Heckenfehde (1039-1040) Teil 02: Boten des Schicksals

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Chronologie

1039
11. Tsa (Markttag): Gräfliche Audienz auf Burg Bredenhag und Markttag im Dorf Bredenhag. Unter anderem kündigt Vogt Turon Taladan für den Zweiten Phex die Einberufung der Bredenhager Rittertafel an und für den Dritten Phex ein Gräfliches Gericht.


Burg Bredenhag

Bredenhag - 11. Tsa 1039, Markttag

Schnee lag auf den mit Grassoden gedeckten Dächern der einfachen Steinkaten am Fuße des Burgbergs und Firuns eisiger Atem erfüllte die Luft. Die gut über einhundert Behausungen schienen sich unter der Last des gefallenen Neuschnees hinweg zu ducken. Aus zahlreichen Kaminen der mächtigen Burg und des darunter liegenden Dorfes zogen graue Rauchfahnen in den bleiernen Himmel. Weitere Schneefälle kündigten sich nach einem entbehrungsreichen Firunmond an und machten den Winter zu einer harten Prüfung des Weißen Jägers. Doch an diesem Morgen war inmitten der seltenen Geschäftigkeit des Markttages, welcher stets einmal im Götternamen mit der Gräflichen Audienz zusammen fiel, nicht viel von der Unbill der Bredenhager Lande zu spüren. Auf dem Madaplatz bevölkerten Einwohner und Reisende gleichermaßen die Stände von Handwerkern und Bauern aus dem Umland.

Auf dem Madaplatz

Fest in einen grauen Umhang aus dickem Loden gewickelt streifte ein schmaler rothaariger Bursche zwischen den Marktständen umher und besah sich die wenigen Tiere, welche hier veräußert werden sollten. Der späte Winter war eigentlich nicht die Jahreszeit für den Verkauf von Vieh und schon gar nicht für den Kauf, doch der Rotschopf brachte insbesondere den Schafen offenbar großes Interesse entgegen. Genauestens untersuchte er ihr Wollkleid und ihre Hufe und prüfte, indem er ihnen über die Rippen fuhr, ob sie auch gut im Futter standen. "Du scheinst dich gut auszukennen", erklang da eine Stimme neben ihm. Ein Mann, nicht viel kräftiger als er, jedoch einige Götterläufe älter, war neben ihn getreten und lächelte den Jüngling freundlich an. "Dieser Tage kommen nicht viele in unser Dorf, um Vieh zu kaufen. Und von hier stammst du nicht, das ist mal sicher." Ein neugieriger Blick aus grünen Augen traf den Jüngeren, während der Fremde sich mit der Hand durch seine kurzen roten Locken fuhr. Überrascht sah der Junge auf. Ehe er antwortete, versuchte er anhand der Kleidung des anderen herauszufinden, ob sie ein Standesunterschied trennte, doch ließ sich das aufgrund der dicken Winterkleidung nur sehr schlecht feststellen. Also ließ er lieber Vorsicht walten. "Ich bin Cian, aus Feenloh in Wallersrain, Herr", nickte er. "Meine Familie züchtet dort Schafe." Einen Moment schien er zu überlegen, ob er weitersprechen sollte. "Aber nun ist von Nostria irgendeine Krankheit eingeschleppt worden und uns stirbt das Vieh weg. Deshalb will Frau Ceolwen auch beim Kanzler vorsprechen." "Eine Viehseuche?" Der Fremde wirkte ernstlich bestürzt. "Wie habt ihr denn versucht, die Tiere zu behandeln?" Erst jetzt schien er den kritischen Blick des Jünglings zu bemerken. "Oh, verzeih", verlegen kratzte er sich am Kopf, "ich hab’ mich gar nicht vorgestellt. Luan mein Name." Er schien kurz zu zögern und fügte dann etwas leiser hinzu: "Luan ui Riordan." Ratlos zuckte Cian, der mit dem Namen Riordan offenbar nichts anzufangen wusste, mit den Schultern. "Wir haben alles Mögliche versucht, aber bisher hat nichts geholfen. Weil viele der Tiere Fieber haben, haben wir es mit kühlenden Wickeln versucht, aber auch mit allerlei Kräutersuden, weil einige der Tiere starken Husten bekommen haben. Aber eben auch nicht alle. Dafür hatten andere so eine Art Geschwüre. Wir haben die kranken Tiere auch alle von den anderen getrennt, sobald wir es bemerkt haben, aber niemand weiß, ob sich die anderen nicht doch schon angesteckt haben. Manche Tiere haben gar keine Anzeichen gezeigt und sind einfach so verendet…" Der Junge zuckte erneute hilflos mit den Schultern und wirkte zunehmend verzweifelt. Leise fügte er hinzu: "Den alten Joric hat es auch dahingerafft, aber wir wissen nicht so genau, ob es bei ihm nicht einfach eine Lungenentzündung war, weil ihm das kalte Wetter so zugesetzt hat…" Luan hatte aufmerksam zugehört, doch als der Junge schließlich endete, machte sich Ratlosigkeit auf dem Gesicht des Heilers breit. "Ich fürchte, das müsste ich mir ansehen", murmelte er mehr zu sich selbst. "Vielleicht könnte Joruga helfen... aber das wächst nicht zu dieser Jahreszeit... sag Cian", wandte er sich dann wieder direkt an den Burschen, "kennt ihr einen Perainepriester, den ihr um Hilfe bitten könntet?" Betrübt schüttelte der Junge den Kopf. "Ihre Gnaden Fiana kam sonst immer mal in Feenloh vorbei, aber sie ist mit in den Osten gezogen. Hochwürden Yasinde begleitet gerade seine Hochgeboren nach Havena, sagte man uns, und Hochwürden Brida aus Yantibair ist schon alt, ich fürchte, der Weg ist jetzt im Winter zu weit für sie, zumal ja auch Lairig im Yantibairschen betroffen ist. "

Das Gespräch der beiden war derweil nicht unbemerkt geblieben. Ein grauhaariger, bärtiger Mann hatte seine Augen auf Luan geheftet. Unter seinem dicken Lodenumhang waren deutlich Kettenhemd und Schwert zu erkennen, jedoch machte er keine Anstalten, sich den beiden Männern zu nähern. Mit offenem Mund starrte er in Richtung des rothaarigen Heilers. "Was ist denn, Yann?" Irritiert blickte Ailill den alten Waffenknecht an. "Hast du einen Geist gesehen?" Die junge Frau folgte dem Blick des Mannes, doch sie konnte nichts Auffälliges entdecken. Nur zwei Männer, die angeregt in ein Gespräch vertieft schienen. "Nichts, gar nichts", beeilte sich der Angesprochene zu versichern. Doch der Ausdruck auf seinem Gesicht strafte den alten Recken Lügen. Bald 40 Götterläufe stand er nun schon im Dienste der Familie, hatte die Kinder aufwachsen sehen, hatte miterleben müssen, wie einige von ihnen viel zu früh zu Boron gingen. Und doch konnte er sich an jedes Einzelne von ihnen so gut erinnern, als wäre es gestern gewesen. Noch einmal musterte er den rothaarigen Mann. Ja, er war sich absolut sicher. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Ailill wurde ungeduldig. "Nun sag schon, was mit dir los ist." Wenig damenhaft pustete die junge Frau eine rote Haarsträhne aus ihrem Gesicht, verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn aus ihren tiefblauen Augen entschlossen an. Selbst in ihrer dicken Winterkleidung hatte das Mädchen eine außergewöhnliche Ausstrahlung. ‚Wie ihre Mutter in jungen Jahren’, dachte Yann bei sich und musste lächeln. Der jungen Riordan platzte derweil der Kragen. "Gut, finde ich es eben selbst heraus", stieß sie trotzig hervor, und mit diesen Worten steuerte sie schnurstracks auf die beiden Unbekannten zu.

Luan hatte den Ausführungen des Jungen mit betrübter Miene gelauscht. "Nun", meinte er dann, "ich denke, es ist kein Fehler, im hiesigen Perainetempel einmal nachzufragen. Ich bin nicht sicher, ob man so schnell jemanden entbehren kann, aber einen Versuch wäre es sicher wert. Gern geleite ich dich dorthin." Mit diesen Worten wandte sich der Heiler um. Sein Blick traf den Ailills, und die eben noch so freundlichen Gesichtszüge schienen zu erstarren. Die junge Frau schien zunächst nichts davon zu bemerken. Als Luan sich umwandte, verlangsamte sie ihre Schritte und setzte ein artiges Lächeln auf. "Die Zwölfe zum Gruße", nickte sie freundlich und deutete eine leichte Verbeugung an. Mit unverhohlenem Interesse musterte sie zunächst den Jüngling, ehe sie sich dem Älteren der beiden zuwandte. Dessen Gesichtsausdruck allerdings schien sie sichtlich zu verunsichern. Ihr Lächeln erstarb und ihre Augen blickten den Fremden fragend an. "Verzeiht, wenn ich eure Unterhaltung störe", stotterte sie unbeholfen, "es ist nur..., der gute Yann dort drüben scheint euch offenbar zu kennen, und da dachte ich, nun ja, ähm..." Innerlich verfluchte sich Ailill für ihre Gedankenlosigkeit. Sie hatte es sich so schön zurecht gelegt. Eine zwanglose Unterhaltung, die gegenseitige Vorstellung. Stattdessen plapperte sie nun blind drauf los... "Gut, ich geb’s zu", trat sie dann die Flucht nach vorn an. "Ich war einfach neugierig. Ich bin Ailill, Ailill ni Riordan." Hilfesuchend lächelte sie den rothaarigen Jüngling an.

Das Trappeln von Hufen ließ Luan herumfahren. Eine Gruppe Reiter hielt auf die Burg zu. Erst auf den zweiten Blick erkannte er den jungen Eulenbroich. Er war in dicke Winterkleidung gehüllt, und der Ausdruck auf seinem Gesicht wirkte gehetzt. Gerade wollte der Heiler dem Knaben etwas zurufen, als die Gruppe auch schon vorüber war. Unschlüssig verharrte er und warf einen kurzen Blick zu seiner Anverwandten. Dann zuckte er entschuldigend mit den Schultern. "Scheint was passiert zu sein, könnte sein, dass man mich braucht", rief er den beiden zu, dann setzte er sich in Bewegung.


