Besuch auf Heckendorn (1040)

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Briefspiel
Besuch auf Heckendorn (1040)
Region: Heckenlande
Ort: Burg Heckendorn
Ab Jahr: 1040 B.F.
Zeitraum: Hesinde
Beendet:

Ja

Beteiligt: Furgund von Hallberg, Josold von Firunsgrund, Siana Falkraun
Kapitel:


Nach der Grafenkür von Arlan Stepahan reist Josold von Firunsgrund mit seiner Knappin Siana Falkraun nach Burg Heckendorn, um dort die ihm vertraute Weggefährtin Furgund von Hallberg zu treffen, die dort nicht zugegen war:

Dramatis Personae

Dorniges Heideland, steinige Anhöhen und dunkle Gehölze bildeten seit jeher das Landschaftsbild der Heckenlande, doch noch immer waren die Spuren der Zerstörung stumme Zeugen der Gräueltaten, die sich in diesen Landen während der Heckenfehde zugetragen hatten. Immer wieder deuteten schwarz verkohlte Balken einstiger Schuppen oder Unterstände wie erhobene Finger der Mahnung in den Himmel. Jetzt, da der Winter gedachte, Einzug in Albernia zu halten, waren Felder mit der Wintersaat neu bestellt, oder aber schnell wachsendes Grün hatte sich die verbrannten Getreideflächen erobert und zu Brachland gemacht. Das wahre Ausmaß des Leids sah man jedoch in den Dörfern. Frohnhag war zu großen Teilen ein Raub der Flammen geworden. Verhärmte, ausgezehrte Menschen drängten sich in den zu wenigen verbliebenen oder neu errichteten Häusern. Ein Dach über dem Kopf füllte aber keinen Magen, und so entbehrten sie nun schmerzlich den Verlust der Sommerernte, die ihnen die Brandreiter der Riunad genommen hatten. Auch in Bômorsquell, das an der Grenze des Heckendornschen Lehens lag, hatten die Waffenknechte aus Gemharsbusch kein Mitleid gezeigt, und auch die bedrohlichen Ranken der mannshohe Dornenhecke, die das kleine, in den steinigen Anhöhen versteckte Dorf Dornenhag umgab, konnte nicht verhindern, dass Felder verwüstet und das Vieh abgeschlachtet worden war. Vergebens mochten die Dörfler auf den Schutz durch die auf einem windigen Höhenrücken über dem Dorf aufragende Burg Heckendorn gehofft haben oder aber auf dem schmalen Heckenpfad, der sich langsam um die Anhöhe schlängelte, den sicheren Mauern der Burg entgegen um ihr Leben gerannt sein. Dass sich das Haus Heckendorn mit dem Wiederaufbau schwer tat, wurde nur allzu deutlich, wenn selbst so nah an der Burg der Aufbau nur schleppend voranging.

Josold von Firunsgrund blickte auf den sich unter ihm ausbreitenden Landstrich Bredenhags, als er die letzte Biegung des Heckenpfades umrundet hatte. Gedanken an die saftigen grünen Wiesen Weidens drängten sich ihm auf, und er fragte sich, ob auch Farnhild und Furgund manchmal an die Heimat dachten. Seufzend verdrängte er den Gedanken, setzte sich noch einmal im Sattel zurecht und ließ sein Pferd auf das Tor der Höhenburg zugehen.

"HE DA! BEI DEN ZWÖLFEN, ÖFFNET DAS TOR!”, rief er die Burgmauern hinauf, "JOSOLD VON FIRUNSGRUND UND SEINE SCHILDMAID BEGEHREN EINLASS.” Eigentlich hätte er Siana die Ankündigungen machen lassen sollen, aber die zerrte das sture Maultier hinter sich her, auf dem er ein paar Geschenke für seine Landsfrau und Wegbegleiterin transportierte. Das störrische Biest verlangte der jungen Frau alles ab, und er hatte die junge Falkraun nun schon mehr als einmal daran erinnern müssen, dass sie die Sachen selbst tragen müsste, sollte sie sich dazu hinreißen lassen, das Tier zu erschlagen. 

"Rondra zum Gruße", tönte es von den Zinnen, gefolgt von einem etwas leiseren "Und immer mit der Ruhe!" Es dauerte nicht lange, und die Mannpforte öffnete sich. Ein junger Waffenknecht trat vor den Ritter und seine Knappin. Er mochte vielleicht 20 Götterläufe zählen, doch sein Auftreten zeugte von einem gesunden Selbstvertrauen. "Seine Wohlgeboren ist nicht zugegen", vermeldete er knapp. "Nach der Dame des Hauses ist geschickt." Dann fiel sein Blick auf Siana, die sich nach wie vor mit dem Maultier abmühte. Eine Mischung aus Erheiterung und Mitleid schlich sich auf sein Gesicht. Gerade wollte er zu einer spöttischen Bemerkung ansetzen, als hinter ihm eine scharfe Stimme erklang.

"Was soll das, Hjalbin, lässt unsere Gäste vor dem Tor versauern! Lass sie ein, aber sofort!" Der Waffenknecht trollte sich schmollend und gab den Blick frei auf eine schlanke Gestalt in grüner Cotta. Das herzförmige Gesicht Furgunds strahlte, als sie Josold erkannte. Eilig trat sie vor und bot ihm den Arm zum Schwertgruß, besann sich dann jedoch eines Besseren und schloss den Firunsgrunder in die Arme. "Josold, welch’ Überraschung! Und Siana, wie schön, dich auch einmal hier auf Burg Heckendorn begrüßen zu dürfen. Aber sagt, was führt euch her?" Neugierig blickte sie von einem zum anderen.

