Hochzeit auf Burg Krähenfels (1044) Teil 09: Unterredungen im Jagdlager

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Chronik

29. Travia 1044
Ab Mitte der ersten Phexstunde: Begegnungen und Unterredungen im Jagdlager

Geschwister in Peraines Garten

Ab Mitte der ersten Phexstunde

Ravindra von Krähenfels beobachte noch für einen Augenblick den Abgang der Jäger. Offenbar hatten sich Herr Wulfwin und Herr Marbaron ebenfalls für die Pirsch entschieden. Der Erbjunker wurde offenbar von [...] geführt, der Herr von Burg Gnadengrund allerdings von einer hünenhaften Rüdefrau mit Schweißhund und einer jungen Waidmagd. Offenbar Jagdknechte von Brendan Aldewen. Nachdem die letzte Pirschgruppe mit ihren Schweißhunden und Rössern zwischen den Bäumen verschwunden war, bemerkte man deutlich die einkehrende Stille. Die ehemalige Junkerin von Krähenfels und einstige Vögtin von Tommeldomm hob eine Augenbraue und trat nach vorne, begleitet von Herrn Rondfert welcher sich stets im Hintergrund hielt. Ravindra trug einen langen schwarzen Wollumhang welcher bis zum Boden reichte und beim Gehen die bunten Blätter verwirbelte. Unter diesem eine ebenso dunkle, allerdings mit weißem Pelz verbrämte Cotardie mit silbernen Knöpfen. Ihre langen Haare hatte sie wie gewohnt in der Mitte gescheitelt und streng an der Stirn anliegend über die Ohren zum Hinterkopf geführt, wo sie in einem großen Haarknoten endeten. Auf ihrem Haupt trug sie eine einfach runde Kappe aus Leinen.
“Werte Gäste! Die Jäger sind mit unseren guten Gebeten in den Flüsterwald aufgebrochen. So Firun will, werden die ersten Jäger im Verlauf des frühen Nachmittags bereits mit ihrer auserkorenen Beute zum Jagdlager zurückkehren. Lasst uns die Zeit doch nutzen um uns zu stärken. Zur Linken des Baldachin, findet sich das Küchenzelt”, bei den letzten Worten schlich sich ein Lächeln auf die Miene der Edeldame und Ritterin, “dort gibt es heißen Kräutertee, Honigwein, aber auch frisch gebackenes Brot, Schmalz, gebratene Zwiebeln mit Pilzen, würzige Jagdwurst, Schafskäse und zur Mittagszeit dann einen deftigen Schmortopf mit Wacholderschnaps. Den guten Raulbrant gibt es allerdings erst nach der Kür des Jagdkönigs”, verkündete sie mit einem feinen Lächeln. Ravindra sah für einen Augenblick in die Runde und machte dabei ein zufriedenes Gesicht. “Also lasst uns feiern. Dies ist eine Hochzeitsjagd. Es gibt genug Platz unter den beiden Baldachinen und im Pavillon!”

