Des Falken letzte Ehr` (1045) Teil 06: Eine Woge der Trauer

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Dramatis Personae

Lûran Falkraun Ritter Wappen haus falkraun.png (Alter: 49), Vogt von Draustein, Junker von Flusswacht, Weißer Löwe
Johril Dragentrutz Ritter Wappen haus dragentrutz.png (Alter: 40)
Callean Vialigh Knappe Wappen haus vialigh.png (Alter: 15), Schildknappe von Johril Dragentrutz
Caertan von Nymphensee Ritter Wappen haus nymphensee.png (Alter: 21)
Gerwine Golla Fischerin aus Schilfensee (Alter: 52)
Bornwulf Tauschlag Rüdemann (Alter: 51)
Laromar Tauschlag Jagdknecht (Alter: 18)


Ein trauernder Vater

Es verging jedoch nicht allzu lange Zeit, bis aus Richtung des nahen Waldrandes zwei Gestalten näher kamen. Der junge Knappe bemerkte die Beiden zuerst. Voran schritt ein schlanker, älterer Mann mit einer Pelz besetzten Lederkappe und auffällig fein gearbeiteten Lederkluft. Über der Schulter konnte man Köcher, Pfeile und Bogen ausmachen. Hinter ihm lief ein kräftiger junger Bursche in grober Wollkleidung und einem Jagdspieß. Sie schienen die Neuankömmlinge bereits ausgemacht zu haben und kamen schnellen Schrittes auf sie zu.
Als Callean die Männer kommen sah, hielt er augenblicklich in seiner Arbeit inne und mit einem aufmerksamen „Herr Johril!“ rief er nach seinen Schwertvater, während er selbst die Axt an die Seite des Holzstapels legte, um den Herrn Flusswachts mit gebührender Höflichkeit zu empfangen. Dabei zeigte sich der Bursche respektvoll und beugte, als dieser sich ihm näherte, das Haupt vor dem Vetter seiner Mutter, welcher für Callean in diesem Moment nur ein Vater war, dem die Herrin Rondra erst kürzlich so tragisch Sohn und Erben genommen hatte.

Lûran Falkraun blieb einige Schritt vor dem jungen Knappen stehen und nickte diesem zu. Auch wenn er versuchte, sich ein freundliches Lächeln abzuringen, so sprachen seine Augen eine deutliche Sprache. Traurigkeit und Kummer hatten an dem einst stolzen Weißen Löwen gezehrt. “Sei gegrüßt, Callean!”, sagte Lûran mit leiser Stimme und blickte dann in die Runde um sich einen Überblick zu verschaffen, wer alles unter den Neuankömmlingen war. Einen kurzen Moment ruhten seine Augen auf dem Wappenrock des jungen Begleiters aus dem Hause Nymphensee. Dann wandte er sich zu Johril und näherte sich, um ihm die Hand zu reichen. “Willkommen, Johril!“

Dieser war nach dem Ruf seines Schützlings ebenfalls seinem Schwiegervater und dessen Begleiter entgegengeschritten. Ergriffen hielt Johril die Schwerthand des Junkers umklammert, während sich seine Gesichtszüge verhärteten. „Habt Dank! Es tut mir leid, dass ich ohne Euren Sohn...“, dann stockte der gestandene Ritter und räusperte sich sichtlich angefasst von den aufsteigenden Gefühlen in seinem Herzen. „Wir sind alle tief erschüttert über den unerwarteten Tod von Ardan.“ Johril senkte für einen Augenblick das Haupt. Seine Erinnerungen verharrten auf dem Zug der Edlen in die Wildermark vor beinahe zehn Jahren und den Stolz in den Augen von Ardan, als es den albernischen Streitern gelungen war, dass Dorf Schwarzenborn zu befreien. Die darauffolgenden Monde an der Seite von Arlan Stepahan hatten ihn und den jungen Falken nach Weiden und ins Bornland geführt. Sie hatten gemeinsam so manches gute Jahr erlebt und so manche göttergefällige Tat vollbracht. Sie hatten Anteil an der Befreiung von Mendena. Ardan stand ihm stets zur Seite. Ihm war der Junge über die Jahre ebenso ans Herz gewachsen, wie ein jüngerer Bruder. Als Johril bemerkte, dass sich seine Augen allmählich mit Tränen füllten, ballte er seine Schwerthand zur Faust und schluckte seinen Kummer stumm hinunter. Es dauerte einen Moment, bis er seinen Blick wieder hob.
„Eure Tochter schickt uns! Sie sorgt sich um Euch, da Ihr hier alleine auf der Jagd seid!“, erklärte der Ritter weiter, wenngleich er wusste, dass sich Veriya vor allem darum sorgte, dass ihr Vater seinen tiefen Schmerz nicht alleine mit sich selbst in der Wildnis ausmachen musste. So hatte Johril es zumindest verstanden. „Es ist ihr wohler, wenn Ihr mit uns heimkehrt nach Burg Falkenwacht!“

Lûran legte seine linke Hand auf Johrils Schulter und nickte schwermütig. “Ihr habt Recht mein Freund, ich sollte bei meiner Familie sein!” Er festigte seinen Griff für einen kurzen Moment und Johril spürte, wie seine Hand dabei zitterte. “Wir werden morgen früh aufbrechen und zur Burg zurückkehren.”