Der Weidener Ritter, der die heftige Umarmung mit einem breiten Grinsen erwidert hatte, verzog schelmisch den Mund. "Hab mich ein wenig vorgedrängelt, als es um einen Botengang in eine wirklich heruntergekommene Gegend ging. Musste doch sehen, ob du hier allein klar kommst." Wieder grinste er breit. "Naja, und bei der Gelegenheit habe ich dann noch ein paar kleine Mitbringsel für dich eingepackt, von denen ich dachte, dass du mehr Verwendung für sie hast."  Das sich neben gutem Tuch und typisch Weidener Nahrungs- und Genussmittel auch ein paar Elixiere und Tinkturen darunter befanden, die er für ein für seine Verhältnisse kleines Vermögen erstanden hatte, verschwieg er geflissentlich. 

"Du willst mir ernsthaft erzählen, du entziehst dich so mir nichts dir nichts deiner Verpflichtungen und schleppst deine Knappin Meilen um Meilen durch diese ungastlichen Lande, nur um ein Bier mit mir zu trinken und nach dem Rechten zu sehen? Und bei der Gelegenheit bringst du mir auch gleich noch einen Teil deines Hausstands mit?" Die Ritterin runzelte die Stirn und musterte den Firunsgrunder zweifelnd. Dann schlich sich ein Grinsen auf ihr Gesicht. "Das finde ich sehr aufmerksam", feixte sie und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: "Auch wenn ich gehofft hatte, du würdest dir vielleicht eine schöne Hofdame anlachen, der du statt meiner das Familiensilber vor die Füße legen könntest." Josold presste den Mund zusammen und hob die Brauen, als halte man ihm das Säumnis einer leidigen Pflicht vor.  

Ein Außenstehender hätte das Verhalten der Weidenerin zweifellos als unhöflich empfunden, Josold jedoch spürte, dass Furgund hinter den großen Tönen lediglich ihre Rührung über das unerwartete Wiedersehen zu verstecken suchte. Gerade wollte er zu einer Erwiderung ansetzen, als eine rüde Zurechtweisung Sianas gegenüber dem Maultier ihn herumfahren ließ. "Nun hast du es ja gleich geschafft, Siana", rief Josold seiner Knappin zu. "Bring die Pferde und das verdammte Maultier in den Stall und sorge dafür, dass man sorgfältig mit den Sachen umgeht. Wir wollen ja nicht, dass du dich für einen Scherbenhaufen abgemüht hast."   "Und bring gern auch Hjalbin mal etwas Benehmen bei. Der ist ähnlich störrisch wie das Maultier... und übermütig noch dazu", rief Furgund der Knappin gut gelaunt hinterher, ehe sie sich wieder Josold zuwandte.  "Entschuldige, das Tier ist eine Herausforderung", entgegnete dieser, um dann rasch das Thema zu wechseln, "aber nun zu dir, wie ist es dir ergangen? Kaum bist du hier, da hört man, du hast dich zur Heldin der Heckenfehde aufgeschwungen."

"Ach du meine Güte, sagt man das, ja?" Furgund schien weniger verlegen als vielmehr verärgert. "Lass dir nichts erzählen! Ich hatte das Glück, Jarans Verlust an seiner Statt rächen zu dürfen. Das hat die Göttin so gefügt. Zur Heldin macht mich das noch lange nicht. Wenn es in meiner Hand gelegen hätte, hätten wir diese ganze vermaledeite Fehde nie begonnen." Amüsiert schmunzelte Bredenhags Waffenmeister und grummelte vergnügt "Nein, nein, keine Heldin, nur der familiäre Racheengel" in seinen Bart. Die Weidenerin atmete einmal tief durch, dann legte sie Josold freundschaftlich den Arm um die Schulter und schob ihn sanft in Richtung Haupthaus. "Aber nun komm erst einmal. Dir steht der Sinn doch sicher vielmehr nach einem kühlen Bier als nach politischen Gesprächen, eh?"

Bereitwillig folgte er der Junkersgemahlin. "Da hast Du wohl Recht", gestand er ein, "und ich fürchtete schon, du fragst nie. Auch wenn ich mir erhofft hatte, etwas mehr über den sagenumwobene Kampf der Zwölf aus erster Hand zu erfahren." Herausfordernd warf er ihr einen Seitenblick zu, als sie gerade eine kleine Treppe erklommen. "Schließlich stand ja doch einiges auf dem Spiel, nicht zuletzt Farnhilds Zukunft. Aber wie du schon sagtest, hat die Göttin es gefügt, und wir können dankbar sein, auch wenn die Fehde viel Leid über die Heckenlande gebracht hat."

"Soso, nun, wenn es der Wunsch nach Wissen ist, der dich umtreibt, dann werde ich dir ein paar mehr Informationen wohl nicht verwehren können", schmunzelte Furgund, während sie Josold durch das Haus ins Kaminzimmer geleitete und ihm bedeutete, auf einem Lehnstuhl Platz zu nehmen, während sie selbst zunächst stehen blieb. Ihr Gesicht war ernst, als sie ruhig und mit Bedacht zu sprechen fortfuhr: "Der Kampf wurde mit voller Härte gefochten, und es gab am Ende wohl niemanden, der unversehrt den Platz verließ. Dennoch, am Ende haben sich beide Seiten dem Urteil gebeugt. Die Waffen schwiegen. Man fand Zeit, die Toten zu betrauern, während die hohen Herren und Damen verhandelten." Es klopfte an der Tür, und eine Magd brachte einen Krug mit Bier. Dankbar nahm Furgund einen Becher entgegen, wartete bis auch Josold versorgt war und tat dann einen großen Zug. Fragend blickte sie Josold an: "Stillt das deinen Wissensdurst?"

Der Ritter hatte ihrer knappen Ausführung aufmerksam und mit ernster Miene gelauscht, nickte verstehend, doch dann schlich sich doch ein Grinsen in sein bärtiges Gesicht. "Jaja, das ist die Furgund, die ich kenne. Bloß kein Aufheben machen, wenn man mal eben Geschichte geschrieben hat. Ich bin wirklich froh, dich heil wieder zu sehen." Gut gelaunt hob er den Bierkrug und prostete Furgund zu.  