Eben noch hatte die Edle von Unkengrund verwirrt den Pirschgruppen hinterher gesehen. Es war ihrer dickköpfige Tochter wohl gelungen, wie gewünscht für sich die Teilnahme an der Jagd zu erbeten, doch als Leanna sah, wen Talwen da begleitete, wusste sie einen Moment lang nicht, ob sie lachen oder sich fürchten sollte. Nachdenklich strich sie über das Rückengefieder des noch jungen Adlers. Jarwa schätzte es, wenn sie außerdem am Bauchgefieder gekrault wurde.
Als die Mutter des Bräutigams zum Essen lud, drehte Leanna sich langsam um und blickte prüfend hinüber zum Pavillon. Sie wollte selbstverständlich der guten Sitte wegen der traviagefälligen Einladung nachkommen, sie würde jedoch nicht die erste sein wollen, die dort aufschlägt. Und natürlich auch nicht die Letzte. Also beobachtete sie zunächst, wer von den anderen sich aufmachte, der Einladung Ravindras zu folgen. Dieses verräterische Miststück! Leanna maß die andere mit zu Schlitzen verengten Augen, in sich den Drang verspürend, der Krähenfelser Schlampe eine Abreibung zu verpassen. Jarwa spürte die Anspannung und gab einen fiepsenden Ton von sich.
„Scht!“, zischte die Ritterin sogleich energisch, hielt in ihrer streichelnden Bewegung inne, nahm schließlich die Hand von dem Vogel, atmete ein, hielt die Luft kurz an, um sich zurück auf höfliche Umgangsformen zu besinnen, und verwarf dann ihr Vorhaben. Stattdessen machte sie sich auf, steif mit einigen anderen zum Pavillon hinüber zu gehen.
Neben ihr erschien Widhold Ährengold. Der Geweihte der Herrin Peraine verlangsamte seinen Schritt.
“Ich kam vorhin nicht umhin zu bemerken, dass Ihr Euch wohl den linken Fuß vertreten habt. Gerne kann ich mir das jederzeit im Zelt des Heilers ansehen, Euer Wohlgeboren.” Dass die Edle von Unkengrund bereits seit ihrer Ankunft hier im Jagdlager einen verhärteten Eindruck auf ihn machte, ließ er besser unerwähnt.
„Das habt ihr richtig bemerkt, Vater. Ich werde darauf zurückkommen, habt Dank“, entgegnete sie, nickte auch verständig, wirkte aber konzentriert auf etwas anderes.
“Ich hoffe Ihr seid nicht in Sorge um Eure Tochter, Euer Wohlgeboren?”, fragte sie der Geweihte in überraschender Offenheit und versuchte dabei ihr Mienenspiel zu lesen.
„Nein. Talwen ist eine gute Jägersfrau und firungefälig dazu“, antwortete die Edle.
“Oh, daran besteht sicherlich kein Zweifel. Immerhin war Wohlgeboren Ildborn ihr Schwertvater.” Das Widhold dabei eher an die unverhoffte Gesellschaft ihrer Tochter Talwen dachte, ließ er hingegen unerwähnt.
„So ist es!“, bekräftigte Leanna.
“Es ist Euch hoch anzurechnen, dass Ihr dieser Tage den Weg nach Burg Krähenfels gefunden habt. Wie man hört habt Ihr Euch mit Wohlgeboren Caran ausgesprochen. Die Anwesenheit von Euch und Eurer Tochter wird sicherlich dazu beitragen, zukünftige Konflikte am Unterlauf des Gemhar zu vermeiden”, mutmaßte Widhold mit anerkennender aber leiser Stimme, so dass möglichst nur sie seine Worte vernahm.
Leanna sah prüfend zu dem Geweihten hinüber, der neben ihr ging.
„Tatsächlich war und ist es mir ein Anliegen, mit meinen Nachbarn gut auszukommen“, sagte sie dann. Was sie über seine Fragen dachte, oder über die Rolle des Geweihten in dieser ganzen Geschichte von Verrat, Schuld und Sühne, darüber war in Leannas Gesicht nichts abzulesen.
“Bisweilen ist es sehr schwer für uns mit der Vergangenheit abzuschließen und Frieden zu finden. Aber uns Alberniern liegt es im Blut nach vorne zu blicken!”, betonte Widhold und bemühte sich dabei um einen zuversichtlichen Gesichtsausdruck.
„Da habt ihr recht.“ Wobei sie offenließ, auf was sich ihre Aussage bezog. Auf das Schwerfinden oder das Nachvorneblicken.
“Wir alle sind Schwestern und Brüder in Peraines Garten!”, betonte der Geweihte und verlangsamte seinen Schritt nochmals, bevor sie den Pavillon erreichten. Dann sah er die Edle eindringlich an: “Am Ende unseres Lebens wird uns die Gebende unsere guten Taten vergelten. Mit der Gnade der Gütigen ist es uns möglich, einander zu vergeben und manchmal auch uns selbst. Das Leben ist wie ein Jahreslauf. Bevor der gefallene Schnee zu Eis gefriert, sollten wir zufrieden auf unsere Ernte blicken, die uns durch den langen Winter trägt.” Dann schenkte er Leanna Vialigh ein freundliches Lächeln und behielt seine anderen Gedanken einstweilen für sich.
Einen Moment war dem Geweihten, als würde die andere stehen bleiben. Ein kleines Zucken. Doch Leanna setzte ihren Weg fort.
„So sei es,“ entgegnete sie dem Diener der Peraine und nickte. „Wobei...“, begann sie dann, verwarf jedoch ihre Worte kopfschüttelnd und lächelte nun auch etwas. „Ja, genau so wird es wohl sein. So, wie ihr sagt!“ Sie selbst lebte lieber nach den Weisheiten der Leuin, sie erkannte jedoch an, was der Götterdiener sagte.
Dieser neigte sein Haupt leicht zur Seite und zuckte dann mit den Schultern. “Niemand hat je gesagt, dass der Weg der vor uns liegt, einfach wäre. Den Göttern und sich selbst treu zu sein”, erklärte der Geweihte weiter, beendete dann aber abrupt seinen Gedanke. Es schien für einen Augenblick so, als ob Widhold jemand gesehen hätte. “Wir sind da! Und habt nochmals großen Dank für Eure einstige Unterstützung bei der Errichtung des Hauses der Herrin.”
„Wir Vialigh wissen, wie es ist, wenn einem Haus und Hof zerstört wird - Den Wiederaufbau der Heimstatt eurer Herrin zu unterstützen, war daher für uns selbstverständlich“, sagte sie mit Vialgh‘scher Bescheidenheit.
Gleichmütig neigte er abermals sein Haupt. Wenngleich er sich innerlich schalt für seine unachtsamen letzten Worte. Noch einmal sah er auf den prächtigen Adler auf dem Arm der Edlen. “Die Herrin Peraine mit Euch, Euer Wohlgeboren.”


Ein schwelender Zwist - Leanna Vialigh Wappen haus vialigh.png und Ravindra von Krähenfels Wappen haus kraehenfels.png