Die Gräfliche Audienz

Burg Bredenhag glich in diesen kalten Wintertagen einem schlafenden Eisriesen, dessen schneebedeckte Glieder sich weit über den Madastein erstreckten. Die hervorstechende Anhöhe inmitten der Abagunder Heide war von zerklüfteten Hängen geprägt, die noch immer vom frostigen Firn des Winters überzogen war. Wenn man den alten Überlieferungen Glauben schenkte, dann war das Land um den Madastein einst von einer dichten Waldwildnis bedeckt und eine alte elfische Ansiedlung befand sich auf dessen höchster Stelle. Als die ersten menschlichen Siedler das uralte Gehölz zu roden begannen, um Platz zu schaffen für ihr Dörfer, Äcker und Viehweiden - zogen sich zahlreiche der geheimnisvollen Alben voll von Sorge und Trauer aus Albernia zurück. In den Dunklen Zeiten soll dann der Recke Brêl vom weiten Hag, die erste Burganlage auf dem Madastein errichtet haben. Ihr Erbauer hatte diesen Ort mit Bedacht gewählt, denn der Madastein war einfach zu verteidigen. Gen Firun fielen seine Hügelflanken steil ab. Weniger abschüssig, aber nicht minder von unwirtlichen Felsvorsprüngen geprägt, waren seine Flanken gen Rahja und Efferd. Nur vereinzelt krallten sich dort bis heute Eichen und Hecken in den Fels. Von Frühling bis Herbst überschatteten sie dann auf einigen Absätzen die kleinen Küchengärten der Burg, in denen Gemüse, Obst und Kräuter gediehen. Brêl hatte den Grund seinerzeit nicht einebnen lassen als er die ersten Fundamente legte und die mächtige Granitmauer errichten ließ. Einige Gelehrte vermuten, dass Burg Bredenhag nicht nur über einige Jahre hinweg erbaut wurde, sondern in ihrer heutigen Form über viele Jahrhunderte entstand und es sich ursprünglich um mehrere Ringfesten handelte. Daher maß die imposante Vor- und Hauptburg über 200 Schritte in der Länge und nicht weniger als 60 Schritte an ihrer schmalsten Stelle. Burg Bredenhag zählte nicht zuletzt seit der Erweiterung durch Graf Jast Irian Crumold zu den größten und eindrucksvollsten Burgen der siebenwindigen Lande. Hoch über der weitläufigen Ringmauer blickten starke Türme ins Umland und die roten Banner der Stepahan waren weithin zu sehen und bezeugten den Herrschaftsanspruch von Gräfin Maelwyn und ihres Hauses. Überall am Mauerwerk von Türmen und Hallen ließen sich steinerne Wasserspeier und Statuen finden, welche in Form und Gestalt an die dunklen Wesenheiten der Anderswelt erinnern: Die Steinmetze hatten dem Granit grauenvolle Fratzen und schaurige Schreckgestalten entlockt, von deren Fängen jetzt lange Eiszapfen hingen. Ein steiler Weg wand sich rund um den von einer Palisade umfriedeten Burgberg - gerade breit genug, um einem Karren Platz zu bieten. Der Weg führte links an der Ringmauer entlang, sodass jeder Eindringling der Hauptburg seine rechte, vom Schilde nicht bedeckte Seite zuwenden musste, um dann vor einem Felsgraben zu enden, über den eine Zugbrücke zur Vorburg führte. Hier jenseits des Albentores fanden sich die Stallungen, zahlreiche Wirtschaftsgebäude und auch Unterkünfte für Gesinde und Gäste. Hier stand auch gleich die Neuen Halle zur Rechten des Vorwerks. Die Audienzhalle der Burg, mit ihren hohen kahlen Mauern, starken Pfeilern und der Balkendecke aus bestem Holz zeugte noch immer vom Machtanspruch des verfluchten Jast Irian Crumold. Doch heute fielen schmale Streifen von bleiernem Licht zwischen die zahlreichen Adligen und Freien eines anderen Herrn. In Abwesenheit von Gräfin Maelwyn Stepahan hatten sich Bittsteller aus Nah und Fern zur Audienz vor der Herrentafel des gräflichen Kanzlers Turon Taladan versammelt. Das Licht von mannshohen Kerzenständern umfing den Kanzler und weitere wichtige Amtsträger und Gefolgsleute am Grafenhof, darunter: Lehensvogt Lidhwaen Crumold, der die Belange von Gräflich Bredenhag vertrat, Haushofmeister Udhar von Nymphensee der bei der Unterredung die Interessen der Burg wahrte und Firlynn von Heckendorn die als Meisterin der Münze über die Ausgaben und Einnahmen der Grafschaft wachte. Am großen Herrentisch hatte auch der Siegelmeister gleich neben dem Kanzler Platz gefunden und sorgsam zwei schwere Folianten vor sich ausgebreitet. Mehrere Kohlepfannen standen entlang der Wände und versprachen den Bittstellern ein behagliches Willkommen.

Nicht weit entfernt von Turon Taladan hatte Herr Aldrik ui Skardh Aufstellung genommen und beobachtete, wie so oft, mit dem Rücken zur Wand das Treiben. Vor dem Herrentisch hatten auf seinen Befehl hin zwei Burgwachen Aufstellung genommen. Zwei weitere Heckenrosen bewachten mit Hellebarden bewehrt den Eingang zum Hof. Unter den für diese Jahreszeit überraschend zahlreichen Bittstellern und Adligen war auch ein missmutig dreinblickender Mann mittleren Alters. Das Wappen, das seinen Mantel zierte, wies ihn Kundigen gegenüber als Cuil Riordan vom Schwarzen Quell aus, Oberhaupt eines Rittergeschlechts aus Gemharsbusch. Offenbar war er gerade erst auf Burg Bredenhag angekommen. Sein kurzes, braunes Haar war noch nass vom Schnee und auch seine Stiefel hinterließen hier und dort noch entsprechende Spuren. Grimmig musterte Cuil die Umstehenden. Es war ihm zutiefst zuwider, als Bittsteller aufzutreten, doch würde er allein die Schäden wohl kaum beheben können, die diese Firunskälte in Reihergras angerichtet hatte. An und für sich war er ein großer Freund des Weißen Jägers, doch diese Scherereien hätte er sich gern erspart. Er fragte sich, was wohl die übrigen Versammelten hierher getrieben haben mochte.

Interessiert beobachtete Ceolwen Glenngarriff das Treiben in der Halle, während sie ein wenig verloren wirkend etwas abseits stand. Viele der Anwesenden schienen einander zu kennen, doch bisher hatte die hochgewachsene Seenländerin kein vertrautes Gesicht unter ihnen ausmachen können. Es wunderte sie auch nicht, denn der Weg, den sie von der westlichen Grenze Bredenhags mit der Grafschaft Großer Fluss auf sich genommen hatte, war weit und dieser Tage besonders beschwerlich, da das Land noch in Firuns eisigem Griff gehalten wurde. Da war es nicht eben wahrscheinlich, dass sie hier einen ihrer Nachbarn treffen würde. Doch der Grund, der die Schwester des Junkers von Feenloh hergeführt hatte, während ihr Bruder gen Osten gegen Haffax zog, wog so schwer, dass sie weder hatte warten wollen bis der Schnee schmolz, noch ihre Nachricht einem Boten anvertrauen.

Auffällig war auch ein Mann, der den Großteil des versammelten Adels gut um einen halben Kopf überragte. Er stand da wie ein mächtiger Fels. Sein Haupt- und Barthaar strahlte an vielen Stellen silbern und stand in störrischen Locken ab. Eine wahrlich wilde Erscheinung in dieser so edlen Halle mit all den feinen Herrn von Stand. Verstärkt wurde dieser ungestüme Eindruck von seiner Gewandung. Über einer verwaschenen dunkelroten Cotta trug er eine schwere ledernen Weste, die ihm wie ein Wappenrock bis zu den Knien reichte und mit eisernen Nieten besetzt war. Die ledernen Beinkleider waren abgetragen und alles andere als edel zu bezeichnen, genauso wie die schweren Lederstiefel. Über Schultern fiel ein langer schwarzer Umhang bis zum Boden ab. Auf seiner Brust war ein weißes Tor auf schwarzem Grund punziert, welches ihn als Bardred ui Baran - den Klammvogt von Trollklamm auswies, Kastellan von Burg Schratenzorn - einer alten Waldfeste die den Feenstieg und damit den einzigen sicheren Landweg nach Burg Nyallin sicherte. Der einzige Augenfänger an seiner Erscheinung war der edle rote Schwertgurt mit silberner Zier und angehängter Wehr: Bezeugte diese doch deutlich wo der 'Herr vom Blutacker' sein Hacksilber und seine Begabung verbarg.

Außerdem hatte sich recht nahe am Herrentisch ein seltsames Gespann eingefunden: zwei Männer und eine Frau. Einer der Männer war wie der Ritter von Schratenzorn ein wahrer Hüne und hatte sein Haupt stolz erhoben. Er trug einen speckigen Gambeson aus Leder mit Metallnieten und -beschlägen. An seiner Seite ruhte ein mächtiges Schwert, welches einen äußerst wehrhaften Eindruck vermittelte. Sein dunkles, fast schwarzes halblanges, Haar klebte ihm ungepflegt am Kopfe, nur sein Bart war wohl gestutzt. Sein Antlitz war grimmig und selbstsicher. Die Frau hingegen hatte zwar einen schmächtigen Körperbau, ihre Bewegungen waren dennoch gewandt. Ihr Körper zeigte kaum weibliche Rundungen und sie trug grüne Wolle, dunkle Loden und Leder - die Gewandung einer Waldläuferin. Gleichwohl man merkte, dass sie für diese Audienz ihre bessere Kleidung angezogen hatte. Ihre langen roten Haare hatte sie zu einem Zopf verflochten und hochgesteckt. Sie hatte zwar ein ansehnliches Gesicht, doch wirkte es streng und verbissen. Doch der dritte im Bunde hob sich besonders ab. Der Mann war klein und dürr, geradezu hager. Er war in einen Pelz gehüllt und so manch einer konnte erkennen, dass er darunter nahezu nackt war. Sein schlanker Leib war mit zahlreichen Tätowierungen bedeckt. Um den drahtigen Hals trug er eine archaisch anmutende Kette mit den Trophäen erlegter Tiere. Sein Gesicht wurde von einem zotteligen weißen Bart umschlossen, der ihm weit auf die Brust reichte. Seine Züge waren durch die vielen Winter seiner Lebensjahre gezeichnet. Er hielt einen Jagdspeer in der Hand, der bei genauerer Betrachtung firungefällige Schnitzereien aufwies. Trotz seines gehobenen Alters, schien sich der grimme Mann nicht darauf aufzustützen.

Der alternde Junker Brannon von Nymphensee betrat die Neue Halle stolz und aufrecht und hielt gleichzeitig nach seinem Bruder Udhar Ausschau, der als Haushofmeister hier seinen Dienst versah. Hinter ihm schlurfte ein kaum elf Götterläufe zählender Knabe in die Halle und zog geräuschvoll die Nase hoch. Nachdem Bran seinen Bruder noch nicht entdecken konnte, richtete er seinen strengen Blick auf den Knaben. "Davin, bei den gütigen Göttern! Halte dich gerade - schnaub‘ deine Nase und in Hesindes Namen, mach‘ den Mund zu!" Der Junge sah kurz zu ihm auf, beförderte aus den Tiefen seiner Taschen ein dreckiges Tuch zutage und tat wie im befohlen, ehe er wieder versuchte sich hinter dem Junker unsichtbar zu machen. Bran seufzte leise. Sein jüngster Sohn war wahrlich kein Grund zur Freude. Bislang waren alle seine Kinder eine Enttäuschung. Vielleicht bis auf seine älteste Tochter,… Seine Lippen wurden schmal bei diesen Gedanken. ‘Nein‘. Schalt er sich selbst. ‘Die Feen hätten ihren Tribut gefordert - ich hätte sie ohnehin verloren.‘ Wie um sich selbst von den düsteren Erinnerungen abzulenken, ließ er den Blick erneut über die Gesichter der bereits Versammelten schweifen und erkannte nun seinen Bruder, der sich gerade vom Herrentisch erhob und mit rauher Stimme den Beginn der Audienz verkündete. Wie es schien, litt Udhar an leichtem Rotz, da seine Stimme sonst weithin hörbar gewesen wäre. Heute jedoch war er kaum zu vernehmen und es erforderte eine gewisse Aufmerksamkeit, um heraus zu hören, wer zuerst vor den Herrentisch befohlen wurde. Doch der Haushofmeister erkannte sogleich seinen Fehler, übertrug seine Aufgabe der beisitzenden Firlynn von Heckendorn und ließ sich wieder nieder.