Wesentlich ernster und mit Interesse fragte er dann: "Sag, wie geht es deinem kleinen Aenlan?"
"Oh, er entwickelt sich prächtig." Das erste Mal seit seiner Ankunft schien es dem Ritter, als läge kein spöttischer Unterton in Furgunds Stimme. "Ich bin mir sicher, wenn er erst einmal auf eigenen Beinen steht, dann gibt es für ihn kein Halten mehr. Dann wird nichts und niemand hier mehr sicher sein vor seiner Neugier und seinem Entdeckergeist. Er wird sich sicher freuen, dich kennenzulernen... später", fügte die Weidenerin rasch hinzu. Insgeheim schalt sie sich dafür, sich ihren Schwärmereien derart hingegeben zu haben, wo sie doch um Josolds Verlust wusste. Ein wenig schien dieser in der Tat seinen Gedanken nachzuhängen und nickte beifällig. "Das ist gut zu hören, ich bin sicher, er wird dir noch viel Freude bereiten."

"Aber nun zu dir", wechselte Furgund das Thema. "Wie geht es dir? Was hast du im Osten erlebt?" Die Ritterin war sich nicht sicher, ob diese Frage die Gemütsverfassung des Weideners wirklich bessern würde, doch es war ehrliches Interesse, das sie antrieb und das nun aus ihrem offenen Blick sprach, während sie einen weiteren Zug aus ihrem Becher nahm.  "Ach, wie soll es mir schon gehen, du weißt doch, wie der Krieg ist", winkte er ab. "Es wird getötet und gestorben, und wer zurückkehrt, ist an Leib oder Verstand gezeichnet oder gar verkrüppelt. Auch wenn man für eine gerechte Sache stritt, bleibt immer dieser fahle Nachgeschmack und die Frage, ob Tod und Leid gerechtfertigt waren. Wie du siehst, ist an mir aber noch alles dran, obwohl es einige wirklich hässliche Kämpfe gab und viele gute Männer und Frauen ihr Leben ließen." Die Gedanken an die Toten schienen dem Ritter allerdings nicht weiter am Gemüt zu rühren, als er das Thema mit einem Seufzer abtat. "Auf jeden Fall bin ich froh, dass wir wieder zurück sind und nicht wie befürchtet alles in Schutt und Asche liegt..." Kurz zögerte Josold bei dem Gedanken daran, dass es Heckenwacht doch recht schlimm getroffen hatte. "Im Allgemeinen meine ich... also, dass jetzt alles wieder in rechten Bahnen läuft... du weißt schon." Nach Verständnis heischend blickte er die Junkersgemahlin an. "Jetzt kann ich aber wieder ein Auge auf Farnhild haben und zusehen, dass ich dem Waffenvolk in Bredenhag Beine mache."

Kurz war Furgund versucht, nachzubohren, um mehr über die Schlacht in Mendena zu erfahren, entschied sich schließlich aber, die düsteren Themen für heute ruhen zu lassen. "Der Grafenhof", griff sie Josolds Rede danbkbar auf, "sag, wer außer dir steht Farnhild und ihrem Gemahl dort zur Seite? Wurden neue Recken in die Dienste genommen? Bahnen sich neue Bündnisse an? Hochzeiten gar?" Erwartungsvoll blickte sie den alten Waffengefährten an. "Und ganz wichtig: Werde ich dich und andere auf der Honinger Turney wiedersehen?"

"Haha...", lachte Josold nun schallend. "Ich sollte besser mitschreiben, um nichts zu vergessen, was dich interessieren könnte." Er rückte jetzt ein wenig bequemer in seinen Sitz, nahm genüsslich einen weiteren Schluck Bier und wischte mit dem Handrücken etwas Schaum aus seinem Bart, nachdem er den Krug bedächtig abgestellt hatte. Dann rückte er noch einmal ein wenig hin und her und faltete die Hände über seinem Bauch.
"Nun", begann er, "da ist eine ganze Anzahl von Rittern, die um die beiden herum sind. Viel mehr als wir es in Draustein gewohnt waren. Der von Schilfenberg und der ui Skardh sind weiterhin die Schwerter des Grafen, aber auch ein paar neue Gesichter sind nun am Hof zu sehen, einige von ihnen kennst du sicher. So hat er Thalania und Ruada in seine Dienste aufgenommen, die sich auf dem Zug in den Osten den Ritterschlag verdient haben. Die Ritter Irion Iomhar und ein Talian von Eichenstolz haben sich vor Mendena hervorgetan und wurden in  Dienst genommen, wie auch der junge Niamrod, den Morgan unter seinen Fittichen hatte. Naja, und ich darf mich, wie gesagt, jetzt Waffenmeister von Bredenhag nennen."
Kurz überlegte Josold, ob er etwas vergessen hatte. "Natürlich gibt es nach der Fehde viele, die sich neu positionieren wollen, schließlich gibt es auch einen neuen Grafen und nicht selten stand man sich während der Fehde im Feld gegenüber. Da gibt es Gräben zu füllen und Wälle einzureißen. So gibt es hier und da Stimmen, die Rondred Stepahans Handeln tadeln, und während sich Adalhard von Singersberg wachsender Beliebtheit bei Hof erfreut, kann ihm der Eulenbroich nicht wirklich vergeben, auch wenn er sein Leben schonte. Von Hochzeiten ist mir allerdings nichts zu Ohren gekommen, aber ich bin vielleicht auch niemand, den man in dieser Angelegenheit frühzeitig ins Vertrauen ziehen würde." Er hob bedauernd die Hände, bevor er fortfuhr. "Was nun die Gnadenturney angeht, werde ich sie wohl auslassen und mich stattdessen auf den Buhurt konzentrieren. Neben dem gibt es zur Zeit auch viel mit dem Wiederaufbau in Bredenhag zu tun. Allerdings...", und nun machte er sich an einer ledernen Tasche, die er am Gürtel trug, zu schaffen, "bringt mich dies zu einem weiteren Grund meines Besuches..." Der Verschluss schien verknotet, und seine kräftigen Finger eigneten sich offensichtlich nicht gut, um ihn zu öffnen. So dauerte es einen Augenblick, bis er ein gesiegeltes Pergament hervorzog und es Furgund mit den Worten "mit den besten Wünschen deiner Freundin" überreichte.

