In den Landen der Löwen (1045-1046) Teil 04: Anklage und Zweifel

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Chronik

29. Ingerimm: Unterredung zwischen Ritterin Rondraine ni Taldair und Tempelvorsteherin Rhona Leuenglanz von Draustein.


Anklage - Das Schwert Rondras

Die regierende Ritterin zu Wolfswald hatte die Tempelvorsteherin des ‘Sturmtempels der göttlichen Leuin‘, nach dem Ende des gestrigen Adelsrats, um eine Unterredung in dringender Angelegenheit gebeten und folgte der Gunst der Zugänglichkeit, indem sie die Schwertschwester der Rondra in den frühen Morgenstunden des kommenden Tages im Tempel zu Draustein aufsuchen wollte.

Nachdem Rondraine der Beklemmnis nach Ansprache Hochwürdens nicht weiter Aufschub überlassen hatte, war die vergangene Nacht unruhig verlaufen. Stetig hatte sich die Ritterin Worte zurechtgelegt, die an ihrer Seele rissen. Als Rondraine ni Taldair Hochwürden Rhona Leuenglanz von Draustein vor dem Tempel erblickte, trat sie an die Hochgeweihte der Leuin heran und grüßte: »Schwert und Schild voran, Hochwürden!«

Doch Rondraines Worte wurden beinahe vom stark wehende Westwind fortgetragen, welcher vom Meer der Siebenwinde über die Klippen des Windhag bis in die Lande der Löwen wehte und nunmehr an ihrer Gewandung zerrte. »Die göttliche Sturmherrin mit Euch, Wohlgeboren Taldair«, entgegnete die Schwertschwester der Rondra standesgemäß. »Der Beleman weht heute besonders stark!«, bekundete sie laut und vernehmlich. Die Rondrianerin trug das Ornat der Senne West und wirkte aufgrund ihres rotglühenden Hauptes etwas abgekämpft. In der Rechten hielt sie ihr Weiheschwert ‘Leuenglanz‘ - einen stahlblitzenden Rondrakamm.

Es war offenkundig, dass sie noch vor kurzem hier einen Schwerttanz zelebriert hatte. Sodann legte Rhona die mächtige Waffe mit beiden Händen auf ihre Schulter und wies anschließend mit der Schildhand zu einer Mauerbrüstung nicht unweit der vier berühmten Säulenkapitellen des Rondra-Tempels. Hier fand sich eine verzierte Schwertscheide, auf welcher Rondraine ni Taldair den löwenköpfigen Drachen Famelor und verschiedene Heilige, sowie verschiedene Windsymbole erkannte. Während Rhona mit einem bereitliegenden Leinentuch sich den perlenden Schweiß aus dem Gesicht wischte und die bereitgestellte Feldfalsche mit keinem Blick würdigte, sah Frau Rondraine auf der anderen Seite der hüfthohen Mauer auf den Großen Fluss hinab und hörte merklich das Tosen des nahen Draufalls, welcher wohl irgendwo hinter dem Rondra-Tempel in das Reich des Flussvaters hinabstürzen musste.

»Euch scheint etwas schwer zu bekümmern, Frau Rondraine. Seid so gut und tut euch keine Gewalt an. Sprecht offen und ehrlich mit mir, sofern ihr eine redliche Antwort erfahren wollt«, eröffnete die Tempelvorsteherin. Das Rhona bereits am gestrigen Tage die Kümmernis der noblen Ritterin in deren graublauen Augen erkannt hatte, verschwieg sie einstweilen und verwahrte stattdessen ‘Leuenglanz‘ in der Scheide.

»Frau Rhona, mir ist sehr an der Aussprache einer Last gelegen und ich zweifle an der Redlichkeit meines Glaubens. Habt Ihr womöglich Rat in einer unangenehmen Sache der Herrin Rondra?« Haus Taldair war der Ordnung des Herrn Praios verbunden, hielt bekanntlich Schwert und Schild Alverans zuvorderst. Auf Wolfswacht gab es einen Schrein der Leuin und Rondraine hatte sich stets in den zwölfgöttlichen Tugenden bewiesen und insbesondere Frau Rondra geehrt.

Obschon Rhona bereits das drohende Nass in den Spiegeln der Seele Rondraines erkannte, hatte sie bereits bei den ersten Worten der Edlen, die Stirn in Falten gezogen, da diese bereits einen tosenden Sturm ankündigten. »Ich will es versuchen. Bitte sprecht!«, antwortete Rhona mit ernstem Blick. Als Geweihte hatte sie stets die Verantwortung für die Seelenstärke der Gläubigen zu tragen.

