Fuxwalden (1044) - Neue Bande Teil 01: Auf Sturmhall

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15. Firun, Auf Sturmhall

Nach der Rast auf Belemansruh waren die restlichen Meilen bis Windtrutz und der Burg des hiesigen Barons geradezu ein Katzensprung. Die eisige Witterung hatte etwas nachgelassen, aber der Himmel war noch immer bleigrau, als sie in Windtrutz einritten.

Die Siedlung war nicht viel größer als die meisten Dörfer in Gräflich Bredenhag, aber kleiner als Bienenhain oder gar das Dorf Bredenhag. Immerhin war abschnittsweise eine Palisade zwischen den Häusern auszumachen und im Hintergrund gen Praios erhob sich deutlich sichtbar die Burg Sturmhall vor den dunkel bewaldeten Hängen der nicht allzu fernen Windhagberge.


Ankunft auf der Burg (mittags)

Natürlich war der Ritter mit seinen beiden Gefolgsleuten auch von Bütteln der Schwarzenklamm beim Einreiten in das Dorf angehalten worden und zwei von ihnen hatten sich Faolyn und seinem Gefolge nun angeschlossen. Der von den Bütteln entsandte Botenjunge hatte die Nachricht bestimmt schon auf die Burg am Rande der Siedlung getragen, während sie nun die Brücke über den Halsgraben hinauf zum Vorwerk überquerten. Aus dem Dorf klangen noch eine kurze Weile helle Hammerschläge herüber und wurden dann leiser, als sie das bewachte Vorwerk passierten.

Sofort ließ der allgegenwärtige Wind von der See nach und hinter dem Durchgang erstreckte sich die Vorburg mit den Wirtschaftsgebäuden und einer ansteigenden Pferdetreppe hinauf zur Kernburg, deren Hohes Haus sich rechterhand auf einem steil aufragenden, gemauerten Sockel befand.

Die Ankunft des Niamrod zog durchaus die Aufmerksamkeit von Gesinde und Waffenvolk auf sich: Eine Magd mit einem Korb unter dem Arm hatte inne gehalten und blickte den Dreien neugierig und mit großen Augen nach, während von den Stallungen bereits Stallmeister und Knecht hinzutraten und die Gäste freundlich grüßten. Auch am Torturm zur inneren Burg war Bewegung auszumachen, da von dort eine Gestalt in ritterlicher Wehr die weiten Stufen hinab kam.

Der junge Ritter hatte die Begrüßungen ebenso freundlich erwidert, als er absaß und die Zügel seines Reittieres den diensteifrigen Männern überlassen, die herbei geeilt waren. Dobran und Unis taten es ihrem Herren nach und ließen sich aus den Sätteln gleiten. Nach etlichen Tagen endlich am Ziel zu sein, entlockte beiden dabei ein erleichtertes Schnaufen.

Interessiert ließ der Ritter inzwischen seinen Blick langsam über Mauern, Turm und Gebäude schweifen, wobei er sich einmal um die eigene Achse drehte. Schließlich wandte er sich der gerüsteten Gestalt zu, ging dieser einige Schritte entgegen und sprach sie freundlich an, in der Annahme jemand einigermaßen Wichtiges dieser Burg vor sich zu haben.

“Rondra zum Gruß, mein Name ist Faolyn ui Niamrod, und ich würde gern Hochgeboren Schwarzenklamm sprechen.”

Sein Gegenüber in gelbem Wappenrock und Kettenrüstung war eine hochgewachsene Frau, tatsächlich sogar gleich groß, mit kurzen dunklen Locken. Aus ihrem gebräunten Gesicht musterten ihn ernst braune Augen.

“Die Sturmherrin auch mit Euch, Hoher Herr. Éirne Baeringsgrund ist mein Name und ich bin die Waffenmeisterin von Fuxwalden und Ritterin von Nebeltann. Seid begrüßt auf Sturmhall, im Namen des Barons wird Euch und Euren Gefolgsleuten traviagefällige Gastung gewährt.”