Kurz blickte Furgund den Besucher irritiert an, dann jedoch erhellte sich seine Miene. "Dann ist meiner Bitte also entsprochen worden? Wunderbar!" Mit wenigen Schritten war sie bei Josold und nahm ihm das Pergament aus der Hand. Eine Weile las sie versonnen das Schreiben Farnhilds, dann blickte sie auf. "Oh, du hast ebenfalls einen Gruß hinterlassen. Offenbar hast du dich wahrlich kurzfristig für diesen Botendienst einteilen lassen. Umso mehr freue ich mich über diesen doppelten Freundschaftsbeweis." Neugierig entfaltete sie nun ein zweites Dokument. Vergnügt las sie auch dieses Schreiben. Offenbar entsprach alles ihren Vorstellungen, denn immerhin kommentierte sie es lebhaft mit Ausrufen wie "meine Rede" oder "oh ja, so ist es". Schließlich reichte sie den Brief Josold, während sie den beiden Bier nachschenkte. "Auf Weidener ist Verlass", murmelte sie dabei. Sie tat einen großen Zug und wartete, bis der Freund den Brief zumindest überflogen hatte. "Es wird noch dauern, bis ich mich an die hiesigen Turniergepflogenheiten gewöhnt habe. Wie siehst du das?"

"Oh ja", stimmte er ihr zu, "da kann man manchmal wirklich nur den Kopf schütteln. Ich werde mich allerdings wohl schon eingehender mit diesen Gepflogenheiten befassen müssen, auch wenn ich nur dem Turniermarschall für das Bredenhager Buhurt zur Hand gehen werde. Ich hoffe doch mal, dass ich dich dort erwarten kann, wenn du schon den Honingern die Ehre deiner Anwesenheit zu teil werden lässt."

"Oh, das werde ich mir nicht nehmen lassen", lachte Furgund. "Du weißt doch, dass der Traviabund für mich nur bedeutet, dass es fortan zwei Schilde gibt, an die es Ehre zu heften gilt, statt wie bislang nur eines." Die Ritterin zwinkerte schalkhaft und leerte ihren Krug. 

Der Weidener Ritter grinste breit zurück. "Was ziemlich umständlich werden dürfte, wenn dir keine Hand bleibt ein Schwert zu führen. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, Deinen Schild zu teilen", warf er scherzhaft ein und leerte nun seinerseits den Krug mit einem Schluck.

Rasch schenkte die Ritterin zunächst Josold und dann sich selbst nach, ehe sie nun endlich Platz nahm. Nachdenklich musterte sie den Firunsgrunder, und schien im Innern abzuwägen, ob sie ihre Gedanken besser für sich behalten oder sich offenbaren sollte. Schließlich fasste sie sich ein Herz. "Verzeih, wenn ich noch einmal darauf zu sprechen komme, doch dein Wohlergehen liegt mir am Herzen...", wie um sich Zeit zu erkaufen, tat Furgund einen weiteren tiefen Zug, "ich frage mich, wie deine Pläne wohl aussehen mögen. Ich mein’, kannst du dir vorstellen, nochmal eine Frau zu nehmen? Oder hast du damit ein für allemal abgeschlossen?"
Josold wirkte versonnen und betrachtete die Flüssigkeit in seinem frisch gefüllten Krug. "Ach weißt du", begann er zögerlich, "bald jährt sich der Todestag meiner Haelis ein zehntes Mal. All meine Gedanken und meine Trauer haben sie mir letztendlich nicht zurück gebracht. Nur die Erinnerung ist mir geblieben, und das wird sie auch weiterhin", der Ritter tat einen tiefen Atemzug, als würde ihm die nächsten Sätze nicht leicht über die Lippen kommen, "und doch wäre es schön, nicht jeden Abend allein in meine Kammer zu gehen. Ich will nicht sagen, dass ich einsam bin", fügte er hastig hinzu, "dafür ist auf einer Burg wie Bredenhag einfach zu viel los, und mein Pflichten halten mich genug auf Trab. Doch ein wenig Herzenswärme...", mit einem Mal kamen ihm seine Worte ein wenig lächerlich vor, "nun ja, du weißt schon. Gib nichts auf das sentimentale Gefasel eines in die Jahre kommenden Ritters. Wer würde schon solchen alten Haudegen nehmen. Schließlich habe ich nichts zu bieten, nur eine Kammer in der Burg."

"Eine starke Schulter zum Anlehnen, einen gesunden Humor und unbedingte Loyalität nicht zu vergessen", lächelte Furgund milde. "Im Ernst, Josold. Nicht jede Frau ist nur auf das große Geld aus und strebt nach Titeln und Besitztümern." Kurz hielt die Junkersgemahlin inne. War es nicht genau das gewesen, was sie in einem Gemahl gesucht hatte, als sie vor nicht allzu langer Zeit ihre Heimat verließ? Ja, sie war durchaus bereit gewesen, das Gefühl hintenan zu stellen. Doch die Götter hatten es mehr als gut mit ihr gemeint. Nie hätte sie es sich erträumt, dass sie nicht nur einen angesehenen Edelmann für sich gewinnen, sondern auch ihr Herz an ihn verlieren würde. Kurz nahm das Gesicht der Weidenerin einen beinahe verträumten Ausdruck an. Dann sammelte sie sich und blickte Josold offen an. "Sieh dir Jaran an. Ähnlich wie du hat er nach dem Tod seiner Gemahlin lange keinen Gedanken daran verschwendet, erneut den Bund einzugehen. Doch insgeheim muss er sich ebenso wie du danach gesehnt haben. Glaub mir, wenn du es dir selbst zugestehst, dann wirst du nicht lange allein bleiben."