Als Hochwürden ihr Aufmerksamkeit versprach, presste Rondraine die Lippen, um Selbstbeherrschung der Emotionen zu erlangen, bevor sie berichtete: »Im Jahre 1043 nach dem Falle Bosparans... Meine Teilnahme an den Herausforderungen des Bredenhager Buhurt, der Familientradition als Turniergeschlecht Ehre strebend, war ich selbst nicht zugegen, war anschließend gemeldet beim Treffen der Besten. Mein Bruder Baranoir bot einer Knappin der Leuin Gastrecht auf Wolfswacht«, begann die Gläubige zurückhaltend. Rondraine wischte sich mit der linken Hand durch das Gesicht und atmete schwermütig. »Selten haben wir die Ehre!« Rhona versicherte mit einem zustimmenden Nicken der Ritterin ihre Aufmerksamkeit.

»Hochwürden...«, sprach die Ritterin weiter, »...wir feiern das Wolfsfest zum Erntedank des Sommerschnitts und zur Ehre des Schwert und Schilds Alverans am 15. Tag der Herrin. In jenem Jahr...«, Rondraine straffte sich und klagte mit sicherer Betonung und festem Willen: »... auf Wolfswacht wurde die Totenruhe der Familienkrypta gebrochen, der Kindersarg des unbescholtenen Leibes mit Namen Thalionlieb Lechmin ni Taldair wurde aufgebrochen, die gesalbten Leinenwickel um den Leichnam der Totgeburt meiner Ahnin Wulfhild Rondraighe ni Taldair wurden aufgeschnitten!« Aus Rondraine brach es heraus: »Hochwürden, der geschändete Leichnam des Kindes wurde in dem weißen mit rondragefälligen Symbolen bestickten Mantel von Ihrer Gnaden Sióna Leuensang von Havena gebettet aufgefunden!«, Empörung hatte den Donner in den Adern der Ritterin wallen lassen.

Die Schwertschwester der Rondra hob das Kinn: »In den Mantel einer Rondra-Geweihten! Wie kann das sein?«, entfuhr es ihr blitzartig, während sie misstrauisch ihren Kopf zur Seite neigte und die Ritterin durchdringend ansah. Rhonas Verstand begann bereits mit möglichen Erklärungen zu ringen, doch wurden diese nach wenigen Augenblicken bereits von ihr als innere Ausflüchte auf fehlende Antworten erkannt und gedanklich einstweilen ausgemerzt. Mit einem Fingerzeig bedeutete sie Rondraine fortzufahren. Auf den Umstand einer Familienkrypta wollte sie erst später eingehen.

»Als meine Tochter Padraighin ni Taldair in ihrer Berufung als junge Boroni sich bei Gelegenheit eines Besuchs auf Wolfswald, kürzlich um die Totensorge in der Krypta kümmerte, fiel ihr auf, dass der Sarg der Erstgeborenen von Wulfhild Rondraighe ni Taldair verrückt worden war. Ich bekam unlängst Nachricht und weiß nicht, wie ich recht handeln soll! Der Sargdeckel war ohne Siegel, die Ruhestätte ohne Grabsegen!« Rondraine biss sich auf die Unterlippe, um ihre Empörung zu kontrollieren und dem Donnern des Blutes in den Ohren mit Schmerz zu begegnen. »Padraighin hat ihrerseits notwendige Sorge getan, so gut es ihr möglich ist.« Die Hände der erfahrenen Frau zitterten. »Ich muss Anklage erheben...«, sagte Rondraine mit gesenktem Tonfall, sodass sie in ein Flüstern überging, »...ich bitte um Führung und Ratschlag. Warum tut ein Schwert Rondras mir das an?«

Dies ist eine schwere Anschuldigung‘, stellte Rhona nachdenklich fest. Die Schwertschwester der Rondra spürte wie der Unmut in ihr Gedärm und von dort langsam nach oben kroch. Solch ein Vorkommnis war überaus ungewöhnlich, wenn nicht sogar undenkbar. Wahrheit und Schicksal kannten im Leben viele Gesichter. So vermutete die Rondrianerin, dass ihr die Ritterin noch längst nicht alles von Belang erzählt hatte. Aber im Augenblick wurde diese von ihren Gefühlen übermannt und es war nicht ratsam das Band des allmählich entstehenden Vertrauens zu zerschlagen. Der Sturm hatte erst begonnen und die Anklage war vermutlich nur das erste Donnergrollen, dem alsbald schon ein greller Blitz folgte.
»Gewährt mir Zeit für die Antwort!«, erklärte Rhona schließlich mit gefasster Stimme, während Rondraine durchatmete und sich zu einer entspannten Mine zwang. Dann nickte die Ritterin schließlich, um eine schwere Last erleichtert.