Im Pavillon angekommen suchte und fand der Blick der Vialigh sogleich den der Gastgeberin. Ravindra von Krähenfels hatte soeben ihr kurzes Gespräch mit Ardan zu Naris beendet. Der Erbjunker von Perainfeld begab sich daraufhin zu den anderen Gästen vor dem Küchenzelt, da man hier die herrlich duftenden Speisen aufgetischt hatte. Da Ravindra nicht wollte, dass die Edle von Unkengrund mit dem Vogel auf dem Arm in den Pavillon schritt, kam sie ihr kurzerhand entgegen. Zudem hatte sie mit Leanna bislang kein Wort gewechselt.
“Travia mit Euch, Euer Wohlgeboren”, sprach Ravindra ihre ehemalige Kontrahentin offen an.
“Da Ihr nicht beim Küchenzelt seid, verlangt es Euch wohl noch nicht nach Speis und Trank”, mutmaßte die ehemalige Junkerin. Dann musterte sie den Adler auf dem Falknerhandschuh der Ritterin.
“Travia auch mit Euch, Frau Ravindra“, entgegnete Leanna ihr mit leichtem Verwundern, machte aber durch die Anrede deutlich, dass die andere den Titel einer Junkerin selbstverschuldet verloren hatte und fortan nur mehr eine adlige Ritterin war, mehr aber auch nicht.
“Ich habe keinen Hunger. Vielmehr kam ich herüber, um Euch für Eure herzliche Einladung zu dem reichen Mahle zu danken, wie es sich gehört.” Und dann sagte sie: “Wenn man aber bedenkt, dass das erste Wort, das Ihr seit langem an mich richtet, der Name der Herrin der Eide und Bünde ist, so kommt es mir fast vor, als wäre nie passiert, dass Ihr eben jener vor nicht allzulanger Zeit schändlichst den Rücken kehrtet.“
Die Augen von Ravindra von Krähenfels hatten sich geweitet. Es war ihr für einen Moment anzusehen, dass sie diese Entgegnung nicht erwartet hatte. Dann öffnete sie wieder ihre zur Faust geballte Schwerthand, strich eine Falte aus ihrer schwarzen Cotardie und hob ihr Kinn.
“Wenn Ihr nur deshalb der Einladung meines Sohnes gefolgt seid, um mich hier auf dem Boden meines Hauses zu maßregeln, dann muss ich Euch leider sagen, dass ihr den besten Zeitpunkt dafür leichtfertig aus der Hand gegeben habt. Im Verlauf der Vermählung hätte weitaus mehr Aufsehen erregt als jetzt!“, gab Ravindra mit gefasster Miene zu bedenken.
Doch Leanna konterte beherrscht. “Regt Euch ab, Nachbarin! Diese Tage geht es nicht um Euch”, entgegnete sie, während sie die andere aus kritischen Augen fixierte.

“Im Übrigen würde ich die Hochzeit eures Sohnes nie derlei Schande aussetzen. Da kennt ihr mich schlecht. Mir sind meine Verbündeten heilig.” “Und mir die Familie!”, versetzte Ravindra. Dabei ließ sie unerwähnt, wie Leanna gleichmütig das Leben ihres Mannes Jarwain von Tannengrund in ihren Augen opferte, um Tommeldomm zu verteidigen. Ebenso verlor sie auch kein Wort darüber, wie die Edle von Unkengrund in einer der dunkelsten Stunden des Reiches, aufseiten der Hochverräterin Invher ni Bennain gestritten hatte.
“Wir alle werden uns eines Tages für unsere Taten vor den Göttern verantworten müssen, so auch ich!”, erklärte die ehemalige Vögtin von Tommeldomm. Da ihr hier und jetzt nicht an einem Hader lag, versuchte sie das Thema zu wechseln und Leanna von hier fortzuführen. Da diese offenbar die Herrschaft über ihre Zunge verloren hatte, wollte sie den Aar auf Abstand zur Jagdgesellschaft wissen.
“Ich wusste bislang noch gar nicht, dass Ihr Euch für die Falknerei interessiert. Wie heißt denn Euer junger Freund?”, wollte die Krähenfelserin wissen.
“Seht Ihr“, Leanna seufzte angestrengt, “hätte es Euch interessiert, wie sehr Euer Verrat meinem traviagefälligen Heim zugesetzt hat, wüsstet Ihr womöglich, dass Eure damaligen Freunde meine kostbaren Greifvögel dahinschlachteten wie Nutzvieh.“ Wie als habe er die Worte verstanden, ließ der junge Adler ein Fiepen ertönen. Er wollte auch aufgeregt die Flügel spreizen, doch die Hand seiner Führerin legte sich schwer auf seinen Rücken.
“Ich schlage keinem Freund den Kopf vom Rumpf”, gab Ravindra zu bedenken, während sie den Vogel nicht aus den Augen ließ. Dann legte sie die Stirn in Falten.
“Und für das Schicksal Eures Turmes trägt zuallererst dieser Mordbube aus Nostria, Albio Salzhand, die Verantwortung. Letzten Endes war es sein Kopf, der rollte!”
Sie räusperte sich, um zu ihrer Beherrschung zurückzufinden, während Leanna trocken hinzufügte, wie sie die Sache sah: „...Doch dem Ihr erst ermöglichtet, zu dieser zweifelhaften Verantwortung zu gelangen. Oder wollt ihr bestreiten, dass eure schadhafte Tat die gute Stellung der Gräflichen änderte? - Aber es ist, wie ihr schon sagtet, wir werden uns unserer Taten am Ende stellen müssen. Ein jeder den seinen.“ Die Vialigh zuckte mit den Schultern.
“Durch meine Hand allein ging diese Schlacht verloren, wohl wahr! Und meine Entscheidung bekümmert mich bis heute”, gab Ravindra unumwunden zu. Ihre Stimme war dabei ruhig und gefasst.

