Ein steiniger Weg (1032) Teil 01

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Prolog

Einsam saß ein in zerschlissene Gewänder, Wolle und Fell gehüllter Mann im Schatten einer alten Eiche. Neben ihm lag im niedergedrückten Gras ein einfacher Wanderstab. Seine Arme ruhten auf den Knien und das blond beschopfte Haupt war zurück gegen die knorrige Rinde des Baumes gelehnt. Seine Finger zerpflückten gedankenverloren eine wehrlose Jasalinblüte.
Ein Abagunder Schäfer der über seine Tiere wachte? Aber wo waren Herde und Hirtenhund?
Sein von Falten umschlossener Blick war auf die fernen Wolken gerichtet, die der Beleman von der Küste ins Landesinnere trieb. Die sich langsam nähernde Wolkendecke erinnerte ihn an einen gekrönten Frauenkopf, der sich im Wind langsam neigte.
‘Nur ein Trugbild!?‘, dachte er still. Seine Gedanken waren von schwermütiger Natur und kreisten immer wieder um die tragischen Ereignisse dieses letzten Kriegssommers. Ereignisse, die inzwischen zur Vergangenheit zählten. Begebenheiten, die schon bald Legende waren.
‘…das stolze Königreich hatte keine achtzehn Götterläufe überdauert und nur zwei Könige kommen und gehen sehen - Vater und Tochter. Es war wohl das Schicksal dieser Lande, nicht zu größerem bestimmt zu sein und sich der Herrschaft des Hauses Gareth letztlich doch noch zu beugen - so wie der gekrönte Wolkenkopf. Weder bei Altenfaehr vor vielen Jahren, noch auf Crumolds Auen vor wenigen, hatten die Streiter Albernias den Sieg errungen. Die Königin…‘, sinnierte der Unbekannte, ehe ein Geräusch ihn aufschrecken ließ. Instinktiv umfasst seine linke Hand den Stecken im Gras, während die Rechte nach einem spitzen Stein tastete. Seine Muskeln spannten sich, bereit aufzuspringen und sich zu verteidigen. Doch seine Augen bemerkten ein bekanntes Gesicht und ein freundliches Lächeln legte sich über seine angespannten Züge.
"Heil Eurem hohen Hause, Herr Rhonwian. Wollt Ihr Euch zu mir gesellen und einem reuigen Büßer etwas Gesellschaft leisten?", fragte der Mann. Er ließ Stab und Stein wieder zu Boden fallen und wies mit einer einladenden Geste höflich auf den Platz zu seiner Linken. Danach streckte er die Arme von sich und entspannte wieder seine Glieder. Seine Bewegungen wirkten jetzt müde und sein unrasiertes Gesicht machte einen erschöpften Eindruck. Nur der Siegelring an seinem rechten Ringfinger unterschied ihn von einem gemeinen Hirten.
"Auch Euch und Eurem Hause den Segen der Zwölfe, Ritter Arlan", erwiderte der Angesprochene. Anders als der Stepahan trug er das Büßergewand aus grobem Leinen nicht mehr und hatte es gegen einen schlichten grünen Wappenrock eingetauscht. Rüstung und Schwert - stete Gefährten der letzten Jahre - fehlten jedoch.
Der Büßer zeigte nun ein Grinsen, während er langsam den Kopf schüttelte. Der schwermütige Eindruck verflog, da der Stepahan wahrlich keinen überzeugenden Büßer abgab!
"Habt Dank", nahm Rhonwian die Einladung an und ließ sich nieder.
"Und wie stehen die Dinge im Hause Herlogan?", fragte Arlan Stepahan leidenschaftslos.
Kurz ließ Rhonwian seinen Blick über das in Sichtweite liegende Heerlager der Kaiserlichen schweifen, bevor er das Gesicht Arlan zuwandte. "Ungewiss", beantwortete er dessen Frage. Ein einziges Wort, doch es war, was ihm als erstes in den Sinn kam und die Situation am besten zusammenfasste. "Und wie steht es um die Stepahan? Eure Frau Mutter ist inzwischen eingetroffen?"