»Wie Ihr sicherlich wisst, ist Eure Anschuldigung überaus weitreichend. Nach meinem Dafürhalten müsst ihr bislang nicht an der Redlichkeit Eures eigenen Glaubens zweifeln. Im Moment erkenne ich keinen berechtigten Fehl und keinen zwingenden Tadel, der Eurem eigenen Schilde Schande bereitet!«, versicherte die Rondra-Geweihte ermutigend.


Zweifel - Das Wundfieber der Seele

Rondraine ni Taldair ballte unbewusst die Faust ihrer versehrten Schwerthand. Der nachlassende Schmerz, als sich die Hand entspannte, ließ sie fühlen, wenngleich ihre Innenwelt an den Folgen eines Wundfiebers der Seele litt. Diesen inneren Schmerz hatte die Endvierzigerin ein Leben lang mit Kampf und körperlichem Schmerz betäubt.

Vorsichtig begann sie, sich ihrer Seelenlast zu stellen: »Schwerwiegende Anklage vor dem Kirchengericht vorzutragen, das wird einer Prüfung gleichkommen, der ich mich aufrecht in Verantwortung meines Geschlechts stellen werde. Diesen Kampf gedenke ich tugendhaft zu bestehen, wenngleich das Schwert Rondras tief in das Fleisch meines Hauses schnitt. Vor Boron wird die Seele des Schwertes dereinst seine Tat verantworten. Dennoch stehe ich vor Euch, Anklage berichtend, da dies Schwert Rondras mit Namen Leuensang eine tiefe Scharte mit sich führt, welche fürchten lässt, dass es im Falle der Parade eines Angriffs auf den Glauben durch die Widersacher nicht fest im Glauben steht und brechen wird.«

Die Ritterin blickte Rhona Leuenglanz von Draustein sehr ernst entgegen und gab hinzu: »Rondras Schwert am Firmament der Nacht ist gebrochen! Diese schwere Last, der Erschütterung des Volkes als Ritterin in dem Bewusstsein meines Vorbildes zu begegnen, den Glauben an die Zwölfe zu vertreten, diese vermag mein Glaube weiterhin von Herzen aufrecht zu stemmen. Doch mir selbst ist stets so, als hätte ich mich im Glauben an Frau Rondra nicht eifrig genug bewiesen.« 

Schwer drangen die Worte von den Lippen der Edlen. »... wenn, eine Geweihte... Sióna Leuensang... der Funken Rondras, ...wenn Rondra selbst mit dem Finger auf mich zeigt.«

Rhonas Augen hatten sich geweitet, ansonsten glich ihr Gesicht aber einer versteinerten Büste. Die Schilderungen der Ritterin begleiteten sie zunehmend mit Sorge. Die Schwertschwester wollte Rondraine aber noch nicht in ihrem Redefluss bremsen, wenn diese gleich einem über die Ufer tretenden Strom, sich in ihren Selbstzweifeln ein neues Flussbett grub! Daher gab die Rondrianerin der Ritterin zu verstehen, in ihren Ausführungen fortzufahren.

Dann fuhr Rondraine sich durch das Gesicht und atmete schwer. »Meine Mutter Frau Ardare Neethya - an Rondras Tafel der letzten Schlacht harrend - sie hat gelitten, wie ich gelitten habe, gefallen ist sie auf Mythraelsfeld.« 

Bedeutungsschwer öffnete sie sich der Geweihten, die in der Ritterin nun vielmehr eine gebrochene Frau erkennen konnte.