Die Ritterin blickte kurz zu den beiden Reisigen hinüber, was Faolyn die Gelegenheit gab, festzustellen, dass sie in ihrem Wehrgehänge ein Breitschwert mit abgebogenen und prächtig verzierten Parier sowie eine schmucklose Streitaxt trug.

“Habt Dank Wohlgeboren Baeringsgrund”, antwortete der Niamrod, während er die Reithandschuhe abstreifte und unter seinen Schwertgürtel klemmte. Das albernische Langschwert, das daran hing, war eher von einfacher Machart. Eine fast gerade Parierstange und einen runder Knauf verband ein mit schwarzen Leder umwickeltes Griffstück. Da war der Dolch an seiner Seite schon auffälliger, den ein Wolfskopf als Knauf zierte. Der Reitmantel verbarg, was immer der Ritter als Rüstung trug.
“Es ist mir eine Freude euch kennen zu lernen”, fügte Faolyn seinem Dank noch hinzu.

“Lasst Euer Gepäck gerne an den Pferden, es wird dann auf Eure Unterkünfte gebracht. Wir haben eine Kemenate für Euch vorbereiten lassen, Hoher Herr, und Eure Reisige werden im Schlafsaal Unterkunft finden. Stellt mich ihnen bitte vor.”

“Sehr gern.” Faolyn verneigte sich kurz, dann wandte er sich zu seinen Gefolgsleuten um und winkte sie heran. An dem Schecken des Mannes fiel Éirne ein langer Hakenspieß und ein Rundschild auf, während am Sattel der Frau das Ende eines Langbogens hervorlugte.
“Wohlgeboren Baeringsgrund, das ist Unis Schlehwein, die mich aus Baumwassern hierher begleitet”, damit deutete er auf die in Leder gekleidete Frau, die einen schmalen Säbel und einen Langdolch am Gürtel trug.

“Wohlgeboren”, grüßte die Endzwanzigerin mit einer Verbeugung.

“Und das ist Dobran Hasenhöh”, fuhr Faolyn fort und deutete auf den jungen Mann, der die zwanzig wohl gerade erst erreicht haben dürfte, dafür aber schon mit einer imposanten Figur aufweisen konnte.

“Wohlgeboren”, grüßte auch er mit einer dunklen, sonoren Bassstimme, dabei stützte er die Linke auf seine Streitaxt, die er im Gürtel trug.

“Die Frau Waffenmeisterin wird Euch ein Lager zuweisen lassen”, ließ sich ihr Dienstherr vernehmen, ”nutzt die Gastfreundschaft nicht allzu sehr aus und macht euch etwas nützlich, wir sehen uns später.”

Die beiden Gefolgsleute nickten und wandten sich wieder ihren Tieren zu.

Faolyn wandte sich nun seinerseits der Ritterin von Nebeltann zu und blickte sie erwartungsvoll an.

Diese nickte ihm kurz zu und entließ zuerst die Büttel wieder zu ihrem Dienst unten im Dorf. Dann sprach sie den Stallmeister an: “Cidris, sorgt bitte dafür, dass die beiden Reisigen des Hohen Herrn nach oben in den Kleinen Saal gebracht werden, ebenso wie sämtliches Gepäck. Ich schicke Aedith, um Euch damit helfen zu lassen.”

Der hagere Stallmeister bestätigte knapp und führte dann das Ross des Ritters zum Stall hinüber, während die Waffenmeisterin Faolyn mit einer Handbewegung einlud, die Pferdetreppe zu erklimmen.

Rasch hatten sie die Tortürme erreicht und durchschritten - vorbei an zwei freundlich grüßenden Wachen - den schmalen Durchgang zur Kernburg. Dahinter erstreckte sich ein schmaler, grob trapezförmiger, Hof im Schatten von Türmen, einem wehrhaften Nebengebäude links und dem Hohem Haus zur Rechten. Eben dorthin führte Éirne und stieg zügig die steilen, hölzernen Stiegen hinauf zum Eingang. Hinter dem schlichten Portal mit der schweren beschlagenen Tür tauchten sie für einen Moment in nur von einer Fackel erhelltes Zwielicht ein. Zur Linken - eine Treppe hinab - erklangen die geschäftigen Geräusche einer Küche, aber vor ihnen kam gerade eine junge Frau eine steile, steinerne Treppe herabgeeilt.

