Treffen der Besten (1042) Teil 04: Bankett ohne Sieger

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"Aufgrund der zahlreichen Verletzten beim Buhurt wurden die Verkündung der Sieger und das Festbankett durch Graf Arlan um einen Tag verschoben. Am letzten Praioslauf des Mondes schloss zur Rondra-Stunde der Geweihte Sgarlad ‚Bitterstahl‘ von Draustein gemeinsam mit dem Drausteiner Travia-Geweihten Dankward Unkengrund den Bund zwischen Rhona ,Leuenglanz‘ von Draustein und Mardred Taladan bevor am späten Nachmittag die Hochzeitsfeierlichkeiten in die Verkündung der Sieger mündeten: doch zum Erstaunen aller Versammelten erklärte Turniermarschall Lûran Falkraun nach langer Beratung mit seinen Turnierrichtern, dass kein eindeutiger Sieger ermittelt werden konnte. Er rühmte aber Baron Wulfric Rondwyn ui Riunad und die Ritterin Aillyn Faithûr gleichermaßen - knapp vor Marbaron Baradhar. Die beiden besonders Belobigten sowie der Ritter von Gnadengrund schienen gefasst und beglückwünschten einander, bevor dann das große Festmahl auf der Burg vom Ausklang der Turney kündete." Yann Stoveric in der HF52

Dramatis personae

Auf dem Lanzenhain

Siana bei Gellis

Siana Falkraun hatte sich bereits am Vortag bei Gellis Ahawar gemeldet und förmlich angekündigt, dass sie auf Geheiß ihres Schwertvaters der Winhallerin beim abschließendem Bankett aufwarten würde. Nur hatte ihr dann die Verkündung des Aufschubs durch den Grafen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nur zu gerne hätte die Knappin die Strafe rasch hinter sich gebracht, aber auf der anderen Seite wollten ihr die Worte der Glenngarriff nicht aus dem Kopf.

Sie fand etwas Ablenkung in der Unterstützung ihres Schwertvaters, als die junge Jaslina Taladan am Abend nochmals nach Josold sah und dessen Leib mit dem schmerzlindernden Rotöl des Gilbornskrauts einrieb. Bei der Erneuerung der Verbände ging Siana der Gleichaltrigen zur Hand. Später nachdem Josold ruhte, schlenderte sie zum Küchenzelt hinüber: viele Speisen aus der Burgküche wurden hier gerade von den Feiernden verzehrt. Und manch einer Waffenmagd oder einem Heckenritter mochte gerade der blutige Ausgang des Buhurt wie der eigentliche Gewinn dieser Turney vorkommen.

Der letzte Praioslauf des Mondes sah dann neben der Hochzeit von Rhona ,Leuenglanz‘ von Draustein und Mardred Taladan auch endlich die Verkündung der Sieger der Turney: Siana war durchaus unzufrieden mit dem Schiedsspruch ihres Oheims und konnte nicht recht glauben, dass Rondras Zeichen so uneindeutig gewesen waren. Immerhin vermochte sich jeder der nun ‚Belobigten‘ durchaus zusammenreißen, was ihr zugegebenermaßen schwer gefallen wäre. Aber sie stand nun einmal nicht dort oben, sondern hier neben ihrem lädierten Schwertvater inmitten der Zuschauer, wo sie in ihrem feinsten Gewand unter der sengenden Praiosscheibe schwitzte wie ein Schwein. Die Menge vor der Tribüne zerstreute sich nun langsam, aber unter angeregtem Gemurmel, und floh allseits in den Schatten der hohen Buchen um den Lanzenhain. Manch einer gratulierte noch der jungen Ritterin und den beiden älteren Rittern, darunter der Graf und sein engstes Gefolge. Dabei lud die Gräfin die drei ‚Gewinner‘ im Anschluss an die Beglückwünschungen zu einem kühlen Trunk ein. Es war deutlich zu sehen, das die Gratulanten beim Baron von Gemhar bei weitem zahlreicher waren, als bei den beiden anderen Rittern.

Im Sog der Vasallen der Stepahan erreichte schließlich auch Siana mit Josold das Zelt. Als Leibritter der Farnhild von Hohenstein war ihr Schwertvater für den heutigen Tag aufgrund seiner Versehrungen von allen Pflichten entbunden. Dennoch bestand er natürlich darauf, nach einer kurzen Erfrischung an die Seite der Gräfin zurückzukehren. ‚War ja nicht anders zu erwarten gewesen!‘

Währenddessen der Nachmittag langsam verstrich, waren die Vorbereitungen auf der Burg im vollen Gange wie sie wusste. Das Gesinde, besonders die Küche, hatte bestimmt sogar die ganze Nacht gearbeitet, denn viele Speisen, die hergerichtet worden waren, mussten durch die vom Grafen beschlossene Verschiebung des Banketts aufs Neue zubereitet werden. Blieb zu hoffen, das später noch Zeit war, nach dem alten Herwin oder den anderen zu schauen. Vielleicht reichte es noch für ein gemeinsames Bier. Entschlossen holte sie schließlich den sehr jungen Wulfmund von Windisch zu Josolds Zelt und wies den Pagen in seine Aufgaben ein. Der Halbwüchsige war zwar wohlerzogen und schien verständig, doch die Zeit war zum Schluss doch kurz, so dass sie nach kurzer Verabschiedung von ihrem Schwertvater etwas atemlos bei Zelt der Ahawar eintraf.

Die Waffenmagd, die anstelle eines Knappen oder einer Knappin Dienst bei Gellis tat, nickte Siana wissend zu. "Gleich isse fertig, wartet noch nen Moment, Junge Dame. Was zu Trinken?" "Gerne..", die Knappin nickte dankbar und strich sich die wilden Locken aus der schweißfeuchten Stirn, dass dort eine Narbe am Haaransatz sichtbar wurde. Die nassen Finger wagte sie nicht, an der Festtagstunika abzustreifen und hielt unschlüssig für einen Lidschlag inne, bevor sie kurzerhand die Nässe in ihren Handflächen verrieb. Ihre Mutter hatte das Stück im vorletzten Frühjahr eigenhändig aus feinstem Leinen in den Farben und mit der Wellenlinie der Falkraun genäht, aber Siana war in dieser Tunika immer unwohl, da sie sich unnötigerweise ausstaffiert fühlte. Deshalb versuchte sie sich davon abzulenken und blickte sich neugierig im Lager der Ahawar um, während die Waffenmagd den Krug auf einem nahen Tischchen abstellte und sich dann Siana wieder zuwandte. Mit der Linken nahm Siana den Becher entgegen und streckte die rechte Hand der Gemeinen zum Kämpfergruß entgegen: "Ich bin Siana… Siana Falkraun." Die Waffenmagd griff Sianas Unterarm und drückte ihn kraftvoll. "Schön, Euch kennenzulernen, Hohe Dame, außerhalb des Turnierplatzes meine ich. Also so halt. Ich bin Ida."

Im Zelt stand Gellis vor ihrem keinen Spiegel und besah sich die raffinierte Flechtfrisur mit den kleinen, kunstvoll gefertigten Stoffblumen, die sich auch in ihrem hellgrünen Kleid wiederfanden. Sie stand gerade und stolz und lächelte, wie sie geübt war, zu lächeln. Freundlich und wohlgesonnen, wahlweise auch folgsam oder bitter, probte sie. Doch heute sollte es wohlwollend sein. Eigentlich hätte sie ein Abend in Ruhe, allein bei einem Wein oder im Bett mit einem zuvorkommenden Liebhaber, dem Bankett vorgezogen. Aber mit der kleinen Falkraun, die ihr heute abend aufwarten würde, hatte sie wohl kaum eine andere Wahl.

Gellis war schlecht gelaunt und rastlos. Sie hatte sich ihre Rückkehr nach Albernia anders vorgestellt, nach zwei Jahren, die sie durch Aventurien geführt hatten, hatte sie sich auf die Heimat gefreut. Aber die Rückkehr hatte ihr nicht die Ruhe gegeben, die sie sich gewünscht hatte, oder erträumt, oder beides. Noch immer hatte sie ihren Platz nicht gefunden, wusste nicht, was sie mit sich und ihrem Leben anfangen sollte. Daran hatte auch diese Turney nichts geändert. Doch all dies interessierte ihre Umwelt nicht, hatte es nicht zu interessieren. Sie war nun einmal die Tochter ihres Vaters und nicht die, ihrer Mutter. Eine Herrin, keine Bedienstete. Sie seufzte noch einmal und trat dann lächelnd und doch ernst an die Klappe des Zeltes.

Für einen kurzen Moment blickte Siana die blonde Edeldame vor sich irritiert an, bis sie Gellis auch wirklich erkannte: "Ihr… ihr seid sehr schön, Frau … Hohe Dame", entfuhr es der Schildmaid angesichts von Gellis Wandlung durchaus bewundernd. Tatsächlich schien ihr die Ritterin fast so schön wie Avana Taladan, aber licht wo die heutige Gemahlin des Barons von Aiwiallsfest dunkel war. Der Bruch zwischen Gellis‘ kämpferischer Erscheinung auf dem Turniergrund und ihrem jetzigen Auftreten hätte kaum größer sein können. Siana machte sich eigentlich nichts daraus, aber Gellis Verwandlung war beachtlich und alleine die Frisur musste viel Zeit gekostet haben, soviel wusste selbst sie. ‚Es ist dieselbe Frau‘, mahnte sich Siana zur Vorsicht.

Im Gegensatz zu den Grimassen, die sie vor dem Spiegel gezogen hatte, musste Gellis nun wirklich und ehrlich lächeln. "Danke Euch, Hohe Dame." Sie nickte Siana leicht zu, behielt aber ihre aufrechte Haltung bei. Siana konnte feststellen, dass diese Haltung auf dem Turnierfeld zu ihrer Autorität und Überheblichkeit beitrug, aber so sah sie im Moment einfach nur irgendwie erhaben aus, aber nicht auf eine negative Weise, sondern recht angenehm.

"Ich sehe, Ida hat Euch schon mit etwas zu Trinken versorgt. Siana, damit wir beide wissen, was wir vom heutigen Abend zu erwarten haben: Wie stellt Ihr ihn Euch vor?", fragte sie offen, jedoch mit strengem Tonfall. "Zuallererst bitte ich Euch, mich weiterhin mit meinem Namen anzureden. Und lasst bitte den Titel weg: Ich bin weder eine Dame, noch besonders hoch. Und ich will Eure Anweisungen auch beim lauten Bankett hören. Wär‘ doch schade, wenn ich Anweisungen interpretieren muss. Ist schon ein Unterschied dazwischen, Euch Wein nachschenken oder dem allzu aufdringlichen Sitznachbarn die Bratensoße über den Wanst zu gießen...."

Wieder schmunzelte die Ahawar leicht. "Das würdet Ihr tun, Siana?" "Warum nicht - in dem Kleid und mit dem Kopfputz wirkt Ihr leicht wie eine Edeldame, die Hilfe braucht..." Dann fügte sie noch hinzu: "… wenn Man sich davon blenden lässt, dass ihr recht kräftig seid..." "Wer weiß", sagte sie schlicht, aber mit Humor in der Stimme. Dann nickte sie ernst. "Gut, Euer Vorname. Ich ziehe es nicht vor, Euch Anweisungen geben zu müssen, sondern gehe davon aus, dass Ihr in der Lage seid, zu erkennen, was nötig ist. Auch wenn Ihr mir aufwartet, seid ihr nicht meine Dienerin, der ich durch die Halle hinweg Befehle nachbrülle." Ihr Tonfall war ruhig und bestimmt, als sie sprach.

"Solange mein Krug rechts neben meinem Teller steht, bitte ich Euch roten Wein nachzuschenken, wandert er leicht in die Mitte, habe ich genug. Bei Banketten schlemme ich nicht, ich verzichte auf Nachschläge und wünsche nie mehr als eine Scheibe Fleisch, am liebsten Wild, auf meinem Teller. Und ich verabscheue Kraut in jeglicher Form. Ich gehe davon aus, dass Ihr Euch das merken könnt?" Siana zuckte mit den Achseln: "Kann ich mir schon merken, ich bin allerdings in diesen Dingen nicht sonderlich begabt. Warum seid ihr so zurückhaltend beim Speisen, habt Ihr noch was vor?" Siana erinnerte sich an Gellis‘ ursprüngliche Frage und kam darauf zurück: "Wie stellt Ihr Euch denn den Abend vor, Hohe Dame?"

