Gedenktag in Unkengrund (1045) Teil 06: Begrüßung

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Chronik:

2. Ingerimm 1045, zweite Firunsstunde
Versammlung aller Gäste und Unkengrunder auf der Festwiese am Ufer des Gemhar, um Andacht zu halten


Treffen auf der Festwiese zur zweiten Firunsstunde

Zur zweiten Firunsstunde versammelte sich alles, was Rang und, oder auch nur Namen hatte, auf der Festwiese am Gemharsufer. Dort hatte man die Wiesen gemäht, um einen Festplatz zu errichten, der an einer langen Seite vom Flussufer begrenzt und dort mit einer Absperrung aus Seil abgeschlossen wurde. Rote, weiße und blaue Stoffwimpel hingen an dem Seil und flatterten lustig, während nebendran der Gemhar gemächlich dahinzog. Ein silbernes Band, auf dem im Sonnenlicht unzählige kleine Sterne glitzerten.

Männer, Frauen und Kinder kamen zusammen, die edlen Gäste gleichermaßen wie das gemeine Volk. Neben der langen Riege Adliger, die aus vielen Ecken des Fürstentums angereist war, hatte sich nahezu jeder Bewohner Unkengrunds eingefunden, um mit der Herrin diesen wichtigen Tag zu begehen. Jeder wollten die Worte hören, welche die Edle zu diesem Anlass sprechen würde. Denn die Erwartungen waren groß.

Edric Unkengrunder, der Schulze des Dorfes, beispielsweise, strotzte nur so vor Nervosität. Immer wieder wischte er sich mit einem Lappen über die kahle Stirn. Er schien den ganzen Tag über schon in seinem Praiostagsgewand mächtig zu schwitzen, das gute Stück aber nicht gegen etwas leichteres eintauschen zu wollen. Ihn trieb Sorge um, irgendetwas könne schiefgehen, das Bier zu früh aus, oder das Feuer für die Braterei zu heiß, jemand fiele in den Fluss und ertrank oder die Kinder Efferds würden das Fest mit Regen beschenken. Dem treuen Ministerialen war nur allzu deutlich bewusst, dass heute alle Augen der Grafschaft auf Unkengrund lagen. Seine wiederum lagen auf allem und jedem. Und allein das brachte den leicht untersetzten Mann an den Rande des Nervenzusammenbruchs, auch ohne, dass das Wetter etwas dazu tun musste.

Tatsächlich hatte der Götterfürst schon den ganzen Tag über auf Unkengrund herabgelacht. Spötter würden sagen zum Hohn, weil es doch um die Erinnerung an Leid und Tod ging. Die meisten aber freuten sich über das gute Wetter, denn Sonnenschein bedeutete doch am Ende nur, dass alles rechtens war und der Höchste höchstselbst ein Gefallen an diesem Gedenken fand. Auch jetzt am Abend tauchte die Praiosscheibe noch Festwiese und Gemhar in warmes herrschaftliches Licht.

Es wäre womöglich sogar noch heißer gewesen, würde nicht beständig ein sanfter Wind durch die Niederung streichen, welcher nicht nur das Schilf, sondern auch die Wimpel und Fahnen, und nicht zuletzt die Zeltplanen der kleinen Zeltstadt der angereisten Adligen immer wieder verspielt flattern ließ.

Leanna Vialigh, die Gastgeberin, war mit dem Grafen und den beiden Geweihten in dem Halbrund angekommen und trat nun vor die versammelte Menschenmenge aus Gästen und Lehnsleuten. Gekleidet war sie wie eine Ritterin. Ihr Langschwert gegürtet, den blau-weiß längs geteilten, ordentlich glattgestrichenen Wappenrock mit dem Aal-Wappen auf der Brust über einem langen Kettenhemd, dazu hohe, auf Glanz geputzte Reiterstiefel und eine dunkle Hose. Die Glattleder-Armschienen ausgetauscht durch metallenes Rüstzeug, welches mit Plattenkragen und Schulterplatten im Licht der Sonne glänzte. Das dunkle Haar, das an den Schläfen schon merklich graue Schlieren aufwies, wie immer streng nach hinten gebunden. Zusätzlich zum Schwert hing ihr ein feiner Langgürtel mit Ziernieten um die Taille. In selbigen steckte ein Paar schwarzer Wildlederhandschuhe. Ansonsten war sie ohne aufdringlichen Tand gewandet. Bodenständig. Ihre Kleidung sprach für sich. Selbst ihren goldenen Erlen-Anstecker, Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Bredenhager Rittertafel, hatte sie ob der Tatsache, dass sie ihn über dem Herzen wegen des Kragens nicht tragen konnte, eingetauscht gegen ein kleines Gürtelwappen, welches statt ihres Hauswappens nun die kunstvoll gestickte Abbildung eines Erlenzweigs trug.