“Wohlgeboren?”, stellte sie fragend fest und knickste vor Faolyn.

“Die Zwölfe mit Euch gute Frau” antwortete der Angesprochen in Unkenntnis des Namens.

“Aedith hier ist die rechte Hand des Großknechts…”, erläuterte Éirne und wies auf dann auf den Gast. “Der Hohe Herr Faolyn ui Niamrod wird mit zwei Gefolgsleuten traviagefällig Gastung empfangen. Sorgt bitte dafür, dass sein Gepäck von unten auf die kleine, obere Kemenate nachgebracht wird. Die beiden Reisige sollen oben im Kleinen Saal nächtigen.” Damit wandte sich die Ritterin nun wieder Faolyn zu.
“Hochgeboren wird Euch später gemeinsam mit seiner Gemahlin empfangen. Es bleibt also noch genügend Zeit, um Euch frisch zu machen. Wünscht Ihr ein wärmendes Bad, Hoher Herr?”

Der Ritter war unschlüssig, da zum einen ein Bad nach der tagelangen Reise gut tun würde, er aber auch nicht gleich als verweichlichter Höfling abgestempelt werden wollte. Er ließ sich Zeit mit der Antwort.
“Wenn es keine Umstände macht, würde ich, angesichts des Empfanges im Beisein der Dame des Hauses, Euer Angebot gern annehmen, um geziemend Hochgeboren gegenüber zu treten. Habt Dank Wohlgeboren.”


Zwischenspiel

Die Waffenmeisterin selbst hatte Faolyn hinauf in das zweite Geschoss über dem Eingangsniveau geführt: Vom ersten Stock mit den herrschaftlichen Gemächern und der Kleinen Halle hatte es eine schmalere Stiege gegeben, die hinauf zu den Kemenaten der Hausherrin und der Gäste führte. Ein kurzer Gang zu den Kemenaten der Gäste ging noch direkt vom Treppenabsatz ab und führte entlang der Außenmauer zu drei schmalen Türen. Vor der hintersten Tür gab es eine Stufe und eben diese öffnete Éirne für den Niamrod, bevor sie zur Seite trat, um ihn einzulassen.

Ein schmales beschnitztes Bett mit einer Truhe, ein Hocker und ein Rüstungsständer waren die gesamte Einrichtung auf den ausgetretenen Steinplatten. In der Wand am Kopfende des Bettes befand sich eine Nische mit Schale und Krug und in der Grundmauer ein Kamin. Daneben war hinter der Tür erst auf den zweiten Blick eine Schießkammer in der Außenwand zu erfassen, die innen an der Nischenöffnung auf Kissen Platz für zwei Sitzende bot.

“Aedith ist dafür verantwortlich, dass es Euch an nichts fehlt, Hoher Herr. Gebt Ihr bitte rechtzeitig Bescheid, wenn der Kamin angemacht werden soll oder wenn Ihr anderweitig Hilfe benötigt.” Die Worte Éirnes hingen für einen Moment im Raum, dann wurden Geräusche auf der Treppe laut und die Waffenmeisterin beeilte sich, die Tür freizumachen, indem sie in den Gang zur mittleren Kammer auswich.

Ein Knecht und eine Magd brachten Faolyns Ausrüstung herbei und luden sie in dem freien Rechtschritt vor der Kiste ab. “Hoher Herr”, beeilten sich beide zu sagen.
“Das ist dann alles von Eurem Ross”, ergriff der Knecht das Wort und wartete ganz offensichtlich auf Entlassung.

Währenddessen trat Aedith leise und abwartend mit einem Tablett und Geschirr in die Türöffnung.
“Ich hole Euch bald für das Bad, Hoher Herr”, meinte die junge Hilfe des Großknechts. “Ich habe Euch Tee gebracht, benötigt Ihr noch etwas?”

“Nein, habt Dank. Es ist alles bestens”, sagte der Angesprochene freundlich und bedankte sich sodann auch bei den beiden, die seine Sachen nach oben gebracht hatten. Die drei gingen rasch ab und die Waffenmeisterin erschien nochmals in der Tür.