"Wir werden sehen, was der Abend bringt, Siana. Ich bin kein Mensch, der sich bei einem Bankett maßlos verhält und es ist mir lieber, den Abend länger zu genießen, als nur das Essen und Trinken. Und ja, womöglich habe ich noch etwas vor, doch das hat nichts mit Eurer Aufwartung zu tun." Gellis Stimme war ruhig und bestimmt, doch Siana meinte, einen angespannten Unterton zu hören.

"Ach so… Ja, dabei kann ich Euch natürlich nicht helfen", nickte die Knappin verständig. "Aber vielleicht möchtet ihr neben einer bestimmten... Person sitzen? Ich kann nachfragen, ob dies im Rahmen der... Wiedergutmachung... möglich ist?" Gellis hob anerkennend die Augenbrauen. "Was für ein vielversprechendes Angebot, Siana. Ja, tut das. Ein Platz neben Ruan Stepahan wäre mir durchaus genehm." "Neben Ruan Stepahan? Seid Ihr Euch wirklich sicher? Wir haben uns damals nur kurz auf dem Draustein gesehen, aber er ist ein Arsch. Mit Verlaub… Er ist arrogant und sehr auf seinen Vorteil bedacht. Das Kennenlernen dürfte also interessant werden...", folgerte die Knappin nachdenklich.

Gellis Lächeln wurde breiter. "Ich mag Herausforderungen! Für mich und auch für dich. Mal sehen, ob du mir diesen Wunsch erfüllen kannst."

"Dann nehme ich die Herausforderung an", zuckte Siana die Achseln. "Ich habe Euch gewarnt. Wenn Ihr erlaubt? Ich werde dann mal an Eurem Wunsch arbeiten".

Auf der Burg

Siana, Ruan und Gellis

Die Turney konnte für Ruan Stepahan sicherlich nicht als Erfolg verbucht werden: In den Leichten Handwaffen war er in der ersten Runde gegen Mardred Taladan ausgeschieden, während seine Schwester es doch tatsächlich unter die ersten drei geschafft hatte. Auch mit dem Langen Schwert war ihm kein Glück beschieden gewesen. Vom Tjost ganz zu schweigen - hier schied er im ersten Durchgang gegen den späteren Gewinner Marbaron Baradhar aus. Immerhin konnte er zuletzt im Buhurt den fahrenden Ritter Aedan Raighillin gefangen nehmen und hatte die Hoffnung, mit seiner Hilfe vielleicht noch das ein oder andere Mädchen, ja vielleicht gar Irmintrudt von Bienenhain, für sich einnehmen zu können. Welche Frau konnte schon einem Lied widerstehen, das einzig und allein ihr gewidmet war. Allein, er musste Acht geben, dass nicht der Raighillin den ganzen Ruhm und damit auch den Lohn einstrich. Außer der Bienenhain war ihm noch keine Frau aufgefallen, die ihm gefiel und die von seinem Vetter als standesgemäß angesehen werden könnte. Umso überraschender war für ihn die kurzfristige ‚Bitte‘ des Vogts gewesen, an diesem Festtag eine Dame zum Bankett zu begleiten. Nun, vielleicht wollte man eine der alternden Adligen ausgerechnet am Tag der Vermählung von Rhona ,Leuenglanz‘ von Draustein und Mardred Taladan nicht allein speisen lassen. Er würde gute Miene zum bösen Spiel machen und früh versuchen sich wegzustehlen. Und sicherlich würde er sich nicht dem Pulk an Gästen anschließen, der nun in die Halle strömte.

Die Burg war - wie immer zu den großen Banketts - hoffnungslos überfüllt. Hinzu kam die Wärme des Rondra-Mondes, die dazu führte, dass im beleuchteten Rittersaal bereits das Ergreifen des Essmessers einen kleinen Schweißausbruch zur Folge hatte - und das galt gleichermaßen für die Fürstgemahlin, den Grafen bis hinab zu einfachsten Knappin.

Siana Falkraun stand der Schweiß bereits auf der Stirn als sie den jungen Leibritter der Fürstgemahlin schließlich im Weißen Hof - hinten in der wartenden Menge - im Schatten der mächtigen Rotbuche fand.

‚War ja klar, dass er es nicht eilig hat‘, dachte sie, schlängelte sich durch eine letzte Gruppe von Adligen, murmelte vorbeugend dabei einige lustlose Entschuldigungen und trat auf ihn zu. "Herr Ruan… Eure Begleitung wartet bereits, ich werde Euch hinbringen", Sianas Worte klangen durchaus etwas ungeduldig.

Sichtlich irritiert blickte der Stepahan die Jüngere an. Der Aufruhr um die Knappin Josolds von Firunsgrund war ihm nicht verborgen geblieben. Vermutlich hatte man sie als Folge dessen zu Diensten für ihren Oheim Lûran verpflichtet. Mit einem gleichgültigen Schulterzucken blickte Ruan in Richtung der Burg. Dann erinnerte er sich an seine guten Manieren und wandte sich erneut der jungen Falkraun zu: "Glückwunsch zum Sieg. Du hast mutig gekämpft." ‚Vielleicht etwas zu mutig’, ging es ihm durch den Kopf, doch das behielt er zunächst lieber für sich. Wer wusste schon, ob ihm das Wohlwollen der Knappin im weiteren Verlauf des Abends nicht noch nützlich sein würde, wo sie doch offenbar einen guten Überblick über die Gäste hatte.

"Danke", brummte Siana einsilbig als Antwort auf seine Bemerkung und ging durch die Menge voran. Nach den ersten Schritten wandte sie sich um und ging sicher, dass der Hohe landlose Herr aus Havena auch mithielt und sich nicht irgendwo ablenken ließ, bevor sie weiter ging. Allzu weit war der Weg indes nicht, schon bald hatte sie ihr Ziel erreicht und steuerte auf eine Dame in hellgrünem Kleid zu, die schweigsam neben einer Gruppe von lebhaft schwatzenden Edelleuten aus Bredenhag stand. Sie wandte Siana und auch Ruan den Rücken zu, bis Siana sich räusperte: "Hohe Dame? Euer Begleiter ist hier".

Ruan und Gellis

Gellis drehte sich freundlich lächelnd zu den beiden um. Sie war froh um ihre Hochsteckfrisur, so hatte sie immerhin den Nacken frei und schwitzte nicht allzu sehr und auch, dass ihr hellgrünes Kleid schulterfrei war, wirkte sich positiv aus. So fiel es ihr nicht schwer, sich selbstbewusst und kraftvoll zu geben.

Der Körperbau der Ritterin war eine faszinierende Mischung aus Feingliedrigkeit und Kraft. Sie war nicht zu muskulös, aber auch nicht sehnig, ihre Haut war hell, obwohl sie sicher als Ritterin viel draußen war, man sah keinen harten Übergang ihrer Hautfarbe von ihrem Gesicht zum Dekoltee, das tief ausgeschnitten war und recht kleine, aber wohlgeformte Brüste andeutete. Die Blumen, die in ihr Haar geflochten waren und sich auch in ihrem Kleid fanden, gaben ihr eine Weiblichkeit, die ihrer Körperspannung faszinierend entgegenstand.

Verzückt starrte Ruan die Ritterin an. Kurz blickte er zu Siana, um sicher zu gehen, dass sie sich nicht geirrt hatte, doch ihr Blick ließ keinen Zweifel zu.

"Danke, Siana", sagte Gellis erst schlicht, bevor sie Ruan ansah, direkt in die Augen, ohne einen Moment des Zögerns. "Hoher Herr, es freut mich, dass Ihr eingewilligt habt, diesen Abend mit mir zu verbringen." Sie bot ihm den Arm, dass er ihn ergreifen und sie hineinführen könnte.

Der Angesprochene brauchte einen Moment, um zu reagieren. Dann jedoch straffte er die Schultern und setzte ein Lächeln auf. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite." Und etwas leiser fügte er hinzu: "Es verspricht jetzt schon, ein äußerst angenehmer Abend zu werden."

Mit einem Schritt war er heran und ergriff den dargebotenen Arm, nur um festzustellen, dass die Ritterin gut einen halben Spann größer war als er. Er versuchte die kurze Unsicherheit zu überspielen, nur um sich einer neuen gegenüber zu sehen. Siana hatte ihm den Namen der Dame nicht genannt.

Kurzerhand öffnete er seine Position wieder, wohl darauf bedacht, die Verbindung zwischen ihnen nicht zu lösen. "Ruan Stepahan, Leibritter Ihrer Durchlaucht Talena vom Draustein", stellte er sich vor und deutete eine Verbeugung an, "zu Euren Diensten." Erwartungsvoll lächelte er seine Begleitung an.

"Gellis Ahawar", sie knickste ebenfalls nur angedeutet, "Ritterin Ihres Hochwohlgeboren Bragon Fenwasian, Graf zu Winhall." ‚Eines der älteren Häuser’, stellte Ruan erfreut fest. Wie hatte er die Ritterin bislang nur übersehen können? Und nun fiel es ihm auch wieder ein. Seine Schwester war gegen eine Ahawar in der Tjost angetreten. Und eben diese Ritterin war es auch gewesen, die Siana, dieses Miststück - wie er in Gedanken hinzufügte -, entgegen aller Regularien angegangen war. Er würde mit der jungen Falkraun noch ein Hühnchen zu rupfen haben... später.

"Seid Ihr das erste Mal hier auf dem Draustein?", fragte Ruan, während er wieder seine Position an Gellis’ Seite einnahm, um gemeinsam mit ihr zur Burg hinüberzuschreiten. In Gedanken ging er alles, was er über den Winhaller Adel wusste, noch einmal durch. Gellis musste die Bastardtochter Rodowan Ahawars sein, immerhin der Vogt von Weyringen… Gellis verlor ein wenig ihrer inneren Anspannung, und Freude auf den Abend breitete sich mehr und mehr in ihr aus. Es schien ihr, als wäre die Entscheidung für Ruan tatsächlich nicht schlecht gewesen. "Ja, das bin ich. Aber an Eurer Seite sollt mir ja keine Information über diesen Ort verborgen bleiben, oder?", scherzte sie.

"Gewiss nicht", antwortete der Angesprochene nicht ohne Stolz. "Gibt es etwas, das Euch besonders interessiert? Habt Ihr schon den Draufall bewundern dürfen? Nur wenige wissen, dass es hinter dem Tempel der göttlichen Leuin einen kleinen Felssporn gibt, von dem aus man einen atemberaubenden Blick hat. Und im Licht des Madamals hat der Ort regelrecht etwas Verwunschenes." 'Das ist zu einfach.', dachte Gellis auf Ruans Reaktion. Gleichzeitig aber begann sie, bereits jetzt das Zusammensein mit ihm zu genießen, das Spiel gefiel ihr…

"Dann versprecht mir, dass Ihr mir genau dann diesen Ort zeigt, heute Nacht", sagte sie mit Berechnung ein wenig überzogen, damit es nicht wie ein begeistertes naives Mädchen klang.

Ruan stutzte. Das war zu einfach. Misstrauen regte sich in ihm, doch ließ er sich hiervon zunächst nichts anmerken. "Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch den Abend so angenehm wie möglich zu machen", erwiderte er. "Wie steht es mit dem Tanze?"

"Meint Ihr nicht, dass das ein leichtfertiges Versprechen sein könnte?", fragte Gellis spitz, lehnte sich aber aber mit einem leichten Lächeln etwas an ihn. "Ich tanze gern und Ihr? Vereint Ihr Können und Freude daran?"