Das Gesicht der Vialigh war eine Maske, hinter der das Feuer der Wut loderte. “Wisst ihr wenigstens, warum ihr es tatet? Hat es sich gelohnt?“ fragte sie jedoch sehr beherrscht. Nur der unruhige Adler auf ihrem Arm zeugte von ihrem inneren Kampf mit sich selbst.
“Ja, das weiß ich!”, gab Ravindra knapp zurück und sah dabei Leanna unvermittelt an. Gleichsam hob sie eine Hand, um ihrer heißblütigen Tochter Isida anzudeuten, dass sich diese nicht in ihre Unterredung einzumischen hatte. Zu ihrer Erleichterung hielt diese sich auch daran und wandt sich wieder Herrn Magor zu. Einige Schritte hinter Ravindra stand zudem noch immer Rondfert von Ingvalsauen, der wohl jedes Wort als einziger der Umstehenden gehört hatte.
“Wollen wir ein Stück des Weges miteinander gehen? Dort vorne findet sich ein Baumstamm wo ihr Euren Gefährten für eine Weile absetzen könnt. Zudem bemerkte ich schon vorhin, dass ihr offenbar ein Fußleiden mit Euch herumtragt. Da ist so ein Adler sicherlich eine zusätzliche Beschwernis. Meister Birda soll sich das doch später einmal anschauen!”
“Es gibt Schlimmeres, glaubt mir“, antwortete die Vialigh, ohne dies näher zu beleuchten.
Ravindra überging geflissentlich die Bemerkung. Es war für sie nur eine weitere Provokation.
“Oder wir schreiten gemeinsam zum Waldrand und ihr lasst ihn dort einmal fliegen. Eine Streckenerwartung werdet ihr heute ja vermutlich nicht mehr haben?” Ob das Tier überhaupt schon ein paar Hasen gebunden hatte, vermochte Ravindra nicht zu sagen. Ebensowenig warum Leanna den Aar überhaupt zu einer Pirsch im Flüsterwald mitführte, es sei denn, dass dessen Klauen für eine ganz andere Beute bestimmt waren?
“Wir können,“ Leanna vermied das Wort ‚gerne‘, stattdessen sagte sie: “selbstverständlich ein paar Schritte tun, wenn es euch unangenehm ist, hier im Lager zu bleiben. Doch Jarwa wird zu eurem Vergnügen nicht fliegen. Sie wird zu eurem Vergnügen gar nichts tun, Frau Ravindra.“

Die Krähenfelserin schenkte dem streitbaren Hochzeitsgast ihres Sohnes einen langmütigen Blick. Von Leanna Vialigh war nichts anderes als bitterer Hader zu erwarten gewesen. Ravindra konnte es ihr auch kaum verdenken. Aber das wollte sie der Reckin des Flusses nicht auf die Nase binden. Wie eh und je war diese geradeheraus. Auf der anderen Seite hatte sie selbst noch längst nicht zu der inneren Ruhe gefunden, von der seine Gnaden immer wieder sprach. Zudem wollte sie ihrem Sohn auch nicht ein weiteres Mal in die Parade fahren. Nicht zu diesem besonderen Anlass. Warum auch immer er sich mit Leanna Vialigh eingelassen hatte. Nach einigen wortlosen Schritten zum Rande des Jagdlagers, wo sich der Baumstamm mit einigen abgelegten Sätteln fand, ganz in der Nähe der Pferde, räusperte sich Ravindra und blieb stehen. “Ich schulde Euch noch ein paar Worte. Ihr habt mich soeben nach dem Warum gefragt. Warum ich die Gräflichen hintergangen habe?“
Leanna zog aufmerksam die Brauen hoch. Na, da war sie doch jetzt mal gespannt. Sie rechnete mit Ausflüchten und fadenscheinigen Entschuldigungen, wollte aber erst einmal die andere sprechen lassen.
Rondred Stepahan hatte auf seinem Brandritt durch Bockshag das Rittergut meines Schwagers verheert und meine Schwester Riandra Cirdain als Geisel genommen”, erklärte die ehemalige Junkerin.
“Ich beabsichtigte sie gegen den Truchsessen auszutauschen. Für alle anderen Antworten reicht ein Blick auf die letzten siebzehn Jahre. Ihr und ich standen bereits im Krieg zwischen Nordmarken und Albernia auf ganz unterschiedlichen Seiten. Dies und auch anderes habe ich nicht vergessen. Dennoch versuchte ich einen Teil meiner Schuld seit der Brandschatzung von Albanshall wieder abzutragen”, führte Ravindra weiter aus, ohne dabei alle ihre Beweggründe vor der Steigbügelhalterin des Löwen offen zu legen. Dabei sagte sie weder ihre Meinung zum gräflichen Bannwald, noch zum Auftreten von Aenwin von Heckendorn auf dem Bredenhager Bogenfest gegenüber ihrer Nichte Ceriana. Vor allem behielt sie aber ihre ureigenen Absichten für sich.
“Wenn Euch meine Erklärung nicht befriedigt, steht es Euch als Ritterin jeder Zeit zu, mich zu fordern, Frau Leanna. Ihr werdet für diesen Schritt sicherlich gerechte Gründe finden!”