»In der Krypta meines Hauses...«, sie stockte, »...auf mir lastet stets das Empfinden der Schuld!« Kurz wich sie dem Blick von Rhona aus und biss sich auf die Lippen, schüttelte verneinend den Kopf und sprach zu sich selbst: »Sie musste... ich habe versagt!« 

Dann zwang sie sich, ihr Herz zu öffnen, indem sie wieder den Blick der Geweihten suchte. In ihren Augen war Bitterkeit zu lesen und eine Träne löste sich. »Ich fühlte, dass ich in meinem Glauben, dass ich an den Tugenden unserer Frau Rondra nicht genügend Eifer bewiesen habe. Ich hätte mich... auf dem Kindbett... nicht ergeben dürfen - hätte kämpfen müssen - den Schmerz ertragen müssen! Ich hätte um das Leben meiner Erstgeborenen kämpfen müssen...« 

Weitere Tränen suchten sich ihren Weg über das gealterte Gesicht der Frau, während die Stimme Festigkeit und Klarheit verlor. » Idra haben wir sie genannt.« Erneut senkte Rondraine ihre Stimme, zeigte Blöße und sprach gemildert: » Im Donnersturm geboren... der Zirkel gebrochen... Rondra mit Dir.«

»Euer Verlust schmerzt mich!«, sagte Rhona einfühlsam. ‘Das eigene Kind zu verlieren ist das Schlimmste, das einer Mutter widerfahren kann‘, bekannte sie stumm in ihren Gedanken. »Sie trägt einen schönen Namen, es ist der Name einer großen Regentin!«

Ruhig legte Rhona der Edlen für einen Augenblick die Hand auf den Schwertarm, während sie selbst die Augen schloss und der unschuldigen Seele des Kindes besinnend ihr Haupt zum Firmament wandte. Rondraine bemerkte, wie sich der Mund der Tempelvorsteherin unwirklich bewegte, so als ob diese Zwiesprache mit den Zwölfen hielt.

Mit gerunzelter Stirn sah die Geweihte der Rondra zu Rondraine: »Was gibt Euch die Gewissheit, dass Ihr selbst das Schicksal Eures Kindes in der Hand hattet und nicht etwa die Götter?«, fragte sie weiter.

Der Mundwinkel Rondraines zuckte nur kurz. »Hochwürden, ...«, die Mimik der Ritterin war hart, sie verbot sich Verbitterung, » ...es ist freundlich, Verlust mitzufühlen. Danke.« Dann wandelte sich die milde Tonlage gleichfalls kalt. »Ich weiß es!«, hauchte sie.

»Ihr wisst es?«, wiederholte Rhona selbstbeherrscht. ‘Leben ist Kampf und Kampf ist Leben, die Art, wie wir den Kampf führen, ist es, die uns erhebt oder verdammt‘, gedachte Rhona für einen Augenblick den Lehren ihrer Glaubensgemeinschaft. Konnte es denn sein, dass Rondraine ni Taldair tatsächlich diesen Kampf leichtfertig aus der Hand gegeben hatte? Merklich senkten sich Rhonas Mundwinkel. Doch für Xeledons Spott waren die Selbstzweifel der Ritterin zu wahrhaftig.

»In jener Nacht... Sturmwind und Regen peitschten in die Fensteröffnungen auf Wolfswacht, Blitze erhellten die Kammer und der Donner grollte «, erklärte Rondraine rückblickend in ehrfürchtiger Betonung.

»Ich sehe meine Frau Mutter... verschwommen... fordernd und erbarmungslos sanktionierte sie mein Versagen, drängte mit Forderungen und Händen auf mich ein, wenn Worte meinen Verstand in einem Tal der Wehen erreichen konnten. Dann schnitten ihre Worte tief in meine Seele... In meinem Innern war nur Schmerz und Angst. Sie riss an mir, ich müsse kämpfen, aufrecht dem Schmerz begegnen, Stärke beweisen.« Die Ritterin atmete schwer, Scham und Niederlage zeichnete sich in ihrer Mimik ab.

»Als ich innerlich wünschte, es wäre vorbei... Sie sollten das Ding nur irgendwie aus mir rausholen! Und wenn sie es in Stücken aus mir herausgebracht hätten... Die Stimme von Frau Mutter besang den Donner mit Chorälen zur Ehre Rondras... Ich verlor den Willen und später die Besinnung.« Rondraine schaute zu Boden.

Für einen Moment stahlen sich die Erinnerungen an die eigene Niederkunft, mit ihrer Tochter Rondramea in Rhonas Gedanken, ehe sie diese wieder verbannte. Schließlich fragte sie: »Wie alt wart Ihr bei der Geburt von Idra?« Ganz bewusst hatte sie den Namen des Mädchens betont und dem dem ungeborenen Kind, nicht wie dessen Mutter, vor Schmerz und Schande die Würde geraubt.