"Nun, fordert mich heraus", lachte Ruan, der die unerwartete Annäherung ganz offensichtlich genoss. "Ich bin ohnehin der Meinung, dass Können allein noch keinen guten Tänzer macht. Ob es nun um so etwas Simples wie eine Pavane geht oder darum, aus einer gezwungenen und insgesamt eher faden Gesellschaft einen unvergesslichen Abend werden zu lassen...", er hielt kurz inne und wandte sich Gellis zu, "es ist doch wie so oft alles eine Frage der Leidenschaft." Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen und für einen Moment blickte Ruan der Ritterin tief in die Augen. Sie hielt seinen Blick lächelnd. "Ohne Leidenschaft hat nichts einen Wert", sagte sie schlicht. "Wohl wahr", nickte der Ritter. Noch immer lächelnd wandte er sich um und geleitete sie die letzten Schritte zur Burg. Als sich das Paar in die Gruppe der Wartenden eingereiht hatten, richtete er erneut das Wort an Gellis:. "Sagt, wie steht es in Winhall. Was erzählt man sich am Hofe? Und wo habt ihr eigentlich all die Jahre gesteckt?", fragte er mit einem breiten Grinsen.

"Ich war noch nicht daheim auf der Iauncyll, dazu war die Zeit zu knapp und ich wollte dies hier nicht verpassen. Bislang scheint es eine gute Entscheidung gewesen zu sein", sagte sie freudig und überlegte einen Moment, bevor sie weiter sprach. "Ich habe die letzten Jahre ein wenig Abstand suchen und finden dürfen. Ich bin gereist und habe unter anderem das Schlachtfeld von Brig-Lo besucht. Es war unvorstellbar eindrucksvoll."

"Ihr seid recht unerschrocken, wenn ich das so sagen darf, Hohe Dame. Ich hörte, dass dort so manch Geist umgehen soll. War es also eine Art Pilgerreise?"

"Unerschrocken?", fragte sie amüsiert nach. "Ja, das würden wahrscheinlich einige so sagen", meinte sie selbstbewusst. "Aber Ihr habt Recht, es war eine Art Pilgerreise. Ich brauchte nach einem Ereignis im Dienst etwas Ruhe und dankenswerter Weise hat die Distel mir diese gewährt. Und Brig-Lo schien mir passend. Eine recht lange Reise, ein interessanter Weg, ganz andere Kulturen und Brig-Lo selbst hat mir aufgezeigt, dass Leidenschaft nicht immer ausreicht, auch Kampfeswille, Hartnäckigkeit und Beistand sind wichtige Aspekte unseres Lebens hier auf Dere."

"Und vergesst nicht die Tugenden der Hesinde und des Herrn Phex", fügte Ruan hinzu. "Ohne einen fähigen Taktiker, der es lenkt, wäre auch das beste und leidenschaftlichste Heer nicht mehr als ein kopfloser Hühnerhaufen."

Gellis nickte."Ja, da habt Ihr wohl Recht, es sind alle zwölf Tugenden, die wichtig sind im Leben, aber manches Mal scheinen einige wichtiger zu sein und andere geraten in den Hintergrund oder gar in Vergessenheit."

"Sagt, dieses Ereignis, von dem Ihr spracht...", wechselte der Drausteiner mit einem Mal das Thema, "hatte es etwas mit den Feen des Farindel zu tun? Man sagt dem Winhaller Grafenhaus doch eine große Nähe zur Anderswelt nach."

"Ich weiß nicht, ob wir uns bereits so gut kennen, dass ich Euch darüber freimütig erzählen kann. Oder darf ich bereits Ruan zu Euch sagen?", scherzte die Ritterin.

"Wenn Euch das Erleichterung verschafft, tut Euch keinen Zwang an, Gellis", lächelte er verschmitzt, gemahnte sich jedoch zugleich zur Vorsicht. Diese Begegnung war so unwahrscheinlich, dass es sich eigentlich nur um eine hinterhältige Täuschung handeln konnte.

Im Gegensatz zu Ruan blieben Gellis die Sorgen fern, sie genoss. Sie erfreute sich daran, dass Siana die Idee eines Tischnachbarn hatte und sie sich nicht hatte abschrecken lassen von deren 'mit Verlaub, er ist ein Arsch'. Sie empfand ihn nicht als solchen und solange sie ihm keinen Ansatz bot, was sollte schon passieren? Wenn sie feststellen würde, dass der gemeinsame Spaß vorbei wäre, könnte sie gehen. Obwohl, momentan dachte sie, dass dieser Abend nicht enden sollte. Nun, vielleicht die Nacht auch nicht, sie würde es sehen.

Einlass zum Bankett

Gellis lächelte weiterhin, als sie nach Ankündigung durch den Haushofmeister und standesgemäßer Begrüßung der Gastgeber in den Saal einzogen und sie Siana ausschickte, nach ihrem Sitzplatz zu schauen. "Später", sagte sie leicht verschwörerisch zu Ruan, als sie sich inmitten der Menschen befanden, die ebenfalls auf ihre Tische warteten.

"Ich kann es kaum erwarten", entgegnete dieser flüsternd, wobei er seine Lippen so nah an Gellis’ Ohr brachte, dass er für einen Moment den Duft ihres Haars einfangen konnte. Doch sogleich wandte sich sein Blick wieder nach vorn, denn Siana bedeutete dem Paar soeben, dass sie ihre Sitzplätze gefunden hatte.

Sianas Gesichtsausdruck machte deutlich, dass ihr die sehr vertrauliche Geste nicht verborgen geblieben war, auch wenn sie nicht gehört haben konnte, was er gesagt hatte. ‚Die Kunst bei dem Spiel ist wohl zu wissen, wer Jäger und wer der Gejagte ist...‘, überlegte sie und fügte dann noch hinzu: ‚...und wann die Rollen getauscht werden!‘

Ruan straffte die Schultern und nahm eine förmliche Haltung an. Dann schritt er selbstbewusst zu dem ihnen gewiesenen Platz. "Nun, ich bin äußerst gespannt, wen man uns als Gesellschaft ausgesucht hat", raunte er Gellis zu. ‚Hoffentlich niemand von Hofe’, fügte er in Gedanken hinzu.

"Oh, ich auch", die Ritterin blickte neugierig in Sianas Richtung, zu erkennen, wohin diese ging.

Beim Näherkommen bemerkten sie, dass Siana sie geradewegs auf den roten Haarschopf von Ruans Zwillingsschwester zuführte, die von Rhonwen Ildborn und dem jungen Drausteiner Ritter Aendred von Bienenhain flankiert wurde. Ruan stutzte. Ein Blick auf den Rest der Tafel bestätigte seinen Verdacht. Zu seiner Rechten hatte man Eâchain Arland platziert, die in Draustein lange als verfehmt gegolten hatte. Etwas näher am Kopf der Tafel nahm er die bullige Gestalt Josolds von Firunsgrund wahr. Immerhin, der Platz zu Gellis’ Linken war noch frei, was darauf schließen ließ, dass es sich bei ihrem Sitznachbarn um jemanden von höherem Rang handeln musste.

Ja, es war offenkundig, dass man ihm durchaus einen besseren Platz hätte zuweisen können. Vermutlich fürchtete Luran Falkraun, man würde ihm Parteinahme unterstellen, wenn er einen Stepahan weiter oben an der Tafel platzierte, ob im Dienste der Fürstgemahlin oder nicht. Nun, Ruan würde darüber hinwegsehen können. Um keinen Preis wollte er sich den bislang äußerst angenehmen Abend durch solch ein läppisches Ärgernis verderben lassen.

Nach einer kurzen, höflichen Begrüßung der bereits anwesenden Gäste rückte Ruan Gellis den Stuhl zurecht - die Ritterin ließ sich von Ruan auf den Stuhl helfen und dankte ihm höflich.

Ruan hatte gewartet, bis sich seine Dame gesetzt hatte, ehe er mit einer eleganten Bewegung seinerseits Platz nahm. Siana vergaß nicht, auch Ruan den Stuhl zu rücken, da seine Herrschaft, Leibritter der Fürstin, ja bislang ohne Page ausgekommen war.

Ob Ungeschicklichkeit oder Vorsatz - der Stuhl wurde Ruan recht hart gegen die Beine und auch den Rücken geschoben, dass er mit einem unterdrückten Aufstöhnen zum Sitzen kam. Ein wenig glaubhaftes: "...Tschuldigung, Hoher Herr", entfuhr ihr. Dann beugte sie sich vor und flüsterte leise in sein Ohr: "Sie ist mein Gast, während des Banketts. Benehmt Euch bitte, wir sind hier nicht in Havena!"

Verdutzt wandte Ruan den Kopf. Was wollte diese Knappin von ihm? Während er noch grübelte, drang eine weitere Stimme an sein Ohr, und als er den Blick wieder nach vorn wandte, bemerkte er, dass seine Schwester ihn erwartungsvoll ansah. "Entschuldige, was hast du gesagt?", fragte Ruan unwirsch. Sogleich legte sich Ruadas Stirn in Falten und sie musterte ihren ‚kleinen‘ Bruder sorgenvoll.

‚Nicht das schon wieder‘, der junge Stepahan hoffte inständig, sie würde hier an dieser Stelle keines dieser Gespräche anfangen. Doch die Ritterin schüttelte nur leicht den Kopf. "Nicht so wichtig", meinte sie und wandte sich stattdessen lächelnd an Gellis: "Wie schön, dass wir Gelegenheit bekommen, uns auch außerhalb der Waffengänge etwas besser kennenzulernen." Die Angesprochene kannte die Anwesenden kaum. Sie war Eachain Arland in den Schweren Handwaffen und Ruada Stepahan in der Tjost unterlegen, das waren ihre einzigen Berührungspunkte bislang mit den Anwesenden gewesen. Die Etikette am Tisch überforderten sie ein wenig, daher hatte sie zwar einen erhabenen Gesichtsausdruck aufgesetzt, bislang aber eher auf Begrüßungen reagiert, als dass sie selbst das Wort als Erste erhob.

"Woher kennt Ihr meinen Bruder?" Neugierig blickte Ruada Stepahan die Winhallerin an.

"Die Junge Dame Siana Falkraun wartet mir heute auf Geheiß ihres Schwertvaters auf", sagte Gellis wahrheitsgetreu. "Sie war so freundlich und hat ebenfalls in die Wege geleitet, dass ich diesen Abend nicht ohne einen Herrn an meiner Seite zu verbringen brauche. Und so haben wir uns vor einigen Augenblicken kennengelernt."

Überrascht hob die junge Stepahan eine Augenbraue. "Wie..., ungewöhnlich, dass Frau Siana ausgerechnet meinen Bruder ausgewählt hat." Ihr Blick ging kurz zu Siana, die mit den Augen rollte, kehrte jedoch sogleich wieder zu Gellis zurück. "Aber umso besser für uns", lächelte sie.

Rhonwen und Siana

Rhonwen Ildborn hatte den beiden Neuankömmlingen freundlich zugenickt und Ruan mit Namen begrüßt, da sie ihn von der Audienz in Havena kannte. Ansonsten verband sie nicht viel mit dem etwa gleichaltrigen Kronenritter, dafür aber schon seit Knappentagen umso mehr mit seiner Zwillingsschwester. Kurz folgte sie dem Gespräch ihrer Kameradin mit der Winhallerin, dann schweiften ihre Gedanken allerdings ab und ihr Blick ging zu Siana Falkraun. Sie hatte die Jüngere vor vier Götterläufen auf dem Treffen der Besten kennen gelernt, und obwohl sie da gerade erst Schildmaid geworden war, hätte Siana Rhonwen beinahe im Ringen besiegt. Im Gestampfe hatte die Ildborn damals dann allerdings kurzen Prozess mit der vier Jahr Jüngeren gemacht und war schließlich zur Siegerin des Knappenturniers gekürt worden. Dieses Mal war es Siana gelungen, den Sieg zu erringen. Doch Rhonwen sah durchaus noch mehr Gemeinsamkeiten mit der streitbaren Knappin. Sie musste grinsen und nickte Siana zu, die gerade allen Wasser einschenkte, solange der Einzug der anderen Edlen noch anhielt. Über die Ildborn hinweg konnte sie dabei sehen, dass die blonde Travialyn ihr dafür einen bösen Blick zuwarf.

"Glückwunsch zu deinem Sieg im Knappenturnier, Siana."

"Danke", Siana grinste gequält und fügte hinzu: "Ich musste doch gleichziehen, schätze aber, du hast es zum Bankett damals etwas einfacher gehabt…?"