Eine ganze Weile blickte die Edle von Unkengrund die Mutter des Bräutigams an. In Leannas kantigem Gesicht spielte sich nichts ab, außer ein Senken und anschließen das kritische Zusammenziehen ihrer Brauen, welches sie in der nun einsetzenden Stille beibehielt. Rache, ebenso wie Vergeltung, waren nie der Weg der Leuin, sondern der eines gefährlichen Abgrunds, das wusste sie nur zu gut. Gerade fühlte sie die Narben ihres eigenen Kampfes gegen das Abstürzen sehr präsent in sich. Sie erinnerte sich dabei an etliche Gespräche, in denen sie sich einerseits schimpfwortgewaltig über Ravindra von Krähenfels aus-, und andererseits so manch ritterliche Tugend hinter sich gelassen hatte. Ihr engagiertes Streben für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung war ihr nur zum Teil geglückt. Auch diese Misserfolge hatte Narben in ihr hinterlassen. Narben, auf die sich ein Sieg im Zweikampf gegen die Krähenfels sicherlich wie Balsam legen würde. Aber das war nicht das, was die Vialigh wollte. Ganz sicher, dass Ravindra alles über ihre inneren Antriebe offengelegt hatte, war Leanna sich nicht, und es schien sich ihrer Meinung nach einfach viel zu viel in der ehemaligen Vögtin Tommeldomms angesammelt zu haben, als dass es in Leannas Augen Sinn besaß, die Sache zwischen ihr und der Krähenfels mit einem Duell zu klären. Es würde ja doch alles so bleiben wie bisher.
“Eure Erklärung, Frau Ravindra, ist sicherlich ein Anfang. Wenngleich ich glaube, dass es noch andere Dinge gibt, die euch antreiben, so wollen wir es doch erst einmal dabei belassen. Vor allem an einem Festtage wie heute,“ begann die Vialigh mit gemäßigtem Tonfall, was jedoch gleichzeitig deutlich machte, dass für die Edle in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen war. “Sagt, haltet Ihr euch denn immer noch für eine Frau von Ehre?“

“Ihr solltet den Bogen besser hier und heute nicht überspannen, Frau Leanna!”, betonte Ravindra von Krähenfels mit versteinerter Miene, um dann sogleich hinzuzufügen: “Sonst halte ich Euch auch ein paar selbstgerechte Wahrheiten vor, um Eure Tugendhaftigkeit zu prüfen!” Sie schüttelte missmutig den Kopf und beschloss auf ihre weiteren Fragen zu verzichten, ehe sie ihre Beherrschung verlor. “Es ist alles gesagt was zu sagen war. Wir wissen doch im Grunde beide, was wir voneinander zu halten haben! Daher stimme ich in einem Punkt vollkommen mit Euch überein - wir sollten es beide dabei belassen.”
Leanna verkniff es sich zu sagen, dass sie ein Ja erwartet und dann einen versöhnlichen Vorschlag gemacht hätte. “Ja, es ist wohl tatsächlich alles gesagt,“ entgegnete sie stattdessen mit Bedauern, hielt aber der versteinerten Miene Ravindras mit ihrer eigenen steifen Maske stand.
“Nur eines noch: Ihr missversteht mich gänzlich. Meine Absichten waren durchaus wohlwollend - was sowohl uns als auch euer Streben nach Begleichung eurer Schuld angeht. Aber wie ihr sagtet... .“ Sie ließ eine kurze Pause und fügte dann noch mit ernstem Ton hinzu, aber nicht herausfordernd, sondern eher bekümmert durch den Ausgang des Gesprächs: “Vielleicht denkt das neue Oberhaupt eures Hauses anders darüber. Wie ihr wisst, bin ich an friedlicher Nachbarschaft interessiert. Daran wird sich nichts ändern.“ Es war bedauerlich, dass es hier nicht weiterging. Aber so wie es aussah, war an dieser Stelle heute nichts mehr zu machen.
Ravindra von Krähenfels hatte die Stirn in Falten gelegt und schüttelte missbilligend den Kopf. Es war ihr anzusehen, dass sie den wohlmeinenden Absichten ihrer ehemaligen Kontrahentin keinen Glauben schenkte. ?Dann machte sie sich ohne ein weiteres Wort zu sagen auf den Rückweg zum Pavillon. Herr Rondfert schenkte dem Mitglied der Bredenhager Rittertafel einen gleichmütigen Blick, ehe er Ravindra folgte. Was nicht alles so geschieht, wenn man seine Gäste im Namen der Herdmutter begrüßt, dachte sie still. Ihre werte Nachbarin hatte sie vor den Hochzeitsgästen ihres Sohnes gemaßregelt! Dann schluckte sie ihren Hader hinunter und versuchte sich ihre Verärgerung nicht weiter anmerken zu lassen. So ähnlich erging es auch der Edlen von Unkengrund. Obwohl sie freilich von der entrüsteten Mutter des Bräutigams nicht des Ortes verwiesen worden war, blieb die Reckin des Flusses doch erstmal auf Distanz zum Jagdlager und ließ am Waldrand, wo es Fläche gab, stattdessen ihren Vogel fliegen. Denn sie brauchte einen klaren Kopf.


Die alte Krähe - Ceriana Riunad Wappen haus riunad.png und Ravindra von Krähenfels Wappen haus kraehenfels.png