Die Seuche

Die Meisterin der Münze erhob sich und rief mit heller Stimme aus: "Die Hohe Dame Ceolwen Glenngarriff zu Feenloh, soll gehört werden und möge vortreten!" Etwas unwohl fühlte sich die Edelmagd schon, als sie vortrat und nun so viele Augen auf ihr ruhten, doch die Mittdreißigerin sprach laut und klar, nachdem sie zunächst ehrerbietig das Haupt vor dem Herrentisch geneigt hatte: "Habt Dank! Ich habe den weiten Weg aus dem Seenland auf mich genommen, um Euch vor einer hinterhältigen Seuche zu warnen, die unser Vieh befallen hat. Sie scheint von Wild übertragen zu werden, welches die Seuche aus Nostria eingeschleppt hat, denn wir haben tote Wildschweine und Rehe gefunden, welche die gleichen Krankheitszeichen zeigten. Unsere Nachbarn in Yantibair sind ebenfalls betroffen und da wir die Wege von Rot- und Schwarzwild kaum kontrollieren können, besteht die Gefahr, dass sich auch hier Tiere anstecken könnten. Wir haben die kranken von den noch gesunden Tieren getrennt und lassen sie nicht mehr aus den Ställen, aber es ist schwer, die Krankheit zu erkennen, weil sie mal zu Husten, mal zu Fieber und mal zu Geschwüren besonders am Hals führt, aber manchen Tieren hat man auch gar nichts angesehen und sie sind einfach verendet." Ceolwen seufzte hörbar und ließ einmal den Blick über die Versammelten schweifen. Noch war die Lage nicht so verzweifelt, dass sie den Kanzler um Almosen anbetteln würde, aber wenn sie die Bestände nicht aufstockte und noch mehr Tiere der Krankheit zum Opfer fielen, wäre es sicher bald soweit. "Zudem möchte ich darum bitten, dass ein jeder, der zu dieser so ungünstigen Jahreszeit noch Schafe und Schweine, insbesondere Auen und Säue, zum Verkauf bieten kann, an mich herantreten möge." Ein selbstironisches, bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie hinzufügte: "Neu erstandene Tiere werden natürlich gar nicht erst mit den anderen in Berührung kommen." "Bei Peraine, das sind schlechte Nachrichten, Hohe Dame!", entfuhr es dem Kanzler, als er sich neben der Meisterin der Münze nach vorne beugte. Er blickte kurz zu Vogt Lidhwaen Crumold und dann wieder zur Edelmagd: "Eure Warnung ist wohl gesetzt und wird durch die hier Versammelten in alle Winkel Bredenhags und darüber hinaus getragen!", der Taladan hatte mit lauter Stimme gesprochen. "Was Euer Begehr betrifft...", er wies auf den Crumold an seiner Seite: "...der Lehensvogt wird Euch über die Tiere der Gräflichen Eigengüter vermutlich teilweise Ersatz beschaffen können. Weiteres soll später besprochen werden." Kurz hielt der Kanzler inne und setzte dann hinzu: "Es ergeht die Gräfliche Weisung an jeden Mann und jede Frau, ob frei oder von Stand, aufmerksam die eigenen Bestände zu prüfen und entsprechend zu trennen, wenn Anzeichen dieser Seuche auftreten. Ein jeder ist aufgefordert die Kunde dieser Unbill weiterzutragen und ihr damit Einhalt zu gebieten." Die Seenländerin verneigte sich tief und, obwohl die Sorgen ihr noch immer ins Gesicht geschrieben standen, lächelte sie den Taladan dankbar an. "Habt Dank, Euer Hochwohlgeborener Herr Markvogt."

Ein böses Omen

Nach dem unerfreulichen Beginn der Audienz winkte Turon Taladan den alten Mann und seine eigentümlichen Gefährten heran. Offenbar kannte er die drei, wohl im Gegensatz zu den meisten anderen Anwesenden. Während der Alte nur leicht den Kopf senkte, verbeugten sich die beiden anderen vor dem Kanzler: Es waren Tangred Diistra, Aeriana Thaliaham und der Geweihte des Grimmigen Firunian Moradhur. Alle stammten aus dem Edlengut Flüsterwald, welches im Hinterland der Baronie Tommeldomm an der Grenze zu Nostria lag. Tangred war der Vogt des Lehens, und verwaltete es für den seltenen anwesenden Edlen Burunian Fenwasian. Der Name Diistra machte deutlich, dass es sich um ein uneheliches Kind aus dem Hause Fenwasian handelte und tatsächlich war Tangred ein Bastardbruder Burunians. Aeriana war Freibauerin und die Schulzin von Thaliaham - einem entlegenen Walddorf am Saum des östlichen Flüsterwaldes, doch als Einheimische wusste sie deutlich mehr über das Edellehen als Tangred, der erst seit wenigen Götternamen dort weilte. Der Geweihte war hingegen einer der letzten beiden Sprösslinge des in Ungnade gefallenen Hauses Moradhur, doch ging er ganz in seine Aufgabe als Geweiher des grimmen Gottes auf und schien sich um Politik nicht zu scheren. Nachdem man freundliche Worte der Achtung und Wertschätzung ausgetauscht hatte, berichteten die Drei warum sie überhaupt den weiten Weg auf sich genommen hatten. "Wie Ihr vielleicht wisst, Herr Turon", erhob der Geweihte mit einer überaus vertraulichen Anrede seine Stimme, "ist es in Moradhurs Motte üblich, dass in den Tagen des Firun, wenn das Madamal voll am Himmel steht, die auf der Schwelle zum Erwachsenenalter stehenden Mädchen und Jungen, eine Nacht auf der Bärenhöhe verbringen, um dem grimmen Herrn nahe zu sein und sich im Schneetreiben seiner Prüfung zu stellen. Einst erschlug meine Vorfahrin 'Morawen Bärenleib' hier die große Bärin Bluttatze auf dem Hügel und seitdem gilt die Höhe den firungefälligen Bewohnern als verehrungswürdige Stätte. Sie ist für mich auch der Ort, an dem Firun die Gläubigen prüft. Doch in diesem Jahr hatte ein jeder dieser drei jungen Menschen, und auch ich selbst, die gleiche Vision. Eine Vision die von den Göttern gegeben scheint. Ich träumte, dass ich eines Morgens im Wald erwachte und von Bäumen und dichtem Dornicht umringt war. Meine rettende Axt lag nur wenige Schritte von mir entfernt, doch konnte ich sie nicht erreichen, um mich zu befreien, da zorniges Gehölz meinen Weg versperrte. Ich versuchte mir mit bloßen Händen einen Weg in die Freiheit zu bahnen und kämpfte einen verzweifelten Kampf. Ich riss an den Ranken und versuchte die Äste mit all meiner Kraft auseinander zu drücken. Doch schließlich brach ich entkräftet und von Dornen geblendet auf dem Waldboden zusammen und fügte mich in mein grausiges Schicksal." Man konnte sehen, dass der alte Mann schon von der Erzählung noch immer erschüttert war und in Schweigen fiel. Nun war die Stimme des Vogtes Tangred zu hören: "Wir dachten, dass Ihr das wissen solltet, Herr Turon. Denn wir halten es für ein Omen. Vielleicht hat es sogar etwas mit dem Feldzug im Osten zu tun. Mögen die Götter uns bewahren...", während die junge Frau nur zustimmend nickte.

Die Boten des Blutigen Schnees

Laut hallten die abrupt aufgestoßenen Tore der Halle als eine Gruppe von sechs erschöpften Reitern eintrat und geführt von Burgweibelin Yanissa Venaigh an zwei aufgeschreckten Gardisten vorbei direkt zum Herrentisch vortrat: "Macht den Weg frei!" bellte die Weibelin lautstark. Die kleine Gruppe setzte sich aus drei Männern, zwei Jungen und einer dunkelhaarigen Frau zusammen, die allesamt noch in dicke Reisekleidung gehüllt war. Zwischen den Umhängen blitzte bei Zweien die grüne Tunika der Bredenhager Heckenreiter durch - die Frau wie auch die restlichen drei Begleiter, die das Schlusslicht der Gruppe bildeten, trugen die Farben eines Trommeldommer Niederadelsgeschlechts, dessen Wappentier ein roter Aalfisch auf Silber und Blau war. Alle waren außer Atem und schienen eben erst vom Pferd gestiegen. Bevor sich der schlaksige rotwangige Jüngling im Rock der Heckenreiter gefangen hatte, begann auf einen Wink hin, der grimmige hagere Mann an seiner Seite die Kunde von Zorn und Blut zu verbreiten:


"Wir schlugen unser Nachtlager Ende Firun am Ufer des Gemhar auf. Der Lagerplatz war uns vertraut und das nächste Obdach zu viele Wegstunden entfernt. Dies war nicht unsere erste Nacht in Kälte und Schnee. In der anbrechenden Abenddämmrung sahen wir dann in der Ferne die Wachtfeuer. Herr Aenwin ließ den alten Rudbard und Beolf zurück, um das Lager zu bewachen. Wir anderen sattelten die Pferde und folgten unserem Herrn über die harschen Schneefelder in Richtung des finsteren Farindel."

Jorm Dunkelholz, Mitglied der Gräflich Bredenhager Grenzwacht


"Da Herr Aenwin das Entzünden einer Fackel verboten hatte, war es so finster wie im Arsche eines Orichai. Ich war dankbar für die ersten Sterne am Firmament und noch mehr für das aufgehende Madamal. Denn unter den Hufen der Pferde war die Schneedecke dünn und das Erdreich so feucht wie der Schoß einer liebestollen Hure. Überall lauerten knorrige Wurzeln und verborgene Mulden auf den unachtsamen Reiter. Als wir uns vorsichtig dem Waldsaum näherten war unser Entsetzen allerdings groß. Im Schein der zahlreichen Wachtfeuer machten wir ein großes Holzfällerlager aus. Der kalte Nordwind trug das anklagende Totenlied von Axt und Beil an unsere Ohren. Diese vermaledeiten Frevler schlugen Mondholz im Farindel!"