"Wie man’s nimmt”, entgegnete die Ritterin mehr zu sich selbst und ihr Blick ging kurz zu Aillyn, die an der angrenzenden Tafel gerade in ein angeregtes Gespräch mit Selma von Lindenhöh vertieft schien. "Bedienst du Herrn Josold gleichzeitig?”, fragte sie irritiert und blickte auch den Weidener neben ihr fragend an. Da Sianas "Strafarbeit” schräg gegenüber saß, wäre das tatsächlich eine Herausforderung für die Schildmaid.

Josold, der mal wieder den Kopf reckte, um nach Farnhild von Hohenstein Ausschau zu halten, schien mit seinem Platz auch nicht unbedingt zufrieden. Auch wenn er nichts an der Platzierung am Tisch als solches etwas auszusetzen hatte, war er als Leibritter zu weit von seiner Schutzbefohlenen entfernt. Bei der Erwähnung seines Namens hatte er kurz aufgemerkt und sich seiner Sitznachbarin umgeblickt, überließ es aber seiner Schildmaid die Situation zu erklären.

"Nein, der junge Wulfmund von Windisch wird sich meines Schwertvaters annehmen, dafür habe ich gesorgt”, erklärte sie selbstbewusst, umrundete dabei das Ende der Tafel und gab dem blonden Mädchen hinter Rhonwen den Wasserkrug in die Hand. Travialyn schien kurz verdutzt, nahm den Krug dann aber schulterzuckend entgegen und setzte Sianas Arbeit einfach fort. Rhonwen indes musste schmunzeln. "Dann werden wir ja sehen, für wen das alles die größere Strafe ist”, raunte sie Siana zu, als diese wieder den Rückweg antrat.

Die Wellenstein kommen

Währenddessen hatte sich Ruada Stepahan weiterhin an Gellis gewandt: "Sagt, Ihr seid doch das erste Mal beim Treffen der Besten... Wie unterscheidet es sich von den Turnieren in Winhall, sagen wir, etwa der Schicksalsturney?"

"Nun, die Gefahr ist hier geringer, dass Teilnehmer oder Gäste vom Wege abkommen und in die Welt der Farindel Eintritt erhalten", sagte sie mit leichtem Humor in der Stimme. Offenbar hatte sie damit bei der jungen Stepahan jedoch einen Nerv getroffen. Ihre Miene verdüsterte sich, was der Winhallerin jedoch nicht aufzufallen schien. "Im Grunde”, fuhr sie fort, "folgen ja aber alle Turniere einer Ordnung, mit kleinen Ausnahmen. Bei der Schicksalsturney gibt es beispielsweise einen Bardenwettbewerb, das sorgt dafür, dass es beim Abschlussbankett hervorragende Musik gibt. Wie ist das hier?"

"Hm?” Es schien, als würde Ruada aus einem Traum erwachen. "Barden?” Die Drausteinerin räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser. Sogleich setzte sie wieder ihr gewohntes Lächeln auf. "Oh, wenn wir ganz viel Glück haben, könnte die Baronin von Yantibair später noch ein oder zwei Lieder spielen. Sie minnt seine Wohlgeboren Jaran von Heckendorn. Aber einen richtigen Wettstreit gibt es leider nicht, bedaure. Das Haus Stepahan ist wohl Rondra deutlich näher als Rahja.”

Die Ritterin zuckte mit den Schultern. Dann nahm ihr Gesicht einen neugierigen Ausdruck an. "Wart ihr bereits einmal in der Anderswelt?”, fragte sie unverblümt.

Nun spürte sie, wie sie anscheinend bei der Winhallerin einen Nerv getroffen hatte, diese schien unangenehm berührt zu sein. "Das bleibt als Dienstritterin des Grafen von Winhall nicht aus", sagte sie schlicht.

Eine unangenehme Stille trat ein, die jedoch von Ruan unterbrochen wurde. "Ah, seht”, lächelte er, "unsere Tischgesellschaft bekommt Zuwachs. Der Junker von Nebelwacht samt Gemahlin.”

Ewaine und Arnbrecht Wellenstein zogen gemeinsam mit einem Jungen auf der Innenseite der Tafel an Gellis vorbei, gefolgt von dessen Schildknappen Wallwin Wolfrat Firunian von Sturmfels. Der Junker war der jüngste Steinvasall Drausteins und hatte nach dem Schlachtentod seines Vaters in Mendena die Nachfolge der ausgebluteten Familie angetreten. Nachwuchs schien der Familie jedoch nicht zu mangeln. Der junge Sidhric, ein Kind von vielleicht sechs Götterläufen, hielt sich neben seiner sehr ansehnlichen Mutter: die junge Ewaine, die ihren Mann mit einem liebreizenden: "Bist du so lieb”, aufforderte, ihr den Stuhl zurecht zu rücken, während sie ihr Kleid richtete. Mit einem charmanten Lächeln nickte sie den anwesenden Gästen freundlich zu. Den kleinen Sidhric überließ sie derweilen der Obhut seines Vaters, um ihn in seine Aufgabe bei Tisch einzuweisen. Arnbrecht begrüßte mit Sidhric an der Hand zurückhaltend die Anwesenden: Seine Stimmung schien allerdings gedämpft zu sein - vielleicht war auch die frühe Gefangennahme durch Raike ni Muir ein Grund dafür. Sicherlich konnte auch Wallwins schlechtes Abschneiden in der Knappenturney nicht zufrieden stellen.

Nachdem er Sidhric ruhig neben seiner Gemahlin hatte Platz nehmen lassen, ließ er sich zuletzt dann selbst neben Gellis nieder und instruierte leise seinen Sohn. Es wurde deutlich, dass dies wohl das erste gesellschaftliche Ereignis war, an dem der Junge teilnahm. Ebenso war klar, dass Vater und Sohn nicht das erste Mal sprachen, da Arnbrecht nur wenig sagen mußte: "... und das Wichtigste: nimm’ dir Zeit beim Essen, wie wir vorgestern geübt haben.”

Gellis blieb derweil nicht verborgen, dass Ruada ein Seufzen unterdrückte. Sie fühlte ein wenig mit Ruada, innerlich seufzte sie. Nach außen aber blieb sie aufrecht und freundlich lächelnd, während sie nach einem Gesprächsthema suchte. Dann begann sie, als Arnbrecht sich von seinem Sohn abwandte. "Sagt, Wohlgeboren, da es mein erstes Abschlussbankett beim Treffen der Besten ist und Ihr sicher schon häufiger hier wart: Was ist das Beste, was heute Abend zu erwarten ist?" Ein jungenhafter Schalk hellte für einen kurzen Moment die Gesichtszüge des etwa gleichaltrigen Junkers auf: "Angenehme Gesellschaft, später der Tanz und das Essen nicht vergessen. Das Beste wird jedoch der Zeitpunkt sein, wo die Tafel aufgehoben wird und jedermann frei ist, sich vor dem Tanz in lauer Abendluft im Weißen Hof die Beine zu vertreten. Ein guten Wein oder ein Bier an der Hand - ich empfehle Euch unter der alten Buche für einen kurzen Moment zu verweilen, die Augen zu schließen und nur auf das Lied der Blätter zu lauschen…”

"Das klingt wundervoll nach einer angenehmen Abwechslung zwischen Pflichten und Entspannung. Gibt es klassische Weine und Biere, die hier ausgeschenkt werden und die Ihr empfehlen könnt?”, fragte Gellis Arnbrecht.

"Ich denke, dass zum Bankett wieder Weißer und Schwarzer Elenviner gereicht werden: Der Schwarze ist ausreichend schwer, um traviagefällig auch Wild zu begleiten, der Weiße dagegen ist auch am späteren Abend am Tanzboden eine gute Wahl. Aber zu den Speisen wird auch das starke Festtagsbier gut passen, oder das leichtere goldene Steinbräu, das unten am Löwenkrug gebraut wird.”

"Oh, das hört sich nach einer vorzüglichen Auswahl an. Ich halte es früh am Abend lieber mit leichten Weinen oder Bieren. Doch an vielen Höfen frönt man oftmals den schweren und starken Tropfen. Gute Gastgeber bauen nicht darauf, ihre Gäste mit möglichst schnell wieder von der Festtafel zu vertreiben.” Sie lachte leicht.

"Was bevorzugt Ihr, Frau Rhonwen? Herr Josold?”, wandte sich der Steinvasall an die Bredenhager Dienstritter: "Was bevorzugt Ihr auf dem Draustein, vielleicht benötigt die Dame von Herrn Ruan noch weitere Einschätzungen?” Er blickte kurz die beiden Genannten und dann wieder aufmerksam Gellis an, die noch immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen trug und damit den erwähnten Ruan an ihrer Seite ansah. Der junge Ritter hatte sich bislang auffällig ruhig verhalten. Als er jedoch den Blick Gellis’ bemerkte, schenkte er der Winhallerin ein strahlendes Lächeln.

"Ihr fragt nicht im Ernst einen Weidener nach einer Empfehlung für einen Tischwein, werter Arnbrecht. Frau Rhonwen ist da sicher der bessere Ratgeber”, entgegnete da der Herr von Firunsgrund.

Gellis riss ihren Blick von Ruan und sah Rhonwen an.

Die junge Dienstritterin warf dem Weidener einen etwas gehetzt wirkenden Blick zu. Offenbar war sie dem Gespräch höchstens mit einem halben Ohr gefolgt und hatte die Frage des Wellensteiners überhört. "Ich… muss Euch leider enttäuschen, ich mache mir nicht viel aus Wein.”

Nun konnte Arnbrecht ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Obwohl sie schweigsam gewesen waren, hatten doch beide Dienstritter den Umfang der Frage unterschätzt: "Meine Frage bezog sich nicht nur auf den Wein, sondern auch auf das Bier”, erklärte der Wellensteiner sanft und ohne Vorwurf. "Neigt Ihr eher dem Festtagsbier oder dem leichteren Steinbräu zu, Frau Rhonwen?”

Rhonwen erwiderte das Lächeln mit einem etwas verlegenen Grinsen. Sie nahm sich vor, sich zusammenzureißen und aufmerksamer am Tischgespräch zu beteiligen. Zumindest, wenn sie direkt angesprochen wurde. "Eher das Festtagsbier, Herr Arnbrecht, dunkles Bier macht sich ja auch ganz gut zu Wild”, antwortete sie und ergänzte, "aber in Maßen. Man muss ja immer damit rechnen, später am Abend noch zum Tanz gefordert zu werden, und da brauche zumindest ich alle meine Sinne beisammen.”

"Da Ihr ja schon versichert, eine so aufmerksame Tänzerin zu sein, darf ich dann für den zweiten Tanz Eure Hand erbitten?” "Oh äh…”, der Blick der Ritterin verriet sehr deutlich, dass das sicherlich nicht ihre Absicht gewesen war. Allerdings war sie sich recht sicher, dass der Wellensteiner sie absichtlich missverstanden hatte. Sie versuchte also einigermaßen vergeblich ihre Gesichtszüge rasch wieder zu glätten und antwortete mit einem gequälten Lächeln: "Wie könnte ich da ablehnen?”

"Indem Ihr mir freundlich einen Korb gebt, gewürzt mit einer glaubhaften Begründung, um es mir einfacher zu machen”, bot Arnbrecht an, dem ihr Lächeln nicht entgangen war. "Vielleicht habt Ihr Euch beim Sturz im Tjost ja den Fuß verstaucht? Ich werde sicherlich über eine Zurückweisung beim Tanz hinwegkommen…”.

Rhonwen musterte Arnbrecht eindringlich, um zu ergründen, wie ernst er es meinte, aber sie konnte weder Falschheit noch Ironie erkennen. "Nein, das wäre wenig glaubhaft", entgegnete sie schließlich gemessen. "Ich bin mir sicher, ich kann von einem weitgereisten Herren wie Euch einiges lernen."

"Nur weil man weit gereist ist, heißt das nicht, dass man viel gelernt hat. Und noch weniger sagt es über die Qualitäten aus, andere etwas zu lehren”, sein Blick glitt von ihrem Gesicht an die hinter ihr liegende Wand des Rittersaals.

"Ich habe dort aber viel gelernt, Vater! Und Freunde gefunden - Frau Swantje war immer freundlich zu mir!”, unterbrach sein Sohn Arnbrechts Gedanken.

Der Junker sah auf und wieder Rhonwen an, die ob des Einwurfs lächeln musste.