Ihre Knappin Riondara Iomhar, die der Edlen auf den Fuß folgte, trug ebenfalls einen blau-weiß längs gestreiften Wappenrock über einem leichten braunen Gambeson mit dunkler Hose und halbhohen Stiefeln, ihr Rüstzeug um Kragen und Schultern war aus glänzendem Glattleder, ihre schmalen Taille umspielte ein Gürtel gleicher Machart wie der ihrer Schwertmutter. Den mit drei Fuchsruten in den Farben des Hauses Vialigh bestückten Helm ihrer Schwertmutter führte die 15-jährige stolz vor der Brust mit sich.

Die Reckin des Flusses ließ ihren Blick wohlwollend über die Anwesenden schweifen und fing ihrerseits gespannte Blicke auf. Vielen waren ihrer Einladung gefolgt, waren gekommen, um mit ihr gemeinsam den Toten der Schlacht vor 6 Götterläufen zu gedenken, das freute sie sehr. Leanna war niemand, der in der Öffentlichkeit für ein heiteres Wesen bekannt war. In ihrem Gesicht spiegelten sich stets Ernst und Skepsis. Auch jetzt sah sie nicht etwa grimmig, aber doch recht beherrscht drein, die Freude über den großen Anklang in sich gekonnt verbergend. Selbstsicher wirkte ihre Gestalt, kühl das feine Lächeln, das sie dann doch aufsetzte, um den freundlich blickenden Gesichtern in angemessener Weise zu begegnen.

Hinter der Vialigh standen ihre Getreuen. Allen voran die Mitglieder ihrer Lanze: die rothaarige Ailis Unkengrunder, Tochter des Schulzen, in naturfarbener Waidmannskluft, den albernischen Langbogen zur Präsentation neben sich in die Erde gesteckt, den Köcher mit den Adlerfeder bestückten Pfeilen und einen Langdolch am Gürtel; neben ihr der blutjunge weidener Dienstritter Baernhelm von Firnhorst, dessen krumme Nase nicht so recht in das knabenhafte Gesicht passen wollte, ebenso ritterlich herausgeputzt wie seine Herrin; daneben die beiden Waffenknechte, der hochgewachsene narbengesichtigen Ulfert Aherin, dem man die Jahre, die er nun schon diesem Hause diente, langsam ansah, denn das braune schulterlange dünne Haar wurde immer noch dünner und klebte an diesem warmen Tag feucht im Nacken, während das blonde kurzes Haar seines jüngeren Kameraden Beradwin Cert trotzig zum Himmel stand, wie auch die blau-weiß überzogenen Schilde.

Die Mitglieder des Hauses Vialigh standen nur wenige Schritt entfernt beisammen.

Leannas Tochter Talwen trug als Ritterin die gleiche Ausrüstung wie ihre Mutter auf dem Leib, auch die Frisur mit dem strengen dunklen Pferdeschwanz glich der ihrer Mutter, doch ihr Wappenrock war ein anderer: er war blattgrün und an allen Säumen von floralen Stickereien verziert, die stellenweise auch Bilder von Wesenheiten zeigten. Und ebenfalls anders als ihre Mutter trug Talwen in Ermangelung eines Knappen ihren Helm selbst, unter den Arm geklemmt.

Auch der betagte Edowain Vialigh, Oheim der Edlen und seines Zeichens Bannerträger der Heckenreiter, trug das Grün der Grenzwacht auf. Seine Bilder waren andere, als die auf dem Rock seiner Großnichte, auch waren es wesentlich mehr. Er hatte in seinen fast 70 Götterläufen sowohl wesentlich mehr an Jahren als auch an Begegnungen mit Andersweltlern und Schergen gesehen.