Jorm Dunkelholz, Heckenreiter der Gräflich Bredenhager Grenzwacht


"Fluchend trat mein Schwertvater mit der Hand an der Klinge den Holzfällern entgegen: Dies ist der gräfliche Bannwald ihr Narren! Habt ihr Euren Verstand verloren? Herr Aenwin war ganz außer sich vor Zorn als er im Feuerschein das geschlagene Holz erblickte. Der Gier der Holzfäller waren bereits über hundert Bäume zum Opfer gefallen. Den Vogt von Gemhar hatte ich erst erkannt, als er in das Licht der Wachtfeuer trat. Dass dies der gräfliche Bannwald war, schien Herrn Kendrick ui Riunad wenig zu scheren. Ich musste aber ohnehin erst einmal schwer schlucken, da Herr Aenwin seit der Bredenhager Bogenturney mit dem Riunad einen Zwist hat. Mein Herr hatte mit der Frau des Vogtes getanzt und das hat dem Vogt wohl weniger gefallen als seiner Frau. Doch Herr Kendrick entgegnete nur: Ich sehe hier keine Frevler. Ihr seid hier in Gemhar und nicht auf Burg Bredenhag. Hier spricht noch immer das Wort des Hauses Riunad Recht und Ordnung! Da entgegnete mein Schwertvater: Dieser Wald ist uralt und seine Gebote sind älter als die Gesetze der Menschen. Ihr alle hier wisst das und dennoch habt Ihr Euch gegen Farindel verschworen und das Recht der Gräfin gebrochen!"

Jaldrick von Eulenbroich, der junge Schildknappe des gefallenen Herrn Aenwin von Heckendorn


"Augenblicklich waren die Klingen gezückt. Wie zwei hungrige Wölfe belauerten sich Herr Aenwin und der Vogt von Gemhar. Worte der Verachtung umkreisten sie dabei wie ein Schwarm dunkler Krähen. Tödlicher Stahl wog über ihren Köpfen. Der Schwerttanz begann, als sich beide Ritter mit gefletschten Zähnen aufeinander stürzten."

Jorm Dunkelholz, Heckenreiter der Gräflich Bredenhager Grenzwacht


"Als Herr Aenwin auf dem winterlichen Untergrund strauchelte und seinen Stand verfehlte, schnitt Herr Kendrick ihm unter dem Arm durch das Lederwams und schlug ihm mit einem weiteren Schwerthieb ein Ohr ab, sodass Herr Aenwin vor Schmerzen aufschrie, auf die Knie herabsank und seine Waffe fallen ließ. Ich war starr vor Schreck. Unablässig ergoss sich das Blut meines Herrn dampfend in den kalten Schnee. Der Kampf war entschieden, dachte ich und wollte meinem Schwertvater schon helfend unter die Arme greifen, als er sich stöhnend wieder aufrichtete und dem Vogt zuraunte: Verstündet Ihr Euch doch nur halb so gut auf Hesindes Gaben wie auf Rondras, dann erspartet Ihr uns aller Feindschaft! Daraufhin erschlug der Riunad von Sinnen und im Zorn meinen Schwertvater. Nach Herrn Aenwin starben noch Ardach und Trava im Lager der Holzfäller. Letzten Endes gelang nur Jorm und mir die knappe Flucht. Was aus Beolf und Rudbard geworden ist, wissen wir nicht."

Jaldrick von Eulenbroich, der junge Schildknappe des gefallenen Herrn Aenwin von Heckendorn


"Die Schergen des Vogts waren uns hart auf den Fersen, hetzten uns unerbittlich durch die Nacht. Da wir unseren Häschern mit einem Pferd aber niemals entkommen wären und sie unmöglich zum Nachtlager führen wollten, empfahlen wir uns in unserer Verzweiflung der Gnade Efferds, klammerten uns an einen am Ufer treibenden Baumstamm und ließen uns den Gemhar flussabwärts treiben. Vermutlich wären wir erfroren, hätte uns nicht am nächsten Morgen ein gutherziger Farindelköhler am Flussufer gefunden und uns bei sich aufgenommen. Mit seiner Hilfe haben wir es dann letztlich bis nach Unkengrund geschafft."

Jorm Dunkelholz, Heckenreiter der Gräflich Bredenhager Grenzwacht


Leanna Vialigh hatte sich während der Aussagen der beiden Heckenreitern mit ihren eigenen Männern im Hintergrund gehalten, aber allein, dass sie mit ihnen die Halle betreten hatte, machte deutlich, dass sie dasselbe Anliegen wie diese Männer vertrat. Ihr Blick glitt während der blutigen Erzählungen zu der Gestalt eines Pagen, die hinter der Meisterin der Münze stand. Callean war gewachsen, fiel ihr auf. Leanna hatte ihren Sohn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und sie bedauerte, dass es jetzt unter diesen Umständen sein musste. Auf der anderen Seite war sie froh, ihn zu sehen. Der Junge hätte jetzt auch mit Jaran unterwegs nach Tobrien sein können, von daher freute sie sich über das Wiedersehen. Vielleicht würden sie nach der Audienz ein paar Worte miteinander wechseln können? Als der Kanzler der Heckenlande sie am Ende aufforderte zu sprechen, trat die Edle von Unkengrund beherzt vor den Herrentisch, verneigt sich und nannte ihren Namen, bevor sie ansetzte, ihrem harten Blick durch Worte Ausdruck zu verleihen. "Euer Hochgeborener Herr Kanzler, was für ein Diener der Ordnung wäre ich, hätte ich diese Vergehen nicht zur Anzeige gebracht? Ich tat meine Pflicht, euch vorab zu informieren und ebenso dieselbe, euch beide Männer gesundet nach Bredenhag zurück zu bringen! Ihr wisst, dass mein Haus Bredenhag treu ergeben und den Heckenreitern verbunden ist. So will ich also bei meiner eigenen Anschuldigung dem Herrn Kendrick gegenüber bleiben, denn das gräfliche Recht wurde durch Gier mit Füßen getreten und Blut zu Unrecht vergossen. Was sind Gesetze, wenn man sich über sie so einfach hinwegsetzt? Was Autorität, wenn sie belacht wird? Von der bodenlosen Respektlosigkeit gegenüber der holden Herrin des Waldes will ich gar nicht erst anfangen zu sprechen. Würde ich das Vergehen des Riunad in der Anderswelt zur Anzeige bringen können, hätte ich wohl auch dies getan." Anschließend neigte die Ritterin erneut das Haupt vor dem Kanzler. Sie hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Nein, nicht ganz. Etwas gab es noch, doch wollte sie erst abwarten, wie Turon Taladan entschied.


Die Anklage

Keuchend erreichte Luan den Eingang zur Neuen Halle. Er erkannte die Gardisten, die dort Wache hielten. Einen von ihnen, den jungen Finnach, hatte er jüngst wegen leichter Erfrierungen behandelt, nachdem dieser nach einem zünftigen Besäufnis den Weg zur Burg nicht mehr fand und sich entschieden hatte, seinen Rausch in einer Dorfgasse auszuschlafen. Der Heiler lächelte. Sie kamen gern zu ihm. Er konnte schweigen. So hatte er auch zu Zeiten Jast Irian Crumolds immer wieder jenen Obdach geboten, die unter der Herrschaft des Tyrannen um Leib und Leben fürchten mussten. Alles, was ihn, was sie alle damals vor den Schergen des Grafen geschützt hatte, war der Name seines Hauses - ausgerechnet...
Mit einem kurzen Nicken passierte Luan ui Riordan die beiden Gardisten und betrat die Halle, in der soeben die letzten Worte der Neuankömmlinge verklungen waren. Kurz war es still, doch dann erhoben sich zahlreiche Stimmen. Manche der Anwesenden empörten sich laut, während andere tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Geschickt bahnte sich der schlaksige Mann mit dem roten Lockenkopf einen Weg durch die Menge. Als er beinahe bei Jaldrick von Eulenbroich angelangt war, fiel sein Blick auf einen Mann, der von der anderen Seite der Halle auf den Jungen zusteuerte. Aufgrund seiner kräftigen Statur hatte er damit deutlich mehr Schwierigkeiten als Luan. Doch der grimmige Blick des Hünen schien wett zu machen, was ihm an Geschick mangelte. Und so kam es, dass die beiden Männer etwa zeitgleich bei der kleinen Gruppe ankamen, die sich vor Turon Taladan versammelt hatte.

Als sich der Hüne, ein Ritter in Diensten der Gräfin - trug er doch ihren Wappenrock - endlich den Weg zu dem schlaksigen Jungen gebahnt hatte, schlang er die mächtigen Arme um ihn. Eine Geste, die der Knappe steif ertrug. Mächtige Pranken packten kurze Zeit später seine Schultern "Alles in Ordnung?" fragte er, was Jaldrick mit einem betrübten Nicken beantwortete. Woraufhin der Ritter ihm das Haar zerzauste. "Was nimmt sich dieser Riunad heraus, ist er von Sinnen? Das kostet ihn den Kopf. So etwas muss mit aller Härte bestraft werden. Nur gut, dass ihr durchgekommen seid und von seiner schändlichen Tat berichten konntet."
Der Junge schien noch mehr in sich zu sinken "Du hättest Aenwin nicht beistehen können, deine Selbstvorwürfe sind unbegründet. Sei unbesorgt, der Kanzler weiß das sehr wohl und er wird dich einem anderen Schwertvater an die Seite stellen", versuchte ihn der große Mann wieder aufzumuntern. Wieder fasste er ihn bei den Schultern: "Komm, mach dir keine Sorgen. Hole dir mal was Anständiges zu essen". Als der Junge ging, fiel der Blick des Hünen auf den Heiler: "Luan!" begrüßte er ihn wenig formell und immer noch aufgebracht. "Hast du gehört, was die beiden erlebt haben?" "Ich fürchte, nein", erwiderte der Angesprochene mit einem bedauernden Schulterzucken. "Ich bin den Reitern gefolgt, so schnell ich konnte. Doch es ist unverkennbar schlechte Kunde, die der Junge zu uns bringt." Luan wandte sich von seinem Freund ab, um einen Blick auf die Ritterin zu erhaschen, die soeben das Wort ergriffen hatte. "Lass uns später reden", raunte er Arnwulf zu und blickte dann erwartungsvoll zur Herrentafel. Auch der Blick eines anderen wandte sich dem Kanzler zu. Ein alter Ritter in den Sechzigern, nicht übermäßig groß. Er lächelte wie immer ein wenig schief, vielleicht täuschte das aber auch, denn er schien aufrichtig empört. "Unerhört, das!", murmelte er leise und mit deutlichem nordmärkischen Dialekt. Der schwarze Schröter auf goldenem Grund wies ihn als Gernot von Schrötertrutz, Regierender Ritter von Hundsacker, aus. Er war ein Gefolgsmann der Baronin von Gemharsbusch und eher zufällig in Bredenhag.

Schatten lagen auf dem zerfurchten Gesicht des Kanzlers Turon Taladan. An seiner Seite war Firlynn von Heckendorn, die Muhme des Toten erblasst und hatte sich setzen müssen. Das Oberhaupt der Taladan hingegen wandte entschlossen seinen bernsteinfarbenen Blick von Leanna Vialigh ab und ließ ihn kurz durch die Neue Halle schweifen.

