vorstellen - sehe ich von diesem Schritt ab. Ich werde mich nach wie vor auf den Lauf der Draue und die Waldränder der Nebelwacht konzentrieren, Hochwohlgeboren.«

»Ich würde mich ebenfalls anschließen. Alle hier wissen, dass mein Haus seit Jahrhunderten eine besondere Nähe zum Gundelwald unterhält!«, bekräftigte Roric Crumold und nickte dabei besonders seinem Lehnsvogt zu.

»Auch ich würde jederzeit in den Gundelwald ziehen«, bekundete Johril Dragentrutz vom hinteren Ende der Tafel. »Wenn mein Schwiegervater Recht behält, dann verbergen sich die Geächteten schon seit geraumer Zeit im Schutze seiner Bäume, Täler und Anhöhen. In diesem Fall werden früher oder später die Waffen sprechen. Alle Scharmützel und Schlachten erfordern ...selbstloses Handeln. Opfer müssen gebracht werden. Manchmal sind sie klein, aber manchmal ...sind sie groß«, verdeutlichte der gestandene Ritter ruhig. Während manche Mitglieder des Adelsrats sich noch fragen mochten, worauf dieser mit seinen bedeutungsschweren Worten hinauswollte, sagte Herr Johril nach einem Moment des Innehaltens: »Ich rate dazu, Wohlgeboren Falkraun nicht in den Gundelwald zu entsenden, sein Verlust würde ungleich schwerer für die Lande der Löwen wiegen, als der Meine!«

»Opfer, ja ...«, grummelte Morgan Kerkall leise vor sich hin.

Lûran sah den Gemahl seiner Tochter verwundert an. »Mein Verlust wöge schwerer, als der Verlust meines Schwiegersohnes?!« Sein Blick schweifte durch die Runde der Anwesenden. Er sah nachdenkliche Blicke, zustimmendes Nicken seitens Turon Taladans, aber auch Zweifel.

Mit großen Augen blickte Ruada Stepahan den Grenzmärker Ritter an. Hatte er das gerade wirklich gesagt und damit nicht nur allen, die sich für dieses Vorhaben melden würden, ein Versagen vorhergesagt, sondern sie zudem als verzichtbar abklassifiziert?
Irritiert sah sie dem Dragentrutzer in die Augen: »Verzeiht, Wohlgeboren, aber neben dem Mut ist die Hoffnung noch immer eine ritterliche Tugend. Zudem ist Herr Lûran Firun so nahe, wie kaum jemand in Draustein. Wenn Ihr zum Gelingen beitragen und seine Rückkehr sicherstellen möchtet, begleitet ihn.«

Fassungslos über die ehrabschneidende Situation, die der Dragentrutz hier heraufbeschwor, hatte auch Arnbrecht kurz in die Runde geblickt. Das Nicken von Turon Taladan war ihm nicht entgangen, doch an den Kanzler, für den die Untergebenen wohl kaum mehr als Spielfiguren mit Funktionen im Ringen um Macht und Einfluss waren, verschwendete er keine weiteren Gedanken, sondern blickte gespannt zum eingeheirateten Grenzmärker, der bei ihm sowieso nicht in sonderlich hohem Ansehen stand.

»Auf den ersten Blick mag dies eine Möglichkeit sein. Ich befürchte allerdings, dass Hochgeboren Stepahan nie und nimmer drei Ritter in den Gundelwald schickt, die durch Blut, Eid und Band an das Steinvasallengut Flusswacht gebunden sind«, stimmte Johril Dragentrutz der Ritterin aus Wallersrain zu, ehe er sich nach seinen beherzten Worten, wieder der übrigen Ritterschaft zuwandte. Johril kannte viele der hier versammelten Streiter von Weg, Lager und Kampf. Er hatte gemeinsam mit Arlan Stepahan, Morgan Kerkall, Isewain von Windisch, Roric Crumold, Daran Farranar und Arnbrecht Wellenstein auf dem Zug der Edlen in der Wildermark gekämpft... »Ehre und Tapferkeit bedeuten mir ebenso viel wie jedem anderen hier!«, versicherte der Ritter weiter, nach den richtigen Worten suchend, um seine Sorgen angemessen mitzuteilen. »Ich begrüße aber auch das offene und einfache Wort. Denn zu den bereits genannten ritterlichen Tugenden zählt auch die Wahrheit und die Weisheit. Für mich gehört zur Wahrheit, dass Wohlgeboren Falkraun sein Leben so selbstlos wie jeder andere hier, zum Schutz eines Gefährten einsetzen würde. Zur Wahrheit gehört hingegen ferner, dass ich ein einfacher Ritter bin, aber Steinvasall Falkraun der Lehnsvogt Drausteins ist. Warum also einen Löwen schicken, um die reißenden Wölfe zu finden, wenn dies auch ein paar Füchse vollbringen können!?« Hinter dem Dragentrutzer nickte dessen Knappe kaum merklich.