Rondraine reagierte nicht auf das Einwirken der Geweihten, antwortete beiläufig und sichtlich in ihrer Erinnerung gefangen: »Sechs Götternamen waren seit meinem achtzehnten Namenstag vergangen. Überall war Blut und das tote Ding lag auf meiner Brust. Idra...« , korrigierte sie betroffen. Die Stimme brach und die schmerzhafte Betonung drang schwach durch das Rauschen des Wassers im Hintergrund.

Nachdenklich sah Rhona zu Rondraine: »Dann wart ihr ja noch gar keine Ritterin, sondern eine Knappin!« , stellte die Stepahan fest und wandte dabei argwöhnisch ihren Kopf zur Seite.

Rondraine war verunsichert. ‘War das denn von Bedeutung?‘, fragte sie sich. Dann drängte sich die Frage der Hochgeweihten nach ihrem Alter zur damaligen Zeit in den Vordergrund. »Frau Rhona, mir war bereits zum Ende meiner Zeit als Edeljungfer in Pagenschaft ein Bundpartner verhandelt worden. Politik...«, stellte die Ritterin vielsagend fest, während Rhona die vertraute Anrede geflissentlich überhörte und den Worten der Ratsuchenden weiter lauschte.

»Edlengeschlecht Taldair und die der Erbin geltende Adelspflicht stehen über den individuellen Wünschen eines Mädchens!«, betonte Rondraine. Sie begegnete der fragenden Mimik der Geweihten sachlich. »Die politischen Verbindungen unseres Rittergeschlechts erstrecken sich über Garetien hinaus auch nach Darpatien ins Wehrheim’sche. Mein erster Ehemann stammte vom Hause Greifenstieg, welches in der Tradition meines Herrn Großvaters unserem Götterfürsten sehr verbunden ist.«

»Als Schildmaid von Ritter Rondredt von Hartsteen-Wildgrund, habe ich im Alter von siebzehn Sommern meinem ersten Ehemann Walthart den Traviabund geschworen und meine Adelspflicht erfüllt. Man hatte im Angesicht der Krise auf Vollzug der ausgehandelten Verbindung mit dem Hause Greifenstieg gedrängt. Die Ausbildung stand natürlich zuvorderst und wir haben gelernt uns zu arrangieren. Er war bereits ein erfahrener Mann, mir siebzehn Götterläufe voraus...«, erklärte Rondraine.

»Ich habe mich stets den ritterlichen Tugenden verpflichtet und das Ende der Ausbildung war bereits vereinbart. Aufrecht und zuversichtlich folgte ich meinem Schwertvater in die Schlacht von Eslamsbrück und hatte, wenngleich abgestellt zum Botendienst, Teilhabe an unserer Niederlage. Obgleich mein Schwertvater meine Ritterlichkeit in den zwölfgöttlichen Tugenden infolge der Schlacht bestätigte, trage ich die Erfahrung des Scheiterns, machtlos dem Feind aus der Ferne zu begegnen, in dunklen Nächten in meinen Träumen.« Rondraine berichtete gefasst und Rhona mochte erkennen, dass sie ihren Frieden mit Niederlage und den Folgen gefunden hatte.
»Es waren Krisenjahre des Mittelreichs... ich war Schildmaid meines Herrn und doch drängte Familienpolitik der verhandelten Vereinigung zweier Adelsgeschlechter... das Aufziehen des Feindes... zu Adelspflicht und einem eiligen Traviabund. Es waren besondere Umstände... denen mein Schwertvater mit Verantwortung begegnete. Der Berufung ins vorgezogene Heerlager der Truppen von Walpurga von Löwenhaupt unter kaiserlichem Banner folgte auch Walthart. Ich kannte ihn kaum, als ich Travia schwor und mich zu ihm legten musste, um der Adelspflicht zu genügen«.

