Hochzeit auf Burg Krähenfels (1044) Teil 12: Die Verkündung des Jagdkönigs

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Chronik

29. Travia 1044
Zweite Firunsstunde: Streckelegen, Beratungen und Verkündung des Jagdkönigs


Streckelegen und Beratungen

Es dauerte noch eine gute Weile, bis die Jagdknechte und Waidmägde mit der erlegten Beute der hohen Herrschaften zurück waren. Im Lager war schon ein großer Platz mit Tannreisig und Eichenlaub umfasst worden, Fackeln im Boden und Feuerschalen tauchten den Platz in warmes Licht. Nach und nach wurden hier die erlegten Wildtiere ordentlich hingelegt, die Häupter aufgerichtet sodass die Geweihe der Hirsche und die Waffen des Schwarzwildes gut zu sehen waren. Jedes Tier hatte einen letzten Bissen im Maul, ein großer Eichenzweig lag auf der Flanke und symbolisierte die Inbesitznahme durch den jeweiligen Jäger. Auf der Strecke lagen am Ende: vier Rothirsche, wobei der Zwölfender des Gastgebers der kapitalste war und zwei stattliche Überläuferkeiler waren im Laufe der Jagd erlegt worden.

Nachdem die Strecke vollständig war, versammelte sich wieder das Jagdgesinde. Die Jagdmeisterin schritt nun die Strecke ab, besah sich jedes Stück Wild in Ruhe und ließ sich von ihren Knechten und Mägden die Verletzungen erklären. Als sie damit fertig war, besprachen sie sich in einem Kreis, in dem auch Caran von Krähenfels beteiligt war. Als Gastgeber würde es seine Aufgabe sein, den Jagdkönig zu küren. Da musste er schon wissen, wie es zum Urteil dazu kam! Doch bevor der Jagdkönig Thema wurde, sprach Meriwen etwas Wichtigeres an: “Firnden, sag: wie kam es zu der schweren Verwundung Seiner Wohlgeboren Aldewen?”, fragte sie gerade hinaus. Der Bursche nickte und trat vor, sprach sowohl zu Meriwen als auch zu Caran: “Zwei Pfeile trafen den Hirsch ins Leben, sodass er sich stellte. Zuvor kam es noch zu einem Angriff durch zwei Wildschweine, von denen eines durch die Ritterin Widra verletzt und anschließend durch meinen Pfeil gestreckt wurde. Jedenfalls... ich ging hinab zum Hirsch, seine Wohlgeboren und der Jagdmeister Crabald ebenfalls. Ich wartete ab, ob Seine Wohlgeboren diese Ehre selbst übernehmen wollte. Ich glaube, keiner seiner Pfeile hatte zuvor getroffen. Dann zog er sein langes Messer und gab dem wehrhaften Hirsch den Ifirnsstoß. Fast gleichzeitig traf ihn das Geweih am Schädel”, erklärte Firnden ruhig und besonnen. Die Jagdmeisterin nickte.
“Der Stich war gut, sagst du?”, hakte sie nach. Firnden nickte und antwortete: “Ja, das war er! Der Hirsch war augenblicklich tot.” “Wurde Seine Wohlgeboren dazu gedrängt, es selbst und auf diese Weise zu tun?”
“Nein, Frau Jagdmeisterin, wurde er nicht. Zumindest habe ich nichts derartiges mitbekommen!” Meriwen nickte und blickte fragend zu Caran: “Habt Ihr noch Fragen, Wohlgeboren? Bis jetzt scheint es ein bedauernswerter Unfall gewesen zu sein, welches jeden hätte ereilen können der sich der Gefahr der Hirschjagd aussetzt. Oder wie seht Ihr das?”
Caran von Krähenfels hatte aufmerksam zugehört. Bislang hatte er sich stets auf sein Jagdgesinde verlassen können. Firnden war hier keine Ausnahme. Der junge Mann war unter der Anleitung seiner Mutter zu einem verständigen Jäger gereift. Caran wusste, dass es womöglich gar nicht soweit gekommen wäre, wenn sein zukünftiger Schwager mit seinem Bogen ebenfalls den Hirsch getroffen hätte.
“Wohlgeboren Aldewen wusste was er tat. Er wollte dem gestellten Hirschen den gnadenbringenden Ifirnsstoß setzen, um das Tier von seinen Qualen zu erlösen. Niemanden trifft in diesem Fall eine Schuld!”, erklärte der Junker von Krähenfels und sah dabei mit gleichmütiger Miene in die Runde. Was Brendan Aldewen getan hatte war firungefällig, alles andere hätte Caran doch sehr überrascht.
Die Jagdmeisterin nickte. “Gut! Falls Seine Wohlgeboren oder irgendwer sonst in dieser Sache noch etwas zu sagen hat oder Fragen hat, darf er gerne auf mich zukommen.” Sie nickte erneut, dann lächelte sie als sie das Thema auf die Kürung des Jagdkönigs lenkte. Sie zählte die Gründe für ihren Vorschlag auf, der auf allgemeine Zustimmung traf. Auch Caran von Krähenfels war damit einverstanden. “Nun denn! Versammelt die Jäger, die Strecke soll verblasen und die Jagd abgeblasen werden!”