Während Faolyn in die Nischenöffnung trat und durch den Schußkanal nach draußen spähte, um zu ergründen, wohin dieser den Blick frei gab, fragte er beiläufig die Ritterin: “Wie lange dient ihr dem Baron schon, Wohlgeboren?”

“Seit Beginn meiner Pagenzeit, Hoher Herr”, gab Éirne zurück, derweil der Blick des Niamrod über das tiefer liegende Dach des großen Wirtschaftsgebäudes mit dem Stall und das Vorwerk glitt. In der Entfernung war jenseits der Dächer von Windtrutz bei besserem Wetter vermutlich sogar das Siebenwindige Meer zu sehen.

“Ich lasse Euch vorerst alleine, aber Aedith wird bald wegen dem Bad kommen, Hoher Herr. Eure Gefolgsleute werden über Euch im Kleinen Saal - gegenüber des Schützenboden - nächtigen… falls Ihr sie sucht.”


Audienz in der Kleinen Halle (in der Dämmerung)

Einige Zeit nach dem Bad und nachdem Aedith ihm geholfen hatte, sich herzurichten, waren aus der Kammer nebenan, leise Geräusche von zwei Personen zu hören gewesen. Nun klopfte es an der Tür von Faolyns Kemenate.

In der Türöffnung war die Waffenmeisterin zu sehen, dem Anlass entsprechend gewandet: Éirne trug über einer schlichten senfgelben Tunika eine dunkelgraue Secead mit Besätzen aus feiner dunkelroter Wolle sowie goldenen Stickereien und an der Seite noch immer das Breitschwert in einer mit goldfarbenen Leinen bezogenen Scheide als Zeichen ihres Standes.

“Es ist Zeit, hinabzugehen, Hoher Herr. Die Herrschaft ist nun bereit, Euch zu empfangen.”

“Hab Dank”, antwortete der Dienstritter, der in eine dreiviertellange, schwarze Tunika gekleidet war, die am Saum und an den Armen mit weißen Mustern verziert war. Seine Stiefel waren glänzend geputzt und um die Hüfte hatte er sich sein Schwert gegürtet.

“Zeigst du mir den Weg?”, fragte er.

“Natürlich, Hoher Herr”, gab Éirne zurück, “folgt mir bitte.”

Sie ging voraus und am Ende des Flurs konnte der Dienstritter einen jungen Pagen sehen, der verschwand und wohl die Treppe hinabwieselte. Seine eiligen Schritte wiesen ihnen den Weg und auch die Waffenmeisterin hielt sich links, ging die Treppe hinab und bog in den Flur. Fast am Ende - am Treppenabsatz hinab zum Eingang - steuerte sie linker Hand auf eine Tür zu, wo der Page wartete.

Der dunkelhaarige Junge, der den Gast aus großen grünen Augen neugierig anblickte, war von eher zierlichem Wuchs, öffnete aber schwungvoll die Tür, um die beiden Ritter einzulassen.

Éirne ging voraus in den dahinterliegenden Raum, aus dem ein warmer Luftzug in den Flur wehte. Der Steinfußboden aus dem hellen, windhager Kalkstein hallte unter unter den Schritten der beiden Ritter, als sie die repräsentativen Kleine Halle betraten.

Die Wände - einschließlich der sechs Schießkammern - waren mit beschnitztem und bemaltem Holz vertäfelt und in der Mitte erhob sich ein Pfeiler, der eine ehrwürdige hölzerne Tischplatte trug. Eine Rundbank schien zum Sitzen einzuladen, doch hinter dem Pfeiler war ein weiterer Tisch mit Stühlen und Geschirr zu sehen. Links neben den Eintretenden befand sich ein Kamin, in dem ein munteres Feuer knackte und vor dem das herrschaftliche Paar wartete.