Annlir Vialigh, Bruder der Edlen, von gemütlicher, kerniger Statur und stets mit freundlichem, warmem Blick in die Gesichter seiner Mitmenschen blickend, obwohl er im Osten mehr als einmal in die Fratze des Todes geschaut hatte, trug als Waidmann der Heckenreiter ebenfalls seinen grünen Rock.

Neben den drei streitbaren Mitgliedern des Hauses Vialigh sah man die Schreiberin der Heckenreiter, Meriwen Vialigh, die jüngste Tochter Edowains, wie schon am Vorabend gekleidet in eine einfache lange Cota, diesmal in einer gedeckteren Farbe als beim Umtrunk.

An Meriwens Arm eingehängt sah die Matriarchin des Hauses Falkraun argwöhnisch über das Geschehen. Travialyn Vialigh , Witwe des vormaligen Junkers von Flusswacht, eines Drausteiner Steinvasallen und Weißen Löwen, welche die Wege der Zuneigung in jungen Jahren von Tommeldomm ins südliche Abagund verschlagen hatte, war nicht nur der Einladung ihrer Nichte Leanna in die alte Heimat gefolgt, sondern auch ihrem Sohn Lûran Falkraun und dessen Tochter Veriya, die in Begleitung ihres Gemahls Johril Dragentrutz kam, der seit kurzem der Schwertvater des Sohnes der Edlen von Unkengrund, Callean Vialigh, war. So schloss sich der Sippenkreis. Die reife ältere Edeldame hatte nicht darauf verzichtet, in eines ihrer besten Gewänder zu schlüpfen. Obwohl es ihre Statur aufgrund des hohen Alters schon längst nicht mehr hergab, trug die greise Mutter des Drausteiner Lehensvogts ein Kleid mit eleganter Brustschnürung, welches an den Säumen mit weißem Kaninchenfell und edler Zierborte verbrämt war und aus mehrfarbigen Stofflagen bestand, deren Zweifarbigkeit je nach Faltenwurf sichtbar wurde. An zweien der Finger, die um den Arm ihrer Nichte griffen, glitzerte dezenter Ringschmuck, auch um den hoch geschnittenen, ihr Strenge und Durchsetzungskraft verleihenden Kragen der Drausteinerin schimmerte eine Kette mit einem Edelstein-Anhänger, in der sich das Abendlicht fing.

Callean Vialigh stand einen artigen Schritt hinter seinem Schwertvater. Mit seinem sonnigen Wesen, immer ein ehrliches Lächeln auf den Lippen, passte der 16-jährige nicht ganz so gut in die von Ernsthaftigkeit geprägte Familie wie seine für ihr mürrisches Verhalten bekannte Schwester. Das schien ihm allerdings nichts auszumachen. Mit Freude trug er den goldenen Drachen auf Grün des Hauses Dragentrutz und das konnte man ihm ansehen.

Der kleinen Gruppe aus Draustein schloss sich Junkerserbe Wulfwin von Tannengrund an. Der älteste noch lebende und anerkannte Sohn von Junker Jendar von Tannengrund, des Junkers von Maradom, hatten ebenfalls familiäre Bande hierher nach Unkengrund geführt, war doch der verstorbene Gemahl der Edlen der jüngste Bruder seines Vaters gewesen. Das nördliche Bredenhag aber war Herrn Wulfwin nicht fremd, entstammte doch seine ehemalige Knappin dem Hause Calad, deren Stammsitz nicht weit von Broch Glennbarr lag - nur etwa einen Hexensprung über den Wald im Südosten des Lehens.

Grußworte der Gastgeberin

Leanna maß die Stille, die einkehrte, mit Zufriedenheit. Der Festplatz war hübsch herausgeputzt, viele Hände hatten hier noch am Vormittag gewerkelt. Alles war für das Fest bereitet, die Lichter für die Toten, die Tische für die Lebenden.