Arlan zog leicht die Mundwinkel nach unten und schüttelte den Kopf. "Warum den ungewiss?", überging der Weiße Löwe erstaunt die Frage Rhonwians, unzufrieden von der allzu knappen Antwort. "Stand Eure werte Frau Schwester nicht treu zur Krone Rauls? Sprach nicht die Kaiserin davon, jene Albernier von Stand für ihre Taten zu belohnen, ohne Schimpf und Schande? Und mehr noch: sollte nicht gerade Eure Schwester auch der Fürstin gut und teuer sein? Half sie doch die Kriegshandlungen ohne weiteres Blutvergießen zu beenden und den Weg nach Abilacht für den Bußgang von Königin Invher zu ebnen."
Selbst wer Arlan schon seit Jahren kannte, tat sich bisweilen schwer, den wahren Sinngehalt in dessen Rede richtig zu begreifen. Konnte er doch mit größter Ernsthaftigkeit in Geste und Wort, sein Gegenüber so narren, das dieses gar nicht verstand, wie ihm geschah und woran es bei ihm in Wahrheit war. So konnte ein in Großmut ausgesprochenes Wort durchaus missverstanden werden und ernsthafte Sorge wie Spott und Hohn klingen. Dies tat er bisweilen, wenn ihm müßig war und er nach Kurzweil verlangte, aber niemals in ernster Unterredung oder im Kampfe.
Rhonwian hob die Schultern. "Der Umstand, dass sie den gewiss - weiten und beschwerlichen - ", er blinzelte, "Weg von Niederhoningen nach Honingen nicht auf sich nahm, um vor Isora und ihrer Gräfin das Knie zu beugen, ließ wohl Zweifel aufkommen." Er grinste. "Und es war vermutlich wenig hilfreich, dass sie verschwand, als Rhianna Conchobair den Kniefall schließlich einforderte. Ob sie nun durch meine 'verräterische Hand' gestorben oder selbst zur 'Verräterin' geworden sein mochte, machte wohl keinen Unterschied. Und so gibt es nun einen Baron von Isoras Gnaden in Niederhoningen." Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: "Unser Oheim." Es klang zerknirscht.
Arlan hatte während der Erwiderung von Rhonwian den Stein wieder aufgenommen und wog ihn prüfend in seiner Rechten. "Das scheint Euch wohl nicht zu schmecken, dass euer Anverwandter Baron von Niederhonigen ist?", sagte er mit geschürzten Lippen. "Glaubt Ihr den, dass sich euer Oheim dort als von Isora beschallter Baron lange im Sattel halten kann?" Arlan sah hinüber zum großen Heerlager, das eine gute Meile entfernt vor den beiden Rittern lag und warf dann abrupt den Stein in diese Richtung. "Zu kurz!", brummte er bedauernd vor sich hin und sah dann wieder zu Rhonwian. "Warum setzt Ihr ihn nicht einfach vor das Tor?"
Rhonwian lachte auf - freudlos. "Vor welches Tor?!" Er schüttelte den Kopf. "In Niederhoningen gibt es keine - höchstens ein paar Scheunentore", er sah konsterniert aus, ganz so, als erschiene Arlans Vorschlag ansonsten reizvoll. "Lasst Euch nicht irreführen, Herr Arlan. Wir mögen seit alters 'Wächter des Tores' genannt werden; doch erst in jüngerer Zeit wurde dies mit der Reichsstraße und der Grenze zu den Nordmarken in Verbindung gebracht", die Augenbrauen etwas hochgezogen, wirkte sein Ausdruck für einige Augenblicke fast belustigt.
"Im Ernst. Was sollte ich tun? Den eben geleisteten Eid brechen?!", erneut schüttelte er den Kopf. "Ich bin ein Herlogan!", sagte er nüchtern - Erklärung genug, dass dies nicht in Frage kam. Sein Tonfall ließ jedoch nicht erkennen, ob diese Tatsache Grund genug war, den Treueid zu halten, oder womöglich das Einzige, was ihn davon abhielt, ihn zu brechen. Seine Gedanken kehrten zu Königin Invher zurück. Sie hatte ihm einen neuerlichen Schwur verwehrt, doch sein Versprechen war ihm ebenso viel wert. Mehr noch als der Eid vor der Kaiserin, der zwar aufrichtig, doch anders als jenes nicht aus wahrhaft freiem Herzen geleistet worden war. Sein Blick war zum Heerlager geschweift und so wandte er sich Arlan wieder zu, als er zu dem von diesem angeschnittenen Thema zurückkehrte: "Ihrer Hochwohlgeboren bleibt wohl keine Wahl." Er lächelte grimmig. "Aber mir. Ehe ich vor Ordhan Herlogan das Knie beuge, verzichte ich auf Titel und Güter!"