Jaran von Schwarzenklamm trug schlichte Kleidung aus kostbarem schwarzen Tuch. Der Baron war von beeindruckender Gestalt - noch sicherlich ein oder zwei Finger größer als seine Waffenmeisterin - und überragte auch seine Gemahlin. Dabei war Minhild von Erlenwald keine kleine Frau, dazu aber charismatisch und ihre freundlichen grüngrauen Augen musterten den jungen Niamrod, als er hinter der Baeringsgrund näher trat. Der Blick des Barons hingegen war stählern, undurchdringlich und gab nichts preis.

Dumpf schloss sich hinter den Rittern die Tür, als der Page sie zuzog. Faolyn, der sich zu dem Baronspaar gewandt hatte, trat vor, bis er in gebührendem Abstand stehen blieb.

“Der Hohe Herr Faolyn ui Niamrod, Dienstritter seiner Hochwohlgeboren Arlan Stepahan, Graf von Bredenhag”, kündigte Éirne ihn an.

“Den Zwölfen zum Gruß Hochgeboren, heut' stehe ich nicht als Dienstritter des Grafen von Bredenhag vor Euch. Auf Geheiß meines Oheims, dessen allerbesten Wünsche ich überbringe, ist es an mir ihn und die Familie Niamrod zu vertreten.” Faolyn verneigte sich tief.

“Die Treusorgende mit Euch, Hoher Herr, seid uns willkommen in Fuxwalden.” Krähenfüße vertieften sich mit Minhilds leichten Lächeln und während sie leicht knickste, bemerkte Faolyn, dass ihr Körper unter der kastanienfarbenen Secead der einer reifen Frau war, die einige Kinder geboren hatte.

“Wir haben Euch bereits erwartet, Hoher Herr”, fügte Jaran hinzu und lud den Ritter mit einer Handbewegung ein, näher zum Feuer zu treten.

“Ich hoffe nicht zu sehr, nur ungern würde ich die Wahrnehmung der Interessen meiner Familie mit einer Verspätung beginnen”, sagte der Ritter, während er der Einladung folgend, sich zu den beiden gesellte.
“Auch wenn ich vielleicht die Entfernung etwas optimistisch eingeschätzt habe, sind wir doch recht zügig vorangekommen und konnten unseren Zeitplan einhalten.”

Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des Barons, als er dem jungen Ritter zunickte. „Freut mich zu hören, dass die Reise auf dem Westwindpfad so schnell und ohne Zwischenfälle vonstatten gegangen ist, Hoher Herr. Das gegenseitige Treueversprechen wird morgen durch Travialieb Leodegard begleitet und bezeugt. Danach wird Wohlgeboren Éirne Euch nach Karrnheide begleiten und Euch dort auch einweisen.“
Der Baron unterbrach sich kurz und nahm dann einen anderen Faden wieder auf. „Ihr seid indessen tatsächlich einen ganzen Götterlauf zu spät, Hoher Herr, aber das werde ich vorerst nicht zu Eurem Nachteil auslegen.“

Ein Nicken des Barons bedeutete dem Pagen, den Begrüßungstrunk zu bringen, doch für einen kurzen Moment war Caradoc wie festgewachsen.
Wie konnte man einen ganzen Götterlauf zu spät sein? Rasch wandte der Junge dann jedoch den Blick von dem fremden Ritter ab, als er bemerkte, dass er ihn angestarrt hatte, und beeilte sich, die vorbereiteten Becher zu holen. Er wollte den Baron gewiss nicht verärgern. Mit einem schüchternen Lächeln reichte der junge Brynmor dem Gast den ersten Becher, von dem der fruchtig-süße Duft von Schlehenfeuer ausging.

Faolyn, der sich des Umstandes der Verspätung nicht bewusst war und auch keine Möglichkeit hatte, dies nachzuprüfen, kämpfte zeitgleich mit zwei Gedanken. Zum einen fragte er sich, warum Wulfgrim ihm das nicht gesagt hatte, zum anderen überlegte er fieberhaft, wie er aus dieser Misere wieder herauskommen sollte.
„Das ist zu gütig Hochgeboren. Ich...“, beeilte er sich zu sagen brach dann aber ab und schluckte die ihm auf der Zunge liegende Rechtfertigung herunter. Er stand hier für das Haus Niamrod und nicht als Einzelperson. Schließlich wusste er nicht ob sein Oheim diese Verspätung mit Bedacht gewählt hatte.
„Ich danke Euch.“ Dann nahm er dem Pagen mit einem Nicken den dargebotenen Becher ab, hielt ihn aber weiter in Händen.