Ceriana hatte die Unterredungen ihrer Muhme in einigem Abstand verfolgt. Insbesondere das Gespräch mit Wohlgeboren Vialigh schien nicht ganz zur Zufriedenheit Ravindras verlaufen zu sein. Und doch schien es der Edeldame genau der richtige Moment, die ehemalige Junkerin nun aufzusuchen. Trotz ihrer Zeit am Baronshof tat sich Ceriana noch immer schwer damit, viel zu reden und wenig zu sagen. Insofern mochte es durchaus zuträglich sein, dass Ravindra bereits mit ernsteren Anliegen konfrontiert worden war.
Die junge Frau hatte sich am Feuer niedergelassen und wartete geduldig, bis ihre Muhme ihren Gastgeberinnenpflichten Genüge getan und mit den meisten der Anwesenden zumindest einige Worte gewechselt hatte. Schließlich trat sie auf Ravindra zu.
“Travia Dank für die freundliche Einladung, Wohlgeboren”, lächelte Ceriana und deutete einen Knicks an. “Habt Ihr einen Moment?”
Ravindra von Krähenfels sah ihre Nichte freundlich an.
“Aber gewiss Liebes, wie kann ich Euch helfen?” Es war schön, dass diese der Einladung gefolgt war. Leider konnte Ravindra nicht mit Bestimmtheit sagen, wann sie Ceriana das letzte Mal gesehen hatte.
Die vertrauliche Ansprache schien die Jüngere deutlich aus dem Tritt zu bringen, doch sie rettete sich zunächst in ein höfliches Lächeln.
“Oh, es ist kein direktes Anliegen”, erklärte sie. “Vielmehr würde mich Eure Haltung interessieren...” Kurz sah sich Ceriana um. Dann blickte sie ihre Muhme ernst an. “Ich würde gerne erfahren, wie Ihr zu einem politischen Bündnis mit dem Grafenhof steht. Oder den Stepahan-nahen Häusern.”
Ravindra neigte den Kopf zur Seite und sah dann zu ihrem Schatten: “Herr Rondfert, seit so gut und lasst mich mit meiner Nichte für eine Moment allein”, erklärte die ehemalige Junkerin.
“Wie Ihr wünscht Herrin”, gab dieser knapp und unhöflich zur Antwort, um sich daraufhin abzuwenden.
“Habt Ihr vor Euch zu vermählen? Oder geht es gar nicht um Euch?”, fragte ihre Muhme mit leiser Stimme. In Ravindras Augen lag eine gewisse Zurückhaltung.
Erneut blickte Ceriana die Ältere überrascht an. “Ich... vielleicht”, stammelte sie, “aber im Grunde geht es um mehr. Es scheint, als seien verschiedene Parteiungen an einer Aussöhnung interessiert”, fuhr die Edeldame vorsichtig fort und musterte Ravindra aufmerksam.
“Wie steht es mit Euch?”, wiederholte sie dann ihre Frage.
“Ich habe mich bereits vor Jahren Graf Arlan unterworfen. Dankenswerterweise hat er mir meinen Kopf gelassen! Womöglich auch Dank meiner Taten und Fürsprecher. Gegebenenfalls auch vor dem Hintergrund seiner eigenen einstigen Verfehlungen im Krieg”, betonte die Ältere und wollte so bewusst nicht den einstigen Verrat des invhertreuen Adels in Vergessenheit geraten lassen.
“Aber von welchen Parteiungen sprecht ihr?”
Ceriana zögerte sichtlich, dann fasste sie sich ein Herz. “Wie Ihr vielleicht wisst, wird der Erbe des Hauses Cirdain traditionell am Baronshof von Bockshag ausgebildet”, meinte sie dann leise. “Meiner Nichte, Eurer Großnichte, hingegen wird diese Gunst nicht zuteil werden. Cormac hat sie als Pagin an das Haus Heckendorn gegeben. Und so wie ich ihn verstanden habe, erfolgte dieser Schulterschluss vielleicht nicht unbedingt auf direkte Veranlassung Hochgeboren Lluds höchstselbst, wurde von ihm jedoch zumindest gebilligt.”
Sie machte eine Pause und sah ihre Muhme prüfend an. Sicherlich hatte sie von all dem bereits gehört.