Der Stepahan schüttelte verständnislos den Kopf. "Ihr solltet als der Herr von Noain nicht so leichtfertig zurückstecken!", sagte er überzeugt. Seine Worte klangen belehrender als er es beabsichtigt hatte. "Das Licht Eures Oheims scheint mir gering. Bisher wurden keine seiner Taten je im Palatium Drausteins vernommen, noch an einer anderen Rittertafel, der ich gewahr wurde." Arlan schüttelte nochmals missmutig den Kopf: "Ich verstehe nicht, warum Gräfin Franka überhaupt einen Mann in Amt und Würden belassen sollte, der ausgerechnet unter der Schreckensherrschaft einer der größten Landplagen dieser Tage, zu Land und Titel gelangte?"
Dann atmete er tief durch. "Nein, Herr Rhonwian, Eure werte Frau Schwester hat für mich das bessere Blatt in der Hand. Sie hat die älteren Rechte und ist sowohl bei den Kaiserlichen als auch beim Hause Bennain in hohem Ansehen." Er nickte dem Herlogan aufmunternd zu. "Ganz abgesehen vom Hause Galahan selbst, dass Eure Frau Schwester doch sicherlich bei der Verteidigung ihrer Ansprüche unterstützen wird."
Rhonwian schnaubte. "Glaubt mir, an dieser Entscheidung ist nichts Leichtfertiges! Wenn mein Oheim", in diesen Worten lag in etwa so viel Zuneigung, als spräche er von einem Zahnreißer, "Baron in Niederhoningen bleibt, verzichte ich." Er sah Arlan ernst an. "Ein Herlogan bricht keinen Eid", ‘Zumindest kein Herlogan, dem sein Haus und seine Ehre teuer sind!‘, "und aus diesem Grunde leisten wir keinen Schwur, der uns zuwider ist und von dem wir wissen, dass wir ihn nicht halten können."
Nun war es der Herlogan, der einen Stein griff und in Richtung Heerlager schleuderte. Er folgte ihm mit den Augen und starrte einige Herzschläge auf die Stelle, wo er auftraf - unweit jenes Exemplars, das Arlan vorausgeschickt hatte. Dann wandte er sich diesem erneut zu: "Tja. Warum."
Rhonwian hob die Schultern. "Das ist wohl Politik." Er verzog das Gesicht. "Isora war aus Sicht des Reiches Fürstin Albernias. Und so gelten ihre Entscheidungen - und damit sind auch ihre Belehnungen rechtmäßig." Er legte die Stirn in Falten. "Was ist mit Draustein? Gibt es dort auch einen Herrn von Isoras Gnaden?!"
Arlan sah mit seinen grüngrauen Augen unheilvoll zum Heerlager. Beiläufig riss er einige weitere Gräser aus dem Erdreich. "Es sind inzwischen drei Jahre und neun Monde ins Land gegangen, seit dem Lupold von Greifenberg und sein Spießgeselle Fabriano Vardones, die Ringmauer von Burg Draustein mit einer Kriegslist bezwangen und so mein Heim besetzten!"
Ein harter Zug zeigte sich um Arlans Mund. Er hatte die Namen der Männer mit so großer Verachtung ausgesprochen, dass kein Zweifel darin bestehen konnte, dass ‘der Frieden von Abilacht‘ einen weiteren Mann um seine verdiente Rache brachte. "Kein Weißer Löwe könnte jemals diese Namen vergessen. Diese nicht, und auch nicht die der anderen Schergen, die meine Heimstatt geplündert haben", weder die Angehörigen der Havener Flussgarde, von denen er noch letzten Winter so manchen mit Mordaxt und Morgenstern zu Boron geschickt hatte, noch die des gewissenlosen Soldvolkes aus Almada und dem Horasiat.
"Ein Stepahan vergisst nicht! Keinen Schwur, aber auch keine Schmähung. Hätte Macha Arodon den verfluchten Hund doch bloß erschlagen und nicht nur geblendet."