Der Baron ergriff den nächsten Becher und reichte ihn seiner Gemahlin, ehe er den eigenen ergriff.

Éirne nahm sich gerade den vorletzten, als sich die Tür der Kleinen Halle wieder öffnete - schwungvoll - und nun ein beleibter Traviadiener hereineilte. Haare und Bart waren dunkelblond, aber zumindest der Bart war schon deutlich von grauen Strähnen durchwirkt. Neben seiner gelben Robe wies die bronzene Gänsespange ihn deutlich als niederen Götterdiener der Travia aus.

„Travialieb Leodegard! Ihr kommt gerade recht! Greift Euch den Willkommenstrunk und heißt mit uns Ritter Faolyn ui Niamrod willkommen“, unschwer war die Anweisung und keine Bitte aus Jarans Worten herauszuhören.

Der Akoluth beeilte sich, der Bitte nachzukommen und griff sich das letzte Schlehenfeuer von Caradocs Tablett. Mit einem „Traviadank“ trat Leodegard neben die jüngere Waffenmeisterin, als Jaran bereits anhob: „Mag also die Treusorgende, schützend die Hände über Euch halten, ebenso wie ich mir das für meine Tochter wünsche. Auf Euer Wohl, solange Ihr hier in Fuxwalden Eurem Haus dient.“

Die anderen pflichteten mit einem „So sei es“ bei, und auch Faolyn hob seinen Becher und nickte dem Baron dankend zu. Mit einer einfachen Handbewegung lud Jaran den jungen Niamrod zu eigenen Worten ein.

“Hab Dank Hochgeboren, für den freundlichen Empfang, den ihr mir bereitet habt. Ich überbringe Euch und Eurer Gattin Grüße und die besten Wünsche von meinem Oheim, Wulfgrimm ui Niamrod als auch von seiner Gemahlin, Eurer Tochter, Baerwen von Schwarzenklamm.”

Jaran wechselte einen kurzen Blick mit Minhild und diese antwortete: „Habt Dank für diese Nachricht und tretet bitte zu Tisch.“

Die Baronsgemahlin wies auf die Tafel hinter dem Pfeiler und fragte auf den wenigen Schritten dorthin ruhig: „Wie geht es der kleinen Aeda, Wohlgeboren? Habt Ihr sie gesehen?“

“Soweit ich es beurteilen kann, geht es der kleinen Aeda recht gut. Sie scheint ein ruhiges Kind zu sein, allerdings konnte ich sie nur kurz in den Armen ihrer Mutter sehen und vergebt mir, ich bin auch nicht sehr mit Kleinkindern bewandert“, antwortete Faolyn, als er der Hausherrin folgte.

Die kleine Tafel hinter der Säule war nur an drei Seiten gestuhlt: die Längsseite vor ihnen war leer, dahinter standen die beiden Stühle der Herrschaft und seitlich ein weiter Stuhl. An den Stirnseiten fanden sich die schlichteren Stühle der Ritter.

Minhild führte den Niamrod nach links zum Platz, während Jaran der Waffenmeisterin mit einem Nicken die andere Stirnseite zuwies und dann den etwas kleineren Herrschaftsstuhl für seine Gemahlin bereits abrückte.

Minhild lächelte ihren Gemahl dankbar an und ließ sich dann nieder. Jaran folgte ihr sogleich und auf dieses Zeichen auch Leodegard neben Minhild, dann Éirne und Faolyn. Der Niamrod fand sich neben dem Baron auf dem Ehrenplatz wieder.

„Lasst uns gemeinsam tafeln, Gastfreundschaft im Sinne der Heimwächterin geben und empfangen“, verkündete Jaran, blickte kurz in die Runde und nickte Caradoc zu, die Speisen hereinbringen zu lassen.


An der Tafel

Rasch war der erste Gang vom Schildknappen, dem Pagen und einer Magd aufgetragen und Leodegard sprach vor dem gemeinsamen Mahl ein schlichtes Gebet.