Ein in warme Felle gehüllter Mann mit kantigem, wettergegerbten Gesichtszügen hatte sich bisher im Hintergrund gehalten. Galwyn ui Gorthun hatte den langen Weg von der Nostrischen Grenze auf sich genommen um die Hilfe des Lehnsvogts der Heckenlande einzufordern, denn Firuns grimmige Pranken hatten zu arg am Dach der Gorthunshalle gerüttelt. Er war gekommen, um an das Gesetz des tüchtigen Grafen Aelgar zu erinnern, welches es den Bredenhager Herren seit mindestens sechs Dutzend Götterläufen zur Pflicht machte, die Ahnen Gorthuns, welche im Bockshager Norden über die Grenzen wachten, zu unterstützen. Aber nun hatten sich die Ereignisse überstürzt. Den Ausführungen der Heckenreiter und der Reaktion Turons hatte er mit großem Interesse gelauscht.
Den Beschuldigten Kendrick ui Riunad kannte er sehr gut, das war ein Bruder seiner jungen Herrin Eorwen, die nun von Tsa gesegnet auf dem herrschaftlichen Gut in Bockshag hockte und darum bangte das ihr Gatte Praiowyn unversehrt heimkehren würde.
Aber auch den zu Boron gegangenen Herrn Aenwin hatte Galwyn kennengelernt. Damals auf jener Bogenturney, als Aenwin es frech gewagt hatte, sich an Kendricks Gattin heranzumachen. Ein verzogener junger Kerl, der glaubte sich alles herausnehmen zu können. Das hatte mächtig Ärger gegeben damals. Kein Wunder, dass bei dem erneuten Aufeinandertreffen der beiden nun Blut geflossen war. Wahrscheinlich hatte es Aenwin auch darauf angelegt. Galwyn schnaubte in sich hinein. Verbotene Holzfällerei? Wenn das mal kein abgekartetes Spiel war. Die Heckendorn steckten doch so tief im Hintern der Löwin, dass mit gerechten Verhandlungen nicht zu rechnen war.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und verfolgte das Geschehen aufmerksam weiter. Der Kanzler würde zahlen, ganz so wie es das Gesetz erforderte. Und dann würde er mit Neuigkeiten nach Bockshag heimkehren, über die es sorgfältig zu reden galt.

Turon Taladan erhob sich schließlich und erstickte damit die aufgekommene Unruhe. Obwohl bereits im Greisenalter, zeigte er sich noch immer ungebeugt: "Euch, Wohlgeboren Vialigh, gebührt Dank für Euer rasches und umsichtiges Handeln...", Turon nickte der Edlen von Unkengrund wohlwollend zu. Dann richtete er den Blick auf die beiden Überlebenden der Vorkommnisse im Gräflichen Bannwald. Sein Blick ließ den Knappen innehalten, der sich von seinem Vater gelöst und bereits einige Schritt getan hatte: "… und Euch Jaldrick von Eulenbroich und Euch Jorm Dunkelholz für Eure treuen Dienste. Ihr werdet mir gleich nach der Audienz genauer von den Vorkommnissen berichten."
Kurz sammelte sich der alte Mann und erhob dann seine Stimme, dass sie klar durch die Neue Halle drang: "Das Gräfliche Gericht wird am ersten Praiostag im Mond des Listigen über diese Angelegenheit richten. Als Stellvertreter der Gräfin von Bredenhag klage ich den Beschuldigten, Kendrick aus dem Haus Riunad, an, gegen Gräfliches Recht verstoßen, den Jagdmeister der Gräfin erschlagen und sich Mord und Totschlag an Heckenreitern schuldig gemacht zu haben. Bis zum Gerichtstag, aber so rasch als möglich ist dem Beschuldigten, Kendrick ui Riunad, Kunde über meine Klage zu bringen: Er hat sich rechtzeitig vor dem Gräflichen Gericht einzufinden und soll Gelegenheit haben, die schweren Anschuldigungen zu rechtfertigen. Andernfalls wird das Gericht noch am gleichen Tag Recht über ihn sprechen!"
Dann wandte sich der alte Wegbegleiter der Gräfin mit unbewegtem Mienenspiel an den ebenfalls in der Menge befindliche Recken der Heide: "Arudan von Eulenbroich, Ihr werdet als Bote nicht nur die Klageschrift übergeben, sondern den Beschuldigten rechtzeitig vor das Gräfliche Gericht bringen."
Der angesprochene Ritter neigte den Kopf und verkündete mit ruhiger Stimme: "Er wird die Klage rechtzeitig erhalten und ich werde tun, was in meiner Macht steht, ihn an besagtem Tag dem Gericht vorzuführen." Die Worte waren mit Bedacht gesprochen. Keine Regung war den graugrünen Augen anzumerken und auch seine Züge blieben gelassen, doch innerlich brodelte es in dem Junker. Kendrick die Nachricht zukommen zu lassen war eins, doch die Einsicht Unrechtes getan zu haben, hatte ihm schon Aenwin nicht nahebringen können und der hatte ihn im Wald gestellt und nicht in einer gut befestigten Burg. Es blieb also abzuwarten, ob er ihm folgen würde.
Turon nickte dem Eulenbroich steif zu: "Findet Euch spätestens am Vortag, dem zweiten Praioslauf im Phex wieder hier auf der Burg ein. Dann soll die Rittertafel über die Vorkommnisse beraten und dem Gräflichen Gericht beiwohnen".


Ein hitziger Disput

Schon noch während er den Worten des Knappen und des Heckenreiters gelauscht hatte, war Bardred ui Baran rot angelaufen und Schweiß auf seine Stirn getreten. Er war erregt, ob dieser dreisten Lügen. Noch wütender machte ihn, dass niemand hier auch nur im geringsten an den Worten der beiden Heckenreiter zweifelte. 'Kaum lungern sie den Stepahan vor den Füßen herum, sind sie ihnen gefällig bis in die Treulosigkeit. Treue! Pah! Was wissen diese Arschkriecher von Treue. Wegen ihrer Prinzipienlosigkeit lasse ich nicht noch einmal Gemhar bluten. Mein Acker wird nicht schon wieder saufen!'
Mit einem wütenden Schnauben bahnte sich Bardred ui Baran seinen Weg in Richtung des Herrentischs. "Eure Exzellenz, Ritter Bardred ui Baran. Ich erbitte das Wort, um für meinen Herrn, den zu Unrecht beschuldigten, Kendrick ui Riunad, Vogt von Gemhar, Edler von Feenruh und Ritter Albernias zu sprechen."
Cuil Riordan horchte auf. So klar wie sich die Sachlage zunächst dargestellt hatte, schien es wohl doch nicht zu sein. Gespannt wartete er, dass der Kanzler dem Ritter das Wort erteilte. Er selbst würde sich gewiss nicht zu einem vorschnellen Urteil hinreißen lassen. Jedenfalls nicht, ehe er nicht beide Seiten gehört hatte.
Der Kanzler der Heckenlande wandte sich wieder nach vorne, dem stattlichen Recken vor dem Herrentisch zu: "Ob Unrecht oder nicht, wird das Gräfliche Gericht erweisen. Sprecht, Wohlgeboren! Ihr habt das Wort!", antwortete Turon schneidend.
Bardred ui Baran bewahrte eine ruhige Miene, doch war sein Kopf weiterhin vor Erregung rot gefärbt. Er verneigte sich kurz in Richtung des Kanzlers, holte Luft und dann erfüllte ein tiefer Tonfall die Halle mit laut vernehmlichen Worten.
"Nach den schrecklichen Ereignissen an den Ufern des Gemhar rief mich mein Herr zu sich und gab mir diese gewichtige Aufgabe, um für Recht und Gerechtigkeit hier vor seiner Exzellenz dem Kanzler der Heckenlande und dem versammelten Adel zu sprechen. Für den Frieden des Bredenhag! Daher bin ich hier, um für meinen Herren Kendrick ui Riunad Klage zu erheben. Klage gegen Aenwin von Heckendorn und seine Mordbuben!" Bardred drehte sich dabei in Richtung des Heckenreiters und des Jaldrick von Eulenbroich und deutete auf diese.
"Mein Herr, Vogt Kendrick ui Riunad wurde das Opfer eines Angriffs durch den Hohen Herren von Heckendorn, Boron sei seiner Seele gnädig. Wie wir alle auch dem Munde seines Knappen Jaldrick von Eulenbroich eben vernahmen, war er mit gezogenem Schwert auf meinen Herren und seine Mannen los gegangen. Doch warum dieser feige Mordanschlag, der den Zwölfen sei Dank misslungen ist? Lästerliche Lust! Der Hohe Herr von Heckendorn stellte dem Weib meines Herrn, Ceriana aus dem Hause Cirdain nach. Ist dies doch seit dem letzten Bogenturnier, hier vor diesen Hallen, bekannt. So sah er an den Ufern des Gemhar die Möglichkeit gekommen, fadenscheinige Gründe um Holz, Farindel und Recht heranziehend, seinen Konkurrenten zu erschlagen. Und mit ihm alle Zeugen dieser Tat."
Mit dem Ende seiner Worte wandte Bardred sich wieder dem Kanzler zu und verneigte sich huldvoll. 'So und jetzt schauen wir mal, wie das Väterchen das Recht zu Gunsten seiner Speichellecker beugt!', dachte er sich zornerfüllt.

Tangred Diistra musste lächeln. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass sich so eine freundliche Regung auf seinem Antlitz zeigte. 'Eine mutige Rede', dachte er. 'Mal schauen wie der alte Turon darauf reagiert'.
"Interessant, dass der Ritter mit keinem Wort den Waldfrevel erwähnt", flüsterte der Vogt von Moradhur mehr zu sich selbst, doch seine Begleiterin Aeriana Thaliaham nickte zustimmend, sodass Tangred seine Worte noch erweiterte. "Denn das wird es sein was Burunian am meisten interessieren wird, sollte er in sein Lehen kommen. Mir scheint, wir sind nicht umsonst durch das winterliche Wetter gereist." Der alte Firungeweihte dachte hingegen seit den Berichten aus Gemhar darüber nach, ob die von ihm erlebte und geschilderte Vision hiermit etwas zu tun hatte.

'Fadenscheinige Gründe?' dachte Leanna Vialigh und glaubte, nicht richtig zu hören. Wie konnte dieser, vor Verlogenheit strotzendem Mistkerl, einfach so die Wahrheit verdrehen? Er versuchte doch nur mit diesen niederträchtigen Anmerkungen vom eigentlichen Thema, den Freveleien seines Herrn, abzulenken - das hatte die Herrin von Unkengrund gleich erkannt.
"Ihr gebt also zu, dass euer Herr verbotene Bäume gefällt hat und dass er das gräfliche Recht, und auch das uralte des Waldes!, mit Füßen getreten hat?", kam es hart und fast schon wie ein Richtspruch aus dem Mund der Tommeldommer Ritterin. Sie wollte ursprünglich 'mit seinen stinkenden Füßen' sagen, aber wüstes Beschimpfen fand Leanna vor dieser Anhörung unangebracht. Stattdessen warf sie ihren Mantel über die Schultern zurück und stellte sich zwischen den aufgebrachten Nachbarn und die Heckenreiter. In den Gesichtern ihrer beiden Begleiter erhöhte sich die Aufmerksamkeit.

"Die Frage bleibt doch ohnehin, weshalb sich der Riuand bei diesem unwirtlichen Wetter im Wald herumgetrieben haben soll, wenn er nicht tatsächlich gegen gräfliches Recht verstoßen hat. Diese Anschuldigungen gegen den toten Heckendorn sind doch hanebüchen. Selbst wenn er noch andere Gründe hatte, sein Schwert etwas rascher zu ziehen als vielleicht nötig, lag doch das Vergehen auf Seiten des Riunad und es war sogar die Pflicht der Heckenreiter es zu ahnden", kommentierte Ceolwen das Gehörte leise und kopfschüttelnd, aber an niemand Bestimmtes gewandt.