Dann rückte er sanft Sidhric auf der Bank zurecht: "Ja, das stimmt mein Sohn, aber Ihre Erlaucht Swantje ist freundlich zu vielen Menschen - nicht nur zu dir. Als Behüterin der Mark gebietet ihr das die Travia-Kirche. Sie verhält sich als Herrscherin zu ihren Vasallen so gütig und umsichtig wie eine Mutter zu ihren Kindern. So wie die Gütige sich uns Menschen zuwendet.”

Dann blickte er zum Firunsgrunder und kam auf seine ursprüngliche Frage wieder zurück: "Und Ihr, Herr Josold, welchem Bier würdet Ihr den Vorzug geben?”

"Ich muss gestehen” erwiderte der Weidener Ritter jovial, "dass ich in dieser Hinsicht nicht sehr wählerisch bin. Allemal besser als dieser Apfelmost, dem kann ich so gar nichts abgewinnen.”

Das Funkeln in Ewains Augen entging ihm allerdings dabei.

"Über Geschmack läßt sich nicht streiten, Herr Josold”, nickte Arnbrecht. "Bedenkt nur, dass die zarte Abagunder Seele es mitunter nur schwer verkraftet, wenn ihr keinen Gefallen an diesem verbreiteten Getränk findet.”

"Gewiss will ich nicht darüber streiten, mein lieber Wellenstein”, antwortete der Weidener Ritter lächelnd. "Wie ich sagte, bin ich kein Maßstab für guten Geschmack. Von daher vergebt mir, wenn meine Worte dieser hiesigen Gaumenfreude nicht den nötigen Respekt zollten.”

Arnbrecht nickte wortlos und gab das Lächeln zurück - es lag ihm wenig daran, wegen den Befindlichkeiten oder besser dem Stolz seiner Frau hier ein Streit vom Zaun zu brechen.

Gellis hatte sich derweil ein wenig zurückgelehnt und lauschte dem Gespräch. Innerlich war sie sehr froh, sich aus dem Fokus eines Gesprächs gestohlen, ohne jemandem vor den Kopf gestoßen zu haben.

"Zu Eurer ersten Frage…”, Ruan hatte sich ebenfalls zurückgelehnt und wandte nun den Kopf zu Gellis, "es gibt noch einen weiteren Barden, den meine Schwester ganz offensichtlich vergessen hat zu erwähnen. Und wie es der Zufall will, steht er seit dem Buhurt in meiner Schuld.” Ein feines Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Stepahan. "Allerdings solltet Ihr wissen, dass Aedan Raighillin nicht nur für sein Können, sondern auch für seine Unverblümtheit bekannt ist. Wenn Ihr es wünscht, werde ich ihn später dennoch gern bitten, Euch mit einem Lied zu erfreuen.”

Gellis sah Ruan abschätzend an. "Unverblümt? Nun, seht es als Vertrauensbeweis. Ihr könnt das sicher besser einschätzen, wie sein Lied den weiteren Abend beeinflussen könnte.”

"Nun”, entgegnete der Ritter nach einem kurzen Moment des Abwägens, "vielleicht besser morgen. Wir wollen doch nicht, dass das Festbankett womöglich noch mit einer Forderung endet. Und nichts anderes bliebe mir, sollte sein Spiel Euch brüskieren.” Ruan neigte sich etwas näher zu Gellis. Offenbar waren die nächsten Worte nur für sie allein bestimmt. "Ein so vielversprechender Abend sollte wahrlich nicht in ein Duell münden. Da gibt es weitaus… interessantere Herausforderungen.”

Gellis wich vor seiner Annäherung nicht zurück und sagte schlicht. "Ihr versteht, was ich meinte. Gut."

"Sehr gut sogar”, lächelte Ruan und erlaubte sich einen tiefen Blick in Gellis’ blaue Augen, ehe er seine Aufmerksamkeit langsam, und mit sichtlichem Widerwillen, wieder den Tischgesprächen zuwandte.

Seine Tischnachbarin tat es ihm gleich, wenn auch ihr Blick noch eine Weile länger auf Ruans Gesicht lag, als dieser schon längst seinen Blick abgewandt hatte. Ihre Mimik zeugte von Neugier und machte den Eindruck, als versuchte sie, ihn einzuschätzen.

Siana schenkte währenddessen nochmals der Ritterin etwas Wasser nach. Wie es schien, nahm sich Gellis entgegen ihrem sonstigen forschen Auftreten hier sehr zurück, deshalb mochte es beizeiten sinnvoll sein, einen gefüllten Becher an der Hand zu haben, um Zeit zu gewinnen. Oder gar um sich zum Austreten zurückzuziehen und somit einen Bruch in einer vielleicht weniger erfreulichen Unterhaltung zu schaffen. Auch wenn sie selbst das höfische Getue als reine Zeitverschwendung erachtete, wußte sie doch, das im Rahmen dieser Gespräche die Zukunft von Menschen entschieden wurde, oder Auf- und Abstieg von ganzen Häusern. Wobei der letzte Blickwechsel zwischen Ruan und Gellis eher etwas handfestes anderes vermuten ließ.

Siana war Gellis’ Frage vorhin und die Antwort des Herrn Arnbrecht nicht verborgen geblieben und beschloss, einen ganz eigenen Stein ins Rollen zu bringen: "Es gibt auch noch andere schöne Plätze am Draustein. Man kann auch vortrefflich am Draufall baden und sich Abkühlung verschaffen. Das Madamal wird heute schön im Helm stehen...”

Gellis blieb nach Sianas Anregung eher unbeteiligt, antwortete aber mit arrogantem Tonfall, so, wie sie Siana nach dem Buhurt begegnet war. "Siana, wenn Ihr der Meinung seid, mir rahjagefällige Ratschläge geben zu müssen, beschränkt Euch bitte auf Wein.” Mit diesen Worten hielt sie ihren noch leeren Weinkelch auffordernd in Sianas Richtung.

"Gerne, aber das tut Ihr doch selbst schon - ich meine das Beschränken, Hohe Dame”, antwortete die Schildmaid und nahm einen Weinkrug von der Tafel. Dann schenkte sie Gellis nach.

Die Ritterin unterdrückte eine weitere spitze Bemerkung, sie wollte keinen Eklat am Tisch provozieren. Sie hatte anderes vor heute abend, als sich zu streiten.

Aendred und Eâchain

Aendred von Bienenhain, der sich noch nicht damit abfinden konnte aber auch jeden seiner Waffengänge verloren zu haben, hing noch verdrossen seinen Gedanken nach, während er am Ende der Tafel Platz nahm. Das aufdringliche Getue des jungen Stepahan würdigte er mit einer hochgezogenen Augenbraue, bevor er jedem seiner Sitznachbarn ein freundliches Nicken zur Begrüßung zu warf. Die beiden Stepahan soweit hinten zu finden, verwunderte auch ihn etwas, was die Frau Arland anging, hatte er zwar Gerüchte gehört, doch lagen die Ereignisse weit zurück und wer mochte sagen, was überhaupt an ihnen dran war.

Eâchain zweifelte dagegen keinen Augenblick, dass es purer Vorsatz gewesen war, der sie auf dem letzten Platz dieser Tafel sitzen ließ - gegenüber genau desjenigen Mannes, der Thalania verloren hatte.

Aber sei es drum. Sie war ohnehin nicht oft auf der Burg und über Niederlagen konnte sie wohl auch ein Lied singen. Sie brauchte nicht das missmutige Gesicht des jungen Aendred, um an diesen bitteren Kelch erinnert zu werden: Sie strich sich über die versehrte Schulter, die von der jungen tüchtigen Jaslina Taladan sauber verbunden worden war. Das Mädchen machte sich trotz widrigem Lehrmeister ganz gut und würde dereinst, wenn Bosper Ehrwald endlich tot war, eine Befreiung erleben. Falls sie solange in Draustein blieb - sie war immerhin nicht an eine Scholle gebunden, die mit dem Blut von Generationen getränkt war, dass man sich auch darin ersaufen konnte.

Sie blickte sich kurz um - wohin führte sie dieses Bühnenstück hier bloß? Durfte sie noch Hoffnung haben, ein neues Kapitel in ihrem Leben aufzuschlagen? Leofric Glenngarriff konnte ein Türöffner sein, aber dafür müsste sie mehr tun. Vielleicht konnte er dann auch über ihre scharfe Zunge und den Eigensinn hinweg blicken. In der Blüte ihrer Jahre stand sie auch nicht mehr und vermutlich begünstigte ihr Alter auch die Stepahan darin, die Entscheidung zu verzögern, ob sie ihr endlich verzeihen konnten oder das Rad der Herabsetzung bis zu Eâchains Tod weiterdrehen wollten: Die konnten das einfach bis zum Lehensheimfall aussitzen, da sie nur Edle war. Was würde dann aus den Freibauern nahe dem Grünen Haus?

Wahrscheinlich würden die Stepahan aus purer Dankbarkeit so einen wie Aendred von Bienenhain mit Birchféhn belehnen, damit frisches Blut an den Hof hier kam…

Obwohl - ganz egal wie ihrer beider Verfehlungen zustande gekommen waren - auf die eine oder andere Art hatte jeder von ihnen versagt und sich damit den letzten Platz verdient. Das brachte sie auf einen Gedanken...

"Grämt Euch nicht, im nächsten Götterlauf schon könnt ihr mehr Erfolg haben", versuchte sie einen Einstieg mit dem wohl letztplatzierten Streiter im Felde.

Leicht verwirrt blickte Aendred zu seinem Gegenüber: ”Ich? Nun ja…” stammelte er, überrascht von der unerwarteten Ansprache und gleichzeitig verwirrt, das die Edle wohl seine Gedanken gelesen haben mochte.

"Wie soll ich sagen…”, versuchte er weiter Zeit zu schinden: "...ich hatte mir in der Tat mehr vorgenommen, doch war mir Rondras Gunst wohl dieses Mal nicht vergönnt. Ihr habt recht, einen weiteren Götterlauf um an meinen Fertigkeiten zu feilen, um beim nächsten Mal ein etwas besseres Bild abzugeben.”

Eâchain bedauerte schon, den Schuss anscheinend in Schwarze gesetzt zu haben, da sich Aendred so sehr wandt und auf die Göttin berufen mußte. Die Götter wurden häufig bemüht, wenn man selbst keine Antworten hatte und doch einen Sinn suchte, das wußte sie selbst nur zu gut. Aber wenn schließlich auch Alveran einmal zu oft bemüht worden war und sich die ewig gleichen Worte abgenutzt hatten, löste sich fast jeglicher Sinn auf und der sterbliche Geist ergab sich dem Strom des Lebens. Wohin er einen dann auch treiben würde, war fast einerlei... und mittlerweile gab nur noch wenige Dinge, die überhaupt einen Sinn hatten - und Turnierwesen gehörte für sie nicht dazu.

Der Ritter versuchte sich derweil zu erinnern, wie es der Edlen während der Turney ergangen war. Zumindest stand sie jedesmal bei den Siegern, wenn er mit hängendem Kopf das Turnierfeld verließ, was allerdings nichts hieß - fast jeder hier am Tisch konnte das von sich behaupten.

"Nun, wie steht es mit Euch, seid ihr mit dem Turnierverlauf zufrieden?”

Sie schüttelte den Kopf: "Ich hätte mir durchaus gewünscht, mehr fürs Handgeld zu bekommen: Weder in den Leichten Handwaffen, noch in den Schweren oder dem Tjost kam ich über die ersten Runden hinaus. Auch im Buhurt bin ich dann an diesem reitenden Ungetüm aus Otterntal gescheitert, aber immerhin nicht gefangen genommen worden. Einziger Lichtblick war hier, dass sich der Ritter von Tannengrund bei mir auslösen mußte.”

"Ich hörte, ihr wart einige Zeit in Crumold. Sind die Turniere und Feste dort mit den unsrigen zu vergleichen?” Kaum waren die Worte heraus, kamen dem Ritter Zweifel, ein geeignetes Thema für den Fortgang des Tischgespräches gewählt zu haben. Sie lachte kurz und trocken auf.

"Nein, nicht solange ich dort weilte. Aber ich war auch überwiegend an der Seite der Baronsgemahlin, während der Baron auf Crumold dahin siechte. Wir standen lange abseits des Hofes, und das hat sich scheinbar erst geändert, seit ich nach Draustein zurückgekehrt bin…”, überlegte Eâchain.

