Gedenktag in Unkengrund (1045) Teil 02: Im Vorfeld - Aal und Krähe

Aus AlberniaWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Briefwechsel zwischen Aal und Krähe im Vorfeld

Beteiligte:

Vorausgegangene Ereignisse

1039
Ingerimm: Ioric nimmt im Auftrag seiner Tante Ravindra von Krähenfels Talwen Vialigh und ihren Schwertvater Yaron Ildborn beim Verrats des Hauses Krähenfels während der Schlacht der Krähen gefangen. Beide sitzen fast einen Monat lang auf Burg Krähenfels im Kerker.
1041
Boron: Talwen beginnt ihren Dienst bei den Heckenreitern, näht die Szene ihrer Gefangennahme auf ihre Heckenreiter-Waffenröcke.
1044
Travia: Erstes Wiedersehen von Ioric und Talwen auf der Hochzeit von Caran von Krähenfels, beide gehen in derselben Jagdgruppe auf Jagd auf einen Hirschen; hitzige Wortgefechte.
1045
Mitte Praios: Zweites Wiedersehen auf der Doppelhochzeit des Hauses Heckendorn; erneut hitzige Wortgefechte.
Ende Praios: Drittes Wiedersehen auf dem Bredenhager Buhurt, das nicht ohne erneute Wortgefechte auskommt, sich jedoch zu einem ersten ernsten, vorsichtigen Kennenlernen entwickelt. Unerwartet landen beide nach dem Genuss von ausreichend Mhôrnoch gemeinsam im Bett.


Burg Eichengrund, 20. Hesinde 1045

Ioric von Krähenfels schloss mit einer vorsichtigen Bewegung das große, lederbebänderte Grundbuch des Junkertums auf seinem Schreibtisch. Auch ohne einen Blick aus dem Fenster seiner Schreibstube auf Burg Eichengrund zu werfen, wusste er, das draußen die Dämmerung bereits vorangeschritten war. Sich nachdenklich durch den Bart fahrend, betrachtete er das Werk der vergangenen Tage: ein kleiner Stapel Notizen auf Papier. Korrekturen von geforderten Abgaben, welche, sollte sein Herr sich entschließen, sie um- und durchzusetzen, sicherlich ein paar Dutzend Dukaten an Mehreinnahmen jeden Götterlauf bedeuten würden.

Er seufzte leise und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Für Leibes- und Schwertübungen war es zu spät, jeden Abend zu trinken war würdelos und ihm war nicht danach, Leanna oder die Wachstube für ein Würfel- oder Kartenspiel aufzusuchen. Er seufzte erneut: Immer wenn es Stunden zu füllen gab, kehrten seine Gedanken zu ihr zurück. Dabei war es nicht so, dass er ihr Antlitz erblickte, wenn er die Augen schloss, oder sich die Frage, was sie gerade tat und wie es ihr ginge, sich immer wieder ungebeten in seinen Alltag auf Eichengrund drängte. Doch vor sich konnte er ohne Scheu eingestehen: ihm fehlte ihre Gesellschaft. Noch nicht einmal ihr Körper, auch wenn ein paar der Eindrücke der Nacht mit ihr für immer wohl einen Platz im Schrein der Liebholden in seinem Herzen haben würden. Nein, ihm fehlte die Konversation mit ihr: ihr spitzer Humor, ihre erfrischende Art ihn mit ihren offenen Ansichten zu konfrontieren und ihr grundehrliches Wesen, unverschleiert durch Täuschung - oder Selbstbeherrschung. Er musste grinsen.

Vielleicht brachte ja ein Brief, so wie sie es vorgeschlagen hatte, Ordnung in seine Gedanken. Ganz gleich, ob sie ihn in näherer Zeit lesen oder beantworten würde.

Mit ein paar Handgriffen räumte er seine Arbeit säuberlich beiseite und holte aus einer Schublade das gute Pergament, sowie Feder und Tinte hervor.

Nachdenklich starrte er auf das leere Blatt vor sich, die Feder in der Hand. Wie würde er ihn beginnen? Liebste Talwen? Er lachte leise auf: wohl nicht. Edle Dame Talwen Vialigh? Missbilligend schoben sich seine Brauen zusammen.

Die Götter mit euch, Hohe Dame Vialigh!

Ioric nickte: Die förmliche Distanz und das Spiel mit eben dieser, waren etwas, was ihre Beziehung ausmachte.