Die Verkündung des Jagdkönigs

Neben der festlich hergerichteten Strecke nahmen nun die Jagdknechte und Waidmägde Aufstellung. In einer Reihe stellten sie sich auf, die Hörner parat. Die Jagdmeisterin blies ein einfaches, kurzes Signal, um die Aufmerksamkeit der Gäste zu erlangen. Artig wartete sie, im frohen Gespräch mit Caran von Krähenfels, bis alle heran waren. Dann spielten die Jäger gemeinsam auf: Es war eine lange, harmonische Melodie, welche das Ende des Jagdtages einläutete. Als der letzte Ton geendet hatte, trat Meriwen an ihren Lehnsherrn heran: “Euer Wohlgeboren! Ich melde Euch gehorsamst: Zur Strecke kamen am heutigen Tage drei kapitale Rothirsche, ein braver Spießer sowie zwei ebenso kapitale Überläuferkeiler! Nach eingehender Prüfung der Geschehnisse darf ich mit bestem Wissen und Gewissen verkünden, dass alle Tiere auf dem Herrn Firun gefällige Art und Weise zur Strecke kamen! Wir Jäger sind froh und dankbar über den Ausgang dieser Jagd, alle Arbeit ist getan und so erwarten wir nun unseren Lohn, flüssig oder gebraten, noch am heutigen Abend!”, beim letzten Satz, der wohl immer auf derlei Jagden fiel, lächelte sie.
“Selbstredend erhaltet ihr beides”. Caran sah dabei anerkennend zu der gestandenen Jägerin: “Ich danke Euch und dem Jagdgesinde von hier, aber auch von anderenorts für treue und firungefällige Dienste!” Dann sah er zu der Schaar der versammelten Jäger von Rang und Namen.

“Es ist mir nunmehr eine große Ehre den Jagdkönig auszurufen!”, rief der Gastgeber laut und vernehmbar. Seine Stimme hatten einen feierlichen Unterton angenommen und war über das gesamte Jagdlager zu vernehmen.
Ioric von Krähenfels! Tretet vor! - Wir sind schon alle gespannt auf Eure Rede, Vetter!”, betonte der Junker von Krähenfels und reichte seinem Anverwandten einen großen Becher mit Raulbrant.
Ioric von Krähenfels schien einen Moment zu brauchen um zu realisieren, dass es sein Name war, den Caran von Krähenfels soeben verkündet hatte. Als die Erkenntnis einsetzte, begann er breit zu lächeln und machte sich auf in die Mitte der Feiernden, wo er den Becher in Empfang nahm. “Hätte ich mir ausgemalt im Kreise solch hervorragender Jägersleut für diese Ehre in Frage zu kommen, wäre ich sicher besser vorbereitet!”, antwortete er lachend. Grüßend hob er seinen Becher, nickte jenen zu die ebenfalls von der Pirsch zurückgekehrt waren.
Wulfwin von Tannengrund, der Erbjunker von Maradom erhob seinen Becher, obschon auch er in der Heckenfehde auf anderer Seite gestritten hatte und nickte ihm achtsam zu.