„Werte Nachbarn, Freunde, Anverwandte und Gäste aus den schönen Heckenlanden und darüber hinaus. Es freut mich sehr, dass Ihr alle meiner Einladung nach Unkengrund so zahlreich gefolgt seid. Ich freue mich ganz besonders, Euch, Hochwohlgeboren, unter den Gästen Unkengrunds zu wissen,“

sie deutete mit der offenen Hand und einer ehrerbietenden Verbeugung auf den Grafen von Bredenhag, der unweit von ihr stand und ihr ein gewogenes Lächeln schenkte.

„Ebenso begrüße ich die drei anwesenden Barone, Hochgeboren Llud aus der Baronie Bockshag, Hochgeboren Riunad aus der Baronie Gemhar und Hochgeboren Knallfaust aus der Baronie Jannendoch.“

Die Edle suchte den Blick zu allen dreien, bevor sie ihn weiter schwenkte:

„Und natürlich auch Euch, Hochgeboren Taladan als gräflicher Vogt von Tommeldomm und Kanzler Bredenhags….“

Sie warf dem älteren Recken ein hochachtungsvolles Nicken zu, welches dieser mit einer geneigten Kopfbewegung erwiderte,

„…sowie euch, edler Herr Daeron als Truchsess Tommeldomms, aber auch stellvertretend für euren Herrn Vater, meinen geschätzten Nachbarn.“

Auch der Erbe des Hauses Ildborn durfte sich über ein freundliches Zunicken freuen (und er….),

„Willkommen seien alle, die ich und die Meinigen in Travias Namen beherbergen und verköstigen darf. In unserem Lehen, welches unserem Hause durch den Willen Praios‘ und das Wort Graf Llanval ui Lluds 909 gegeben wurde, und welches seither freudige und gute, aber auch traurige und mühevolle Zeiten erlebt hat. Oft hat sich die Geschichte Unkengrunds im Laufe dieser Zeit schon geändert, wechselten sich gute mit den weniger guten Zeiten ab. Das Haus Vialigh blickt genau heute zurück auf 6 Götterläufe, die vom Wiederaufbau geprägt waren. Die mühsam waren. Kostenintensiv, ja. Aber die vor allem eines waren: voll schwerer Erinnerungen an jene sogenannte ‚Schlacht der Krähen‘, an der sich Unkengrunds Geschichte abermals wenden sollte.“

Die Herrin Unkengrunds ließ dem Gesagten Raum.

Dann fuhr sie jovial fort: „Keine Sorge, ich habe nicht vor, das Drama, welches sich jener Zeit hier auf den Wiesen und Feldern vor Unkengrund abspielte, mit Worten bis ins Kleinste zu rekonstruieren. Zumal ich zur selben Zeit in Halianshall unter Waffen stand und nur über Botenwort von alledem erfuhr. Ich weiß auch, dass es unter uns Personen gibt, die hierzu sicherlich bessere Auskunft geben könnten, da sie direkt am Geschehen beteiligt waren, ganz gleich auf welcher Seite dieser Fehde.“

Ihr schneller Blick glitt hin zu Ioric von Krähenfels, von diesem zu Raidred von Winhall, welcher den Blick der Edlen mit einem knappen Nicken erwiderte. Auch drehte die Edle den Kopf, um zu ihrer Tochter zu blicken, die im Kreise der anderen Vialighs stand.

„Was ich stattdessen zum Ausdruck bringen möchte, ist meine Dankbarkeit,“ erklärte die Herrin Unkengrunds. „Für all jene Mühen derer, die im Namen Rondras und im Namen meines Hauses tapfer gekämpft und ihr traviagefälliges Heim verteidigt haben. Bis zuletzt. Dankbarkeit auf für jene Mühen derer, die hernach tapfer wieder aufgebaut haben, was durch Menschen- oder Flammenhand zerstört worden ist. Selbst unter Tränen.
Was ich ebenfalls zum Ausdruck bringen möchte ist meinen Stolz für all jene Unkengrunder Männer und Frauen, die sich nicht entmutigen ließen, die treu zu mir und den Meinen standen, und die tapfer ertrugen, was das Schicksal ihnen aufbürdete.“

An dieser Stelle suchte Leanna abermals für einen kurzen Moment Blickkontakt zu ihrer Tochter. Sie hoffte, Talwen würde anerkennen, dass das feine Lächeln mütterlichen Stolzes, welches sich in ihrem Mundwinkel für wenige Herzschläge formte, ihr galt.