Scharfsinnig wie in einem Schwertkampf war Rhona der Erzählung von Rondraine weiter gefolgt. »Während der eigenen Knappschaft zu heiraten ist sicherlich ungewöhnlich aber nicht außergewöhnlich!«, räumte die Tempelvorsteherin nachdenklich ein. Doch es war ein anderer Umstand, der sie kurz innehalten ließ.
»Wie kam es dazu, dass ihr auf Burg Wolfswacht mit einer Tochter niedergekommen seid, während ihr eigentlich den Knappendienst in Darpatien zu verantworten hattet?«

Rondraine biss sich auf die Unterlippe. ´Der Stein im Wald´, dachte Rondraine, ihr Blick wich einen Moment aus. Sodann antwortete die Ritterin die Wahrheit schützend: »Mein Schwertvater hatte den Schrecken des Feindes unmittelbar gegenüber gestanden. Vermutlich hat er mich beschützen wollen und mich zurück in die Heimat befohlen, um das Kind in Sicherheit zu empfangen. Eine Vereinigung des Feindes bei Warunk hatten wir zuvor ohnmächtig verfolgen müssen. Die Situation war... entsetzlich... der Rückzug verlief schwerfällig... der Schwertvater versprach seiner Schildmaid, am Leben zu bleiben, und sie musste seinem Geheiß folgen.« Die eigenen Erinnerungen an die Schattenlande unterstützten einen Rückblick auf die Schlacht von Eslamsbrück und die Schrecken, die ihr Schwertvater seinerzeit auf dem Schlachtfeld erlebt haben musste, während sie zu Pferd Feldnachrichten in das rückwärtige Heerlager übermittelt hatte. »Im Heerbann Eurer hohen Frau Mutter vor Mendena, habe ich eine andere Sicht auf die Situation meines Schwertvaters an der Brücke der Tobimora gewonnen.«

»Eurer Schwertvater ist offenbar ein guter Mann gewesen«, sagte die Rondra-Geweihte und wurde sich einmal mehr der wiederkehrenden Alpträume ihres Gemahls Mardred Taladan bewusst, obschon dessen Erlebnisse im Kampf um Ilsur und die Schattenlande schon lange zurücklagen.
»Träumt ihr noch heute von eurem Kinde?«, wollte Rhona schließlich wissen.

Die Ritterin nickte betreten. »Es ist selten, dass ich Idra heute im Traume begegne, aber sie ist da und klagt mich an.«

»Was sagt sie?«, fragte Rhona weiter.

Rondraine ließ die Schultern hängen und atmete belastet aus, während sie den fragenden Blicken der Geweihten auswich. Dann sprach sie: »Ich liege erschöpft im Kindbett, alles verschwommen, alles Schmerz... überall ist Blut! Blitz und Donner fahren mir in die Knochen... Schmerz... mein Innerstes zerreißt... Ich habe auf den Schlachtfeldern der Ehre viel gesehen und erlitten, doch keinen derartigen Schmerz erfahren, da Ohnmacht den Menschen befällt, wenn sein Geist den Schmerz nicht zu fassen vermag. Ein Rühren im offenen Gedärm, dann schließt sich eine Faust um mein Herz... Erbarmungslosigkeit! Ein Choral zu Ehren Rondras verklingt im Echo des Donners, während ein weit verzweigter Blitz die Dunkelheit erhellt: Ein Neugeborenes liegt kalt und regungslos in meinen zitternden Armen... Idra... das Ding ist vollkommen schlaff... in mir wütet dieser Schmerz... dann öffnet sie die Augen - es sind die Augen meiner Mutter - hart und anklagend!«

Die Rondra-Geweihte schürzte die Lippen. »Nachdem was ihr mir bislang erzählt habt, überrascht mich das kaum«, erklärte die Rondrianerin und stemmte dabei ihre Hände in die Hüfte. Während sie noch nach den passenden Worten suchte, fuhr die Ritterin allerdings schon unbeirrt fort.