“Ihr werdet mir verzeihen müssen, wenn ich also ein wenig - ungeübt - spreche.” Ioric grinste, hielt einen Moment inne. “Es wäre vermessen von mir, diese Ehre anzunehmen, ohne jene zu ehren, welche mit mir auf der Pirsch waren und ebenso Anteil am Erfolg der Jagd hatten. Und so erhebe ich meinen Becher auf die Hohe Dame Vialigh, eine Ritterin zum Wohlgefallen der Herrin Rondra und des Herrn Firun...“ “Hört, hört!”, ertönte es von irgendwo aus der Menge.
Erneut grüßte Ioric mit dem Becher Talwen - welche überrascht war, aber geistesgegenwärtig genug, um den Gruß mit einem höflichen Prost zu erwidern - „...wie auch Daerec, Jagdgesell ohne Fehl und Tadel!” Anschließend trank Ioric einen kurzen Schluck. Als er absetzte, war sein Ausdruck ernster geworden.
“Es scheint auch angebracht der milden Tochter Ifirn, der Schwanengleichen, Dank auszusprechen. Während der Grimme Vater Firun uns auch heute wieder prüfte und gemahnte, dass nichts, was es wert ist, erreicht zu werden, leicht ist, so ist es doch so, dass wir heute Abend nicht in Trauer beisammen sind, sondern im Wissen um die Zerbrechlichkeit des Seins, aber auch um die ursprüngliche Genugtuung, die nur eine Jagd im Einklang mit den Gesetzen des weißen Jägers bringen kann!”
Kurz sah Ioric sich um, suchte seinen Vetter und dessen zukünftige Braut. “Ich möchte abschließend diejenigen grüßen, wegen denen wir alle hier heute versammelt sind: Möge euer Leben miteinander ähnlich dieser Jagd sein, nicht immer einfach, aber erfolgreich!” Mit einem letzten Gruß hob er den Becher Raulsbrannt, bevor er ihn stürzte.

Gleich nach seinem Vetter, wurde Ioric von Brendan Aldewen beglückwünscht, der seinem Getreuen anerkennend auf die Schulter klopfte und so manches aufrichtige Wort der Achtung für dessen Taten fand. Wie man unschwer erkennen konnte, war dieser aufgrund der zurückliegenden Strapazen und Schrecken noch fahl im Gesicht und schwach auf den Beinen. Anschließend gesellten sich noch viele andere hinzu, stets mit einem Becher zur Hand, so dass Ioric die Kehle nicht trocken wurde.

Ravindra von Krähenfels hatte der Rede ihres Neffen wie alle anderen gelauscht. Seine Worte waren gut gewählt. Undra die auf der Burg zurückgeblieben war, würde stolz auf ihren Sohn sein. Zumindest konnte sich die ehemalige Junkerin so mit der Abwesenheit von Yaron Ildborn versöhnen. Das dieser plötzlich erkrankte, war doch sicherlich kein Zufall! Hatte der Mann nicht eine robuste Gesundheit, die so schnell nichts erschütterte? Daher wertete sie dies als weitere Geringschätzung ihres Hauses und mit dieser Meinung war sie wohl auch nicht die einzige hier. Immerhin hatte dessen Fehlen ihrem Neffen vermutlich den Titel des Jagdkönigs eröffnet. Ein süßer Trost, befand sie still.


Zu fortgeschrittener Stunde

Marbaron Baradhar
Marbaron Baradhar hatte schon den einen oder anderen Becher mit gutem Raulbrannt seine Kehle hinunter fließen lassen. Schweigsam saß er in der Nähe von einer Feuerschale und lauschte dem traurigen Gesang der jungen Waidmagd aus dem Gefolge von Haus Aldewen. Noch immer nagte seit dem Gespräch mit Madahild von Wolkentrutz ein bitterer Zweifel an seinem Verstand. Er versuchte sich ein weiteres Mal die unverhoffte Begegnung mit ihr in Erinnerung zu rufen. Sie war ungemein zuvorkommend, ja geradezu interessiert an ihm gewesen und recht barsch als es um ihre Tochter Rahjalyn von Wolkentrutz ging. Diese Falwa war in der Tat eine gute Sängerin. Sängerin!? Ihr Name ist gar nicht Wolkentrutz, sondern Singersberg - dämmert es ihm reichlich spät und der verfemte Arwulf war ihr Bruder! Er schüttelte seinen Kopf und schimpfte sich selbst einen großen Narren, so als ob er noch nie etwas von den Gerüchten im Vorfeld des Blutfests`von Burg Halianshorn gehört hätte. Schweigend sah er zu den schwarzgrauen Wolken über ihm und lächelte gallig.