"Mordbube? Das darf ja wohl nicht wahr sein!" donnerte eine Stimme aus der hinteren Reihe und ein über zwei Schritt großer, muskelbepackter Berg von einem Mann bahnte sich sichtlich erbost und mit hochrotem Kopf, ziemlich rücksichtslos den Weg durch die Wartenden. "Welch dreiste, haltlose Lügen wagt ihr über meinen Sohn zu verbreiten!" Arnwulf von Eulenbroich, Dienstritter am Gräflichen Hof schien nicht gewillt die Anschuldigungen gegenüber Jaldrick von Eulenbroich auf sich beruhen zu lassen "Ich werde Euch lehren Eure verleumderische Zunge zukünftig im Zaum zu halten".

Bardred ui Baran nahm sichtlich angespannt und mit der eigenen Beherrschung ringend die ersten Reaktionen wahr. Wie zu erwarten, dachte er sich, ist die Meinung klar gegen seinen Herrn. Ohne einen blassen Schimmer von Gemhar und dem Wald zu haben, meinen sie sich das Recht herauszunehmen Recht zu haben und zu sprechen. Ich bin gespannt, was der gräfl..., weiter kam der Klammvogt nicht in seinem Gedankengang, als er das laute Gebrüll des Eulenbroichs vernahm. Er blickte ungerührt zum heran brausenden Ritter und dann wieder zum Lehnsvogt der Heckenlande.

Die dunklen Augen von Herr Aldrik ui Skardh, dem letzten auf Burg Bredenhag weilenden Schwert von Gräfin Maelwyn, ruhten gerade noch auf dem von Gram gepeinigten Gesicht der Muhme seiner Hohen Frau Imelda von Bienenhain - Firlynn von Heckendorn, als Herr Arnwulf wutentbrannt nach vorne stürmte. Es war genau dieser Herzschlag, dieser Augenblick der Unaufmerksamkeit für den sich anbahnenden Tumult in der Neuen Halle, welcher es Herr Aldrick verwehrte, den Ritter noch rechtzeitig zu erreichen.

"Haltet den Frieden in dieser Halle...", donnerte Turon, doch weiter kam er nicht, denn schon packte Arnwulfs Pranken den Klammvogt am Wams und zogen ihn bis auf wenige Finger an sein Gesicht heran "Nehmt sofort zurück was ihr über meinen Jungen behauptet habt!"
Wobei der Schwung des Eulenbroichs noch einen Schritt weiter trug. "Das Mordgesinde ist ja wohl auf der anderen Seite der Gemharschlucht zu suchen. Wie Tiere habt ihr sie gejagt. Nur der Unfähigkeit Ihrer Häscher ist es zu verdanken, dass die Kunde von Frevel und Mord uns überhaupt erreichte." Arnwulf zerrte und schüttelte den Mann: "Gebt Eure Lügen endlich zu!", schrie der Dienstritter.

Bardred ui Baran nahm die Konfrontation hin. Sein Gesicht verzog sich nur ganz kurz zu einem grimmigen Ausdruck. Doch seine Stimme grollte laut und tief. "Mann, beherrscht Euch. Wahrt den Frieden in dieser Halle! Und hört das nächste Mal besser zu, bevor Ihr die Beherrschung verliert!" Dann blickte er den Ritter herausfordernd an.

In diesem Moment drückte sich Herr Aldrick endlich zwischen die beiden Ritter, die ihn mit wenigen Fingern sogar noch überragten. Gemeinsam mit zwei der Wachen drängte er Arnwulf von dem Mann aus Gemhar ab, wobei dieser versuchte den Baran noch zerrend mit sich zu ziehen, ehe Aldrick mit großer Kraft den eisernen Griff endlich zu lösen verstand.
"Haltet ein, haltet endlich ein!", presste er angestrengt zwischen den Zähnen hervor und schob seinen Waffengefährten dabei um einige Schritte zurück. Währenddessen hatten die beiden Torwachen neben dem Boten aus Gemhar Aufstellung bezogen, um auf Befehl von Herrn Aldrick derlei Treiben durch die Anwesenheit der Burgwache zu vereiteln.

Derweil hielt die Ritterin von Unkengrund den Beschuldigten Knappen Jaldrick von Eulenbroich hinter sich, um zu verhindern, dass sich der Tor in die Auseinandersetzung seines Vaters einmischte. Sie schätzte Loyalität innerhalb der Familie, aber im Moment war es besser, wenn sich der Junge da raus hielt. Ihr eigener Zögling, ein fünfzehnjähriger mit rotem Haar, beäugte aus dem Hintergrund das Geschehen und schielte immer wieder aufmerksam nach allen Seiten, vor allem aber zu seiner Schwertmutter. Auf einen einzigen Wink hin von ihr würde er sein Knappenschwert ziehen, da konnte sie sich sicher sein. Unter dem Mantel lag seine Hand schon auf dem Knauf.

Im nächsten Augenblick ertönte eine hohe von Zorn getragene Frauenstimme vom Herrentisch: "Ihr wagt es mir unter die Augen zu treten und besitzt nicht einmal so viel Anstand und Ehre den Leichnam meines Neffen mit Euch zu führen, damit seine Familie ihn angemessen betrauert?" Ihre Worte waren so schneidend wie ein Dolch. Die Meisterin der Münze hatte sich aus ihrem Stuhl an der Seite des Kanzlers erhoben und deutete anklagend auf den unverfrorenen Boten von Vogt Kendrick.
"Euer Herr ist ein hundsgemeiner Schuft und Mörder! Er hat das Richtschwert verdient und ein jeder, der für Ihn Partei ergreift, soll ebenso zu Grunde gehen."
Ihre hasserfüllten Augen suchten schon nach dem Tintenfässchen vor sich auf dem Tische, um es gemeinsam mit ihrem Zorn auf den Baran zu schleudern, doch Herr Lidhwaen legte ihr im letzten Moment beschwichtigend die Hand auf die Finger.

Während der schrille Redeschwall der Firlynn von Heckendorn noch anhielt, hatte sich Galwyn ui Gorthun durch die Menge der Umstehenden geschoben, um schließlich neben dem Baran stehen zu bleiben. Er klopfte dem Gemharer Ritter sachte auf die Schulter und raunte: "Wenn nur alle hier so ruhig und gelassen wären wie ihr. Ich bleibe ab jetzt besser an eurer Seite."
Er kannte Bardred gut, da dieser über viele Jahre Baronin Efferlil ni Bennain von Bockshag als Ritter diente. Zudem konnte Galwyn es auf keinen Fall zulassen, dass man dem Gatten seiner Base Gilia, der hier schließlich nur Bote seines Herrn war, weiter zu Leibe rückte.
Der Ritter aus Gemhar nickte dem Ritter aus Bockshag zu und dieser meinte eine gewisse Erleichterung zu sehen. Doch dann wandte sich der so viel Bescholtene mit direktem Blick an den Kanzler. "Exzellenz, dies sind eure Hallen und ich habe mein Anliegen vorgetragen. Doch wurde ich in den letzten Augenblicken mit Vorwürfen, Anschuldigungen, Beleidigungen, Beschimpfungen und Angriffen...", dabei blickte er kurz zu Arnwulf von Eulenbroich, "...geradezu überschüttet. "Mein Ansinnen, heute und hier vor Euch zu treten, war den Frieden im Bredenhag zu bewahren und der Wahrheit zum Recht zu verhelfen. Daher bitte ich um des Friedens willen, erneut um das Wort, um den zahlreichen Anschuldigungen entgegenzutreten." Bardred neigte kurz das Haupt.

Was spielte dieser Baran nur für ein Spiel? Konnte der Edle von Feenruh wirklich ausgerechnet diesen Mann ausgesandt haben, um für ihn zu sprechen? Wenn dem so war, dann doch wohl nur aus einem Grund: um weiter Zwietracht zu sähen. Cuil Riordan betrachtete den Ritter eingehend. Die Baran hatten viele Mitglieder ihres Hauses an den finsteren Aeladan von Gemhar verloren. Ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Baronie, und sicher keins, an das Aldare gern erinnert werden würde. Und dennoch, sie sollte erfahren, was sich hier anbahnte.

Mühsam beherrschte sich Turon angesichts dessen, was ihm hier mit gespaltener Zunge als Streben nach Frieden verkauft wurde. Doch auch das allzu leidenschaftliche, ja kopflose, Verhalten seiner engen Vasallen und Dienstritter ließ ihn zusammen mit der Prophezeiung des Firungeweihten nun Düsteres für die kommenden Monde befürchten.
"Ihr, Wohlgeboren, werdet Euch für einen kurzen Moment gedulden!" Dann wandte sich Turon an das ihm verbliebene Schwert der Gräfin - Aldrik ui Skardh. "Hoher Herr! Räumt mit den Gardisten den Platz vor dem Herrentisch. Auf das wieder Friede in dieser Halle einkehrt und so der Bote des so mutigen Vogts Luft zum Atmen und Sprechen hat!"

Die vier Unkengrunder Streiter wichen daraufhin von selbst beiseite und machten vor dem Herrentisch Platz. Als Leanna bemerkte, wo die Hand ihres Knappen bereits saß, zischte sie ihm ein strenges "Halt dich zurück, Gael!" zu, dachte sich aber selbst: Aufmerksam bleiben ist nicht verkehrt.

Turon wartete bis der Ritter und die Heckenrosen nach vorne schritten und bedachte dann auch Firlynn mit einem kurzen Seitenblick.
"Bevor Ihr jedoch für den Frieden weitersprecht, Euer Wohlgeboren," erhob nun der Kanzler wieder seine Stimme: "Eure Gegenklage für den Vogt von Gemhar ist gehört und wird vom Gräflichen Gericht am dritten Tag des Phex verhandelt. Ich muss Euch nicht sagen, dass nur die Anwesenheit des Klägers dem Anliegen besonderes Gewicht verleiht und das Gericht von den redlichen Absichten des beklagten Kendrick ui Riunad überzeugen wird. Dass die Toten - der Gräfliche Jagdmeister Aenwin von Heckendorn und auch Gräfliche Heckenreiter - nicht von Euch übergeben worden sind, wie es die guten Sitten erfordert hätten, macht es erforderlich, dass der Ort auf den sich beide Klagen beziehen, auf das Genaueste untersucht wird. Immerhin soll dort der Vogt von Gemhar mit vielen Holzfällern auf die gräflichen Heckenreiter unter Herrn Aenwin und seinen Knappen Jaldrick von Eulenbroich gestoßen sein,"
Turon wies auf Jorm Dunkelholz und den jungen Eulenbroich. Dann fügte er hinzu: "Wenn Euch, wie ihr sagt, am Frieden liegt, solltet Ihr Eure nächsten Worte mit Bedacht wählen und dafür sorgen, dass die Toten und Vermissten so rasch als möglich übergeben werden!" Dann hieß er Bardred ui Baran mit unwirscher Handbewegung sprechen.