Kurz ließ Furgund ihre Worte wirken und nahm einen Schluck aus ihrem Krug, dann blickte sie den Gefährten neugierig an: "Sag, was ist es, was dir an einer Frau gefällt? Oder gibt es gar jemanden am Hofe...?"

"Nein, nein, wo denkst du hin. Da gibt es niemanden", antwortete er kopfschüttelnd. "Es sei denn, du meinst die jungen Dinger vom Gesinde, die jedem bei Hof schöne Augen machen, wie die rotwangige Nalca, die Hüften schwingend und lächelnd immer ein wenig zu dicht um einen herum tanzt und auch gern mal einen Blick in ihren offenherzigen Ausschnitt gewährt." Ein Schmunzeln umspielte seinen Mund. "Nicht, dass ich einen Blick darauf bereue, ich bin durchaus empfänglich für weibliche Reize. Aber so etwas ist auf Dauer nichts." Er überlegte eine Weile, dann sagte er: "Humor sollte sie schon haben.... und Selbstbewusstsein.... und Güte. Vielleicht sollte sie auch schon etwas....", er brach ab. "Ach, was rede ich da, es macht keinen Sinn, sich die zu viele Eigenschaften  herauszusuchen, am Ende kommt ja sowieso eine zweite Haelis heraus. Man merkt einfach, wenn man zusammen passt." Mit einem Mal wurde sein Blick jedoch misstrauisch. "Sag mal, warum fragst du mich all das? Du willst mich doch wohl nicht verkuppeln?"

"Dafür bin ich wohl leider etwas zu weit ab vom Schuss", entgegnete Furgund und zuckte bedauernd die Schultern. Dann schlich sich ein schelmisches Grinsen auf ihr Gesicht. "Farnhild hingegen..., ja, ich sollte dir vielleicht ein Schreiben für sie mitgeben und sie bitten, einmal die Augen für dich offen zu halten."
Der Ritter begegnete ihr mit einem entsetzten Blick. "Unterstehe Dich", verlangte er. Kurz ließ die Weidenerin den Gedanken im Raum stehen, dann zwinkerte sie Josold freundschaftlich zu. "Nein, keine Sorge", beschwichtigte sie, "ich denke, dass sich schon fügen wird, was zusammengehört. Sollte allerdings eine Dame dein Interesse wecken, so hoffe ich, dass du mich in dein Vertrauen ziehst. Und wer weiß, vielleicht kann ich ja doch ein klein wenig dazu beitragen, dass deine Nächte zukünftig etwas wärmer sind."   "Wie macht sich Siana?" Offenbar hatte sich Furgund entschieden, das Thema zunächst ruhen zu lassen.  "Siana?...", wiederholte der Waffenmeister, "ungestüm und übermütig wie eh und je, du kennst sie ja. Bücher und Lernen sind nach wie vor ein Graus für sie. Ich bin froh, dass sie mittlerweile die Wappen Albernias zu unterscheiden weiß... die meisten zumindest", räumte er ein, und der resignierende Augenaufschlag ließ vermuten, wie viel Kraft es gekostet hatte. "Dafür kann ich ihr bald im Kampf nicht mehr viel beibringen." Nun mischte sich Begeisterung in die Stimme des Ritters: "Du glaubst nicht, mit welcher Geschwindigkeit sie die Klingen zu führen versteht, sie scheint förmlich eins damit zu werden." Es folgte eine längere Pause. "Ich weiß, es gehört mehr dazu, eine Ritterin zu werden, als das Schwert zu schwingen. Es ist für sie ein schwieriger Weg, aber ich bin sicher, sie schafft es. Sie hat das Herz an der rechten Stelle, und bedenke, dass sie noch viel Zeit hat."

Ein dumpfer Schlag an der Tür unterbrach die großmütige Einschätzung des Weideners, während die Tür langsam aufschwang und mit ihr ein unterdrückter Fluch hereinwehte: "Verflixtes Ding....", bemerkte Siana als sie ein Holzbrett mit Wildbret und Käse sowie eine Schüssel mit Brot um die Tür herumbalancierte. Furgund beeilte sich, die Tür festzuhalten, ehe sie der Knappin ins Kreuz krachte. "Rondra zum Gruße, Herrin - oder besser Travia..." Siana nickte nur kurz mit dem Kopf in Richtung der Weidenerin, bevor sie den Blick zielstrebig nach einer Abstellmöglichkeit für ihre Last schweifen ließ. "Die Köchin fragt, ob es ihr heute Abend zusätzlich Knoblauchbrot wünscht, Wohlgeboren?" Die Knappin Josolds war gegenüber dem letzten Treffen der Besten augenscheinlich noch um ein gutes Stück gewachsen und maß nun wohl knapp an die neun Spann. Mit ihrer Größe und der eher breiten Statur übertraf sie nun bereits Furgund - und doch wirkte sie etwas hohlwangig wie manch Dörfler der Heckenwacht. 

"Tz, da fragt sie noch?" Tadelnd schüttelte die Hausherrin den Kopf über soviel Kurzsicht ihrer Bediensteten. "Was wären wir doch für schlechte Gastgeber, wenn wir dir nicht zumindest ein wenig das Gefühl von Heimat vermitteln könnten, eh?" Grinsend wandte sich Furgund Josold zu, der sich angesichts der wankenden Siana flugs bemühte, seinen Krug, den er kurz zuvor auf den Tisch gestellt hatte, in Sicherheit zu bringen, auch wenn nicht unbedingt Grund zur Sorge bestand, da der Tisch noch ausreichend Stellfläche bot. Fast schien es, als hätte er mit der Vehemenz, mit der Siana auftrug, bereits Erfahrung gesammelt, doch ein Kommentar von ihm war nicht zu hören. Stattdessen meldete sich mit Anblick der Speisen sein Magen zu Wort, dass es dem Brummen eines Bären zu Ehre gereicht hätte. "Nun musst du denken, wir hätten gedarbt, nur um dir die Speisekammer leer futtern zu können", wandte er schnell mit einem leicht verlegenen Lächeln ein. "Stimmt's nicht Siana? Wir lassen es uns doch im Allgemeinen recht gut gehen."