Ich hoffe, diese Zeilen finden euch wohlauf. Ich bin nicht sicher, ob ihr jemals erwartet habt diesen Brief zu erhalten. Nun, hier ist er:

Jetzt, da er begonnen hatte, die Worte zu Papier zu bringen, fiel es ihm zunehmend leichter, einen Fluss zu finden. Mit geübter Hand beschriftete er zügig, aber ohne Hast das vor ihm liegende Pergament.

Wir sind wohlbehalten nach Burg Eichengrund zurückgekehrt und der Alltag hat mich wieder. Ganz anders für Euch, wie ich hörte: Ein Sonderauftrag, vom Grafen persönlich bestellt! Meinen Glückwunsch, wieder einmal beweist seine Hochwohlgeboren Geschick in der Wahl seiner Mittel. Nur Eure Kommandantin ist wohl nicht die, die ihr euch gewünscht hättet.

Ioric lächelte ironisch, tunkte die Feder erneut ein.

Aber so ist das wohl. Ich hoffe, Ihr gebt auf Euch acht, ganz gleich, in welche Lande Euch Eure Queste führt.

Er setzte ab, nahm sich einen Moment Zeit bevor er den nächsten Absatz verfasste.

Sollten diese die südlichen Heckenlande sein, scheut Euch nicht, hier vorstellig zu werden: Es würde mich freuen, eine weitere Eurer freundlichen Gaben für die Schreibstubenarbeit entgegenzunehmen, mir scheint, davon habe ich in den letzten Tagen zu viel gehabt.

Ioric schmunzelte und las noch einmal den Brief von oben bis unten.

Der Zwölfe Schutz und Segen für Eure Wege.
Ioric von Krähenfels

Gewissenhaft streute er Löschsand über die Zeilen, ehe er diesen hinfort blies und das Pergament akkurat faltete. Routiniert versiegelte er ihn dann, wobei er sich die Zeit nahm, ein ordentliches Siegel zu fertigen, welches er dann nicht mit dem Siegel des Herrn Aldewen oder seinem eigenen, sondern einem einfachen Holzstempel ohne Prägung verschloss. Zufrieden rückte der Haushofmeister ab von seinem Schreibtisch und stand auf.


Hreodwulfs Wacht, 15. Firun 1045

“Ein Brief für dich, Tobar…. Und Vialigh, du hast auch einen,” brummte die kratzige Stimme des Sekretärs und seine Hand warf zwei Briefe auf den Tisch, an dem die beiden jungen Frauen im Remter der Wacht saßen. Sogleich ging er weiter, um noch andere Nachrichten zu verteilen, die ein Bote eben durch den frisch gefallenen Winterschnee nach Bredenhag gebracht hatte. Es war Frühstückszeit und der Saal gut besucht. Zumindest von denjenigen Kameraden, die sich gerade auf der Wacht befanden. Auf den Tischen dampften heiße Milch und Hirsebrei, während die Fenster von außen mit Eisblumen bemalt waren. Die Heckenreiterin mit dem dunkelblonden Zopf und den großen runden Augen, die gegenüber ihrer Freundin, der dunkelhaarigen Ritterin, saß, riss ihren sogleich freudig auf, um den Inhalt geradezu gierig zu verschlingen.

“Wieder Nachricht von zuhause?” fragte Talwen mit feinem Schmunzeln, die wusste, dass die andere gerne Post von ihrer Familie bekam.

Die Tobar senkte fröhlich nickend den Brief und sah über den Tisch: “Diesmal schreibt mir mein Bruder. Und deiner? Auch von zuhause?”

Talwen zog die Brauen zusammen und sah auf den Wachspfropf, der ein ihr unbekanntes Bildnis zeigte. Es war kein Wappen in das Wachs geprägt und auch kein Text. Es war hingegen ein geradezu schmuckloser Stempel verwendet worden. War es möglich, dass er aus Eichengrund stammte? “Nein, der kommt definitiv nicht von zuhause.”

“Vielleicht kommt er von deinem Bruder aus…äh, wo lebt der nun?”

“Draustein. Nein. Falls mir mein Bruder schreiben würde - was ich eher für sehr sonderbar halten würde - käme Callean sicher auf die Idee, entweder das Siegel seines Schwertvaters zu benutzen oder zumindest seinen Namen unter das Wachs zu setzen. Er ist ja sonst immer so… beflissen.” knurrte die Ritterin in Anlehnung darauf, dass dieser dauergrinsende Knirps der Liebling aller war, der nie negativ auffiel, oder dem man alles sofort verzieh, falls er mal einen Fehler machte. Den Götter sei Dank, musste sie ihm nun in Bredenhag nicht mehr über den Weg laufen, weil er ja jetzt weiter weg in Knappschaft war.

