Ein steiniger Weg (1032) Teil 02

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Auf dem Leuenstieg

Mit den letzten Sonnenstrahlen des schwindenden Praiosmals sah Arlan auf die ehrwürdige Stammfeste seiner Ahnen. Zeitlos und trutzig erhob sich Burg Draustein über das zerklüftete Steilufer des Großen Flusses. Vor ihm lag das Herzstück seines Hauses, die Heimstatt der Weißen Löwen. Keine drei Meilen trennten ihn nun mehr von der Stätte seiner Kindheit. Vom mächtigen Draufall, der grollend unterhalb der wehrhaften Ringmauer in den großen Fluss mündete. Vom ehrwürdigen Lanzenhain, in dem noch vor wenigen Götterläufen regelmäßig das weitgerühmte Treffen der Besten stattgefunden hatte, das berühmteste Ritterturnier Albernias.
Obwohl er mit dem ersten Morgenlicht den Boden Drausteins betreten hatte, war er doch erst in diesem Augenblick zu Hause angekommen. Ein Privileg das vielen seiner Anverwandten und ehemaligen Gefährten nicht vergönnt war. Gedankenvoll fuhr Arlan mit seiner Schwerthand über die alte Eiche neben ihm. Seine Schwurfinger suchten auf dem Stamm nach den eingeritzten Zeichen der donnernden Göttin. Die beiden Kreise mit dem durchstoßenen Schwert hatte er selbst vor vielen Jahren, in das knorrige Holz getrieben. Wenige Tage später war er dann seinem Vater in die Nachbarbaronie Grenzmarken gefolgt, um Baron Allwyn Farnwart als Edelknabe zu dienen. Damals war er acht Jahre alt gewesen. Es war der letzte Sommer seiner Kindheit.
Mit gezogenem Schwert ließ sich der gestandene Ritter auf die Knie fallen.Das Gehilz der Waffe mit beiden Händen fest umschlossen, dankte er im stillen Gebete Rondra - der Schutzgöttin seiner Ahnen. So gedachte er eine ganze Weile seinen beim Kampf um die Baronie gefallenen oder verschollenen Familienmitgliedern, Freunden und Anverwandten.
Für einen Moment durchbrach Arlans Geist die Schrecken der vergangenen Kämpfe, sprengte die schweren Fesseln aus Blut und Asche. Für einen Augenblick war er frei. Erinnerungen aus Kinder- und Jugendtagen durchströmten seine abgekämpften Glieder.
Langsam führte Arnvald Wellenstein seinen Rappen den sanften Hügel zur alten Eiche hinauf, das blaue Band des Großen Flusses zu seiner Linken und die beharrliche Feste der Stepahan vor Augen. Er wusste, dass er Arlan hier oben finden würde. In vergangenen Tagen waren sie manchmal hier oben gewesen und hatten so manchen Schwertstreich geübt. Wie oft hatte er den Jungen zu Boden geschickt oder besiegt? Es waren unzählige Male, doch weniger als bei seinen anderen Knappen. Ja, 'der Löwe' hatte großes Geschick im Klingenspiel und hatte eifrig von seinem um viele Götterläufe älteren Schwertvater gelernt, bis es diesem schließlich nicht mehr gelungen war, den ihm Anvertrauten so einfach zu entwaffnen.
Inzwischen war Arlan zu einem gestandenen Streiter gereift. Mit dem Langen Schwert war er unberechenbar schnell und auch für seinen Schwertvater ein ernstzunehmender Gegner. Nur Morgan und seine Mutter kämpften mit noch findigerer Klinge als er. Auch Streitaxt und Schwert waren tödliche Waffen in den Händen des Stepahan. Arnvald rief ihn schon als Schildknappe gerne als den jungen Löwen. Als ausgerechnet Arlan ihm auf dem blutigen Rückzug von Crumolds Auen, umringt von Nordmärker Rittern und Waffenknechten unerschrocken heraus gehauen hatte, bezeichnete ihn Arnvald aber nur noch als den Löwen.
Es erfüllte ihn mit Stolz, als er Arlan im stillen Gebet betrachtete, der nach der Zeit des Krieges heimkehrte, um als Baron von Draustein das verdiente Erbe seines Hauses anzutreten.
"Es wird Zeit, Arlan", brummte Arnvald hinter ihm. Es dauerte noch ein paar Herzschläge ehe sein Lehnsherr das Gebet mit dem Zeichen der Göttin beendet hatte und sich erhob. Sein Blick wirkte entschlossen.
Dem Dreißigjährigen lag der mit Waldlöwenfell besetzte und von einer einfachen Rondrafibel verschlossene Lodenumhang um die Schulter und darunter prangte auf dem roten Wappenrock in Höhe des Herzens ein mit Silberfaden aufgestickter weißer Löwe, der jedem Gegner herausfordernd entgegen brüllte.