Talwen Vialigh und Ioric von Krähenfels
Bis zum Abend hatte es zwischen Talwen und dem Krähenfels wenig Berührungspunkte gegeben. Das traf auf beide Herren mit diesem Namen zu. Dem einen war sie gram, weil er eine andere heiraten würde und Caran mit der Aldewen zu sehen löste in ihr eine unschöne Bitterkeit aus. Dem anderen grämte sie, weil er in ihren Augen einen mehr als zweifelhaftem Charakter besaß. Aber: da war ja noch die Abmachung, die sie mit letzterem getroffen hatte. War diesem überhaupt noch im Gedächtnis, dass sie noch einen Hirsch betrinken wollten? Sie spielte mit dem Gedanken, was sein würde, wenn sie es einfach nicht täten, aber dann hatte sie den Gedanken meist auch schon wieder verworfen wegen der Tatsache, dass man - vielmehr er! - nicht über sie sagen sollte, sie würde ihr Wort nicht halten. Ihr war nämlich die eigene Ehre wichtig. Daher schnappte die Vialigh sich einen Krug, ebenso zwei Becher und ging dem Vetter des Bräutigams entgegen. Dass er sich in Gesellschaft befand, war ihr gerade recht. Sollte jeder hier ruhig sehen, dass es höhere Ziele gab, für die man Ehrenhändel aufschieben konnte, und dass sie, Talwen Vialigh, durchaus in der Lage war, dies zu tun. Umso mehr würde man ihnen und ihrer nächsten Begegnung auf dem Turnierboden Beachtung schenken. Dem Ziel, welches Talwen damit verfolgte, würde dies sicherlich dienlich sein. Nun aber wartete sie erst einmal höflich, bis man sie bemerkte und der Krähenfels sich ihr zuwandte.
Verzeiht... doch ist da noch ein Zehnender, der betrunken werden muss. So verlangt es das Wort“, sagte sie und hob zur Verdeutlichung Krug und Becher. Wobei sich für die anderen, die sie hörten, nicht erklärte, was genau sie damit meinte. Ioric verabschiedete sich mit einem jovialen Schulterklopfen von Isida von Krähenfels und trat auf Talwen zu. Seine Augen waren bereits leicht glasig und der Brannt hatte seine Wangen rot gefärbt, er schien sich aber trotz allem merklich gut im Griff zu haben.
“Ich habe euch nicht vergessen!”, versicherte er der jungen Ritterin und lächelte. “Eine weitere große Geste von euch, oder fiel es euch schwer zu warten?”, setzte er leiser nach.
„Tatsächlich ist heute der Tag der großen Gesten.“ antwortete sie, bevor sie noch ergänzte: „Nur heute. Ihr solltet euch mal lieber nicht allzuviel drauf einbilden. - Würzwein ist in Ordnung, hoffe ich?“
Ioric nickte, dann grinste er: “Raulsbrannt würde ich wohl nicht überleben, wenn wir einen Becher auf jedes Ende trinken.” Kurz sah er sich um. “Wollt ihr euch etwas abseits setzen, oder ist's euch wichtig das man uns sieht?”, fragte er mit mildem Spott.
Ein kurzes Zucken ihrer Brauen verriet, dass er damit vielleicht nicht so falsch lag. „Was wäre euch denn recht?“ stellte Talwen die Gegenfrage. Vielleicht aufgrund des Ertapptwerdens ein bisschen ruppiger als beabsichtigt.
“Setzen wir uns dort drüben, ich habe heute Abend genug Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit verbracht.” Ioric deutete auf eine Bank am Rande der Festgesellschaft.
Sie folgte seinem Finger mit Blicken und nickte. „Ah, ja. Jagdkönig. Glückwunsch noch“, ließ sie mehr höflich denn euphorisch verlauten, während sie gemeinsam zu der ausgewählten Bank gingen und sich setzten. „War nett, dass ihr Meister Daerec und mich erwähnt habt. Hätte es aber nicht gebraucht“, brummte sie beim Einschenken des erstes Bechers, den sie ihm sogleich reichte. Dass gerade er zum König der Jagd gewählt worden war, verstand sie, war doch sein Mut beim Erlegen des Hirsches groß gewesen. Das hielt sie allerdings trotzdem nicht davon ab, ihm diesen Triumph zu neiden.