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass der ungewöhnliche Schritt Eures Bruders den Baronshof von Bockshag in Gleichmut verharren lässt. Wenn man den Gerüchten glauben schenken darf, dann hatte hier wohl ausgerechnet Frau Rondraine ihre Finger im Spiel”, betonte Ravindra von Krähenfels mit kaltem Zungenschlag. Ihre Nichte blickte sie hingegen wohlwollend an.
“Leider hat Euer Bruder die Hochzeitseinladung Eures Vetters ausgeschlagen. Sonst hätte ich ihn gerne persönlich darauf angesprochen. Ich wüsste nicht, dass auf ihm und Caran ein Hader lastet. Wisst Ihr den etwas über die Hintergründe seiner Abwesenheit?”
Zögernd schüttelte Ceriana den Kopf. “Nein, bedaure”, meinte sie und presste die Lippen aufeinander. “Ich kann nur vermuten, dass das Zusammentreffen mit einigen Beteiligten der Fehde in ihm alte Wunden aufreißen könnte und er deshalb fern blieb. Aber sagt”, kam sie dann noch einmal auf das vorige Thema zurück, “denkt Ihr, dass Cormac durch seine Entscheidung Wohlwollen bei seinem Lehnsherren ebenso wie dem Grafen erringen wird? Oder teilt Ihr meine Sorge, dass hier leichtfertig ein Privileg aufgegeben wurde – mit ungewissem Ausgang?” Forschend sah die Jüngere Ravindra an.
“Wenn ich nur all die verborgenen Gedanken um mich herum lesen könnte. Es hätte so vieles einfacher gemacht”, gestand sie mit einem milden Lächeln und dachte dabei an ihre Familie. “Nun, man kann wohl nicht auf ein und demselben Ross gleichzeitig in zwei Richtungen reiten. Ich kann mir vorstellen, dass auch der Grafenhof diesen Schritt zwiespältig betrachtet, bei Hochgeboren Praiowyn bin ich mir sicher. Immerhin gilt Haus Cirdain als treuer Vasall des weiß-blauen Turms und die junge Cuilyn ist die Erbin der Ritterherrschaft. Ihre zukünftige Prägung wird erst einmal eine andere sein, mal sehen wer einst ihre Schwertmutter wird”, mutmaßte die Ältere aus. Ravindra zuckte mit den Schultern, und Ceriana lächelte unsicher.
“Das liegt wohl in den Händen Cormacs”, meinte diese. Kurz zögerte sie, dann blickte sie ihre Muhme offen an: “Sagt, als Ihr damals in der Fehde den Truchsessen gefangen setztet, hattet Ihr keine Angst, dass Ihr Mutters Leben in Gefahr bringen könntet?”
“Nicht einen Augenblick. Rondred Stepahan ist kein Mann der Geiseln von Stand als Vergeltung zu Boron schickt. Vielmehr glaube ich fest daran, dass er meine Schwester standesgemäß ausgetauscht hätte”, erklärte Ravindra mit fester Stimme. Dann sah sie Ceriana an: “Sagt, seid Ihr auch an einer Aussöhnung mit dem Grafenhof interessiert?” Ravindra war gespannt auf die Antwort, immerhin stand der Gemahl ihrer Nichte an der Spitze einer Rebellion in der Heckenfehde, ehe er im Kampf der Zwölf von Frau Furgund von Hallberg erschlagen wurde.
Ceriana verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln. “Persönlich? Nicht unbedingt... Ich bin durchaus bereit, meinen Teil zum Wohl und Ansehen meines Hauses beizutragen. Allein, ich bin noch nicht vollends überzeugt, dass der eingeschlagene Weg der Richtige ist. Zumindest sehe ich nicht ein, warum wir dem Haus Llud derart leichtfertig den Rücken kehren sollten. Der alte Adel bleibt gern unter sich, zumindest wenn es um wichtige Entscheidungen und Posten geht. Und die Riunad und Bennain haben eindrücklich bewiesen, dass die jungen Häuser mehr sein können als Steigbügelhalter.“ Ceriana verstummte, offenbar selbst überrascht angesichts ihrer klaren Worte.
“Gewiss haben sie das”, erklärte ihre Muhme knapp. Da Ravindra nicht die eigene Geschichte ihres Hauses rezitieren wollte, sagte sie nur: “Es gab schon immer wechselnde Bündnisse in den siebenwindigen Landen und der Graben verlief dabei häufig entlang der Flussleute und den Alteingesessenen.”
Dann trat sie ein wenig näher an Ceriana heran. “Wenn Ihr nicht einverstanden seid mit dem Weg den Euer Bruder eingeschlagen hat, dann solltet Ihr ihn womöglich zu einer Umkehr bewegen, zumindest wenn es um die Knappschaft Eurer Nichte geht. Ist Euer Schwager nicht ein gefeierter Turnierheld?”, bemerkte sie mit leiser Stimme.
Ceriana nickte nachdenklich. “Sicher, er ist recht einflussreich. Noch ein Grund, warum ich denke, dass man die alten Bündnisse nicht ohne Weiteres aufgeben sollte. Ich denke, ich werde Euren Rat beherzigen”, meinte sie dann und lächelte. “Zum Glück habe ich ja einige Götterläufe Zeit dafür.”


Rückkehr eines Teils der Jagdgesellschaft - Madahild von Wolkentrutz Wappen haus wolkentrutz.png und Marbaron Baradhar Wappen haus baradhar.png