Arlan ließ den letzten Grashalm zu Boden fallen und sah auf seine erdigen Finger. Vor wenigen Wochen waren sie noch blutverschmiert gewesen.
"Es gibt keinen Isoristen mit Anspruch auf Burg Draustein", sagte Arlan mit ereifernder Stimme.
"Jener Lupold von Greifenberg hätte genau so viel Anrecht auf die Heimstatt der Löwen, wie ein verdammter Ork auf die albernische Delphinkrone!", fluchte er weiter. Arlan spie aufgrund des grotesken Gedankens unvermittelt auf den Boden und ballte die Finger so fest zusammen, dass der Herlogan das Weiß auf seinem Handrücken sah.
"Nein, Herr Rhonwian, Draustein ist so eng mit dem Hause Stepahan verwachsen, wie diese Knochen mit meinem Fleische. Draustein ist Stepahan und Stepahan ist Draustein. So war es seit je her und so wird es immer sein." Alle weiteren Gedanken sprach der Ritter nicht aus. Er hätte damit wohl einen nicht unbedeutenden Teil des angewandten Lehnsrechts ad absurdum geführt. Arlan sah zornerfüllt zum Heerlager hinüber und schüttelte dann angewidert den Kopf. Außerdem wollte er Rhonwian, obwohl dieser ebenso wie er aus einem Alten Hause stammte, nicht in Verlegenheit bringen.
Rhonwian nickte verstehend. "Ihr habt zweifelsohne Recht", erwiderte er.
"Aber wenn Isora keinen ihrer Hunde und Speichellecker als Herr über Draustein eingesetzt hat, wird das angestammte Recht Eures Hauses zweifelsfrei leicht und vor allem schnell wiederhergestellt", trotz dieser klaren Tatsache klang er nachdenklich. Wer wusste und verstand schon, wer und was hier tatsächlich entschied.
"So Rondra will! Wie Ihr wisst, bat ich meinen Schwertbruder [[Luran FalkraunLûran, meine Frau Mutter vom Seenland bis hierher nach Abilacht zu geleiten, da die Kaiserlichen offenbar weniger mit mir, als vielmehr mit ihr vorlieb nehmen." Der Stepahan zuckte gleichgültig mit den Achseln: "Aber wer mag es ihnen verdenken? Ich würde auch nicht mit einem einfachen Ritter Unterhandlung führen, wenn es gilt mit einem Grafen Rat zu halten".
"Das hängt ganz vom Grafen ab...", murmelte Rhonwian. Als er merkte, dass er diesen Gedanken laut gesprochen hatte, erwiderte er Arlans Schmunzeln mit einem verhaltenen Grinsen. "Und vom Thema", fügte er hinzu. Das Grinsen weitete sich, als er ergänzte: "Und dem Ritter." Eine kurze Pause entstand. "Oder der Ritterin!" Er lachte.
Dann wurde er wieder ernst.
"Eure Frau Mutter ist das Oberhaupt Eures Hauses und Baronin von Draustein", in den Augen der Kaiserin und der von ihr erwählten Regentin Idra mochte dies unentschieden sein, doch nicht für ihn, "und damit in allen ureigenen Belangen der Stepahan die rechte Stimme." Daran konnte es keinen Zweifel geben. An einer anderen Sache hingegen schon: "Glaubt Ihr, dass sie sich als Gräfin wird halten können?"
"Nein, nicht dieser Tage. Nicht nach dem was hier geschah", sagte dieser bestimmt. "Zumindest nicht so lange der dreimal verfluchte Crumolder lebt. Ein Jammer, das es meiner Frau Mutter nicht vergönnt war, den elenden Schurken zu Boron zu schicken!" Der Herlogan kannte die Geschichten um die beiden unentschieden ausgefochtenen Zweikämpfe, zwischen Maelwyn Stepahan und Jast Irian Crumold.
"Vielleicht wenn dieser eines Tages in Ungnade fällt", fügte Arlan stirnrunzelnd hinzu.