Auch wenn sie wie ein Sturmwind in die Kammer getobt war, stellte die Angesprochene Holzbrett und Schüssel erstaunlich zielsicher auf dem Tisch ab. Dabei schien sie kaum darauf zu achten, sondern blickte bereits Josold an und schien sich erstaunlich lange mit der Frage zu beschäftigen. "... im Allgemeinen geht es uns wieder recht gut", antwortete Siana gedehnt und dachte daran, dass ihr Schwertvater aus unerfindlichen Gründen den größeren Teil seines Handgeldes und bestimmt auch den wohlverwahrten Sack aus seiner Truhe nun für in ihren Augen unnütze Ausgaben verwendet hatte. Immerhin war Furgund mit dem Heckendorn vermählt, hatte ihm einen jungen, starken Spross geboren und so hübsch war sie nun nach der Heckenfehde auch nicht mehr. Josold konnte nicht erwarten, zwischen ihren Schenkeln zu liegen und Haelis vergessen zu machen. Und rein aus Freundschaft? Nein, die Geschenke waren vollkommen unangemessen gewesen, soviel stand fest. Fast konnte man meinen, dass er um Furgund warb. Soviel von Etikette verstand ja sogar sie selbst! Siana biss die Zähne zusammen und hoffte, dass Josold besser heute als morgen zur Vernunft kommen würde.

"Im Allgemeinen... haha", lachte der Ritter schallend, während er ihre Betonung nachmachte, "Nun hör sich das einer an. Das klingt ja fast so, als hättest du bei mir was auszustehen", wandte er ein, ungerührt der Tatsache, dass er selbst die Formulierung 'allgemein' gewählt hatte. "Dabei bin ich doch immer sooo sehr um dein Wohlergehen bemüht", feixte er. "Aber hast schon Recht, Eichkätzchen. Der Zug gegen Haffax ist ganz schön auf die Knochen gegangen, und die Ungewissheit, was Zuhause passiert, schlug aufs Gemüt. Doch muss man auch sagen, dass man solche Kämpfe nicht alle Tage hat..." Bei der Erinnerung huschte ein Lächeln über sein Gesicht: "Die machen die Entbehrungen dann auch wieder erträglich."

"Sagt Mann, da er Gareth mit seinem Ar... Allerwertesten im Sattel erreichte und nicht auf einem Karren", schnappte Siana frustriert angesichts der Vergesslichkeit ihres Schwertvaters. "Manche von uns versuchten einfach nur, alleine durchzukommen und einen Weg zurück zu finden." Sie schluckte und straffte sich wieder: "Dabei geht einem schon mal die Begeisterung für Kämpfe gegen Dämonen und Paktierervolk verloren...", schloss sie bemüht neutral, aber mit rauer Stimme.

"Da hast du es", sagte der Ritter mit zufriedenem Lächeln an Furgund gerichtet und deutete dabei mit ausgestrecktem Arm und offener Handfläche auf seine Schildmaid. "Da müht man sich, ritterliche Tugenden weiter zu geben und ein wenig Passion, um für das Gute und Gerechte zu streiten, zu wecken und dann wird gemurrt, wenn die Reise beschwerlich war. Aber...", jetzt hob er den Finger bevor Siana zu einer Erwiderung ansetzen konnte, "und das wollen wir nicht vergessen, auch gefahrvoll und voller Tücken, die einer jungen Schildmaid viel abverlangte und...", Josolds Stimme war plötzlich von Ernsthaftigkeit erfüllt, als er sich direkt an die junge Frau wendete, "du weißt, dass es mich mit Stolz erfüllt, wie du es gemeistert hast."

Schweigen. Für einen Lidschlag schien es nach dem unerwarteten Lob vollkommen still in der Kemenate zu sein. Dann machte Siana mit hochrotem Kopf ein Schritt zurück in Richtung auf die Tür: "Sonst noch was, Herr?", fragte sie durcheinander. In ihr tobte sichtbar ein Sturm von widerstreitenden Gefühlen, da ihr dieses erste Lob von ihm zum Feldzug kostbar war und Josolds mangelnde Achtsamkeit wieder wettmachte. Oder hatte ihr Schwertvater sie bewusst auflaufen lassen? Sie war verwirrt und blickte kurz zu Furgund hinüber. Diese Frage würde sie in deren Anwesenheit nicht hier und jetzt lösen können, soviel war gewiss.   Furgund war dem Gespräch von Ritter und Knappin mit wachsender Verwunderung gefolgt. Hatte Josold ihr nicht kurz zuvor noch von zahlreichen hässlichen Kämpfen berichtet? Und nun schwärmte er geradezu von Mendena. Sicher, es war ein Unterschied, ob er mit ihr oder mit seiner Schutzbefohlenen sprach, doch ob dies wirklich der richtige Weg war? Prüfend blickte sie die junge Falkraun an. 

Josold schien derweil kein Wässerchen trüben zu können. Zufrieden lehnte er sich zurück und nahm einen weiteren tiefen Zug aus seinem Becher, in der Annahme die Wogen rechtzeitig geglättet zu haben, denn er kannte seine Knappin gut genug, um zu wissen, dass sie es an weiteren spitzen Bemerkungen nicht fehlen lassen würde, und das wollte er sich, als Gast bei seiner Landsfrau, ersparen. Außerdem war sein Lob ehrlich gemeint und es war Zeit, es einmal auszusprechen und sich nicht nur in Andeutungen zu ergehen. Dass er sie in Mendena, nach kurzer Suche, zurück gelassen hatte, ohne ihr Schicksal zu kennen, um seiner Verpflichtung Arlan gegenüber nachzukommen, wog schwer auf seinem Gewissen, doch wie immer zeigte er diese Gemütsregung nicht nach außen.