Johril nickte: „Wie Ihr wünscht!“, kam es ihm erleichtert über die Lippen und trat einen Schritt zur Seite, so dass sein Blick jenen von Caertan von Nymphensee fand. Dieser stand mit versteinerter Miene etwas abseits. Caertan nickte, straffte seinen Wappenrock und schritt dann auf den Junker der Flusswacht zu. Dann zog er sein Schwert, um dieses sodann mit seinen beiden Armen vor dem Weißen Löwen in einer demütigen Geste zu präsentieren. Dann ließ er sich bußfertig auf ein Knie hinab und hielt den Blick des trauernden Vaters. „Wohlgeboren Falkraun! Ich bin Caertan von Nymphensee und habe Anteil am Leid Eures Hauses, denn es war die geborstene Krönung meiner Turnierlanze, welche Euren guten Sohn, Ardan, zu Boron befohlen hat. Ich bin nach Draustein gekommen, um Eure Vergebung zu finden!“, erklärte der junge Ritter mit einem merklichen Beben in der Stimme, um dann ehrfurchtsvoll seinen Blick zu senken.

Der Herr von Flusswacht hatte sich dem jungen Ritter zugewandt und regungslos dessen Worte vernommen. Es schien eine Ewigkeit zu verstreichen, während Lûran auf den knienden Recken mit versteinerter Miene herab sah. ‘Dies ist also der Mann, den unsere Götter als würdiger erachten, als meinen Sohn?‘, dachte er bei sich. Welche Rolle würde ihm im Ränkespiel der Götter zufallen? War es ein schlechter Scherz? Ein höheres Ziel? Oder war es gar eine Prüfung für Lûran selbst? Die Stille war unangenehm und bedrohlich. Selbst die Tiere des Waldes schienen verstummt, um zu lauschen. Die Blätter der Bäume raschelten im sanften Wind, als Lûran langsam auf Caertan zuging und das Schwert entgegennahm. Es war eine burggeschmiedete Klinge und sorgsam gepflegt, hatte aber noch keine großen Schlachten geschlagen. Das war offensichtlich. “Erhebt Euch, Caertan von Nymphensee!”, sagte Lûran mit ruhiger Stimme.

Dieser nickte und tat wie ihm geheißen. Allmählich richtete sich dieser wieder auf. „Um meinen Worten auch Taten folgen zu lassen, will ich mein Schwert in Eure Dienste stellen!“, erklärte er mit tonloser Stimme. Sein Antlitz zeigte keinerlei Regung, während seine braunen Augen in das Gesicht des Mannes blickten, dessen Sohn durch seine Hand gefallen war. Allmählich machte sich ein angespannter Zug auf seinem Unterkiefer bemerkbar. Unweigerlich musste er seine Beklemmung nach unten schlucken und einmal tief nach Atem schöpfen. “Da ich selbst keine Kinder habe, gibt es keine Worte, die ich mit gutem Herzen bekunden könnte, um Eure große Trauer zu lindern. Ich kann Euch nur mein tief empfundenes Mitgefühl am Tod Eures Sohnes aussprechen“, bekannte Caertan von Nymphensee weiter. Man sah ihm an, dass er mit den Worten rang.
“Ich kann nur hoffen, dass Ihr mir eines Tages vergeben könnt und mich bis dahin als Euren Gefolgsmann akzeptiert!?“

Der Knappe Ritter Johrils beäugte den Kniefall des jungen Ritters vor dem Vater des Verstorbenen mit großem Interesse. Calleans Mitgefühl gehörte beiden Männern, dem Trauernden wie auch dem Reuigen. Den größeren Respekt aber zollte er dem Herrn Caertan für seinen großen Mut, sich dem Herrn Flusswachts zu überantworten. Es gehörte viel Aufrichtigkeit und Mut dazu, sich in die Dienste desjenigen zu stellen, der einen hasste.

Lûran Falkraun stand regungslos vor Caertan von Nymphensee. Er sah vor sich einen aufrechten jungen Ritter. Er wusste, was dieser auf sich genommen haben muss, um dies zu erreichen. Jahrelange harte Ausbildung und schwierige Prüfungen lagen hinter ihm. Es zeugte von Ehre, Pflichtbewusstsein und Mut, dass er nun hier vor ihm stand. Eine Woge der Trauer durchfuhr den Junker, als kurze Erinnerungen an seinen Sohn Ardan in seinen Gedanken aufblitzten. Die letzten Worte, die er mit ihm gewechselt hatte und welche im Streit gesprochen wurden, hallten in seinem Kopf. Einen Streit, den er nicht mehr beilegen konnte, denn dieser Möglichkeit war er beraubt worden. Aber es waren das Schicksal und Lûrans eigene Verbohrtheit, welche daran Schuld trugen, nicht die des jungen Mannes vor ihm.
Diese Erkenntnis schmerzte ihn. Seine Brust war wie zugeschnürt und er holte tief Luft. Die Welle der Erinnerungen war vorübergezogen. Der Herr von Burg Falkenwacht blickte nochmals auf das Schwert in seinen Händen. Dann senkte er die Klinge und reichte sie Caertan in einer ruhigen Geste mit dem Gehilz voran. “Habt Dank, Herr Caertan. Das Haus Falkraun heißt Euch willkommen!”