"Aber dies ist völlig ungewiss. Die Ansprüche meiner Frau Mutter, auf die von Königin Invher geschaffene Grafschaft, sind in der jetzigen politischen Situation, völlig unhaltbar. Der Crumolder stand treu zu seinem Schwiegervater in Elenvina und zog für das Mittelreich in den Krieg. Meine Mutter ist in den Augen der Kaiserin nichts anderes als eine treulose Rebellin. Jast Irian Crumold hingegen, ist ein loyaler Gefolgsmann des Greifenthrons. Dennoch gibt es diese Ansprüche und es wird sie auch weiterhin geben. Gleichermaßen für Wallersrain und andere Güter mehr."
Arlan war schon den ganzen Morgen in diesem Meer aus Selbstmitleid geschwommen und noch nicht gewillt, zurück an Land zu kehren. "Sie stand letztlich wie wir beide auch, auf der Seite der Verlierer. Auf der Seite von Königin Invher und derjenigen eines eines großen Traums: Der Vision eines eigenen Landes." Arlan machte eine kurze Pause. "Und für unsere Überzeugungen und Leidenschaften gilt es einen Preis zu zahlen."
Mit diesen Leidenschaften meinte der Stepahan vor allem die Unabhängigkeit eines freien Königreiches, in dem die Alten Häuser viel eher zu einstiger Selbständigkeit zurückgefunden hätten. Rhonwian kannte die Haltung des Hauses Stepahan durch sein Gespräch mit Arlans Vetter Rondred, auf den Mauern von Dun Maraban. Ohne das Rückgrat der Alten Häuser war das Land gegen äußere Feinde nur schwer zu verteidigen. Sie hätten am Ende des Krieges eine größere Einflussnahme und Machtfülle erreicht als zu dessen Beginn. Sie wären sowohl Säule als auch Schild gewesen. Aber nun war alles aus, alles verloren und so viele waren letzten Endes vergeblich für diese Illusion gefallen. Das Haus Bennain und alle, die sie im Unabhängigkeitskrieg unterstützt hatten, mussten jetzt dafür die angemessene Zeche zahlen. Das Reich Rauls des Großen war für Arlan trotz des erzwungenen Verbleibs der siebenwindigen Lande im Reichsverbund, ein sinkender Stern am Firmament...
Zerknirscht wandte sich der Weiße Löwe wieder Rhonwian zu: "Euer Preis ist Noain und der unsere die Grafenkrone von Bredenhag und alle Lehen meines Hauses in den Heckenlanden!"
Rhonwian hob wortlos die Schultern. Was sollte er dazu sagen? Viele Albernier hatten einen in seinen Augen höheren Preis bezahlt, und leicht hätte es auch sie treffen können. Doch nun galt es, die Augen nach vorne zu richten. Und er war froh, dass nicht er, sondern seine Schwester das Haus Herlogan durch die Nachkriegswirren führen musste. Und auch die Last der Verantwortung für jene, die ihm durch den Krieg gefolgt waren und nun in Orbatal zurückgeblieben waren, war zumindest für den Augenblick von seinen Schultern genommen. So kam es, dass er sich trotz aller Ungewissheit zum ersten Mal seit Ewigkeiten, so schien es ihm, fast frei fühlte. Für einige Herzschläge wirkte Rhonwians Gesichtsausdruck ein wenig versonnen. "Was werdet Ihr nun tun, Herr Arlan?"
Der Stepahan fuhr sich durch die Bartstoppeln und seufzte: "Wir werden standhaft dieses Possenspiel mit sehr viel Gleichmut ertragen!"
Irritiert sah Rhonwian sein Gegenüber an, dann verzog er das Gesicht wie unter Zahnschmerzen. Das hörte sich gerade so an, als hätte dieser Krieg - oder vielmehr sein Ende - aus dem ehemals stolzen Löwen ein handzahmes Kätzchen gemacht! Allein, die Worte waren voller Ironie gewählt, so glaubte oder zumindest hoffte der junge Herlogan..
"Gleichmut?!", gab er zurück, es klang geradezu herausfordernd.
"Und gleich sehr viel davon?!" Nein, er würde für sich behalten, welches Bild er vor seinem inneren Auge sah. Noch.
Arlan musste unweigerlich grinsen, versuchte, mehrmals ein Lachen zu unterdrücken und prustete dann plötzlich heraus: "Ihr macht ein Gesicht, als hätte ein Ork es Eurem Zelter besorgt!" Er lachte so herzlich, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Zum ersten Mal an diesem Tag erreichte ein Lächeln seine Augen.