"Dies wird unsere Zeit mein treuer Fels", sagte der Stepahan gedankenvoll und legte dem größeren Streiter mit einem zuversichtlichen Lächeln die Hand auf die bärenhafte Schulter.
Der alternde Wellenstein blickte tief in die grüngrauen Augen seines jungen Herrn, der sich ihm zugewandt hatte und hielt inne: Auf diese vertraute Art und Weise würde er Arlan Stepahan künftig immer seltener ansprechen. Dieser Mann war schon seit 10 Jahren nicht mehr sein Schildknappe. Hier hatte sich der Baron von Draustein erhoben, sein Lehnsherr, und es schickte sich nicht, diesen bei seinem Vornamen anzurufen, auch nicht von ihm.
"Verzeiht, euer Hochgeboren", sagte der schwarzbärtige Arnvald und beugte sein breites, bereits graumeliertes Haupt. "Wir sollten nun aufbrechen Herr!"
"Nein, Ihr müsst mir verzeihen, mein guter Freund, dass ich Euch heute nicht entbehren konnte. Ich kann nur erahnen wie viel Beherrschung Ihr gerade am heutigen Tag der Heimkehr aufbrachtet, um nicht zu eurer Burg zu eilen und dort nach dem Rechten zu sehen. Stattdessen weiltet Ihr an meiner Seite, als mein treuer Ratgeber und sicherer Schild."
Beide Männer waren sich einig gewesen, dass die Begehung der Ruine von Burg Nebelwacht noch ein paar Tage aufgeschoben werden konnte. Zumindest war Arnbrecht, der jüngste Sohn und Erbe des Steinvasallengeschlechts Wellenstein in Sicherheit. Arlan selbst hatte ihn auf Befehl seines Oheims Corrin kurz vor dem Fall von Burg Draustein zusammen mit einigen anderen Edelfreien der Baronie, darunter auch seinen eigenen Anverwandten in Sicherheit gebracht. Sein Vetter und Schwertbruder Rhéged Taladan und auch Ritterin Eâchain hatte ihn dabei in die Grenzmarken begleitet. Baron Allwyn Farnwart von Grenzmarken, der ihm einst ein guter Mentor gewesen war, hatte sie ohne zu zögern auf Burg Leuwenstein willkommen geheißen. Arnvald Wellenstein hatte bereits zwei Söhne im Krieg verloren. Cendrair sein ältester, war vor mehr als zehn Jahren an der Seite seines Schwertvaters Baron Turvin Stepahan in der Schlacht in der Trollpforte gefallen. Baeran, sein Zweitgeborener, war bei der Verteidigung von Burg Nebelwacht zu Rondra befohlen worden. Arnvald hatte bislang keine Zeit gefunden, seinen zu Rondra befohlenen Sohn angemessen zu betrauern. In einem Götternamen würden sie in Draustein das Totenfest begehen und dabei ihrer Gefallenen gedenken und sich von diesen würdevoll verabschieden.
Arlan sah mitfühlend zu seinem Schwertvater: "Auch ich sorge mich um euren Sohn. Nicht mehr lange und wir werden Arnbrecht gemeinsam auf Burg Draustein begrüßen. Schon bald könnt Ihr nach Hause reiten und euren Pflichten als Vater und Herr über Nebelwacht nachkommen."
Der stämmige Ritter nickte: "So die Götter wollen."
Arlan griff nach den Zügeln seines Rosses, eines Schimmels mit dem Namen Tarlûr. Ohne Eile schritten sie Seite an Seite, die Rösser an den Zügeln führend, den mit rotleuchtendem Herbstlaub bedeckten Hügel hinab zum Leuenstieg.
"Es ist immer wieder ein Wunder, wie die Pflanzen und Tiere, wie alles um den Krieg herum weiterlebt und gedeiht. Die Bäume verlieren ihre Blätter, um im nächsten Frühling neu auszutreiben, die Tiere bereiten sich auf den Winter vor, um im nächsten Götterlauf weiterzuwandern in ihrem Lebenskreis, der Fluss fließt unaufhörlich zum Meer, obwohl hier an den Ufern viel Leid geschehen ist." Arnvald half seinem Herrn mit einem kräftigen Ruck in den Sattel. Er hatte noch immer die Kraft eines Bären. "Wir haben unseren Winter verlassen, nun werden wir von neuem beginnen. Und eure getreuen Männer warten auf Euch, Hochgeboren. Reitet voran und lasst die Weißen Löwen nach Draustein zurückkehren!", sagte Arnvald erwartungsvoll.
