Des Falken letzte Ehr` (1045) Teil 03: Auf dem Altarm

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Dramatis Personae

Johril Dragentrutz Ritter Wappen haus dragentrutz.png (Alter: 40)
Callean Vialigh Knappe Wappen haus vialigh.png (Alter: 15), Schildknappe von Johril Dragentrutz
Caertan von Nymphensee Ritter Wappen haus nymphensee.png (Alter: 21)
Gerwine Golla Fischerin aus Schilfensee (Alter: 52)


Auf dem Altarm

Schon eine ganze Weile starrte Johril Dragentrutz gedankenversunken ins grünfarbene Wasser des Altarms, in dem sich die Baumkronen des Auwalds widerspiegelten, ehe der Wellenschlag ihres Kahns deren Umrisse gemächlich zerstob. Schon eine ganze Weile folgten sie dem Geflecht aus schmalen Nebenarmen, die sich abseits des Großen Flusses in die umliegende Flussaue erstreckten. Im Spätsommer waren die Wasserläufe hier so seicht, dass sie zweimal ihr Gefährt sogar verlassen mussten, als dieses knirschend über den Untergrund schrammte. Und einmal hatten sie den Kahn sogar ein kurzes Stück über Land getragen, als es galt, in einen Altarm überzusetzen. Neben Johril saß sein junger Knappe Callean Vialigh, der aufmerksam die Umgebung im Auge zu behalten schien, während Caertan von Nymphensee, ein junger Ritter und Sohn des Haushofmeisters von Burg Bredenhag, seit dem Bredenhager Buhurt mit seinem Schicksal haderte und im Tod von Ardan Falkraun eine Prüfung der Götter zu erkennen glaubte. In sich gekehrt saß er stumm zu Füßen der wortkargen Gerwine Golla, die mit einem Stakholz ihren Kahn in der Mitte des Wasserlaufs hielt und zu wissen vorgab, wo sich das Jagdlager von Johrils Schwiegervater, Lûran Falkraun befand. Aufgrund ihres wettergegerbten Gesichts und ihrer grauen Haare, schätze sie Johril auf weit über fünfzig Götterläufe.

Johril folgte wieder dem spielerischen Flügelschlag einer Libelle und sah dabei nach oben. Schon seit gestern hatten sie keine Wolke mehr am Himmel gesehen. Das kraftvolle Praiosmal trieb ihnen selbst unter dem Blätterdach der Silberweiden und Schwarzerlen den Schweiß auf die Stirn. Immer wieder trafen sie auf große Fliegenschwärme, welche die Luft mit ihrem Summen erfüllten. Von weitem sah Callean einen Silberreiher der gemächlich durch das flache Wasser schritt, mit steif vorgestrecktem Hals abrupt verharrte, ehe er flink nach seiner Beute stieß und sodann mit einem kleinen Fisch im Schnabel hinter einem Stück altem Treibholz wieder aus seinem Blickfeld verschwand.

Das entlockte dem jungen Tommeldommer, der seine frühen Kinderjahre am Gemhar zugebracht hatte, ein Lächeln voll Erinnerung an die Zeit zuhause. Doch dann blickte er wieder zu der versteinerten Miene seines Schwertvaters, und das Lächeln verschwand, denn er sah diesem nicht nur dessen Traurigkeit an, er teilte sie auch. Es war furchtbar, was passiert war. Callean hatte die schrecklichen Bilder noch immer vor Augen. Den Ritt, das Krachen, das Splittern, wie sein Knappenbruder zu Boden fiel und wenig später röchelnd im Staub in einer Lache aus Blut sein Leben aushauchte. Das hatte ihm, der erst gerade von dem Dragentrutz als Knappe aufgenommen worden war, vor Augen geführt, dass das Waffenhandwerk selbst in Friedenszeiten nichts an seiner Gefährlichkeit verlor. Trotzdem gab es kaum anderes, was Callean in seinem eigenen Leben wollte. Er wollte nur nicht so unsinnig sterben müssen wie der arme Ardan, denn er sah aus nächster Nähe, was so ein tragischer Unfall mit den Menschen machte.