Ein Klopfen an der Tür ließ Furgund herumfahren. Auf ihr knappes "ja" streckte ein Küchenjunge den Kopf herein. "Herrin, verzeiht. Die Köchin fragt, ob..." "Ja, ja", schnitt die Ritterin ihm das Wort ab, "natürlich möchten wir Knoblauchbrot. Und nun spute dich!"

Nachdem die Tür sich wieder geschlossen hatte, wandte sich Furgund Siana zu. "Es klingt vielversprechend, was dein Schwertvater über dich berichtet. Aber wie sieht es mit deinen eigenen Erinnerungen an den Ostfeldzug aus?" Während sie sprach, füllte die Weidenerin einen dritten Becher mit Dünnbier und reichte ihn der Knappin. "Weißt du, Herausforderungen wie diese lehren uns stets auch etwas über uns selbst... und über das, wonach wir uns sehnen..., etwas, dem es sich lohnt nachzueifern. Gibt es vielleicht jemanden, der dich während der Kämpfe - oder danach - besonders beeindruckt hat?"
Die Knappin brauchte nicht lange nachzudenken: "Maelwyn Stepahan, ihr Opfer auf der Mauer, hat mich beeindruckt..." Die junge Schildmaid brach kurz ab, als die Erinnerung klar und mit Macht zurückkehrte: "...ohne die Eiserne Gräfin hätten die Bredenhager und Drausteiner nicht die Mauer genommen. Als sie starb, stand alles auf Messers Schneide und wir alle hätten scheitern können, wenn wir dann zurück geworfen worden wären. Aber wir brachen durch, obwohl viele starben... und wenigstens nicht so sinnlos wie die Seenländer." Ihre Stimme war wieder leiser geworden, brüchig wie altes Papier.
Fragend ging Furgunds Blick zu Josold. War dort jemand gefallen, der der Knappin nahe gestanden hatte? Sie vermochte es nicht genau zu sagen. Jaran hatte ihr nur grob davon berichtet, was in der Bresche geschehen war, wie ihr Gemahl ohnehin recht wortkarg blieb, was die Geschehnisse im Osten anging. 

Schnell nahm Siana einen Schluck Dünnbier und fuhr klarer fort: "Es gab viele, die tapfer waren, auch manche die Feigheit zeigten. Doch wenn Ihr fragt, wer mich sonst beeindruckt hat: Aife von Nymphensee und ihre Trosshuren haben viele Seelen durch ihren unermüdlichen Einsatz gerettet. Ich habe gelernt, dass auch die Fertigkeiten der Geringsten Leben retten können - von Adel und Gemeinen gleichermaßen. Das Kriegshandwerk fordert praktisches Denken, Improvisation und meist schnelle Entscheidungen." Sianas Blick schweifte von Furgund rasch zu Josold und wieder zurück. 

Die Weidenerin musterte die junge Falkraun anerkennend, während sie nachdenklich ihren Bierkrug von der einen Hand in die andere wechselte. Die Worte der Knappin zeugten von einer Reife, die sie ihr nach Josolds einleitenden Worten in dieser Form nicht zugetraut hatte. "Und wo siehst du deinen Platz darin?", bohrte Furgund weiter. "Eher voranstürmend auf den Mauern oder doch eher als jemand, der die Truppen im Innersten zusammenhält?"

"Beides!", schloss Siana entschieden mit einem ersten zaghaften Lächeln. "Und wenn ich mich entscheiden muss, dann ist Zweiteres wichtiger", für kurze Zeit sah sie Furgund fest an, bis ihr Blick doch kurz zu Josold hinüberflog. Furgund folgte ihrem Blick. "Und was ist deine Meinung dazu?", fragte sie den Weidener unvermittelt. Die Frage hatte sie bewusst offen gehalten, und sie war gespannt, welche der Aussagen seiner Knappin Josold wohl herausgreifen würde.

Dieser zuckte leicht hin mit den Schultern: "Der Tross ist das Rückgrat eines jeden Heerzuges. Missstände oder gar ein Verlust führen zumeist in eine Katastrophe. Reto und Aife haben diesen in beeindruckender Art und Weise geleitet. Wobei Aifes Leistung, die Rückkehrer, die erst nach den Namenlosen Tagen aufbrachen, zurück zu führen, besonders zu würdigen ist." Nachdenklich fuhr er sich mit der Hand durch den Bart, während sein Blick mit Wohlwollen auf Siana lag: "Ein wesentlicher Teil ist sicher die Integrität und Entschlossenheit, die die beiden besitzen, denn es ist nicht nur ein organisatorisches Talent von Nöten, um hier erfolgreich zu sein."

Nun hob er den Blick zur Decke der Halle als suche er etwas: "Man sollte jedoch nicht impulsiv, sondern wohlüberlegt handeln und muss bereit sein, dazuzulernen, sich rasch umzuorientieren und sich weiterzuentwickeln. Emotionale Widerstandskraft ist ebenfalls von Nöten, denn Rückschläge bleiben nicht aus. Die Fähigkeit, sich von Widrigkeiten nicht aus der Bahn werfen zu lassen und nach dem Fallen wieder aufzustehen, ist immens wichtig."