"Ja, das werde ich", erwiderte Arlan ernst und hielt im leichten Trab auf die Spitze des Wagenzugs zu.
Mit einem schwermütigen Lächeln schritt der Herr von Nebelwacht seinerseits zu seinem Ross und stieg auf. Als der Wagenzug der Heimkehrenden ihn endlich erreicht hatte, blickte er den Leuenstieg entlang zurück in Richtung Nebelwacht. Früher am Tage waren sie durch die Nebelau geritten, der Heimat seines Hauses, die sogar am Tag der Heimkehr ihrem Namen alle Ehre gemacht hatte. Verstohlen hatten die Bewohner von Wietaun ihre kleine Reiterschar beobachtet, als sie an diesem grauen und nebelverhangenen Herbsttag den Weg durch ihr Dorf nahmen. Als sie den schwarzen Turm auf silbernem Feld am schweren Schild von Arnvald erblickten, erkannten sie auch ihn. Zögerlich, fast ungläubig riefen sie ihm Grußworte zu, die Arnvald versöhnlich entgegen nahm. Zur seiner Linken konnte er nur erahnen, welch dunkle Spuren an den Mauern seiner Burg ihn an die Wunden der Vergangenheit gemahnten, die dieses Land und seine Leute hinnehmen mussten, und an die Narben, die noch lange schmerzen würden.
"Bald, kehre ich zurück. Bald sehe ich meine Kinder", flüsterte Arnvald und wandte seinen Blick zu den schon viele Schritt entfernten Stepahan.
"Auf Rondrikan, es geht nach Draustein!" Die eisernen Hufe seines schwarzen Streitrosses gruben sich tief ins nasskalte Erdreich. Aufrecht und stolz ritt Arnvald den Tross entlang an die Spitze der Wagenkolonne zurück. Er dankte der Sturmherrin, dass sie überlebt hatten und nun nach Draustein zurückkehren konnten. Es war gut ein Mond seit dem Bußgang von Königin Invher und dem Friedenschluss von Abilacht vergangen.
Endlich sprachen seine Waffenbrüder wieder über andere Dinge als über den nächsten zu erwartenden Hinterhalt oder welche Besatzungsstärke ein Lager des Feindes hatte. Langsam ritt er an dem Fuhrwerk mit Morgan Kerkall und der kleinen Thalania vorbei, die so tapfer den Weg in ihre neue Heimat bestritt, obwohl ihr Vater zu Boron gegangen war.
Als er ein paar erheiternde Gesprächsfetzen zwischen seinem Neffen Rhéged und Ritter Lûran zu Ohren bekam, konnte ein Lächeln seine Schwermut vertreiben. Selbst Ritterin Eâchain wirkte unbesorgter als noch vor Wochen. Es tat gut, in dieser Gemeinschaft den Leuenstieg entlang zu reiten. Sie alle hatten ruhige Zeiten verdient.
Als er Arlan erreichte, zügelte er den feurigen Rondrikan.
"Alle Ritter hier sind dem eurem Haus durch diese schweren Götterläufe gefolgt, Hochgeboren. Ihr könnt mit Zuversicht in die kommenden Zeiten blicken. Es ist beruhigend zu sehen, dass die Männer und Frauen wieder andere Gedanken fassen können."
"Und dennoch macht Ihr Euch Sorgen", hinterfragte Arlan die Miene seines Schwertvaters.
Der schwarze Fels drehte sich im Sattel: "Hylgwen hätte schon längst wieder zurückkehren müssen. Sie ist bereits seit zwei Tagen unterwegs. Burg Draustein ist nah. Ich hoffe, dass es keine Zwischenfälle gab und sie in Schwierigkeiten geraten ist."
"Hylgwen war uns stets eine verlässliche Kundschafterin. Sie hat mich nie enttäuscht und stets einen Weg für uns in auswegloser Lage gefunden. Sie ist allein unterwegs, ohne uns als auffälligen Ballast. Hier ist sie zu Hause." Arlan wirkte zuversichtlich.
"Wenn ich im Umkreis von drei Meilen jeden Stein kenne, dann kennt Hylgwen sicherlich jeden Busch und Baum."
Letzteres mochte wohl stimmen. Der Baron von Draustein sah dennoch die Zeichen der Sorge auf Arnvalds Angesicht und gab schließlich den Vorbehalten seines Schwertvaters nach. "Aber gut, Ihr habt sicher Recht!" Arlan hob seinen Schwertarm und gebot so dem Wagenzug zu halten. "Eure Bedenken gemahnten uns stets zur Wachsamkeit."
Der Baron von Draustein wendete sein Ross und rief nach den Rittern Lûran Falkraun und Rhéged Taladan, die sich beide in der Vorhut aufhielten - nicht weit von ihm entfernt.


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