Faolyn fiel auf, dass der kräftige Knappe den beiden Frauen und dem Akoluthen aufwartete, der Page jedoch dem Baron und ihm selbst. Die Speisen waren einfach, aber schmackhaft und dazu wurde neben einem hellen süffigen Bier ein gekühlter Weißwein gereicht - ein recht milder Windhager Zungenkrauser.

„Was gibt es Neues aus Bredenhag, Hoher Herr?“, fragte Jaran den Niamrod.

Faolyn überlegte kurz, während er den Mund leerte, bevor er sprach: "Nun, zu allererst wäre da sicher die Einweihung des Rondratempels in Bredenhag zu erwähnen. Hat ja lange genug gedauert und sicher ein passendes Ereignis anlässlich der Rückkehr des Grafen von seiner Reise nach Weiden.” Der Niamrod überlegte noch ein wenig.
“Ich weiß nicht, inwieweit ihr den Zwist zwischen der Baronin von Gemharsbusch mit einem ihrer Lehnsleute verfolgt habt?”, dabei wanderte sein fragender Blick kurz zu seinem Sitznachbarn.

Der Baron lud Faolyn mit einer sparsamen Handbewegung ein, fortzufahren und spießte ein Stück Fisch auf sein Essmesser.

“Es geht dabei um ein Lehen im Norden der Baronie, ein eher armseliges Stück Land, das wohl beide Seiten begehrten“, fügte der Jüngere erklärend hinzu. “Aber das ist wohl eher eine Randerscheinung, die die Baronin mit ihrem Lehnsmann direkt klären wird.”

Der Gastgeber ließ sich etwas Zeit mit der Antwort, so dass Faolyn Gelegenheit hatte, zu hören, dass auch die Waffenmeisterin ein Gespräch mit der Baronsgemahlin führte - offenbar ging es um die örtliche Schmiede und den heutigen Besuch der Herrschaft dort.

Der Schwarzenklamm nahm Faolyns Gesprächsfaden jedoch wieder auf, bevor Einzelheiten zu herauszuhören waren.
„Die Baronin von Bösenbursch war unlängst von einer Bußqueste zurückgekehrt und hatte vor dem Grafen Abbitte geleistet, wenn ich mich recht entsinne?“, fragte Jaran nach seinem Bissen.

“Das ist richtig, sie reiste gar ein Stück mit dem Grafen, den sie von seinem Besuch in Weiden wiederkehrend traf“, bekundete der Ritter. “Hochgeboren hat dann ihren Treueid gegenüber dem Grafen erneuert und bedauerte vor der versammelten Rittertafel ihre einstige Haltung.”

Der Schwarzenklamm sah den Dienstritter für einen Moment gedankenverloren an. „Und welche Bedeutung hat diese Rittertafel für Bredenhag - also den Grafen und die Barone, Hoher Herr?“

“Nun,” erklärte Faolyn, “in erster Linie, um die verschiedenen Blickwinkel in der Grafschaft dem Grafen zu Gehör zu bringen, denke ich. Des Weiteren lässt der Graf die Mitglieder über ihre Aufgaben vor dem Rat Rechenschaft ablegen. Darüber hinaus lassen sich aus der Beratung ergangene Entscheidungen direkt in Aufgaben umsetzen, wofür insbesondere die Recken eingesetzt werden.”

Interessiert lauschte Jaran den Ausführungen des Dienstritters, so dass Faolyn bemerkte, dass die andere Unterhaltung bereits zum Abschluss gekommen war und die gesamte Aufmerksamkeit nun bei ihm lag.