“Von wem ist er dann? Steht nichts drauf?” fragte ihre Gegenüber neugierig.

Talwen zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung von wem der ist.” Doch das war gelogen. Sie hatte schließlich eine Ahnung.

“Dann mach ihn auf, sieh nach! Hm. Vielleicht wieder ein Gedicht?” Scanlins runde Augen wurden noch ein Stückchen größer und sie ließ ihren eigenen Brief endgültig sinken, um von ihrer Schüssel Brei zu essen, während sie erwartungsvoll über den Tisch stierte. “Möglifferweife vomm eimemm gemeiiimmiffollen Va’eeeehra,” murmelte sie dabei mit gedämpfter Stimme durch den vollen Mund, ehe sie schluckte und danach besser zu verstehen war: “Oder von dem Kerl, mit dem du dich während des Buhurts getroffen hast. - Nu’ mach schon! Ich sterbe vor Neugierde.”

Talwen seufzte. “Na gut. Aber sei nicht enttäuscht, wenn kein Gedicht rauskommt.”

“Ach was interessiert mich ein Gedicht. Minne, pff, schön und gut, aber wir wollen doch wissen, welche Kerls sich für meine liebste Kameradin so sehr interessieren, dass sie abends schmachtend vor dem Kamin sitzen und mit bibbernden Fingern sehnsuchtsvolle Briefe schreiben,... Und ob vielleicht einer dabei ist, der einen hübschen Bruder hat.”

Talwen wollte eben schon das Pergament aufklappen, da hielt sie noch einmal inne. “Als würde ich ständig Gedichte und Liebesbekundungen erhalten,” brummte sie missmutig und konnte nur mit dem Kopf schütteln.

“Najaaa, die letzten gingen alle an dich.”

“Die letzten? Es war ein einziger, und der hat mir ehrlich gesagt auch gereicht!” entgegnete sie und faltete dann unter den drängenden Blicken der Tobar den Brief auseinander. Talwens Augen flogen mit angestrengter Miene nach unten, direkt zum Ende der Nachricht, wo der Name des Schreibers stand.

Ioric von Krähenfels

Also doch. Die Vialigh ertappte sich dabei, dass sie sich irgendwie freute.

“Erzähl, von wem isser? Deinem Schmunzeln nach zu urteilen, von jemand von, hö, hö…Wichtigkeit, stimmt‘s?” hörte Talwen die Kameradin frotzeln.

War der Krähenfels wichtig? Kurz überlegte Talwen. Ihre Antwort tendierte zu einem Ja, aber es würde anders begründet sein, als ihre Gegenüber es wahrscheinlich dachte. Talwen hatte die letzten Monate viel an Ioric von Krähenfels gedacht. Zu Beginn mehr, und ab und zu war ihre Hand des nächtens dabei in ihren Schritt geglitten. Dann waren diese Gedanken weniger geworden, als er entgegen seiner Ansage, ihr schreiben zu wollen, so lange nichts von sich hören ließ. Da hatte sie sich gefragt, ob er denn überhaupt noch an sie denke. Dabei dachte sie selbst seit vergangenen Praiosmond jeden Tag an ihn, wenn sie ihren Wappenrock anlegte. Das, was damals während der Heckenfehde geschehen war, wurde mittlerweile überlagert von angenehmeren Erinnerungen. Doch ‘Wichtigkeit’ war ein relativer Begriff in diesem Zusammenhang. Was war wichtig? Was nicht?

“Er ist von jemandem, den ich von früher kenne,” antwortet die Vialigh wahrheitsgemäß und klappte nüchtern das Pergament wieder zu.

Die Tobar aber schien etwas anderes viel interessanter zu finden: “Ein Verflossener also!“ zog sie eilige Schlüsse. „Mann, hätte ich dir gar nicht zugetraut, dir jemanden warm zu halten.” Die junge Frau lachte und aß wieder etwas von dem Hirsebrei, während Talwen den Brief einsteckte.

“Kein Verflossener, Scanlin. Und auch nichts ähnliches.”

“Aaach, ist schon in Ordnung, es macht mir nichts aus, wenn du noch Gefühle für diesen Kerl hast, der”...

“Wer sagt denn, dass ich Gef”..