‘Er stellt sich seinen eigenen Ängsten. Womöglich will er auch weiteres Leid von seiner Frau und Schwiegermutter halten. Der Tod von Ardan...‘, sinnierte Turon Taladan still und sah dabei von Lûran wieder zu Johril.

»Weil dies eine große Gefahr für die jungen Füchse im fremden Revier ist«, beantwortete der neue Jagdmeister Drausteins die Frage des Dragentrutzers. »Vielleicht auch eine zu große, Hoher Herr. Ihr seid noch nicht allzu lange in Draustein und das gilt ebenso für Herrn Caertan. Niemand weiß genau, welche Gefahren dort lauern, aber gerade dieser Tage kann sich Draustein glücklich schätzen, dass sich so viele Ritter hier in diesen ehrwürdigen Mauern versammeln. Die Leuenlande können es sich nicht leisten, auch nur einen - oder eine«, Arnbrecht blickte kurz zu seiner Gefährtin aus Knappenzeiten, »zu entbehren. Das ist für mich eine Wahrheit.«  Der Junker der Nebelwacht blickte nun zu Lûran Falkraun hinüber. »Wohlgeboren Falkraun ist uns allen ein Vorbild an Selbstbeherrschung und Mäßigung, weshalb ich auch davon ausgehe, dass sein Entschluss voranzugehen, wohl durchdacht ist. Und wie ich bereits sagte: unser Vogt ist der kundigste Waidmann in Draustein. Als erfahrener Löwe mag er auch im Gundelwald verhindern, dass jüngere Männer und Frauen vom rechten Weg abkommen.«

Herr Johril hatte sich bei den Worten des jungen Jagdmeisters nach vorne gebeugt, um auch das Mienenspiel des Steinvasallen aufmerksam zu verfolgen. Dem älteren Ritter hatte die vorgebrachte Sichtweise gut gefallen. Insbesondere der wertschätzende Zungenschlag gegenüber seinem Schwiegervater und die zum Ausdruck gebrachte Fürsorge gegenüber allen Gefährten. So nickte Johril dem einstigen Knappen von Arlan Stepahan wohlsinnig zu, obschon ihm der Tadel im Antlitz von Arnbrecht nicht entgangen war, als dieser von Mäßigung sprach.

»Als Schwertschwester der Rondra werde ich die Kundschafter in den Gundelwald ebenfalls begleiten, ganz gleich, für welche Streiterin und für welchen Recken sich mein Bruder auch immer entscheiden wird. Zudem bin ich wohl die einzige Stimme an dieser Tafel, die dieser Entsendung skeptisch gegenübersteht«, bekannte Rhona Leuenglanz von Draustein offen und sah dabei für einen Moment sorgenvoll zu Lûran Falkraun, ehe sie sich wieder der Rittertafel zuwandte, wo Arnbrecht still den Kopf geschüttelt hatte.
»Aus dem Gundelwald kam bislang nur Unglück über uns. Ich erinnere den versammelten Adel an die Ränkespiele des Oranko Krustan. Das daraus erwachsene Leid legte sich einem dunklen Leichentuch gleich, für einige Jahre über das Abagund, ehe dieser verfluchte Frevler endlich sein verdientes Ende fand. Ich erinnere den versammelten Adel, ferner auch an das Unheiligtum eines orkischen Götzen im Gundelwald, welches ein ausgemachtes Ziel des schwarzen Marschalls Sadrak Whassoi im Verlauf des letzten Orkensturms war. Abschließend will ich jedem Drausteiner die schreckliche Sage vom Unhold aus dem Gundelwald in Erinnerung rufen. Daher will ich als Rondrianerin sichergehen, dass sich derlei Schrecken für die Menschen hier nicht wiederholen!« Mit ihren letzten Worten hatte Rhona ihre Schwerthand zum Gehilz von Leuenglanz geführt.

»Auch ich würde mich gerne dieser noblen Gemeinschaft anschließen. Denn so wie Herr Johril, bin auch in Sorge. Allerdings nicht um ein Mitglied dieser ehrenwerten Versammlung, sondern um meinen Bruder Larkin und den edelmütigen Gaelwic Crumold«, erklärte Daran Farranar mit rauer Stimme. »So mancher hier weiß womöglich, dass ich die beiden seit dem Ende des letzten Sommers suche. Doch ihre Spuren verlieren sich südöstlich von Yantibair. Womöglich sind sie durch das südliche Abagund nach Crumold gezogen und haben dabei den Gundelwald passiert...«, mutmaßte der Ritter aus Wallersrain mit ernstem Blick. »Da mich meine Pflichten allerdings zurück nach Wallersrain führen, bleibt mir nur die Bitte, dass sich die Gemeinschaft in den kommenden Tagen an meine Worte erinnert.«