"Ihr glaubt mir wohl kein Wort", stellte er beleidigt fest.
Arlans Lachen hatte etwas ansteckendes, und so musste auch Rhonwian grinsen. Die Frage beantwortete er mit einem entschlossenen Nicken. Dass hier die Tatsache, dass er dem Stepahan auch nicht glauben wollte, eine wichtige Rolle spielte, behielt er für sich. "Fast,", sagte er, "fast hättet Ihr mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt!" Er grinste noch immer.
"Wie denn das?", hinterfragte dieser wieder etwas gefasster.
"Könntet Ihr Euch Albernia ohne den Großen Fluss vorstellen? Das Abagund? Oder Honingen ohne Therias Tiegel?"
Arlan nickte und spürte nun auch deutlich die mitfühlende Sorge, die in Rhonwians Worten mitschwang und aus reiner Redlichkeit gesprochen wurde. Der Ritter genoss im Hause Stepahan einen bislang tadellosen Leumund. Sein Vetter Rondred sprach von einem weitsichtigen Freund.
"Nein, dies ist völlig unmöglich", sagte er knapp.
"Ihr habt sicher Recht! Alles ist eins und gehört untrennbar zusammen. Aber es wird viel Zeit, noch mehr Kraft und die rechten Entscheidungen brauchen, um das Haus wieder dorthin zu führen, wo es einst stand", erklärte Arlan und dachte dann an seine Frau Mutter.
Vor wenigen Wochen hatte sie entschieden, dass er der zukünftige Baron von Draustein werden sollte, auch wenn sie das Familienoberhaupt blieb. Dies geschah alles unmittelbar vor ihrem Aufbruch nach Orbatal, zum letzten Heerbann Königin Invhers. Was die wahren Beweggründe seiner Mutter für diesen offenkundigen Machtverzicht waren, konnte Arlan ebenso wenig ergründen wie seine Schwester Rhona, sein Vetter Rondred oder die Löwenräte Arnvald Wellenstein und Turon Taladan. Eine Antwort nach dem warum, hatte seine Mutter ihm durchaus gegeben: "Es gibt das, was man hören will, dass was man glauben will und dann erst die Wahrheit", hatte sie Arlan zu verstehen geben und sich dann wieder ihren Schwertübungen zugewandt. Arlan hatte lange darüber nachgedacht und keine befriedigende Antwort gefunden, nur weitere Fragen und Selbstzweifel.
Maelwyn Stepahan stand im Herbst ihres Lebens. Sie kam ganz nach ihrem Vater Tuachall und trug unverkennbar dessen Stärke in sich. Im Schwertkampf strebte sie nach Vollendung und auf dem Schlachtfeld war sie eine geachtete und erfahrene Anführerin. Sie mochte noch gute zwanzig Jahre vor sich haben. Die Heckenlande waren seit Kriegsbeginn hart umkämpft gewesen. Gemeinsam mit Baron Praiowyn ui Llud hatte sie für lange Zeit den Nordwesten der Grafschaft für Königin Invher gehalten.
Von ihren Wunden hatte Maelwyn sich inzwischen gut erholt - als sie durch die Aufgabe von Crann Feyaras zum zweiten Mal eine wichtige Burg der Stepahan verlor - und gemeinsam mit Turon Taladan über den Waller ins nostrische Seenland fliehen musste! In stillen Momenten konnte Arlan deutlich sehen, wie die Entbehrungen seine Mutter gezeichnet hatten. An klaren Tagen blickte sie von Crann Ferhal, dem letzten unbesetzten Lehen der Stepahan, einsam nach Süden. Unerreichbar lag viele Tagesmärsche entfernt Burg Draustein - die Heimstatt ihrer Ahnen. Es gab Wunden, die tiefer reichten als die von kaltem Stahl!