Es schien so, als ob Johril seit dem unerwarteten Tod von Ardan alle Freude der letzten Götternamen mit einem Schlag verlassen hatte. Seine junge Gemahlin Veriya war einstweilen an der Seite ihres Oheims Travian nach Burg Falkenwacht zurückgekehrt, um ihrer Mutter Trost zu spenden. Wie man ihnen am gestrigen Tage auf Burg Draustein mitteilte, hatte sein Schwiegervater kurz nach Erhalt der dunklen Kunde, durch einen Boten von Gräfin Farnhild von Hohenstein, seinen Zelter gesattelt und war nach Burg Falkenwacht geritten. Wie sie bei ihrer Ankunft zur Mitte des Tages in Trutzbach erfuhren, war er vor zwei Tagen mit zwei Jagdknechten über das Dorf Schilfensee in den nahegelegenen Holdenaich aufgebrochen. So lag es nun an Johril, dem Wunsch seiner Gemahlin nachzukommen, ihren Vater hier ausfindig zu machen und zurück nach Burg Falkenwacht zu geleiten. Der Pfad von Caertan von Nymphensee war indessen weit unwegsamer, wollte er doch dem Manne gegenübertreten, dessen Sohn durch seine gebrochene Turnierlanze zu Boron befohlen wurde.

“Herr Johril, trinkt doch etwas,” hörte dieser die besorgte Stimme seines Knappen. Callean hielt dem Ritter einen verdünnten Weinschlauch hin. Dazu erzogen, dass man sich um andere kümmerte, vor allem, wenn es ihnen nicht gut ging, warf der Vialigh auch den anderen beiden Reisegefährten einen freundlichen Blick zu: “Wollt ihr auch einen Schluck, Herr Caertan? Meisterin Golla?”
Die in die Jahre gekommene Fischerin, mit den grauen Haaren und dem hölzernen Talisman in Form eines kleinen Dreizack um den Hals, schenkte dem Jungen ein schiefes Lächeln. “Vielleicht später”, gab sie knapp zur Antwort. Dann sah sie wieder nach vorne und drückte erneut mit der Holzstange behände den Kahn vom Untergrund ab. Während Herr Caertan verneinend den Kopf schüttelte, drehte sich sein Schwertvater zu ihm und streckte ihm seine Hand entgegen: “Warum nicht!” Nachdem dieser zwei große Züge genommen hatte, reichte er den Weinschlauch wieder Callean. “Hast du schon einmal Schwarzwild erlegt, oder einen Hirsch gestreckt?”, erkundigte sich Johril, um einschätzen zu können, ob der Junge bereits Erfahrungen im Waidwerk hatte.
„Tut mir leid, nein,“ antwortete Callean aufrichtig und es schwang Bedauern mit, denn er wollte seinen Schwertvater nicht enttäuschen, musste es aber gerade doch tun. „Von zuhause weiß ich, wie man mit Speer, Angel und Reuße fischt, aber ansonsten habe ich bisher nur Kleinwild jagen können. Und das auch nicht sehr oft.“ Nein, es half nichts. Er würde bei einer Jagd wohl keine gute Figur machen. Umso mehr wollte er sich anstrengen.

“Das ist ein Anfang!”, versicherte Johril und zwang sich dabei ein kärgliches Lächeln ab. “Sicherlich werden wir eines Tages mit meinem Schwiegervater gemeinsam auf die Jagd gehen, doch gegenwärtig soll es unsere Aufgabe sein, ihm in dieser schweren Stunde Trost zu spenden und ihn wohlbehalten zurück nach Burg Falkenwacht zu geleiten.“ Dies war zumindest der Wunsch von Johrils Gemahlin Veriya, der Tochter des Junkers von Flusswacht. Callean nickte, auch wenn er nicht wusste, wie ausgerechnete er diesem armen Vater helfen konnte. Ablenkung, das hatte er jedoch schon gelernt, war ein probates Mittel des Vergessens. Seine Mutter hatte sich nach Beendigung der Heckenfehde, in der sein Vater gestorben war, auf Wallfahrt begeben. Der hohe Herr Lûran grub sich in die Wälder ein.
„Herr Johril, wenn ich... .“ Dann verwarf der Junge den Gedanken mit einem sanften Kopfschütteln und schwieg.