“Deine Bäckchen sind so rot wie Blutsuppe, Herzchen. Also, wie heißt er! Und vor allem: hat er einen ledigen Bruder? Sag schon!”

Talwen sah sich mit einem gehäuften Löffel Hirsebrei bedroht, mit dem die Kameradin in ihre Richtung deutete. “Ich weiß gar nicht, ob er einen Bruder hat,” entgegnete sie wirsch und unwillig, mehr zu erklären. “Und sein Name ist unwichtig.”

“Tatsächlich? Na, dann wirst du ihm wohl nicht zurück schreiben, was?” Talwen zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung. Ich hab den Brief ja noch nicht gelesen, folglich weiß ich auch noch nicht, was drin steht und ob eine Antwort notwendig ist.”

Im Folgenden aber schlang die Ritterin ihren Brei recht hastig hinunter, spülte mit der Milch zuletzt nach und stand dann auf. “Gut. Wir sehen uns gleich bei den Pferden. Ich muss allerdings vorher noch etwas erledigen.”

Die andere schaute erst verwundert, dann schien sie zu verstehen und grinste. “Und ich kümmere mich also ums Geschirrwegräumen? Jaja schon gut, schon gut. Verschwinde! Mach ich. - Aber schreib diesem Kerl bitte, dass er dir sagen soll, ob er einen Bruder hat. Bitteeee!”

“Wer sagt denn, dass ich einen Brief schreibe, hm,” erwiderte Talwen ihrer Freundin zwinkernd, dann machte sie sich auf zu ihrer Unterkunft.

-

Auf dem Bett sitzend entfaltete sie den Brief und las ihn von oben.

Die Götter mit euch, Hohe Dame Vialigh!

Unweigerlich musste Talwen lächeln. Einerseits wegen dem, dass sie Freude empfand, andererseits, weil der Krähenfels sich oft so gestelzt ausdrückte. Aber sie war auch ganz froh, dass dort nicht “Liebste Talwen” stand.

Ich hoffe, diese Zeilen finden euch wohlauf. Ich bin nicht sicher, ob ihr jemals erwartet habt diesen Brief zu erhalten. Nun, hier ist er:

“Um ehrlich zu sein dachte ich, du schreibst schon eher. Naja, immerhin hast du es jetzt mal getan. Wie schön.”

Wir sind wohlbehalten nach Burg Eichengrund zurückgekehrt und der Alltag hat mich wieder. Ganz anders für Euch, wie ich hörte: Ein Sonderauftrag, vom Grafen persönlich bestellt! Meinen Glückwunsch, wieder einmal beweist seine Hochwohlgeboren Geschick in der Wahl seiner Mittel. Nur Eure Kommandantin ist wohl nicht die, die ihr euch gewünscht hättet.

“Bei Farindels Finger, woher..?!?” Talwen las die letzten Zeilen erneut. Kein Zweifel darüber, dass der Krähenfels gut informiert war. Sie ertappte sich erneut bei dem Gedanken, das ihr sein Interesse schmeichelte.

Aber so ist das wohl. Ich hoffe, Ihr gebt auf Euch acht, ganz gleich, in welche Lande Euch Eure Queste führt.

Sie seufzte. Sie würde jetzt noch einen Ritt mit den Kameraden unternehmen, und danach, spätestens aber zur Gedenkfeier nach Unkengrund reiten, um nach der Gedenkfeier mit ihrer Mutter auf deren Queste aufzubrechen. Dazu war sie auf gräflichen Befehl hin abkommandiert worden. Na, wie hatte Talwen sich da gefreut, als man sie davon unterrichtete, welche Ehre ihr zuteil kam. Die eigene Mutter als Kommandantin. Eine furchtbare Vorstellung, die der Krähenfels sehr treffend erkannt hatte!

Sollten diese die südlichen Heckenlande sein, scheut Euch nicht, hier vorstellig zu werden: Es würde mich freuen, eine weitere Eurer freundlichen Gaben für die Schreibstubenarbeit entgegenzunehmen, mir scheint, davon habe ich in den letzten Tagen zu viel gehabt.

Talwen schmunzelte und das Wissen über die Andeutung in seinen Worten ließ sie ein warmes Gesicht bekommen, obwohl es kalt im Raum war. Auch, wenn sie den Gedanken charmant fand, auf Eichengrund einzukehren, wusste sie nicht, in welche Regionen die Queste sie führen würde. Vermutlich eher gen Winhall und weniger in den Süden.