Ioric nahm den Becher mit einem dankenden Nicken entgegen. “Nicht gebraucht?”, echote er. ”Diese Geste, die mich weniger als einen langen Atemzug gekostet hat, ist der Unterschied zwischen einem aufgeblasenen Idioten und einem ‘guten Kameraden’. Und meine Worte machen mich kein bisschen weniger zum Jagdkönig.” Er grinste, prostete seinem Gegenüber zu. “Als Erbin habt ihr doch sicherlich ein paar Lektionen in dieser Richtung hinter euch?”
„Natürlich“, gab sie daraufhin von sich. Weil sie allerdings nicht über sich reden wollte, schon gar nicht mit ihm, zog sie ein anderes Thema heran. Eben jenes, warum sie überhaupt hier saßen. „Weil ihr doch so gut mit Worten umgehen könnt..., wollt ihr denn noch ein paar Worte zu unserem Hirschen sagen, wenn wir jetzt auch ihn trinken?“ Sie hatte sich ebenfalls den Becher gefüllt und den Krug vorerst zu ihren Füßen auf den Boden gestellt. Mit dem Trinkgefäß in der Hand wartete sie.
Nachdenklich blickte Ioric in die Finsternis und schwieg für einen Augenblick. “Ein majestätisches Tier, von einer Erhabenheit, die ihn über das gewöhnliche Vieh erhob. Ich bin froh, dass ich ihm ein würdiges Ende bieten konnte.” Er hob den Becher in die Richtung der aufgebrochenen Jagdbeute und trank.
Einen Moment dachte auch Talwen an die zurückliegenden Momente der Jagd, ließ sie noch einmal Revue passieren und fühlte in sich hinein. Sie fand unter anderem den Augenblick, in dem sie starr verharrt und eigentlich schon darauf gewartet hatte, dass der Hirsch auf einen von ihnen zugerannt kam in seiner Wut. „Er war ein würdiger Gegner. Hatte alle Möglichkeiten. Es war eine gute Jagd“, kam sie erneut zu dem Schluss. So hob auch sie den Becher, gebot der gemeinsamen Beute eine letzte Ehre und trank.
„Wisst ihr schon, wo ihr das Geweih aufhängen werdet?“ Es war ein schönes Geweih von gleichmäßigem Wuchs und nahezu perfektem Aussehen. Eine schöne Trophäe - mit der sie sich natürlich auch gerne geschmückt hätte, doch stand es demjenigen Jäger zu, der das Wild erlegt hatte.
Ioric zuckte ratlos mit den Schultern. “Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, wenn ich ehrlich sein soll. Vielleicht auf Eichengrund, vielleicht lasse ich ihn auch hier, immerhin ist Krähenfels meine Heimat.” Er nahm einen weiteren Schluck, setzte ab und hielt Talwen den geleerten Becher hin.
“Nachdem ihr ja eine Frau eures Wortes seid, will ich euch nicht nachstehen: Wenn ihr es wünscht werde ich euch von meinen Pflichten vorjammern, auch wenn mir zur Zeit wenig nach jammern ist.” Er grinste breit, während Talwen stutzte.
„Warum bitte wollt ihr das tun?“, fragte sie irritiert, denn sie hatte weder vor, hier mit ihm Bruderschaft zu trinken, noch, ihm ihre Schulter zum Ausheulen anzubieten.
Ioric machte eine unbestimmte Handbewegung. “Ich bot es euch an, bevor wir loszogen und nachdem ihr mit mir hier nun euer Wort einlöst, hielt ich es für gerecht euch das gleiche anzubieten.” Er lehnte sich zurück. ”Ich denke, ihr habt eure Schuldigkeit getan, es gibt keinen Grund aus Höflichkeit hier sitzen zu bleiben.” Er hielt inne, betrachtete sie aufmerksam, sein Ausdruck regungslos. “Vielleicht solltet ihr lieber mit meinem Vetter trinken oder euren zukünftigen Gemahl suchen oder wonach auch immer euch ist.” Abermals stutzt die Vialigh und ihre Augen weiteten sich. „Meinen was?“