Zweite Traviastunde

Es war wohl zu Beginn der zweiten Traviastunde, als Wulfwin von Tannengrund in Begleitung von Jagdmeister Firunwin Waidtmann zurück ins Lager kam. Der Erbjunker von Maradom hatte einen Überläuferkeiler erlegt und war darüber sehr zufrieden. Kurz danach war auch Ritter Marbaron Baradhar zurückgekehrt. Allerdings hatte er den geraden Achter, auf den er geführt wurde, mit seinem Bogen verfehlt. Bei der Suche nach dem flüchtigen Hirschen, war ihm dann wohl ein Spießer begegnet. Die beiden Jäger traten alsbald an das Küchenzelt heran und mischten sich dann unter die Festgesellschaft.
Erfreut hatte Madahild von Wolkentrutz die Rückkehr der Jagdgesellschaft aufgenommen. Einen Becher mit Honigwein in der Hand ließ sie nun ihren Blick über die Gesichter der Männer und Frauen schweifen. Als der Ritter von Gnadengrund unter den Baldachin trat, erhellte sich die Miene der Edeldame. Langsam erhob sie sich von ihrem Platz und trat neben den großgewachsenen Mann.
“Und, Wohlgeboren”, sie hob ihren Becher, “konntet Ihr Euch vor Firun würdig erweisen?”
Dieser schüttelte beschämt den Kopf: “Leider nein. Der Hirsch war zu weit weg für meinen Pfeil. Aber zumindest konnte ich einen jungen Spießer erlegen. Alles andere wäre”, erklärte der Baradhar und ließ seinen Satz dann doch mit einem Schulterzucken unvollendet. Es war ihm anzusehen, dass er nicht allzu gut auf die Jagd zu sprechen war. Der Misserfolg hatte sich in sein Gesicht gegraben.
“Aber sagt, wie erging es den anderen?”, fragte der Recke. Kurz überlegte die Edeldame, ob sie dem Ritter vom Erfolg des Tannengrunders berichten sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Es würde dem Gespräch sicher nicht zuträglich sein. “Nichts Herausragendes”, meinte sie stattdessen und schüttelte leicht den Kopf, um dann mit einem Blick über die Anwesenden hinzuzufügen: “Hier im Lager im Übrigen ebenso wenig. Aber zum Glück ist der Tag ja noch recht jung…” Sie schenkte dem Baradhar ein offenes Lächeln.
“Sicher haben die anderen mehr Glück gehabt! Würde mich nicht wundern”, betonte Marbaron mit leichter Missgunst in der Stimme. Dann sah er Madahild für einen Moment schweigsam an und stemmte etwas unbeholfen die Hände in die Hüfte. Schließlich beugte er sich nach vorne und raunte ihr leise zu: “Ich hörte davon, dass Eure Tochter das Pagenturnier im vergangenen Frühling in Havena gewonnen hat, aber offenbar doch keine Knappin bei den Rittern der Krone wird. Stimmt das?”
Die Wolkentrutz schnappte nach Luft und sah ihr Gegenüber zornig an. “Sie hat tapfer gestritten und den Sieg errungen, soweit habt Ihr recht gehört”, gab sie patzig zurück, “was die andere Frage betrifft, würde mich schwer interessieren, wer so etwas behauptet!” Deutlich leiser und mit einer Spur Trotz in der Stimme fügte sie an: “Immerhin ist Rahjalyn ja noch nicht einmal 14 Götterläufe alt…”
Marbaron machte eine beruhigende Handbewegung. Die Aufregung konnte er nicht so ganz verstehen, ein Page wurde man doch schon im Alter von sieben.
“Dann war es wohl nur dummes Geschwätz hinter vorgehaltener Hand. Weiß man denn schon wer ihr Schwertvater wird?”, wollte der Herr von Burg Gnadengrund wissen.
“Nein, das wird sich noch erweisen”, entgegnete Madahild versöhnlicher, “und natürlich ist auch das Haus Wolkentrutz nicht untätig gewesen und hat das ein oder andere vielversprechende Gespräch geführt. Aber mehr möchte ich dazu zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen”, fügte sie freundlich, aber bestimmt an.
“Habt Ihr einen Knappen oder eine Knappin, Wohlgeboren?”
Der Hühne sah nach links und dann nach rechts. Dann blickte er wieder zu Madahild hinab und zuckte mit den Schultern. “Im Augenblick nicht. Warum fragt Ihr?”
Die Edeldame lächelte. “Konversation“, meinte sie dann. “Und vielleicht auch einfach Interesse an Eurer Person.“ Ihre Stimme hatte einen leicht fragenden Ausdruck angenommen.
“Ich hielt es für weniger verfänglich als gleich nach Eurem Familienstand zu fragen“, fügte sie zwinkernd an.
Marbaron wollte etwas erwidern, da ihm aber nichts schlagfertiges einfiel, verstummte er für einen Augenblick mit gerunzelter Stirn: “Ihr seid recht direkt, wenn Ihr mir diese Bemerkung gestattet.”
Madahild zuckte lächelnd die Schultern. “Wer nicht wagt, der nicht gewinnt”, meinte sie dann. “Gern können wir aber auch über etwas anders sprechen. Turniere etwa. Nachdem der Bredenhager Buhurt in diesem Jahr nicht stattfand, gibt es doch gewiss einen anderen Wettkampf, an dem Ihr teilzunehmen gedenkt?”
“Ich werde wieder am Feenreiten teilnehmen”, erklärte der Ritter. “Wie Ihr vermutlich gehört habt, hat Adalhard von Singersberg die letzte Turney gewonnen und wird die kommende ausrichten.”
Die Edeldame hielt ihr Lächeln, wenn auch ihre Mundwinkel kurz verräterisch zuckten. “Ich hörte davon. Eine große Ehre”, kommentierte sie knapp. “Das Feenreiten also”, versuchte sie das Gespräch sogleich in weniger heikle Bahnen zu lenken. “In welcher Disziplin rechnet Ihr Euch die größten Chancen aus?”
“Da brauche ich nicht lange zu überlegen, es sind die leichten Handwaffen!”, gluckste Mabaron. Doch dann verfinsterte sich spürbar seine Miene: “Wenngleich ich hoffe, dass es trotz der Nähe zum Farindel diesmal keine Einmischung von Andersweltlichen geben wird, so wie im letzten Herbst.”
Mit gedämpfter Stimme fuhr er langsam fort: “Da hatte sich ein dunkles Feenwesen mit diesem Arwulf von Singersberg zusammengetan, einem Anverwandten des heutigen Junkers”, erzählte Marbaron. Obschon er zuerst einen weiteren Gedanken aussprechen wollte, verstummte er erst einmal im nachdenklichen Schweigen.
Madahild runzelte die Stirn. Dann entschied sie, dem Ritter keine Zeit zu weiteren Überlegungen zu geben. “Wenn man keine Einmischung von Andersweltlichen wünscht, sollte man das Turnier vielleicht jemand anderem widmen”, meinte sie schnippisch, während sie darüber nachdachte, wie sie das Gespräch schnellstmöglich beenden könnte, ohne das Gesicht zu verlieren.
“Ja, womöglich”, gab dieser gedankenversunken zurück.
Die Edeldame zögerte kurz, dann setzte sie ihr bestes Lächeln auf und meinte: “Es war wirklich angenehm, mit Euch zu plaudern, doch nun werde ich einmal nach meinem Neffen sehen. Es würde mich freuen, wenn wir zu späterer Stunde noch Gelegenheit fänden, das Gespräch weiter zu vertiefen.” Sie wandte sich zum Gehen.
“Ganz wie Ihr wünscht hohe Dame!”, entgegnete Marbaron galant. Er sah noch einmal zu der Edeldame aus dem Hause Wolkentrutz, aber es wollte ihm im Augenblick einfach nicht einfallen.