“Fass dir ein Herz Junge und sage, was es zu sagen gilt!”, ermunterte ihn Johril, seine Gedanken offen auszusprechen. “Nur so bleiben wir gefeit vor Torheiten.” Torheiten? Callean war sich nicht sicher, ob er nicht gerade eine beging. Oder begangen hatte. Sein Schwertvater aber forderte Ehrlichkeit und dem musste er nachkommen. “Um ehrlich zu sein, Herr Johril, fühle ich mich etwas hilflos, weil ich nicht weiß, was ich ausrichten kann, um den Schmerz dieser Familie zu lindern“, fing er vorsichtig an. Dabei drückte ihm ein klein wenig aufs Gemüt, dass der Herr Caertan ihn hören würde. „Sicherlich vermag ich liebe Worte zu sprechen, sofern ich es darf, doch weiß ich auch, dass das Trost spenden mir als Knappe nicht obliegt. Ich, hm, wollte euch daher fragen, was ihr in diesem Falle von mir erwartet, damit ich mich richtig verhalten kann. Und ob es etwas in euren Augen gibt, was ich tun kann. So will ich es denn tun.“

Johril stutzte für einen Moment, ehe er die Stirn in Falten legte und Callean ungläubig ansah: “Hat dir eigentlich Herr Jaran beigebracht, alles wortwörtlich zu nehmen?” Wie sein junger Schildträger erkannte, stahl sich seit Tagen der Anflug eines schmalen Lächelns in Johrils Gesicht, was Callean mit Erleichterung wahrnahm, nachdem er eben schon erschreckt mit dem Kopf zu schütteln begann. “Wenn ich soeben von uns beiden sprach, meinte ich nicht, dass du Wohlgeboren Falkraun in diesen schweren Stunden eine Stütze sein musst. Wo denkst du hin? Du bist ein Knappe und kein Boroni, noch ein Familienmitglied! Niemand erwartet also von Dir, dass du viele Worte sprichst und wenn dir keine passenden über die Lippen kommen, senke dein Haupt und mach ein ernstes Gesicht! Das ist nie verkehrt.” “Ja, ich verstehe. Meine Frau Mutter erwartet natürlich, dass ich ihre Wünsche an ihren Vetter überbringe. Aber ich werde auf euer Zeichen dazu warten”, sagte der Vialigh aufatmend.

Caertan von Nymphensee hing seinen eigenen Gedanken nach. Die Worte der anderen erreichten nicht sein Ohr. “Wie lange noch?”, erkundigte er sich bei der Flussschifferin. Trotz der Hitze hatte er weder auf seinen Gambeson noch auf seinen Wappenrock verzichtet. Die anderen Habseligkeiten und sein Ross, hatte er ebenso wie die anderen, bei einem vertrauenswürdigen Gefolgsmann von Lûran Falkraun in Trutzbach zurückgelassen. ”Nur noch eine Biegung, dann haben wir den Lagerplatz erreicht”, entgegnete die Alte, ohne ihre Augen von der Umgebung abzuwenden. Es hatte ihr weitaus besser gefallen, als alle mehr oder minder geschwiegen hatten. Obwohl sie es sich nicht anmerken ließ, war ihr der junge Herr nicht geheuer. Eine nicht näher greifbare Düsternis, schien diesen zu begleiten. Gerwine ließ sich ihre Beklemmung jedoch nicht anmerken. Schlimm genug, dass Herr Ardan tot war. Sie hatte vor über einem Götterlauf zufällig ein paar freundliche Worte miteinander gewechselt. Doch nun war sein Leib zu Asche verbrannt und seine Überreste weilten auf Burg Falkenwacht und der junge Ritter saß nun irgendwo an Rondras Tafel und sprach womöglich mit seinen Ahnen. Dann umfasste die aus Schilfensee stammende Fischerin das Stakholz mit einer Hand und deute mit der anderen nach vorne. “Dort drüben ist ihr Lager!”