Ioric lächelte schmal. “Ich wollte euch nur aus eurer Pflicht entlassen, nachdem ihr nun ja die Eurige getan habt und ganz offensichtlich wenig wert auf meine Gesellschaft legt. Sicherlich wird man euch als Erbin von Unkengrund in den Ohren liegen euch zu verloben - Fortbestand der Linie und dergleichen - warum also unnötig Zeit verschwenden?” Seine Augen waren schmal geworden. Schon beim Thema Pflichten hatte sich der Mund der Heckenreiterin zu einer Erwiderung aufgetan, als er dann aber nicht aufhören wollte zu reden, hatte sie ihren Mund wieder geschlossen, die Kiefer aufeinander gepresst und stattdessen ihrerseits die Augen zusammengekniffen. Und nebenbei ihren Fokus wiedergefunden. „Erstens, Herr Ioric, könnt ihr mich gar nicht aus meinen Pflichten entlassen, denn sie sind, wie ihr schon sagtet, meine Pflichten. Aus denen ich mich selbst zu entlassen gedenke, wenn ich es für nötig halte. Und nicht ihr! Zweitens: wenn ihr denkt, dass ein jammernder Gesellschafter erbaulich ist, dann will ich, bei den Göttern“, sie rollte mit den Augen, „euch Raum geben, euch mit eurem Jammer auszutoben. Nur dürft ihr dann kein Mitleid von mir erwarten. So, und nun zu drittens:“ Sie ließ eine Pause, in der sie kurz auf ihr Trinkgefäß herniedersah. Dann schmiss sie dem Krähenfels dessen Inhalt ins Gesicht. „Der Fortbestand meiner Linie geht euch - vor allem euch! - einen feuchten Kehricht an, merkt euch das! ... Also jammert lieber. Ist‘ gescheiter.“
Ioric lachte herzlich, während ihm der Wein aus dem Gesicht tropfte: “Ihr seid ja schlimmer verwunden als eine Rotze! Ein Kommentar und ihr verliert derart eure Beherrschung - traurig.” Er schüttelte den Kopf, blinzelte gegen das Brennen in den Augen. “Alles was ich tat, war ein wenig leichte Konversation anzubieten. Ich denke aber nicht das ich noch Interesse daran habe, immerhin könnte ja ein weiteres falsches Wort eine Flussharpyie in mein Gesicht rufen... .” Er grinste spöttisch, schwenkte auffordernd den Becher. “Aber vielleicht habt ihr ja Interesse mir ein wenig von eurem Leben zu erzählen, während wir trinken. Und vielleicht revanchiere ich mich dann sogar.”
Talwen lachte belustigt auf. „Ihr meint, ihr wollt mich zur Abwechslung jammern hören? Vergesst es.“
“Sagt ihr, das alles in eurem Leben Grund zur Klage ist? Bedauerlich - und aufschlussreich”, schmunzelte Ioric.
„Wann soll ich das gesagt haben? Nein, Ihr seid doch derjenige, der jammern wollte. Also jammert jetzt. Los. Und wehe ihr jammert nicht gut.“ Erst entrüstet, wandelte sich ihr Tonfall und Gebaren zu einer Aufforderung.
Ioric machte eine beschwichtigende Geste. “Mir scheint ihr klammert euch an diesem einen Wort fest wie eine Ertrinkende. Aber sicher, wer bin ich einer Edlen Dame einen Wunsch zu verwehren... ” Er hielt kurz inne, bevor er fortfuhr. “Es ist wirklich erstaunlich, ich könnte euch alles erzählen und es hinterher mühelos abstreiten, schließlich ist ja eure Abneigung mir gegenüber mehr als bloß bekannt.”
“Das heißt dann wohl: nur her mit den Geheimnissen, nicht wahr?”, erkläre Talwen. Sie ging nicht davon aus, dass er ihr ein solches offenbaren würde.
Er lächelte, lehnte sich vor. “Ihr wollt mich jammern hören? Ich werde weich.” Er kniff sich in das Wams, schüttelte den Kopf. “Meine Stellung lässt mich Übungen vernachlässigen. Meine Kleidung mag es noch verhehlen, aber schon bald wird mich das Kettenhemd kneifen.” Er lehnte sich zurück und betrachtete Talwen im Halblicht. “Ihr habt derlei Sorgen sicherlich nicht, ihr seid eine verdammte Raubkatze.”
Nun musste Talwen tatsächlich lachen, aber mehr wegen seines Vergleiches von ihr mit einer Raubkatze und weniger wegen seiner eigenen Armseligkeit - für die sie übrigens tatsächlich kein Mitleid empfand. Offenbar wusste der Krähenfels seine gute Stellung nicht zu schätzen. “Euer Ernst?”