Bardred lächelte den Vogt schief an: "Habt Dank hochwohlgeborener Herr Lehnsvogt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was es bedeutet, wenn das Tuch der Einheit zerrissen wird. Und auch Gemhar weiß, was Uneinigkeit bedeutet, ist das Treiben ohne Namen doch erst neun Götterläufe her. Es bleibt mein Ansinnen, das Recht zu seiner Geltung zu verhelfen und den Frieden im Bredenhag zu waren."
Die Stirn der Edlen von Unkengrund legte sich in Falten bei diesen Worten. Hörte dieser Kerl sich eigentlich gerade selbst beim Sprechen zu? Ansinnen, dem Recht zur Geltung zu verhelfen... Sie musste mit dem Kopf schütteln. Dem Recht würde ihrer Meinung nach zur Geltung verholfen, wenn dieser Baran gleich nach seinem Herrn einen Kopf kürzer gemacht würde. Sie hatte die besorgniserregende Vorahnung, dass man von beiden nicht zum letzten Mal hörte.

Herr Bardred blickte sich um und dann wieder zum Vogt. "Ich gestehe, dass der erste Versuch meinerseits auf wankenden Planken daherkam. Mein oberstes Anliegen hätte es sein sollen, über die tragischen Verluste am Gemhar zu berichten, doch haben mich die Worte des Jaldrick von Eulenbroich dazu verleitet, sogleich die Klage meines Herrn in die Runde zu bringen. Mich trieb die Sorge, dass sonst alles zu spät und vergebens sei." Er atmete schwer ein und aus. "Nachdem nun dem Herren Praios genüge getan wurde, will ich seinen Bruder Boron nicht länger erzürnen."
Er blickte zur Meisterin der Münze. "Es war niemals das Ansinnen meines Herren borongefällige Sitten zu verletzten. Euer Anverwandter ist in den Händen der Boronkirche, so wie es sich geziemt. Als ich nach Burg Nyallin gerufen wurde, war bereits ein Bote auf dem Weg zu Marbora vom Nebelsee in Bockshag, um sie um ihre borongefälligen Dienste zu bitten. Mein Herr wird ihrer Gnaden seinen Wunsch unterbreiten, Herr Aenwin von Heckendorn auf seine heimatliche Scholle, nach Heckenwacht zu bringen. Soll er doch dort ruhen, wo seine Heimat ist und nicht wo er seinen Dienst tat. Mehr ist mir nicht bekannt, da ich dann bald gen hier aufbrach." Er nickte ihr kurz zu.
Dann blickte er zum gräflichen Kanzler. "Die Leiche des Herrn Ritter hätte ich nicht gewagt, ohne Segen des Herren Boron im Winter durch den andersweltlichen Wald zu führen. Ich habe zu viel erlebt, um so eine Gefahr einzugehen. Nein, bei Boron, niemals hätte ich dies gewagt, auch auf die Gefahr hin, gegen gute Sitten zu verstoßen." Es war ein leichtes Zittern in der Stimme des Klammvogts zu vernehmen.
War dies wirklich die Andeutung eines unterdrückten Lachens? Turon sah den Klammvogt mit starrer Miene an - der Mann war verschlagen, trug nun Ausflüchte vor und verhöhnte den Toten wie auch seine Familie. Und auch ihn selbst! Die Wut über dieses würdelose Schauspiel wurde übermächtig und so auch der Drang es zu beenden. Turon ballte seine Rechte zur Faust, zum eisernen Griff, den er stets in den Dienst der Gräfin gestellt hatte: Nein, er würde widerstehen! Selbstbeherrscht nickte er dem Mann aus Gemhar zu.
Dann blickte Bardred zu den Eulenbroich. "Wie kommt ihr darauf, dass ich euren Sohn als Mordbuben bezeichne. Erwartet ihr etwa, dass ich dem verstorbenen Ritter übel Nachrede und Euren Sohn als Teil seiner Machenschaften ansehe? Er war sein Zögling und Schützling, da wird ein Ritter doch nicht seine Pläne mit seinem Knappen teilen. Mordbuben bezog sich einzig und allein auf seine Heckenreiter."
Abschließend blickte er zur Tommeldommer Ritterin. "Hohe Dame, ich kann nichts zugeben, dafür hätte ich Zeuge des Vorfalls sein müssen."

Eines musste Leanna dem Gemharer lassen: schönreden konnte er. Als er die Heckenreiter, zu denen ja auch Aenwin zählte, den Ruf von Mördern gab und sich dann auch noch anderweitig aus der Affäre ziehen wollte, reichte es der Edlen. Nein, sie würde dieser Laffe nicht mit hineinziehen in sein perfides Spiel. Entschlossen trat sie daraufhin zwei Schritte aus der kleinen Gruppe aus Unkengrund heraus und sah den Baran mit unbewegter Miene an.
"Aber ihr sprecht trotzdem von Mord, wenn ein Heckenreiter in Ausübung seiner Pflichten die Waffe zieht? Wo ihr doch gar nicht anwesend wart, um die genauen Umstände beurteilen zu können, die dazu führten, dass euer Herr und der Herr Aenwin die Klingen kreuzten!" gab sie ihm und den Anwesenden zu bedenken, blickte aber anschließend zum Herrentisch: "Verzeiht." und zog sich entschuldigend auf ihren Platz zurück, da sie ohne Aufforderung gesprochen hatte. Zumindest nicht ohne Aufforderung durch den Hausherrn.

Der Lehnsvogt stellte eisig fest: "Eure Worte wirken tatsächlich versöhnlich und so anders als die Ersten, die Ihr anklagend spracht, Euer Wohlgeboren." Dann fuhr der Kanzler Bredenhags laut und schneidend fort: "Wir nehmen also zur Kenntnis, dass der Hofgeweihte von Nyallin nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen und das die sterblichen Überreste des Gräflichen Jagdmeisters wohl mehr als 10 Praiosläufe im Wald lagen, bis aus dem weit entfernten Bockshag Ihre Gnaden eintraf?"
"Das Ansinnen von Eurem Herren, so Eure eigenen Worte, wird also in Zukunft daran gemessen werden können - und alle Anwesenden seien meine Zeugen! - in welchem Zustand der Leichnam des Jagdmeisters übergeben wird. Ich bestimme hiermit Kraft meines Amtes als Kanzler der Bredenhager Lande, dass die sterblichen Überreste des Aenwin von Heckendorn hierher nach Bredenhag gebracht und auch hier seiner Familie überantwortet werden. Falls aber sein Leib durch die Tiere des Waldes geschändet wurde, soll das Wort, die Gesinnung und die Ehre Eures Herrn in den Bredenhager Landen nichts mehr gelten. Was Euch selbst betrifft: da ihr dem Frieden in Gemhar und auch Bredenhag so aufopferungsvoll verpflichtet seid, werdet Ihr heute an der Seite des Schwerts der Gräfin, Aldrik ui Skardh...", Turon wies auf den Ritter bevor er sogleich fortfuhr: "...und dem Firungeweihten Arbaron Grimmfold die Walstatt aufsuchen, um für das Gräfliche Gericht, die Kläger und auch Euren Herrn Zeugnis abzulegen. Seine Gnaden können Euch auch Mut zusprechen, während Ihr den Farindel durchquert. Und falls Hochgeboren Kendrick, Euch umgehend zu sich befohlen haben sollte - schreibt einen Brief und übergebt ihn versiegelt zu treuen Händen, dem Recken der Heide, Arudan von Eulenbroich. Dieser wird, wie Ihr gehört habt, ebenso den Weg nach Niallyn einschlagen, die Klage überbringen und ebenfalls noch heute aufbrechen!"

Bardred meinte nicht recht zu hören. Von Turon Taladan würde er hier und heute keine Gerechtigkeit erfahren. Der Kanzler wollte wohl Rache für etwas was sich nach dem Kenntnisstand von Bardred so nicht zugetragen hatte. Seine Ohren rauschten und er wurde wieder rot im Gesicht, doch noch behielt er die Fassung. "Euer Hochwohlgebohren verdrehen mir meine Worte erneut im Munde. Ich kann und werde Euch nicht zustimmen. Glaubt ihr ernsthaft Herr Kendrick hätte die Leichen nicht geborgen? Mein Herr achtet die Gebote Borons. Wollt ihr ihm hier auch noch einen Frevel andichten? Die Leichen sind seit Tagen in der Gruft unterhalb der Burgkapelle göttergefällig aufgebahrt. Seine Gnaden Rodewin ui Connaigh ein Diener der Herrin Peraine hat die Anwesenheit Ihrer Hochwürden Marbora erbeten. Ich ersuche Euch daher eindringlich nicht weiter das Gerücht in die Welt zu tragen, dass mein Herr Kendrick sich nicht der Toten in den Gemharauen erinnert. Desweiteren bitte Ich euch ebenso nicht ein Urteil ohne Verhandlung zu führen, da Ihr in dem Rufe steht die Gebote des Herrn Praios zu ehren, werdet Ihr diese Bitte sicherlich beherzigen." Bardred war so erbost, dass er nicht umhin kam einen zornigen Blick zum Kanzler zu werfen. er wusste jetzt zumindest was der Kanzler im Schilde führte. Turon wollte verhindern, dass er seinem Herrn auf Burg Nyallin berichtete wie es hier am Hofe um dessen Sache stand.

"Genug!", sagte Turon Taladan so eisig wie der Winter und hob Einhalt gebietend die Hand. Musternd schätze er ein letztes Mal sein Gegenüber ab. Dann sah der Kanzler zum gräflichen Siegelmeister, der die Feder rasch aus dem Tintenfässchen zog. Dieser nickte schließlich und Turon Taladan richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Klammvogt des Junkertums Trollklamm zu: "Herr Bardred, noch vor wenigen Jahren standen wir gemeinsam auf der gleichen Seite. Um Euretwillen habe ich das bei Euren letzten Worten nicht vergessen", bekräftigte Turon mit geschürzten Lippen.

"Wir werden uns an Eure Worte und Mahnungen erinnern! Das Haus Stepahan vergisst nicht. Ich denke, Ihr wisst das wohl!", meldete sich überraschend der Vogt von Gräflich Bredenhag zu Wort. Lidhwaen Crumold war ein bereits ergrauter Ritter der wachsam dem Hader gefolgt war. "Ihr habt großen Mut bewiesen Herr Bardred, Euch unter diesen dunklen Vorzeichen auf Befehl Eures Herren in die Höhle des Löwen zu wagen. Hier, wo nur Herr Galwyn bisher offen für Eure Sache Partei ergriffen hat. Herr Turon und ich wissen das wohl. Doch lasst Euch von zwei altgedienten Recken versichern, dass Tapferkeit und Torheit oftmals zwei Seiten der gleichen Münze sind. Daher rate ich Euch - mäßigt Eure kühne Zunge und bemüht stattdessen vor allem in den kommenden Tagen umso mehr Ohren, Augen und Verstand!" Lidhwaen Crumold atmete schwer aus, schloss den vor sich ausgebreiteten Folianten und nickte seinerseits dem Kanzler zu.