Arlans Vater war für das Kaiserreich auf den Silkwiesen gegen den Ork gefallen und seine Mutter hatte danach niemals wieder die warme Bettstatt, mit einem anderen Manne geteilt. Ihr ältester Bruder Turvin war in den schwarzen Landen bei der Verteidigung von Ysilia ums Leben gekommen, genauso wie dessen Frau Gelda und ihre Kinder. Im gleichen Götterlauf trat auch Arlans Großvater Tuachall seine Reise über das Nirgendmeer an und bis zum heutigen Tage verstummen nicht die Gerüchte über die Umstände seines Ablebens. Beim Gedanken an seine achtbare Ahnenreihe bemächtigten sich erneut die gleichen nagenden Selbstzweifel seines Verstandes, die ihn schon seit Wochen quälten. Wie sollte er jemals die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen. Er rieb sich die Schläfe um den stechenden Schmerz zu vertreiben. Er musste in sich stark sein. Er musste sich selbst vertrauen!
"Wir weichen nicht", sagte Arlan unvermittelt den Sinnspruch seines Hauses auf. Vielleicht als ein Schild des Verstandes gegen seine Ängste.
"Ich weiche nicht!"
Rhonwian wusste in welchen unruhigen und kriegerischen Zeiten diese Worte geschmiedet wurden. Keine falschen Treueschwüre, keine heuchlerischen Loyalitäten. Keine hehren Ideale mit denen sich andere Adelsgeschlechter schmückten. Die Stepahan prahlten nicht mit einer einzigen der zwölf ritterlichen Tugenden, obwohl gerade sie den Glauben an die göttliche Leuin, wie keine zweite Familie in diesen Landen befördert hatten. Aber dies wussten nur noch Wenige. So waren es mäßige und belegte Worte und in diesen Zeiten klangen sie wie ein Versprechen.
"Aber was ratet Ihr mir, Herr Rhonwian?", grübelte Arlan.
Überrascht sah dieser den Stepahan an.
"Ihr fragt mich um Rat? Einen, der aus Stolz und Sturheit seine Ansprüche aufgibt?!" Er schüttelte den Kopf und lachte auf. "Nun denn!", fuhr er ernst fort. "Wenn alles Zukünftige ungewiss scheint, gilt es, sich auf das Sichere zu besinnen. Auf Euch selbst, Euer Haus und Euren Wahlspruch", Rhonwian nickte.
"Auf das Vergangene und das, was dieses überdauert hat." Er machte eine kurze Pause. "Denn das wird auch heute nicht vergessen und mit der Götter Hilfe für immer Bestand haben." Arlan Stepahan ließ die Worte noch einmal in seinem Geiste nachhallen. Er nickte. Dann griff er zu seinem Haselnussstab, richtete sich auf und reichte Rhonwian eine Hand, um diesen mit nach oben zu ziehen.
"Im Leben ist es nun einmal sehr schwer, zu erkennen, welche Brücken man überqueren muss und welche man besser abreißt. Ich bin dabei meine Brücke abzureißen, genau wie Ihr die Eure." Arlan deutete in Richtung des Heerlagers. Dann strich er sich das abgetragene Büßergewand glatt, rückte das um die Leibesmitte gebundene Hanfseil zurecht und drückte anschließend seine Schultern durch.
Rhonwian setzte sich an der Seite von Arlan in Bewegung.
Der Stepahan fühlte wie seine innere Zerrissenheit mit jedem Schritt weiter von ihm abfiel. "Ich denke, Eure Brücke ist die Rückkehr nach Noain und meine Herr Rhonwian, ist die Angst vor einem mit Perlen geschmückten Stirnreif", gestand Arlan offenherzig. "Aber dies ist nun zu Ende. Ich bin der Erbe Drausteins und ich werde mich der Bürde der Herrschaft stellen. Ich werde die Geschicke meines Hauses zu einem besseren Ende führen, als dieses hier." Stolz hob er sein Kinn. Sein selbstbewusster Blick wies zum Kaiserlichen Heerlager vor der Reichsstadt Abilacht.
"Anfangs war es der Entschluss meiner hohen Frau Mutter, aber nun ist es auch der meinige", gestand der Stepahan nun selbstbewusst. "Doch wo wird Euch euer Weg hinführen, Herr Rhonwian - wenn Ihr Abilacht verlasst? Ich hörte aus zuverlässiger Quelle, Ihr habt kein Obdach! Und ein Mann wie Ihr braucht eine Aufgabe!"
‘Genau wie ich!‘, dachte der Büßer stumm. ‘Genau wie ich.‘