Ioric lächelte mild. “Das werdet ihr wohl nicht erfahren, wie ernst es mir ist. Bin ich eurem Wunsch zu eurer Zufriedenheit nachgekommen?”
“Wie, seid ihr etwa schon fertig mit Jammern?”, wollte sie erst einmal wissen und musterte ihn ihrerseits.
“Ich sagte doch bereits, mir ist nicht sonderlich danach. Und ihr habt nichts unternommen, um dies zu ändern.” Ioric zuckte mit den Schultern.
“Oh, verzeiht!”, sagte die Vialigh übertrieben. “Und ich sagte bereits, wenn ihr Mitleid wollt, müsst ihr euch an jemand anderen wenden. Ich leihe euch in meiner Güte schon mein Ohr.” Dann seufzte sie. “Aber sofern es denn mehr als eure Verweichlichung gibt, dann erzählt. Bevor es euch innerlich zerreißt...”
Ioric schüttelte den Kopf. “Mit euch eine Unterhaltung zu führen, ist ein wenig wie mit einem Nadelbaum zu tanzen. Ich sollte eurer Mutter beizeiten mein Bedauern ausrichten.”
“Ja, macht das. Dann merkt sie, dass wir es wenigstens versuchen.” Sie schenkte ihm und seinem Ansinnen ein schales Lächeln.
Ioric seufzte. “Gibt es eine gesetzte Anzahl an Getränken die ihr erreichen wollt bevor ihr euch aus eurer Pflicht entlasst? Ich habe zu viel getrunken um Freude an dieser Konversation, oder was ihr dafür haltet, zu empfinden.”
“Ehrlich, Herr Ioric, was seid ihr nur für ein Jammerlappen”, erwiderte nun Talwen kopfschüttelnd. Aus dem Kerl wurde sie einfach nicht schlau. “Seid doch froh über unseren kleinen Austausch von Nettigkeiten. Das nächste Mal, ihr wisst doch, spricht der Stahl zwischen uns!” Sie freute sich schon darauf. Beim nächsten Ausatmen fielen ihr die Handfläche patschend auf die Schenkel. “Aber gut... wenn es für euch gar so eine Mühe ist, dann entlasse ich mich jetzt aus eben jenen Pflichten. Soll niemand sagen, ich würde euch etwa aus Rache quälen, oder so ähnlich.”
So einfach ließ sie der Krähenfels nicht davon kommen: “Jammerlappen? Weil ich meine Probleme anerkenne und darüber lachen kann? Ihr solltet versuchen es mir gleich zu tun - es ist eine sehr befreiende Erfahrung. Oder ist es weil ich mich weigere mich in unserem ‘Austausch von Nettigkeiten’ mich von euch übervorteilen, ach was sag ich, ausrauben zu lassen?” Er schüttelte den Kopf. “Ich hoffe ihr seid mit der Klinge ebenso elegant wie ihr es in Gesellschaft seid.” Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. “Dann gibt es nämlich nichts worüber ich mir Sorgen mache!”
Talwen stierte den anderen zornig an. Dann zog sie sich auf die Beine. “Natürlich bleibt es euch überlassen, ob euer... Wohlstandsbauch... das Einzige ist, was euch kümmert.”
Ioric lehnte sich zurück, begegnete Talwens Blicken ungerührt. “Mitnichten. Es gibt eine Reihe von Dingen, die mich kümmern - einige davon gehen mich sogar etwas an.” Er grinste, hob den Becher grüßend.
Sollte dies eine Anspielung gewesen sein, hatte die Vialigh sie wohl nicht verstanden, denn sie ließ die Worte einfach so stehen. Irgendwann würde sie ihm dieses selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht schneiden. Aber nicht jetzt. “Soll ich euch mit dem Krug allein lassen? - vielleicht ist er euch ja ein besserer Gesprächspartner als ich,“ spottete sie belustigt. “Oder schafft ihr es, euch noch ein letztes Mal aufzuraffen und mit mir zurückzukehren, um wenigstens den Anschein zu erwecken, wir würden tugendhafte Gäste sein?” So gern sie den Krähenfelser jetzt hier abseits im Halbdunkeln sitzen lassen würde, so unhöflich war das doch. Zumindest ihm letzteres nicht wenigstens anzubieten.
Ioric erhob sich ebenfalls. “Abend der großen Gesten, nicht wahr?”, fragte er mit einem feinen Lächeln. Dann verbeugte er sich mit einer höfischen Geste. “Nach euch.”