„Und ich möchte zum Ausdruck bringen, dass ich - und damit auch Unkengrund - gewillt ist, allen, die wir verloren haben, ein Fest auszurichten. Doch nicht nur unseren Toten. Auch den Toten der anderen Seite. Ehre soll allen gelten, den Verletzten wie Versehrten und Verstorbenen. Allen, denen Leid angetan wurde. Ganz gleich von wem - oder unter welchem Befehl sie vor sechs Götterläufen standen. Damals wurden nicht nur sichtbar Gräben ausgehoben, Wälle aufgeschüttet und Heimstätten niedergebrannt, sondern auch Brücken eingerissen, die wir heute und in Zukunft so dringend brauchen werden. Es ist an der Zeit, dass wir alle - ganz gleich auf welcher Seite wir in den vergangenen Kriegen und Fehden auch standen - verstehen, dass nur die starken vereinten Heckenlande in der Lage sind, dem düsterfeeischen Unbill stand zu halten. Dieser Gedenktag soll ein Schritt in die gemeinsame Richtung sein.“

Der Ausdruck mütterlichen Stolzes hatte sich zu Missmut und Entschlossenheit gewandelt. Nun hob Leanna Vialigh in einer Geste der Unwissenheit die Schultern und schüttelte den Kopf.

„Ich persönlich weiß nicht, was uns erwarten wird, wie hart es uns treffen wird, wo, und warum. Ob wir nur unsere Pfründe, unsere Familien und Schutzbefohlenen beschirmen werden müssen, oder ob die Holden uns gar auffordern werden, an ihrer Seite in den Kampf zu ziehen.“

Dabei sah sie ein weiteres Mal zum Graf von Bredenhag, welcher für sein Bündnis mit der Holden Farindel bekannt war. Und selbst dieser wusste nicht genau, mit was zu rechnen sein würde. Dass Leanna dies missfiel, weil es Pläne auf wankende Flöße stellten, die sich entweder als zu klein, zu schwer manövrierbar oder zu schlecht zusammengebunden zeigen würden, wussten nur Eingeweihte. Sicher war allen nur, dass der Ärger früher oder später über alle kommen würde.

Die Stimme der Edlen von Unkengrund schwoll an, wurde noch etwas fester und lauter, eindringlicher.

„Ich weiß im Moment nur, dass der Ärger früher oder später über uns alle kommen wird, denn die Anzeichen dafür mehren sich. Und dass dann nicht mehr wichtig ist, was wir untereinander für Groll empfinden. Ich habe bewusst zu anfangs nicht ‚liebe Verbündete‘ gesagt, denn ich weiß selbst aus eigener leidlicher Erfahrung, dass viele von uns dies eben nicht sind, und ebenso weiß ich, wie schwer Vergebung fällt….
Doch ist es mein Wunsch, dass wir uns vor der Herrin Rondra und der Herrin Travia alle ‚Verbündete‘ nennen, wenn der Tag kommt, da der Feind uns und unseren geliebten Heckenlanden sein garstiges Gesicht zeigt!“

Während sie sprach, war Leanna einige Schritte in den Kreis ihrer interessierten Zuhörerschaft hinein gegangen. Nun zog die Reckin des Flusses energisch ihr ritterliches Langschwert, das singend aus der punzierten Scheide glitt. Im nächsten Augenblick griff sie das Heft und drehte den glänzenden Stahl in einer fließenden Bewegung so, dass die Spitze neben ihrer rechten Wange in den Himmel aufragte. So aufrecht stehend, Bereitschaft signalisierend, aufmerksam, sah sie in die Runde.

„Lasst uns daher heute, an diesem 2. Ingerimm des Jahres 1045, das heißt, ein halbes Zwölft an Jahren, nachdem sich hier Furchtbares zutrug, nicht nur in die Vergangenheit, sondern vor dem Hintergrund des gemeinsamen Gedenkens auch gemeinsam in die Zukunft blicken! Für unsere Familien! Für die zwölfgöttliche Ordnung! Für unsere Heimat, die Heckenlande!“

Einen Moment noch verblieb sie so, dann senkte Leanna mit viel Bedacht ihre Klinge, so dass die Spitze nur noch zu Boden zeigte. Trotzdem zeugte auch diese Geste noch von Bereitschaft und Entschlossenheit der Ritterin.