Ein siechender Baron und seine Gattin ausgegrenzt… was für Zustände. Kein Wunder, wenn man da ein wenig sonderbar wird, wenn man das Jahrelang ertragen muss. Aendred fröstelte es bei dem Gedanken und er war froh nach Draustein befohlen worden zu sein. Eâchain schenkte er ein verstehendes Lächeln: "Nun, dann seid ihr sicher froh, wieder in Draustein zu sein. Welche Pläne hegt ihr für die Zukunft, wenn ich fragen darf? Birchfèhn dürfte auf Dauer kaum genügend Herausforderungen zu bieten?”

"Herausforderungen?”, sie grinste, aber das Lächeln erreichte nicht ihre dunklen Augen. "Ihr verwechselt mich mit jemandem, der frei ist, über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, Hoher Herr. Aber da Ihr gefragt habt: ich kann mir nicht mehr wünschen, als einen geeigneten Gemahl oder einen Nachkommen, den ich an Kindes statt annehmen kann”, schloss sie.

"Heiraten? Oh…” entfuhr es Aendred. "Ähm nun, ich dachte eher an…”, wieder unterbrach er sich und lächelte schuldbewusst. "Ihr werdet sicher eine gute Mutter und Gattin sein und einen Gemahl zu finden, wird euch sicher nicht schwer fallen”, versuchte er sich aus der Affaire zu ziehen.

"Und ihr braucht ja nicht einmal jemanden zu fragen”, fügte er, über den eigenen Scherz breit grinsend, hinzu. Die lahmen Gemeinplätze zu Beginn hatten wieder ein schmales Lächeln in ihre Mundwinkel geschickt. Seine abschließende Feststellung und sein Grinsen konnte sie jedoch nicht zuordnen: "Wie meint Ihr das?”, hakte sie nach.

"Nun ja, soweit ich weiß, seid ihr doch die letzte Eures Geschlechts, außer Eurem Bruder natürlich, somit gibt es auch niemanden, der Euch zu irgendetwas drängen könnte. Womit ihr frei seid, zu wählen, wen immer ihr mögt”, antwortete der Bienenhain.

Eâchain seufzte leise. Offensichtlich hatte er ihr doch nicht ganz folgen können oder zuvor nicht richtig zugehört. Einerlei. Sie schüttelte den Kopf und erwiderte leise: "Niemand, der Vasall ist, kann Herr des eigenen Schicksals sein. Besonders nicht diejenigen, die gegen den Wunsch des Lehnsherrn gehandelt haben - ob Schwester der Fürstgemahlin, Edle von Birchféhn oder Dienstritter des Grafen. Oder seht Ihr das anders?”

Darüber hatte sich Aendred noch nie Gedanken gemacht, musste er sich eingestehen. Nun gut, er war dem Wunsch des Grafen gefolgt und hatte ein Auge auf Thalania halten sollen, das war jedoch eine Familienangelegenheit. Sicherlich war es auch üblich, als Dienstritter seinen Grafen von einer Heiratsabsicht in Kenntnis zu setzen, dass dieser ablehnen könnte oder gar einer Edlen Vorschriften machen würde, war für ihn unerwartet. Da er selbst keine Heiratspläne verfolgte, zuckte er nur mit den Achseln. "Nein vermutlich nicht. Hat er denn Euren Kandidaten abgelehnt?”, wollte er unverblümt wissen.

"Was für einen Kandidaten?”, fragte die Edle genauso direkt zurück, lächelte aber nun breiter.

"Nein!”, entfuhr es dem Ritter etwas zu laut, so dass er sich danach zu seinem Gegenüber herüber beugte. "Er hat euch wirklich verboten zu heiraten? Bei den Göttern, das hätte ich nicht gedacht.” Das Bedauern war ihm deutlich anzusehen, als er sich wieder aufrecht hin setzte.

"Das habe ich nicht gesagt”, antwortete sie ihm entschieden mit hartem Blick. Sie sah weder nach rechts noch links, sondern direkt in seine Augen. "Ich schätze hier liegt ein Missverständnis Eurerseits vor, das ich hier nicht weiter diskutieren werde.”

Aendreds Stirn kräuselte sich bei diesen Worten. ‘Verstehe einer die Frauen’, dachte er bei sich. ’Erst jammert sie nach einem Mann und einem Balg. Dann beschwert sie sich gegängelt zu werden und am Ende fühlt sie sich missverstanden’.

Der Ritter fuhr sich mit der Hand durchs Haar bevor er ein: "Gewiss,” hervorbrachte und ein, wie er hoffte zerknirscht klingendes: "Vergebt mir”, nachschob.

Nach dem Bankett - Ewaine und Ruada

Kaum war die Tafel aufgehoben, strömten bereits die ersten Gäste ins Freie. Auch Ewaine ni Niamrod und Ruada Stepahan hatten sich erhoben, während Arnbrecht seiner Gemahlin zunickte und den kleinen Sidhric hinab ins Zeltlager geleitete, da es noch eine kleine Weile dauern würde, bevor der Tanz begann.

"Ruada meine Liebe” sprach Ewaine die junge Stepahan an, "wie schön, Euch wieder einmal zu sehen. Eure Heckenzeit scheint Euch gut getan zu haben ihr wirkt so…” Ewaine suchte nach dem richtigen Wort "Erhaben. Wie ich hörte ist mein kleiner Bruder mit Euch geritten, hat die Zeit auch ihm zur Reife genügt?”

Die Frage schien der Angesprochenen unbehaglich zu sein. "Habt Dank für Eure freundlichen Worte”, entgegnete sie steif. "Euer Bruder”, betreten blickte die Ritterin auf ihre Hände und räusperte sich, "nun, ich denke der Besuch in Perricum hat ihm auf die ein oder andere Weise durchaus Zuversicht geschenkt.” Ruada bemerkte selbst, dass ihre Worte Faolyns Schwester wohl eher verwirren mussten als dass sie eine klare Antwort auf ihre Frage waren. "Ähm, verzeiht”, setzte sie nach. "Reife ist ein weitläufiger Begriff. Gibt es etwas Konkretes, das Ihr Euch für ihn wünscht?”

Ein verstehendes Nicken zeugte jedoch eher davon, dass die Erklärung nicht unerwartet kam, und ein mildes Lächeln umfing die Mundwinkel der jungen Frau. "Wünscht man sich nicht immer, dass der eigene Bruder endlich ein wenig erwachsener wird”, antwortete Ewaine mit einem Augenzwinkern.

Unvermittelt musste Ruada grinsen, und die Anspannung fiel sichtlich von ihr ab. "Da mögt Ihr durchaus Recht haben”, nickte sie zustimmend und warf einen Seitenblick auf ihren Zwillingsbruder. Ihn in Begleitung der Winhaller Ritterin zu sehen, hatte sie wirklich überrascht, war sie doch eher davon ausgegangen, er würde die junge Bienenhain als Tischdame auswählen. "Sagt”, wandte sie sich dann wieder an Ewaine, "wie steht es in Traviarim?” Aufrichtiges Interesse sprach aus Ruadas Blick. "Ich hatte erwartet, Euren Vater unter den Teilnehmern zu entdecken, nachdem ich ihn bereits beim Bredenhager Buhurt vermisst habe. Sind Eure Eltern wohlauf?”

"Danke der Nachfrage, es geht ihnen gut. Auch wenn mir Vater seine Gründe nicht genannt hat, die seine Teilnahme verhindern”, gestand die junge Mutter. Die Andeutungen des alten Niamrod im letzten Brief, bezüglich seines Verhältnisses zum Vogtes von Traviarim und seine Sorge um den Fortbestand der Familie behielt sie indes für sich. "Ich sollte sie vermutlich einmal besuchen, sie haben ihre Enkel auch lange nicht gesehen. Wie steht es bei dir?” fragte sie stattdessen "Regt sich bei dir der Wunsch nach Kindern nicht auch schon?”

"Nein”, entgegnete Ruada kühl, "noch nicht.” Hatte Ewaine ni Niamrod sie gerade wirklich geduzt? "Ich denke, alles hat seine Zeit, und man sollte nichts überstürzen”, fügte sie nach einer unangenehm langen Pause hinzu. Ihr Blick ging zu Sidhric, der [...]. "Wisst Ihr schon, wo Ihr den jungen Herrn in Pagenschaft geben werdet?”, bemühte sie sich um ein - so hoffte sie - weniger verfängliches Thema.

"Wenn man zu lange zögert, verpasst man auch leicht den rechten Zeitpunkt”, setzte Ewaine jedoch nach, nur um sich dann auf Ruadas Themenwechsel einzulassen. Das entgeisterte Gesicht der jungen Stepahan entging ihr dabei vollkommen. "Wegen Sidhric liege ich Arnbrecht schon lange in den Ohren. Ich bin ja der Meinung, der Junge sollte möglichst aus unserem Dunstkreis heraus. Die großen Höfe des Reiches wären natürlich das Beste. Mein Gatte hat ja recht gute Verbindungen, nur trägt das bislang nicht recht Früchte. Ich habe schon überlegt, meinen Vetter oder meinen Oheim zu bitten, ein gutes Wort einzulegen, aber ein wenig Zeit gebe ich ihm noch, vielleicht überrascht er mich ja auch.”

"Nun”, riss sich Ruada sichtlich zusammen, "ich denke, bevor Ihr über Albernias Grenzen hinausblickt, solltet Ihr eines bedenken.” Vielsagend ließ die Ritterin ihren Blick durch die Halle schweifen und blickte Ewaine dann ernst an. "Das Haus Wellenstein ist ein altes Steinvasallengeschlecht. Liegt es da nicht nahe, den Erstgeborenen und Erben im Umfeld des Hauses Stepahan ausbilden zu lassen?”

"Aber natürlich meine Liebe,” antwortete die Niamrod milde lächelnd, "das wollte ich damit auch nicht ausgeschlossen haben, genauso wenig wie ich andere Optionen vorzeitig verwerfen möchte. Ein gewisses Maß an Weitblick ist in dieser Position unabdingbar, und die erlangt man nicht, wenn man nicht über den Zaun blickt, denkt ihr nicht auch?”

"Weitblick ist im Grunde nichts Schlechtes, doch um ihn zu erlangen, ist es unabdingbar, dass man auf einem sicheren Fundament steht”, entgegnete Ruada, ohne zu lächeln. "Und gerade die Pagenzeit ist hier prägend. Wo habt Ihr als Pagin gedient?”, fragte die Stepahan mit unüberhörbarer Schärfe.

"Wie ihr, im häuslichen Umfeld, meine Liebe.” Ewains Lächeln war nicht einen Deut gewichen. "Und wie ihr seht, reicht das nicht, um für die Familiengeschicke eine Zukunft zu bilden. Ein anständiges Fundament sollte im Übrigen bereits vor der Pagenzeit gelegt sein denke ich.”

"Natürlich reicht es nicht aus, meine Liebe", ahmte Ruada Ewaines Tonfall nach, "in der Regel ist die Pagenzeit ja auch nicht das Ende." Sie lächelte kühl. "Aber ich sehe ein, wer einen großen Teil seines Lebens auf dem heimatlichen Gut verbringt, mag durchaus zu Träumen verleitet werden. Zum Glück wird Euer Sohn ja sicherlich im Anschluss an seine Pagenzeit als Knappe dienen und dabei lernen, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. In jedem Fall denke ich, dass der Griff nach den Sternen nicht das Richtige ist, wenn es darum geht, die Familiengeschicke zu lenken, wie Ihr es so schön ausdrückt."

"Aber natürlich, da habt Ihr völlig recht”, stimmte die Hofdame zu. "Man sollte sich stets der Gegebenheiten bewusst sein. Wobei man nicht außer Acht lassen sollte, dass die Zukunft im Wandel liegt und dafür sollte der Blick stets offen bleiben. Jeder muss dabei natürlich seine eigenen Möglichkeiten im Auge behalten. Nehmt Euch selbst, ihr versteht Euch sehr gut darauf, Euch mit dem Schwert zu schlagen, wie Ihr just auf der Turney bewiesen habt.”