"Ihr habt euren Herrn Kendrick so gut vertreten und verteidigt wie es Euch möglich war. Ich habe sehr wohl verstanden, dass Ihr selbst keinen Anteil an der Bluttat habt, die hier Eurem Herrn zur Last gelegten wird. Beim Frieden in diesen Landen hoffe ich aber inständig, dass sich Herr Kendrick ui Riunad hier auf Burg Bredenhag für den Tod von Herrn Aenwin von Heckendorn und den gräflichen Heckenreitern verantwortet. Und abschließend möchte ich Euch noch eine letzte Frage mit auf den Weg nach Gemhar geben: Warum hat Herr Kendrick ausgerechnet Euch hierher entsandt und nicht einen Augenzeugen dieser furchtbaren Geschehnisse? Warum nicht einen seiner engen Berater von Burg Nyallin? Warum also ausgerechnet ‘den Blutvogt‘ von Burg Schratenzorn?" Turon sah den Regierenden Ritter unvermittelt an. "Die Order ist erteilt Herr Bardred und die Ehre gebietet sich dieser zu fügen. Rondra mit Euch und die Zwölfe mit uns allen!", betonte Turon Taladan gedankenschwer zum Abschluss. In seiner Stimme schwang Bedauern mit. Dann sah er zum Haushofmeister um den nächsten Bittsteller zu empfangen.

Udhar von Nymphensee, der Haushofmeister räusperte sich und klopfte schließlich mehrmals mit seinem Zeremonienstab auf den mit Binsen bedeckten Steinboden: "Als Nächster hat nun seine Wohlgeboren Cuil Riordan, Regierender Ritter von Reihergras das Wort. Tretet vor Herr Cuil!"


Augen im Verborgenen

Am Ende der wartenden Bittsteller, dicht an der Wand des Saales blickte sich eine junge Frau mit rötlich-blondem Haar, gekleidet in dunkler Reisetracht des gemeinen Volkes, verstohlen nach allen Seiten um. In nichts unterschied sie sich von den Umstehenden. Den Kopf hielt sie gesenkt wie viele andere auch, die sich der Aufgabe gegenüber sahen vor die Adligen zu treten und ihr Anliegen vorzutragen. Die Schultern hielt sie gebeugt, doch ein wacher Blick funkelte aus ihren grünen Augen. Aufmerksam hatte sie nicht nur die Vorgänge beobachtet, die sich soeben zugetragen hatten, auch die Emotionen die spürbar in der Luft lagen würde sie ebenso wie jedes Wort getreulich ihrem Herrn zu berichten wissen. Unauffällig trat sie aus der Reihe der Wartenden und verließ mit all den anderen unbeachtet den Saal.


Alte Freunde

Nachdem sich der Marktvogt mit seinen Getreuen zurückgezogen hatte, bahnte sich Luan einen Weg zu Arnwulf von Eulenbroich. "Da hast du deinem Ärger aber gewaltig Luft gemacht", sagte er ruhig und blickte den Hünen nachdenklich an.
Arnwulf war immer noch aufgebracht "Dieser Lumpenhund hat ihn Mordbube genannt. Und will mir dann weismachen, ich hätte nicht richtig zugehört Pah! Dieser Speichellecker will die Weste seines Herren mit der Ehre meines Jungen reinwaschen. Findest du das etwa nicht schändlich?"
"Natürlich ist das schändlich", Luan nickte und fuhr fort ohne dabei die Stimme zu erheben. "Aber wenn du dich hinreißen lässt, ihm ein Leid anzutun, spielst du ihm nur in die Hände." Ein schiefes Grinsen schlich sich auf das Gesicht des Bredenhager Heilers. "Und nachher werde ich noch derjenige sein, der diesen Lump wieder zusammenflickt. Willst du mir das wirklich antun, alter Freund?"
Der Bredenhager Dienstritter schnaufte verächtlich "Deine Nähte sind zu fein. Dem Kerl dürfte man nur mit groben Stich das Fell zusammennähen wie bei einem alten Kartoffelsack" sagte er mit einem bereits versöhnlicherem Ton. "Die ganze Sache stinkt doch zum Himmel, dafür kriegen sie den Riunad dran. Meinst Du nicht?"
"Sieht ganz so aus", murmelte Luan, während er sich noch einmal ins Gedächtnis rief, was er bisher wusste. "Er hat den gräflichen Jagdmeister und einige Heckenreiter erschlagen, und zwar in Ausübung ihrer Pflichten. Die Anschuldigungen gegen den Herrn von Heckendorn die Gemahlin des Riunad betreffend... da ist gewiss nichts dran. Ich mein, das wäre ja schon ein dreistes Komplott..." Nachdenklich blickte er Arnwulf an. "Sicherlich wollte der Herr Aenwin nur höflich sein. So eine Dame will schließlich wohl unterhalten werden, auch wenn ihr Gemahl sich einmal zu politischen Gesprächen zurückzieht... Oder nich’? Naja, und was macht so ein Trupp Holzfäller denn im Bannwald, wenn nicht... Holz fällen? Ne, wenn du mich fragst, ist die Sachlage klar."


Rang & Namen

Wappen haus stepahan.png Mitglieder des Grafenhofs

Name Position Wissenswertes
Turon Taladan Ritter Wappen haus taladan.png Kanzler der Heckenlande Lehnsvogt von Gräflich Tommeldomm, Mitglied der Bredenhager Rittertafel
Lidhwaen Crumold Ritter Wappen Gaelwic.jpg Lehnsvogt von Gräflich Bredenhag Mitglied der Bredenhager Rittertafel
Udhar von Nymphensee Ritter Wappen haus undefiniert.png Haushofmeister von Burg Bredenhag -
Firlynn von Heckendorn Wappen haus heckendorn.png Meisterin der Münze -
(...) Wappen haus undefiniert.png Siegelmeister -
Aldrik ui Skardh Ritter Wappen haus skardh.png Schwert der Gräfin -
Arnwulf von Eulenbroich Ritter Wappen haus eulenbroich.png Dienender Ritter Vater von Jaldrick von Eulenbroich


Wappen haus heckendorn.png Fürspecher des Hauses Heckendorn

Name Position Wissenswertes
Jaldrick von Eulenbroich Wappen haus eulenbroich.png Knappe des erschlagenen Aenwin von Heckendorn überlebender Augenzeuge des 'Blutigen Schnees'
Jorm Dunkelholz Heckenreiter überlebender Augenzeuge des 'Blutigen Schnees'
Leanna Vialigh Ritter Wappen haus vialigh.png Edle von Edlenherrschaft Unkengrund begleitet von ihrem Knappen Gael ui Flanarag
Arudan von Eulenbroich Ritter Wappen haus eulenbroich.png Junker von Junkertum Eulentreu Mitglied der Bredenhager Rittertafel
Ceolwen Glenngarriff Wappen haus glenngarriff.png Edelmagd Schwester des Junkers von Feenloh


Wappen haus riunad.png Fürspecher des Hauses Riunad

Name Position Wissenswertes
Bardred ui Baran Ritter Wappen haus baran.png Klammvogt des Junkertums Trollklamm Kastellan von Burg Schratenzorn
Galwyn ui Gorthun Ritter Wappen haus gorthun.png Lehnsvogt der Baronie Bockshag -


Weitere Bittsteller und Anwesende

Name Position Wissenswertes
Brannon von Nymphensee Ritter Wappen haus undefiniert.png Junker von Nymphensee -
Tangred Diistra Wappen Diistra.png Vogt der Edlenherrschaft Flüsterwald -
Aeriana Thaliaham Dorfschulzin von Thaliaham -
Firunian Moradhur Firun-Geweihter -
Cuil Riordan Ritter Wappen haus riordan.png Regierender Ritter von Reihergras -
Luan ui Riordan Heiler im Dorf Bredenhag -
Gernot von Schrötertrutz Ritter Wappen haus schroetertrutz.png Regierender Ritter von Hundsacker -


Madaplatz


Begleitartikel in der Havena Fanfare (Ausgabe 43)

Blutiger Zwischenfall am Gemhar

Gemhar, Tsa 1039 - Ein blutiges Ereignis hat die entlegene Waldbaronie Gemhar erschüttert. Das abgelegene Lehen ist, wie wir uns erinnern, vor etwa 10 Jahren von namenlosem Schrecken heimgesucht worden. Doch seit das Land vor etwa fünf Jahren in die Hände des tüchtigen Barons Wulfric ui Riunad gelegt wurde, ist endlich wieder Ruhe am Gemhar eingekehrt.

Jetzt, da der weithin bewunderte Recke Wulfric im Osten weilt, um für Albernia gegenHaffax zu streiten, könnte dieser Frieden jedoch ein jähes Ende finden. In den kalten Tagen des Firun kam es zu einem Zwischenfall, der Folgen nach sich ziehen könnte. Die Nachrichten, die uns aus Bredenhag erreichen, sind spärlich und widersprüchlich. Offenbar ist es so, dass es zu einer Eskalation zwischen dem Vogt Kendrick ui Riunad, welcher die Baronie in Abwesenheit seines Bruders verwaltet und einer Gruppe von Heckenreitern unter der Führung des Ritters Aenwin von Heckendorn kam. Wie uns zugetragen wurde, kam es zum Streit über Holzfällerarbeiten am Rande des Farindel, welche der Vogt befohlen hatte. Nach Meinung der Heckenreiter hatte sich Herr Kendrick damit einer Verletzung des Gräflichen Bannwalds schuldig gemacht. Wie wir hörten, waren sich beide Herren schon vorher bekannt gewesen und auch verhasst. So gab sich ein Wort das andere und schon bald sprachen die Klingen. An einem ehrenhaften Zweikampf unter Rittern mag nun nichts auszusetzen sein, doch führte das Duell der beiden zum Tod des Heckendorn.

Erst viele Tage später erreichten zwei der Heckenreiter aus Herrn Aenwins Trupp erschöpft die Bredenhager Grafenburg. Sie berichteten vom Mord an Aenwin und ihren Gefährten. Der gräfliche Vogt Turon Taladan soll den Ritter Kendrick ui Riunad umgehend nach Bredenhag zitiert haben, um ihn zur Rede zu stellen und Gericht zu halten. Doch nach unserem Kenntnisstand ist jener dem Aufruf bisher noch nicht gefolgt. Vielmehr deutet es sich an, dass die Geschichte der Ereignisse aus Gemharer Lesart ganz anders klingt. Haben vielleicht Herrn Aenwins Heckenreiter in blinder Wut Gemharer Volk überfallen und hat sich Herr Kendrick nur pflichtbewusst vor seine Schutzbefohlenen gestellt? Die Stimmung im Bredenhager Land scheint mittlerweile vergiftet. Noch während Vogt Turon sich darum bemühte, Herrn Kendrick zu einem Verhör auf die Grafenburgzu schaffen, soll die Familie Heckendorn den Riunad die Fehde erklärt haben. Dies dürfte jegliche Hoffnung auf eine friedliche Beilegung der Streitigkeiten zu Nichte machen. Das enge Netz verwandtschaftlicher Beziehungen und Bündnisse sowohl der Heckendorn als auch der Riunad lässt uns mit Sorge gen Bredenhag schauen. Wir werden den geneigten Leser über die weiteren Entwicklungen am Rande des Farindel auf dem Laufenden halten.

Für die Fanfare, Rhonwin ui Kerkil