„Doch meiner Worte sind fürs Erste genug.“

Mit diesen Worten hob Leanna ihr Schwert auf, griff mit der Linken an die Öffnung der Scheide und ließ es geübt zurückfahren in seinen Aufbewahrungsort.

„So gebe ich nun das Wort an Seine Hochwohlgeboren, Graf Arlan, bevor wir alle mit den Worten Seiner Gnaden Raidri Donnerschlag und Seine Gnaden Dilleachdach zu Ehren Rondras und Travias und nicht zuletzt auch zum Herrn Boron beten wollen.“

Die beiden ungleichen Geweihten nickten. Der eine verschnürt und gerüstet, als würde er gleich in den verderbten Osten ziehen wollen, ein Bild von Mann im besten Alter, muskulös, kräftig, erfahren, die Augen selbstsicher, der Blick hart, stolz die rote Löwin auf der Brust - der andere dagegen ein Hempfling, jung, fast schon dürr, die großen Augen tief in die runden Augenhöhlen abgesunken, gekleidet nur in ein einfach geschnittenes Stoffgewand aus Orange-farbenem Leinen.

Grußworte des Grafen von Bredenhag

„Vor sechs Jahren wurden Unkengrund und Broch Glennbarr, aber auch Môranshall und Albanshall, sowie weitere Dörfer und Burgen, von einer schrecklichen Fehde verheert. Obschon wir Albernier erst unlängst in einem langen Unabhängigkeitskrieg gegen das Reich und auch gegeneinander kämpften. In diesem neuerlichen Streite, welcher schon bald als Heckenfehde, auch über die Grenzen unserer Grafschaft hinaus bekannt wurde, stritten wir erneut im unversöhnlichen Zorne untereinander. Wir alle sind heute hierher gekommen, um die Toten zu ehren. Wir alle haben uns auf diesem Schlachtfeld versammelt, um den Gefallenen zu gedenken. Es ist nur würdig und recht, dass wir das tun. Heute wollen wir gemeinsam um unsere Kinder, unsere Brüder und Schwestern, unsere Väter und Mütter klagen. Um unsere Freunde und Anverwandten, die wir hier verloren haben. Heute betrauern wir gemeinsam unsere Verstorbenen. Doch ich stehe heute nicht hier, um über das zu sprechen, was uns voneinander trennt, sondern über das, was uns alle miteinander verbindet! Es ist unser Glaube an die Zwölfe, aber auch unser Respekt gegenüber der Nebelwelt. Es ist die große Liebe zu diesem Land, welches wir Heimat nennen! Es sind die Traditionen, die wir miteinander teilen, die Feste, die wir gemeinsam begehen, die zahlreichen Geschichten und die unzähligen Lieder. Es sind die Erinnerungen an alle jene Menschen, die uns voran gegangen sind. Mit ihrem Glauben und ihrer Kraft haben sie dieses Land besiedelt und urbar gemacht. Seit an Seit haben sie es mit dem Schwerte vor Unheil bewahrt. Es sind die Helden, die wir alle kennen, wie Selma Bragold, Cuanu ui Bennain und Raidri Conchobair, zu denen wir ehrfürchtig aufblicken, weil sie in Zeiten der Not wahrlich Großes für Albernia vollbracht haben! Ob uns derlei Zeiten schon bald erneut bevorstehen, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber, dass Bredenhag schon immer das kriegerische Rückgrat der siebenwindigen Lande war. Gemeinsam sind wir stark, wachsam und so unbeugsam wie die sturmerprobte Eiche. Denn ein Leben ohne diese Geschlossenheit ist im Schatten des Farindel schlicht nicht möglich!“
(Graf Arlan Stepahan Wappen haus stepahan.png, zum versammelten Adel und den Gemeinen, 2. Ingerimm 1045, im Verlauf der zweiten Firunsstunde)