‘Und Ihr übt Euch ganz offensichtlich in der Kunst der spitzen Zunge’, ging es Ruada durch den Kopf. "Unter anderem”, entgegnete sie schlicht. "Wobei das Schwert niemals die erste Wahl sein sollte, wenn es darum geht, Konflikte zu lösen. Vielmehr dient es dem Schutz derer, die einem bewaffneten Angriff wenig entgegenzusetzen haben. Und auch Bündnisse lassen sich nur schwerlich erzwingen. So ist auch das Verhältnis des Hauses Stepahan zu seinen Steinvasallen über viele Generationen gewachsen." Einen Moment schwieg sie und blickte die Niamrod direkt an. "Wo seht Ihr Eure Stärken?”, fragte sie dann lauernd. "Eine Stepahan, die nicht Rondra vor allen anderen sieht. Das ist wahrlich selten. Viel zu oft wird eben doch dem Schwert der Vorzug gegeben, und wie Ihr sagt, ist es bei Zeiten gut dem etwas entgegensetzen zu können, und sei es als Kulisse.” Ewaine schenkte der Ritterin ein bezauberndes Lächeln. "Entschuldigt mich nun. Verpflichtungen, Ihr versteht. Es war schön, sich so angeregt mit Euch unterhalten zu können, das sollten wir unbedingt bei Zeiten wiederholen.” Mit einem formvollendeten Knicks entfernte sie sich gemessenen Schrittes von der Ritterin in Richtung des Gartens.

"Ich nehme dies dann also als Eure Antwort", bemerkte die Ritterin spitz. Und etwas lauter schob sie nach: "Auch für die Kulisse kann es hilfreich sein, etwas mehr über die Lehren Rondras zu verinnerlichen. Dann wüsstet Ihr, dass der Schutz der Schwachen eines Ihrer obersten Gebote ist." ‚Auch der der geistig Schwachen‘, seufzte sie innerlich, ehe sie sich mit einem Kopfschütteln abwandte.

Nach dem Bankett - Gellis und Ruan

Ruan Stepahan schien erleichtert, die Enge der Halle endlich verlassen zu dürfen. Der Ritter wartete geduldig, bis sich die ersten Gäste an ihrer Tafel erhoben hatten, dann wandte er sich mit einem verheißungsvollen Lächeln an Gellis und flüsterte: "Das wäre geschafft. Bereit für den vergnüglichen Teil des Abends?”

"Ohne den Gastgebern Unrecht zollen zu wollen: mehr als bereit!”, sie erwiderte Ruans Lächeln und flüsterte ebenso. "Ich hörte von einer alten Buche unter der man der Stille lauschen könne. Zeigt Ihr sie mir?” Dann hielt sie kurz inne, als wenn sie sich an etwas - oder jemanden - erinnern würde und hob die Stimme.

"Siana. Ich danke Euch für die Aufwartung während des Banketts, fühlt Euch aus meinen Diensten entlassen. Und habt Dank für den angenehmen Abend, den Ihr mir ermöglicht habt.” Mit diesen Worten sah sie Ruan an und blickte, nachdem sie zu Reden geendet hatte, wieder zur Knappin.

"Ich fühle Erleichterung auf allen Seiten, Hohe Dame”, gab die Schildmaid frohgemut zurück und gab vor, in die Runde zu blicken.

"Ich bin froh, dass ich den Braten nicht auf Euer Gewand geworfen habe. Oder den Wein”, sie wischte sich etwas gekünstelt den Stirn und lächelte dann Gellis breit an.

"Außerdem wünsche Euch einen äh, zufriedenstellenden weiteren Abend, Hohe Dame - immerhin wartet nach dieser Anstrengung der Tanz.”

Gellis nickte. "Ja, all diese Freude kann ich teilen, Siana. Ich werde Eurem Schwertvater wohl nur Gutes zu berichten wissen. Rondra mit dir.” Ohne auf eine weitere Reaktion der Knappin zu warten, wandte sie sich an Ruan und wartete auf seine Antwort auf ihre Frage.

"Ich gebe zu, ich habe schon angenehmere Tischgesellschaften erlebt”, griff der Ritter Gellis’ Rede wieder auf, "und bitte verzeiht meine Schwester. Sie ist in manchen Dingen etwas… eigen. Ich weiß selbst oft nicht, was in ihr vorgeht.” Er hob vielsagend eine Augenbraue. "Was die Buche im Weißen Hof angeht, so sollten wir vielleicht noch etwas warten. Momentan wird sie wohl noch von zahlreichen tanzwilligen Gästen umlagert sein. Aber wer weiß, vielleicht findet sich ja irgendwo anders ein stilles Plätzchen.”

Gellis zuckte mit den Schultern. "Es hätte auch unangenehmer sein können, Ruan. Mit anderer Begleitung beispielsweise.” Sie grinste. "Ihr kennt Euch hier weitaus besser aus, als ich. So überlasse ich Euch die Auswahl jenes stillen Plätzchens. Mir ist nach Ruhe und Abstand zur großen Gesellschaft. Und Euch?”

"Ich kann mir keine bessere Gesellschaft vorstellen als Euch”, lächelte der Angesprochene und ließ seinen Blick unauffällig über die Feiernden schweifen. Rhona würde am Tag ihres Traviabundes sicher Besseres zu tun haben. Und die meisten Gäste würden sich wohl in nächster Zeit dem Trunke oder dem Tanze widmen, oder beidem. Die Gelegenheit war günstig.

Langsam, aber zielstrebig geleitete der Stepahan die Winhallerin durch die Menschenmenge. Hier und da nickte er einem der Anwesenden kurz freundlich zu oder verlor gar das ein oder andere Wort, so dass es etwas dauerte, bis sie das Portal des Sturmtempels der Göttlichen Leuin erreicht hatten.

Mit einem kurzen Blick zu Gellis stieß Ruan die Türen auf. Er wartete, bis seine Begleitung hindurch geschritten war, dann folgte er ihr in den dämmrigen Innenraum.

Warmer Lichtschein von dunklen Eisenlampen erfüllte das Innere des säulenbewehrten Rondraheiligtums und ergoss sich sanft über die kurzen Säulenreihen bis zum Altar und die Rondra-Statue. Aus jedem der sechs rosafarbenen Granitpfeiler erwuchs ein Heiliger der Rondra-Kirche, deren gemeißelte Gesichtszüge durch das Licht- und Schattenspiel düster und drohend wirkten.

Ruan spürte, dass Gellis Körperspannung sich änderte, andächtig sah sie im Tempel umher, trotzdem suchte sie weiterhin seine Nähe. Innerlich sandte sie ein Gebet gen Alveran, an die Göttin Rondra, in dem sie ihr für den Turnierverlauf und dessen Ausgang dankte, denn dieser hatte sie hierher geführt und der Abend versprach einen wundervollen Fortgang.

Auch Ruan hielt einen Moment inne. Im Stillen dankte er der Göttin, dass Ihr Haus ihnen in dieser Nacht Schutz vor den Blicken Unbefugter gewähren würde. Dann führte er Gellis schweigend den Säulengang entlang. Sie passierten die Rondra-Statue und kamen vor einem prächtigen Wandmosaik zum Halten.

"Möchtet Ihr einen Moment verharren und euch in die Heldentaten des Heiligen Leomar vertiefen?”, fragte der Ritter seine Begleitung fadenscheinig.

"Dieser Tempel ist ein prächtiges und eindrucksvolles Familienerbe, Ruan", sagte sie voll Ehrfurcht. "Aber es tut mir leid", sagte sie dann weniger würdevoll, sondern mit Humor in der Stimme, "mir steht momentan nicht der Sinn nach Siebenstreich und Donnersturm." Trotzdem betrachtete sie lächelnd weiterhin das Mosaik und nicht ihren Begleiter. "Obwohl… wisst Ihr, welche Kirche neben der der Leuin ebenfalls auf der Suche nach dem Donnersturm war?”

Sichtlich irritiert wandte der Stepahan den Kopf. "Welche Kirche”, wiederholte er nachdenklich, "nein, verratet es mir.”

Die Ritterin blickte in Ruans Gesicht und grinste ob seiner Irritation belustigt. "Die Rahja-Kirche. Die Pferde Astaran, Thorra, Ronnar und Zyathach des Wagens und deren Zaumzeuge sind nicht nur der Rondra-Kirche heilig.”

"Naheliegend”, nickte der Drausteiner. "Angesichts dessen wäre es wohl nur angebracht, an diesem Heiligen Ort auch der Schönen Göttin zu gedenken. Was meint Ihr?" Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, als seine Hand wie zufällig den Arm der Ritterin streifte, nur um dann ehrfurchtsvoll das Relief mit der Darstellung des Donnersturms zu berühren.

"Ihr könnt meine Gedanken lesen”, erwiderte sie lächelnd und machte einen kleinen Schritt auf Ruan zu, ohne ihn jedoch zu berühren. Mit diesem Schritt fiel viel von ihrer Schale ab, die sie so oft unter anderen Menschen anlegte. Ruan würde wahrscheinlich nicht mehr feststellen als eine leichte Änderung in ihrer Haltung, aber Gellis entspannte und begann, den Moment mit Ruan zu genießen und dachte nicht mehr darüber nach, was angemessen, wichtig oder standesgemäß war.

Zeitgleich schien auch Ruans Anspannung zu weichen. Mit einem jungenhaften Lächeln wandte er sich zu Gellis um. "Nun, das war leicht", entgegnete er, "denn wie sagtet Ihr so schön…", die Augen des Ritters suchten die ihren, und fast wirkte es, als wolle er tatsächlich darin lesen. Langsam neigte er den Kopf und trat vorsichtig näher, so dass sie für einen Moment seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. "Ohne Leidenschaft hat nichts einen Wert."

Gellis erwiderte sein Lächeln, und es schien Ruan, als genieße sie seinen Blick. Für einen Moment war sie verwundert, wie leicht es war, wie natürlich, wie ähnlich Ruan ihr selbst schien. Dann aber wich diese Verwunderung wieder dem Genuss des Moments, als sein Atem die empfindliche Haut ihres Halses berührte. Ihre Hände suchten die seinen.

Zärtlich strichen Ruans Finger über ihren Handrücken, während er sich langsam vorbeugte und einen sanften Kuss in ihre Halsbeuge hauchte. "Folgt mir", flüsterte er dann, und ehe sich Gellis versah, hatte er ihre Hand ergriffen und zog sie mit sich, fort vom Mosaik.

Und tatsächlich kam dahinter eine schmale Stiege zum Vorschein, die zu einer uralten Eichenholztür führte. Ruan verlangsamte seinen Schritt, um sie zu öffnen, und geleitete Gellis dann sicher hindurch. Mit einem Mal fand die Ritterin sich auf einer moosbewachsenen Felsnase wieder, die hoch über dem Draufall aufragte.

Ohne ihre Hand loszulassen, schloss Ruan die Tür hinter sich und trat wieder neben die Winhallerin. "Ich hoffe, Ihr seid schwindelfrei", lächelte er.

Die Ritterin sah sich mit vor Faszination leuchtenden Augen um. So natürlich und mit beinahe jugendlichem Interesse ihrer Umgehung gegenüber strahlte ihre Schönheit geradezu. Ihre Hand hielt die seine fest und drücke sie, bevor sie ihn langsam zu sich zog.

"Ihr versteht, zu beeindrucken" flüsterte Sie, sich zu ihm hinab beugend in sein Ohr, ohne seine Hand loszulassen. "Weiter so", flüsterte sie necked, während ihre Lippen beim Sprechen sein Ohr berührten und ihm einen wohligen Schauer über den Rücken jagten.

"Es gibt nichts an diesem Abend, das beeindruckender wäre als Ihr", entgegnete Ruan, der sich der Ritterin nun mit einer leichten Drehung zuwandte, so dass ihre Lippen nur eine Hand breit voneinander entfernt waren. Für einen Moment gestattete er seinen Gefühlen, die Führung zu übernehmen. Bezaubert von der anmutigen und gleichzeitig kraftvollen Erscheinung Gellis’ verlor er sich in ihren Augen, atmete ihren Duft, spürte ihre Hand in seiner.... Kurz horchte er in sich hinein, doch das Misstrauen schwieg.