Siana nickte frustriert: "Ich hab's verstanden." Und etwas leiser murmelte sie wütend: "Wenn doch der Weise nur seine eigenen Worte hörte..." Josold schloß kurz die Augen und atmet tief ein und wieder aus. Wieder einmal wurde er sich des Trotzes, den das Mädchen in sich trug, bewusst, und ihre respektlose Unverfrorenheit ließ sein Herz schwer werden. "Ich glaube zwar nicht" begann er, "dass es einer Knappin ansteht, ein solches Urteil in aller Öffentlichkeit zu äußern, doch natürlich habe auch ich meine Unzulänglichkeiten." Sein Blick ruhte auf seiner Schildmaid als er weitersprach. "Was ist es, dass dir derart missfällt, dass du dies vor Anderen in derartigen Andeutungen vorbringst und dessen Vertrauen ich nicht würdig bin, es direkt mit mir zu besprechen?" Immer noch waren seine Augen auf Siana gerichtet, und ihnen wohnte eine unbekannte Härte inne.

Doch in ihren grauen Augen begegnete ihm ein helles Feuer, als Wut und Verzweiflung in Entschlossenheit umschlugen. Langsam, stockend begann sie: "Ihr! Ihr würdet keine Sirenen hören... selbst... selbst, wenn sie neben Euch stehen. Ich habe schon so oft versucht, zu Euch durchzudringen... aber Ihr hört einfach nicht. Niemanden. Wenn es um Eure Haelis geht, dann liegt Ihr noch immer am Boden. Ihr habt Euch nicht weiterentwickelt. Ja, der Trauer widersteht Ihr, genauso wie meine Mutter. Beide habt Ihr euch nicht aus der Bahn werfen lassen. Bestimmt seid Ihr der Meinung, Herr Josold, dass Ihr wieder aufgestanden seid.
Doch in Wahrheit liegt Ihr noch immer und habt die Trauer nur tief in Euch eingeschlossen. Glaubt ja nicht, nur weil Ihr stets eine Maske tragt, würde niemand erkennen, wie sehr Ihr verletzt seid... Aber Ihr seid nicht der einzige, der trauert. Ich weiß so einiges darüber: Trauer will genährt werden, wie ein Tier, aber sie wird auch lahm und schwach. Ihr müsst es nur zulassen. Und Haelis wird nicht schlechter von Euch denken, wenn Ihr nicht mehr einsam seid - das weis ich genauso, wie dass mein Vater stolz auf mich ist, obwohl ich das Kriegshandwerk erlerne!"

Ein tiefes Knurren entfuhr seiner breiten Brust, als die Worte der Knappin ihn trafen und die Erinnerungen, den Schmerz und die Trauer, die er so lange in sich eingeschlossen hatte, in ihm entfachten. Seinen Blick verfinsterte sich. Fassungslose Sprachlosigkeit, dass sie an diesem Thema rührte, es ihm gar vorwarf, hielt ihn jedoch im Zaum. Hatte er sich nicht alle Mühe gegeben, ihr ein guter Schwertvater zu sein? Das Siana ihm nun seine Herzenskälte vorhielt und er sich vor Augen führte, dass er diese wohl auch auf sie übertragen haben musste, lähmte ihn, und so hatte die Erkenntnis Zeit, in sein Bewusstsein zu dringen.
"Vielleicht...", begann er nach geraumer Zeit, immer noch bemüht, die Fassung zurückzugewinnen. "Vielleicht hast du Recht, und ich habe diesen Teil von mir hinter Mauern der Kälte verborgen, und vielleicht ist es auch an der Zeit, mich zu öffnen. Wie du sagst, drängen mich ja auch andere in diese Richtung."

Josold warf Furgund einen vielsagenden Blick zu, den diese mit einem stummen Nicken erwiderte.
"Was deinen Vater angeht", fuhr Josold fort, "solltest du auch keinen Zweifel hegen, dass er nicht von Stolz auf dich erfüllt sein könnte. Du folgst deinem Weg und ich bin mir sicher, dass er dafür Verständnis hat, auch wenn sein eigener ein anderer war."

Siana nickte. Auch wenn sie dagegen ankämpfte - ihre Hand tastete instinktiv nach dem alten scharfen Metall, das sie um ihren Hals trug. Heiß schossen die Tränen hervor und sie schluckte schwer: "Es hat lange gedauert, bis ich das begriffen habe."

"Und doch ist es dir schließlich gelungen", Furgunds Stimme war sanft, als sie der Knappin nun eine Hand auf die Schulter legte. "Aber was noch viel wichtiger ist: Du hast vor dir selbst bestanden und damit sicherlich auch das Wohlwollen der Göttin geweckt. Du hast an mehreren Fronten gleichzeitig gestritten, und ich bin sicher, dass die Wunden, die deine Zweifel dir zufügten, nicht minder schmerzhaft waren als die, die dir Feindesstahl gerissen hat. Gleichwohl, du hast gesiegt! Lass diese Gewissheit dich leiten und denke stets daran, wenn du jemals wieder zögern oder zaudern solltest."
Kurz hielt die Ritterin inne. Dann lächelte sie versonnen. "Meine Schwertmutter hat mir einst einige Verse anvertraut. Es ist mir entfallen, aus wessen Feder sie stammen, und ich selbst brauchte Jahre, bis ich die Wahrheit darin vollumfänglich erkannte... doch ich denke, dass sie den Kern dessen berühren, was den Dienst an der Sturmesgleichen ausmacht:

Es kann die Ehre dieser Welt,
Dir keine Ehre geben,
Was dich in Wahrheit hebt und hält,
Muss in dir selber leben."

Ihr Blick ging zu Josold. "Eine Frage, die sich jeder von uns beizeiten stellen sollte… Kannst du vor dir selbst bestehen?" Der Weidener nickte beflissentlich, auch wenn sich die Weisheit des Verses ihm nur schwer erschließen wollte. Die Worte seiner Knappin jedoch hatten es getan.
Schließlich hellte sich seine Mine auf, und er schenkte den beiden Frauen ein mildes Lächeln. "Ich denke", sagte er, "fürs Erste haben wir uns genug ins Gewissen geredet und eine Menge, über das wir nachdenken können. Doch nun", fügte er schelmisch hinzu, "fürchte ich, wird mein Magen mir bald seine Meinung sagen und lautstark rebellieren, wenn er nicht bald von dem angekündigten Brot bekommt."