Arnbrecht nickte und war allerdings erstaunt, dass sich seit der Begegnung mit Darans Schwester auf der Doppelhochzeit im letzten Praiosmond nichts Neues hatte herausfinden lassen. Über seine Reise in die Rommilyser Mark und den Ritterschlag Wallwins war dieses Anliegen in den Hintergrund getreten, weshalb er nun doch nochmals gedämpft nachfragte: »Also fehlt seit bald zwei Götterläufen jede Spur von Hochgeboren Gaelwic und Eurem Bruder?«

»Ja, dem ist so«, pflichtete Daran dem jüngeren Ritter bei. Von trüben Gedanken umgeben sah der Farranar schließlich zu Arlan Stepahan.

Lûran‘s Blick ruhte derweil auf dem Knauf seines Schwertes. Er wartete auf die Entscheidung seines Lehnsherren, während die aufgezählten Geschehnisse durch seinen Geist schwirrten.

Arlan nickte schwer und erhob dann abschließend seine Stimme: »Neben Wohlgeboren Taldair und Weibel Bruckwasser, werden ebenfalls Herr Johril und Schwertschwester Leuenglanz die Gemeinschaft begleiten«, erklärte der Baron von Draustein und nickte dabei anerkennend seiner Schwester zu. Arlan hatte wohl ganz bewusst ihren kirchlichen Weihegrad hervorgehoben. Schließlich wandte er sich seinem verdienten Lehnsvogt zu.
»Wohlgeboren Falkraun wird drei erfahrene Waidleute und zwei wildniskundige Waffenknechte auswählen und der Gemeinschaft zudem selbst als Anführer vorstehen! Zwölf göttergefällige Tage sollten ausreichend Zeit bereithalten, um die Aufgabe zu erfüllen.« Mit maßvollem Blick sah der Stepahan in die Runde...

Nun würden sie also in den Gundelwald gehen! Callean setzte sich schon einmal gedanklich damit auseinander, was einzupacken war für dieses Unterfangen, welchem er erfreut und auch aufgeregt entgegensah. Und er musste unbedingt später mit seinem Schwertvater sprechen, denn sie brauchten noch ein ‘Huldigungsgeschenk‘ für die Holde, um diese demutvoll gewogen zu machen, bevor sie deren Heimstatt betraten. Man legte eine solche Opfergabe am Waldrand ab. Das kannte er noch von zuhause.

»Herr Tommelian und Herr Faolyn werden mich hingegen Anfang Rahja ebenso nach Burg Utengund begleiten, wie Wohlgeboren Crumold. Eigenes Gefolge ist nicht von Nöten, da uns meine Ritterlanze Leuenwacht beschirmen wird. Um möglichst wenig Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, wollen wir uns an Frau Irmintrudt ein Beispiel nehmen und es ihr gleichtun. Wer weiß schon wo diese Vogelfreien überall ihre Augen und Ohren haben?«, mutmaßte Arlan mit geschürzten Lippen.
»Frau Irmintrudt wird sich uns womöglich als zusätzliches Geleit andienen. Ebenso soll uns mein Bundbruder Jaran von Heckendorn nach Gräflich Abagund ein Weggefährte sein. Von dort ist der Rückweg nach Burg Bredenhag mit der Ritterlanze Grenzwacht für ihn und Hochgeboren Taladan nicht mehr allzu weit«, erklärte der Stepahan mit Blick auf den Junker von Heckenwacht und den Kanzler Bredenhags weiter.
»Mit dem Einverständnis von Wohlgeboren Falkraun, soll sich hingegen Caertan von Nymphensee bei Wegscheid mit einigen weiteren Männern und Frauen bereithalten, um gegebenenfalls auf unvorhergesehene Begebenheiten rascher reagieren zu können. Herr Josold und Herr Aendred verbleiben einstweilen auf Burg Draustein bei meiner Gemahlin.« Dann wandte sich der Baron an jene Vasallen, die in seinen Augen bereits eigene Schritte angekündigt hatten, wie beispielsweise Wohlgeboren Wellenstein: »Alle übrigen Getreuen verfahren einstweilen wie angekündigt! Wir werden uns diesen Sommer womöglich noch häufiger sehen, da ich erst Anfang Praios nach Burg Bredenhag zurückkehren werde.«

Rondraine ni Taldair stand auf, um am Ende der Tafel den versammelten Rat vollständig zu überblicken. Sie hob die Schwerthand an ihre linke Brust. »Es sei!«, bestätigte sie Arlan Stepahan die Verbindlichkeit seiner Entscheidung.
Während sich die Ritterin von Wolfswald anschließend wieder setzte, suchte Rondraine den Blick Darans, hielt diesen einen beständigen Moment und nickte dem Wehrmeister von Wallersrain für den Rat sichtlich mit einem stummen Versprechen zu.