Zärtlich berührte er mit seiner freien Hand Gellis’ Schulter. Seine Finger wanderten über die helle, weiche Haut hinauf zu ihrem Nacken, er spürte die sich unter seinen Fingern entwickelnde Gänsehaut, als mit einem Mal leise Musik einsetzte. Der Stepahan hielt inne und lächelte, ohne dabei den Blick von seiner Begleitung zu nehmen. Gedämpft drangen die Klänge aus dem Weißen Hof hinauf. "Ein Pfauentanz, flüsterte er, "ein Tanz zu Ehren des Brautpaars.”

"Es wäre unschicklich und unangenehm, wenn wir jetzt dorthin eilen und inmitten des Tanzes ankommen würden, so leid es mir tut”, sagte die Ritterin. "Außerdem würde es ein Tanz ohne Leidenschaft werden, denn die nimmt etwas ganz anderes vollkommen in Anspruch.” Nach diesen Worten überwand sie das letzte kleine Stück, das noch zwischen ihnen lag und senkte ihre Lippen auf die seinen.

Unvermittelt schloss Ruan die Augen und erwiderte den Kuss zunächst sanft, dann fordernder. Seine Hand löste sich aus der ihren und wanderte langsam ihre Seite entlang, um schließlich auf ihrem Rücken zu liegen zu kommen. Zeitgleich wanderte ihre Hand auf seine Brust. Für einen kurzen Moment mochte Ruan denken, sie würde ihn von sich weisen, doch nein, sie strich erkundend über seine Muskeln in Richtung Schulter, um in seinem Nacken liegen zu bleiben. Noch übte sie jedoch keinen Druck aus, um ihn an sich zu ziehen, und so war es Ruan, der Gellis behutsam zu sich heran holte. Als ihre Körper sich berührten, glitt auch seine andere Hand tiefer hinab, bis sie in einer innigen Umarmung wiederfanden. Kurz löste er seine Lippen von den ihren und ließ sie ihren Hals hinab und wieder hinauf wandern. "Nichts und niemand könnte mich jetzt auf die Tanzfläche bewegen”, flüsterte er. Das Zittern seiner Stimme verriet deutlich seine Erregung, als er leise hinzu fügte: "Nicht einmal die Kaiserin höchstselbst.” Und mit diesen Worten zog er Gellis fest an sich und dirigierte sie langsam in Richtung der Außenmauer des Tempels.

Ein leichtes Stöhnen entwich Gellis, als er sie so nah an sich zog. Mit nur leichtem Widerstand ließ sie sich von ihm dirigieren, in vollem Vertrauen in ihn - kurz meldete sich ihr Verstand - doch sie wollte vertrauen, wollte sich hingeben. Das letzte bisschen Widerstand gab Ruan lediglich Halt, Stabilität auf ihrem Weg, auf dem ihre Lippen sich kaum trennten. Worte hatte sie keine mehr, während die Hand in Ruans Nacken deutlich machte, dass sie ihn nicht ohne Weiteres aus ihrem Kuss entlassen würde. Die andere lag verheißungsvoll auf seinem Rücken, genau auf dem Schlitz seiner Tunika.

Ruans Atem ging schnell, als er Gellis sanft, aber bestimmt an die kalte Steinmauer drängte. Neugierig ertasteten seine Hände ihren Körper, glitten über ihren Rücken hinab, umfassten ihr Gesäß. Dabei schien sich der Drausteiner ganz auf seine Intuition zu verlassen. Immer wieder schloss er für einen Moment genussvoll die Augen, wenn ihre Lippen sich trafen, und nicht nur das Spiel seiner Zunge verriet sein wachsendes Verlangen.

Gellis Körper schien zwar feingliedrig und zart, doch hatte das Kleid die Bereiche ihres Körpers lediglich so betont, stellte Ruan fest. Die Erkundung seiner Hände verrieten ihm: Sie war Ritterin, ihr Körper war geübt und die Muskeln wohlgeformt.

Oft, wenn er seine Augen öffnete, fing er ihren Blick und spürte das Lächeln auf ihren Lippen während ihrer Küsse, die sie gierig erwiderte. Ihre Linke lag weiterhin bestimmend in seinem Nacken, als die Rechte sich langsam vom Schlitz der Tunika aus am unteren Rand seines Gürtels nach vorn tastete, kurz unter der Schnalle verweilte und sie dann geschickt begann, seinen Gürtel zu lösen.

Bereitwillig ließ der junge Stepahan sie gewähren, während er seinerseits die Hände behutsam Gellis’ Rücken hinauf wandern ließ. So unauffällig, wie es ihm möglich war, tastete er dabei nach der Schnürung ihres Kleides.

Er musste feststellen, dass das Mieder des Kleides zwar im Rücken mit vier Ösen geschnürt war, die Enden der Schnürung jedoch sorgfältig versteckt worden waren. Dieses Kleid hätte heute Abend eigentlich nicht geöffnet werden sollen, schien es Ruan. Er fand keine Schleife oder ein loses Ende der Schnürung, das ihn hätte das Mieder öffnen lassen können. Innerlich fluchend, versuchte der Ritter, sich nichts weiter anmerken zu lassen. Zärtlich umfasste er Gellis’ bloße Schultern und schob den Stoff des Kleides ein Stück weit nach unten.

Gellis indes ließ Ruans Gürtel sanft zu Boden gleiten und die Hand an seinem Nacken liebkoste kurz das Stück Haut unter seinem Haaransatz, bevor sie sie seinen Rücken hinuntergleiten ließ.

Der Stepahan nutzte den Moment. Rasch griff er mit beiden Händen den Kragen seiner Tunika und Untertunika und zog sie sich mit einer fließenden Bewegung über den Kopf. Scheinbar achtlos ließ er die Kleidungsstücke zu Boden gleiten, wo sie auf dem moosigen Boden zu liegen kamen.

Die Ahawar betrachtete seinen Körper neugierig; er nahm sich die Zeit, sich seiner Kleider zu entledigen, also hatte sie diese auch, um ihn zu betrachten. Trotz der einbrechenden Dämmerung wirkte die Haut des Ritters erstaunlich hell. Und auch wenn die regelmäßigen Übungen mit dem Schwert den Leib des Drausteiners sichtbar gestählt hatten, war sein Körperbau doch eher sehnig als muskulös.

Während sie ihn betrachtete, wanderten Ihre Hände auf ihren eigenen Rücken, sie fand die Schleife des Kleides, wusste sie doch, wie es geschnürt war und löste das Mieder. Doch Gellis zog sich nicht weiter aus, das schien sie dem Drausteiner überlassen zu wollen. Lächelnd versenkte sie ihren Blick wieder in seine Augen und hob schwer atmend ihre Fingerspitzen in Richtung seiner Brust. Hauchzart war die Berührung, die er auf seinem Oberkörper spürte, und doch schlug sein Herz mit einer Wucht, die er so nicht kannte. Was war nur los mit ihm? Sie hatte ihm den Weg bereitet, und doch spürte er keine Eile. Fasziniert betrachtete er ihr Antlitz, genoss die innigen Blicke aus ihren blauen Augen. Der Ritter atmete tief durch und lauschte auf das Rauschen des Draufalls, der nicht weit von ihnen ins Tal stürzte.

Nur langsam gelang es Ruan, wieder Herr seiner Gefühle zu werden. Er setzte sein geübtes Lächeln auf und fasste Gellis bei der Hüfte. Doch noch immer wollte sich das Gefühl nicht einstellen, das er so ersehnte. Warum nur konnte er sich nicht fallen lassen? Inzwischen konnte sein Zögern auch Gellis nicht verborgen geblieben sein. "Verzeiht”, flüsterte er mit brüchiger Stimme. "Das ist zu schön, um wahr zu sein.”

Es war nicht das Zögern, das Gellis aufmerken ließ, es war sein Lächeln. Es war ihrem zu ähnlich, als dass sie es übersehen konnte. 'Es ist beinahe unheimlich, wie ähnlich wie uns sind', dachte sie kurz. Dann wunderte sie sich. Warum nahm sie ihm sein Verhalten nicht übel? Jeden anderen hätte sie verärgert von sich gestoßen oder es darauf angelegt, zu bekommen, was sie wollte. Warum hatte sie nicht das Bedürfnis, ihn jetzt zu verführen, ohne Rücksicht, nur für dieses eine Mal? Und warum sehnte sie sich trotzdem nach seiner Nähe? Und warum, verdammt, wollte sie seine ehrliche Antwort?

Sie ließ ihre Hände auf seinen Rücken wandern, genoss den Moment, seine Haut zu berühren, ihn zu streicheln, dann zog sie ihn an sich und sog den Geruch seiner nackten Haut ein. "Nein", sagte sie bestimmt, aber zärtlich, "das ist es nicht, was uns inne halten lässt."

"Uns?” Überrascht blickte er sie an. "Aber…, Ihr…”, dann, mit einem Mal entspannten sich seine Gesichtszüge. Fast schien es, als ließe der Ritter eine Maske fallen. Ernst blickte er Gellis an.” Nein, Ihr habt Recht.” Langsam löste Ruan seinen Griff und legte eine Hand sanft auf Gellis’ Rücken. Behutsam zog er sie an sich.

"Und doch”, fuhr er leise fort, "ist es wahr.” Seine Augen suchten die ihren. "Ihr seid etwas Besonderes. Und es fühlt sich schlicht… falsch an, Euch zu behandeln wie jede andere.” Der Ritter schluckte. War er gerade wirklich im Begriff, den verheißungsvollsten Abend seines Lebens der Wahrheit zu opfern? Ein tiefer Seufzer entrann seiner Kehle. Beinahe hilfesuchend blickte er die Winhallerin an.

Diese hielt noch immer seinen Blick, aber der Ausdruck in ihren Augen hatte sich geändert. Es war nicht mehr die Begierde, die in ihren Augen leuchtete, es war Zärtlichkeit. Sie senkte ihr Gesicht zu seinem und küsste ihn, wieder nicht mehr ungeduldig und fordernd, sondern behutsam, vorsichtig. "Es ist…", auch ihre Stimme war nicht so fest, wie sie es gedacht hatte, sie räusperte sich. "Es ist anders." Warum redete sie nur? Warum log sie ihn nicht an und sagte ihm, es sei egal und nahm ihn einfach? Warum fühlte sie sich ihm trotzdem so nah? Was machten sie beide hier nur?

"Was meint Ihr dazu?", fragte sie und küsste ihn noch einmal. "Wir machen es nicht so, wie mit jeder oder jedem anderen. Wir gehen hinaus und trinken noch einen Wein zusammen und dann geleitet Ihr mich zu meinem Zelt und wir nehmen uns ganz in Ruhe den Rest der Nacht. Ohne Hast, ohne Illusionen, ohne es wem auch immer beweisen zu müssen, nicht auf dem Moos und nicht an der Wand, sondern in meinem Bett. Und morgen, nach einem gemeinsamen Frühstück, gehen wir wieder unserer Wege." Wieder küsste sie ihn, beinahe ängstlich vor seiner Antwort, während ihr Verstand sich fragte, was hier gerade geschah.

Auch Ruan wirkte, als wüsste er nicht recht, was er antworten sollte. Er schluckte schwer, dann jedoch nahm er Gellis’ Gesicht sanft in beide Hände und gab ihr einen innigen Kuss. "Ich kann Euch nicht versprechen, dass ich Euch so einfach gehen lassen werde”, antwortete er, und sein offener Blick bekräftigte die Aufrichtigkeit seiner Worte. "Aber ich bin mir sicher, dass - ganz egal was auch passieren mag - dies schon jetzt eine der bedeutendsten Nächte meines Lebens ist.”

Und mit einem Mal zeigte sein Gesicht erneut das unbeschwerte Lächeln wie zuvor im Rondratempel. Ohne Eile sammelte der Ritter seine Kleidungsstücke vom Boden auf und legte sie über seinen Arm. Dann trat er erneut an die Winhallerin heran und nahm zärtlich ihre Hand. "Ihr seid eine bemerkenswerte Frau, Gellis Ahawar”, sagte er mit sanfter Stimme und blickte ihr dabei tief in die Augen.

Gellis hielt seine Hand und strich zärtlich mit dem Daumen darüber, ihre Augen strahlten. "Ich danke den Göttern, dass sich unsere Wege gekreuzt haben, Ruan Stepahan."

(Diese Szene wird fortgesetzt im Briefspiel Rahjas Fingerzeig (1042).)

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