„Welche Aufgaben haben die Mitglieder und wer kann Mitglied in diesem Gremium sein, Hoher Herr, wenn es Barone und Recken gibt?“

“Neben den Baronen und Vögten Bredenhags und den Recken, natürlich der Graf selbst, der Kanzler sowie der Heermeister. Die Recken ernennt der Graf selbst, alle anderen sind aufgrund ihrer Position vertreten. Es sind allerdings nur die Hälfte der Recken benannt, also kommt dies nicht allzu häufig vor.”
Faolyn war nicht sicher, ob das Bild der Tafel, das er zeichnete, für die Anwesenden verständlich war und so holte er noch etwas weiter aus.
“Es gibt also insgesamt acht Plätze für Barone und Vögte und acht Plätze für Recken neben den beiden Amtsträgern und dem Grafen selbst“, bei dem ersten Teil der Frage musste der Ritter selbst überlegen, was darauf die beste Antwort wäre. Natürlich hatte er nie einer dieser Sitzungen beigewohnt und konnte daher auch nichts zu ihrem Ablauf sagen, wenn sich die Türen hinter den Mitgliedern schlossen. “Wie gesagt, ist die Aufgabe wohl eher beratend zu sehen“, versuchte er, es zu umschreiben.

Nach dem nächsten Bissen fragte Jaran: „Da Ihr gerade von der Baronin von Bösenbursch gesprochen hattet… Hat sich bei der Aufklärung der Umstände des Todes ihrer Tochter und des Herolds dieser Grafschaft hier etwas Neues ergeben? Ich erinnere mich, dass eine entsprechende Forderung an den Grafenhof in Bredenhag ergangen ist. Außerdem hatte die Baronin einen Zeugen der Bluttat in ihrem Gewahrsam, nicht wahr?“

“Einen Zeugen?” fragte Faolyn schmunzelnd “Wohl eher den Mörder von Hochgeboren Meingard. Wobei und das will ich gern einräumen, dies in der Absicht geschehen sein mag, seinen Dienstherren zu schützen.”
Der Ritter strich sich nachdenklich übers Kinn: "Soweit mir bekannt wurde, konnte der andere Begleiter des Herolds, in meinen Augen der eigentliche Zeuge, nicht aufgespürt werden. Wie diesbezüglich zwischen Grafenhof und dem Hof des Marktvogts die Kommunikation aussieht, entzieht sich meiner Kenntnis. Was diesen Waffenknecht angeht, besteht meines Wissens kein Interesse eines der beiden Grafenhöfe. Ich denke, er schmachtet noch immer im Kerker von Hochgeboren, deren Interesse demgegenüber wohl eindeutig besteht."
Der Niamrod hoffte, dass es nicht allzu sehr auffiel, dass er keine Ahnung hatte und das wenige, was er zum besten gab, in Wirts- und Hurenhäusern aufgeschnappt hatte.

„Es scheint mir nicht schlüssig zu sein, den Waffenknecht nicht als Zeugen anzusehen, da er ja beteiligt gewesen sein muss, wenn ihm der Tod der Baroness angelastet wird. Welche als erste das Schwert gezogen hatte, wohlgemerkt.“
Jaran schüttelte unverständig den Kopf: „Wenn er ein gemeiner Mörder gewesen wäre, hätte er vermutlich schneller gerichtet werden können“, überlegte er. „Da die Forderung von Seiten des Marktvogtes in Bredenhag bei Hofe vorliegt, scheint es doch eher auch dort Widerstände oder Beharrungsvermögen zu geben.“ Es war eine Feststellung und keine Vermutung.
„Wer wird übrigens in drei Monden, wenn Eure unmittelbare Verpflichtung erlischt, an Eurer statt, Gut Karrnheide als Vogt oder Vögtin verwalten?“, fragte Jaran unvermittelt.

"Ein konkreter Name war zum Zeitpunkt meines Aufbruchs noch nicht bekannt, aber ich weiß, dass mein Oheim sein Augenmerk darauf gelegt hat. Mein Ersatz wird zu gegebener Zeit bei euch vorstellig werden, Hochgeboren, da bin ich mir sicher“, stellte der Niamrod in Aussicht. Wobei er sich des Ganzen weit weniger sicher war, als er vorgab zu sein.
"Gibt es diesbezüglich eine Übereinkunft, die ich beachten müsste?", wollte er dann aber doch wissen.

„Lasst gut sein, Hoher Herr, ich werde diese Dinge bei Gelegenheit mit Eurem Oheim erläutern.“ Jarans Stimme war sanft gewesen, doch in seinem Blick lag eine stählerne Härte.