»Meine Mutter wusste, dass ich Schuld war. - Ich wusste es! Ich hätte kämpfen müssen. Wenn Rondra jemals auf mich geblickt hat, dann in den vielen Stunden der Austreibung auf dem Kindbett jener Nacht! Schicksal?«, fragte sie abschließend.
»Nein, der Mensch ist dem Schicksal nicht kampflos ergeben. Greifen die Götter nach den Schicksalsfäden, dann lohnt ein Wunder die Tugendhaftigkeit oder Bestrafung verfolgt den Frevel. Doch ich habe nicht mehr gekämpft. Ich hatte aufgegeben! Tugendhaftigkeit? Ich war nicht hart genug, war nicht stark genug. Ich war nie minder tugendhaft, als in jener Nacht, als Blitz und Donner vergangen war, als Idra tot auf meiner Brust lag. Ich wollte es nur irgendwie aus mir raus haben - sündhafte Gedanken!« Dann offenbarte sie eine Wendung ihres Schuldempfindens, Rondraine klagte sich selbst an: »Was einstmals geschehen, das ist Vergangenheit. Es liegt hinter mir und ich habe dafür gesühnt. Doch viel schlimmer ist das Wissen über die Zukunft, das sich mit den Jahren des Rückblickens auf die Vergangenheit offenbart. Wir sind wie unsere Mütter.« Das Brausen des Draufalls tönte in ihren Ohren.
»Ich habe versucht, meine Mädchen vorzubereiten. Härte, Stärke und Tugendhaftigkeit... Adelspflicht, Treue, der Wolfswald, unser Rittergeschlecht...«, vielsagend nannte sie, was ihr eigenes Leben bestimmte, der Tonfall voller Zweifel. »An Padraighin bin ich gescheitert und Mara...? - Heute erkenne ich meine Schuld. Mara ist wie ich. Ich wollte immer nur, dass meine Frau Mutter mich sieht. Dass sie mich lieb hat. Dass Rondra mich sieht und mich lieben kann!«, wandelte Rondraine die Aussage. »Wenn ich nur eifrig genug meinen Körper stählte, Rondra in Tugendhaftigkeit gefallen würde, dann sähe mich meine Mutter endlich. Ich müsste nur mehr Schmerz ertragen können und hart sein.«

Rhona Leuenglanz von Draustein nickte der Ritterin verstehend zu. Die Rondra-Geweihte dachte für einen Moment über die Worte nach und erhob erst dann ihre Stimme: »Ihr seid also felsenfest davon überzeugt, dass ihr nicht alles in eurer Macht stehende getan habt, um die wiederkehrenden Wellen des Schmerzes zu besiegen. Gemäß eurer eigenen Erinnerungen, habt ihr den Kampf im Kindbett willentlich und auch im Fleische verloren«, fasste Rhona ihre weiteren Einblicke kurz zusammen. Einige Worte hatte sie dabei besonders betont. »Dennoch habt ihr im Blute um Idra gekämpft! Euer Kind heißt Idra!“, hob die Tempelvorsteherin abermals hervor. Es lag ein gewisser Tadel in ihrer Stimme.
»Allein, dass ihr sie mit euren Worten bisweilen anders benennt, sagt mir, dass ihr sie bis heute nicht wahrhaftig als euer Kind angenommen habt! Wenn ihr den Rest eures Lebens nicht weiter mit Schuldgefühlen beschweren wollt, dann schließt Frieden mit diesem Schicksalsschlag!«

Rondraine ni Taldair straffte sich und schob das Kinn vor. Sie presste die Zähne zusammen und wischte sich mit der Hand durch das Gesicht. »Wenn das Donnern der Hufe übergeht in Donnern meines Blutes... Ich stehe aufgerichtet in den Steigbügeln, die Lanze im Tjost bricht sich an meiner Brustplatte... Ich spüre einen Moment den Stillstand, blicke mich um, sehe meine Frau Mutter auf der Empore... Ihr Antlitz wandelt sich zum Ebenbild der Götterstatue des Schwerts und Schilds Alverans... Ich wanke im Sattel... Dann wendet Rondra sich von mir ab.« Ehrfurcht in der Betonung unterstützt die lebhafte Entrückung des Moments.
»Der Kampf meines Lebens war stets Frau Rondra gewidmet und die verblassenden Erinnerungen an Momente des Versagens, vermögen mich nicht aus dem Sattel zu werfen!« Mit Härte betonte Rondraine schließend: »Solange ich den Bußgang meines Versagens nicht vollendet erkenne, werde ich mich keinem Frieden hingeben. Leben ist Kampf und Schmerz lässt mich das Leben spüren! Der Zweifel aber... Seitdem die Sturmherrin ihr Schwert Leuensang in mein Herz stieß... Ich glaube nicht mehr von ganzem Herzen!«


Demut - ein Heilmittel der Seele

»Ich danke euch für eure schonunglose Ehrlichkeit, Wohlgeboren«, sagte die Tempelvorsteherin ernst und aufrichtig. Rhona entschied, dass sie inzwischen genug gehört hatte, um der von allerlei Zweifel geplagten Ritterin, ihre führende Hand zu reichen. »Bevor ich auf das Schwert Leuensang zu sprechen komme, will ich euch erst einmal folgendes sagen: Gewiss schreitet ihr auf dem Weg der Sturmherrin. Aber auch deshalb, weil ihr stets eurer Mutter gefallen wolltet. Womöglich ist es euch bislang noch nicht weiter aufgefallen, aber ihr rückt sie in euren Erzählungen so nahe an die göttliche Siegschenkerin heran, dass ihr Gesicht bereits mit dem Abbild von Rondra verschmilzt«, erklärte die Tempelvorsteherin ohne die Spur eines Zweifels in ihrer Stimme. Ernst sah sie zu Rondraine: »Erinnerungen sind das Spiegelbild der Seele! Eure Erinnerungen, zumindest jene, die ihr so freimütig mit mir teiltet, wirken auf mich allerdings wie ein reißender Strom aus Tränen und großem Leid. Wenn ich in Eure Augen blicke, sehe ich bitteren Schmerz, große Selbstzweifel und die tiefe Enttäuschung einer Tochter, welche nur selten gegen die überbordenden Ansprüche ihrer Mutter obsiegte.« Die Erinnerungen an ihre eigene herrische Mutter, Maelwyn Stepahan, schob Rhona dabei mit einem harten Blick zum Eingangsportal des Sturmtempels der göttlichen Leuin zur Seite.
Für einen Augenblick verweilten Rhonas Augen auf den verhärmt wirkenden Gesichtszügen von Rondraine. Doch deren Lippen blieben versiegelt und so fuhr die Rondrianerin mit ihrer Sicht auf das Seelenheil der Ritterin fort: »Ich nehme an, dass ihr nur selten Lob und Anerkennung erfahren habt. Die selbstlose und aufopferungsvolle Liebe einer Mutter, die ihr Kind alleine deshalb liebt und annimmt, weil es ihr Kind ist, habt ihr euch nicht zu eigen gemacht. Und in eurem bisherigen Leben seid ihr auf niemanden getroffen, der es euch freimütig gelehrt hätte«, erahnte Rhona eine weitere Dorne in Leib und Seele der Ritterin.
»So war euer Leben im Dienste Rondras bis zum Tode eurer Frau Mutter, vor allem dadurch bestimmt, ihren Ansprüchen zu genügen... Wenn ihr in einer Turney eine ansehnliche Platzierung erreichtet, war dies für eure Mutter noch lange keine Veranlassung, euch anerkennend auf die Schulter zu klopfen, oder womöglich mit stolzem Blicke auszuzeichnen. Vielmehr trat sie mit dem Ruf nach einer noch besseren Platzierung an euch heran. So hatten eure Siege stets einen schalen Beigeschmack.« Forschend bemaß Rhona die Gesichtsregungen von Rondraine ni Taldair. Da diese aber nicht zu einer Gegenrede ansetzte, bestärkte Rhona darin, dass sie die richtigen Worte gefunden hatte und sich auf dem richtigen Wege der Adligen näherte.
»Wir Menschen sind fehlbare Geschöpfe und bisweilen sind wir selbst unser größter Feind. Nicht selten umgeben wir uns mit einem Gespinst aus Lügen, geschmiedet in der Dunkelheit unserer größten Ängste. So verbergen wir unsere Fehlbarkeiten nicht nur vor anderen, sondern auch vor uns selbst!« Rhona hielt inne. Ihr Stimme hatte inzwischen an Milde gewonnen.
»Die eigenen Selbstzweifel und Wunden, welche euch ab dem Kindbett auf den Fuß folgten, waren euch willkommene Begleiter. Sie waren einmal mehr der schmerzhafte Beweis dafür, dass ihr innerlich nicht tot wart, dass trotz des Todes von Idra... noch Leben in Euch war!« Sie hatte für den Moment genug gesagt und sah forschend zu der alternden Ritterin.

Diese ließ sich vor Rhona Leuenglanz auf beide Knie hinab und bot mit der Offenheit ihres Blickes - Einblick in ihre Seele, bevor sie demütig sprach: »Den entwaffnenden Worten Hochwürdens ergebe ich mich in tiefer Demut. Es fühlt sich gut an, wenn ich vor Euch Schwäche beichten darf und vor Rondra Gehör finde. Die Wahrheit Eurer Worte legt schwärende Wunden offen, um Genesung zu ermöglichen.«