Der Zwölfe Schutz und Segen für Eure Wege.
Ioric von Krähenfels

“Danke, das können wir brauchen,” murmelte sie ein wenig bedauernd. Danach las Talwen noch einmal den Brief von oben bis unten. Er war im Grunde genommen kürzer als erwartet. Und bis auf das mit der Schreibstubenarbeit ohne Jammereien. Anschließend warf sie einen prüfenden Blick durchs Fenster in den Hof. Noch niemand wartete dort, das hieß, dass ihr noch etwas Zeit blieb für eine Antwort. Schnell hatte sie Graphitstift und ein halbwegs ordentliches Papier zur Hand.

Farindel und die Zwölf mit euch,

Konnte sie das so stehenlassen? Sie ergänzte um eine namentliche Ansprache, also stand da nun:

Farindel und die Zwölf mit euch, Herr Ioric.
Es freut mich, dass ihr so gut informiert seid, und nicht aufgebt, euch in eurer ganz persönlichen Queste jeden Tag aufs Neue zu stärken. So ihr denn das nächste Mal mit Unwohlsein vor euren Büchern sitzt, denkt an mich und die Meinigen, die keinen warmen Kamin im Rücken haben, und ich bin mir sicher, dass die Arbeit euch gleich etwas besser von der Hand gehen wird.
Für eure guten Wünsche bezüglich der Reise, für die mich Seine Hochwohlgeboren an die Seite meiner Mutter bestellt hat, seid vielmals bedankt. Es ist eine ehrenvolle Queste, von der ihr bestimmt aus ehrenvoller Quelle gehört habt.
So habt ihr sicherlich auch erfahren, dass meine Mutter einlud zum Gedenkfest, welches sie zum sechsten Jahrestag der ‚Schlacht der Krähen‘ auf Unkengrund veranstaltet. Ich werde dort sein. Der Herr Yaron und euer Vetter sicher auch. Was ist mit euch? Es wäre ein Zeichen.

Welches, überließ sie ihm. Etwas wollte sie noch hinzufügen, doch im Hof hörte Talwen nun doch Pferdewiehern, was ihr sagte, dass sich die ersten ihrer Kameraden schon sammelten. In Ermangelung an Zeit unterschrieb sie nur noch, allerdings nicht mit ihrem Namen, sondern mit:

Berglöwin

Sie faltete den Brief eilig und zog aus einem kleinen Schränkchen noch eine dünne Lederschnur, mit der sie den Brief doppelt kreuzweise verschnürte und schrieb den Namen des Adressaten noch vorn auf das Faltwerk. Mit ihrem dicken Mantel über dem Arm und dem Brief in der Hand huschte sie schnell in die Vogtey, bevor sie ihr Pferd aus dem Stall holte und sich ebenfalls zu den Kameraden in den Hof begab.

Burg Eichengrund, 4. Tsa 1045

Der Schrieb erreichte Ioric von Krähenfels an einem windigen Nachmittag, den er, wie so viele dieser Tage, am Schreibtisch verbrachte. Als er realisierte, aus wessen Feder, oder besser Stift, er wohl stammte, übersprang sein Blick die restlichen Zeilen, um sich an der Signatur zu vergewissern:

Berglöwin

Ioric zuckte ein wenig zurück. Obwohl er seine Vermutung über die Verfasserin der Zeilen bestätigt sah, war er doch gänzlich unvorbereitet auf seine Reaktion auf die von ihr gewählte Anrede. Rasch faltete er das Schriftstück zusammen und steckte es ein. Er würde sich damit später befassen, er hatte zu tun und privatem konnte er sich am Abend widmen. Ungleich dem Brief, ließen sich seine Gedanken aber nicht beiseite stellen und rasten durch seinen Verstand, welcher es gewohnt war, Dinge zu analysieren: Eine Antwort, so rasch! Sie kann den Brief kaum mehr als ein paar Tage gehabt haben, eh sie dir geantwortet hat. Es war ihr ernst gewesen mit dem Angebot einer Korrespondenz, egal wie sehr sie es als Scherz formuliert hatte…

Unruhig rutschte der Haushofmeister von Eichengrund auf seinem Stuhl hin und her: die Bilder, die sich in seine Gedanken drängten, taten ihr übrigens, um aus dem Buch vor ihm eine kryptische Ansammlung von Wörtern, Linien und Zahlen zu machen. Oh, er wusste genau, welches Lächeln sie für ihn hätte, wüsste sie, welchen Einfluss sie mit einem einzigen Wort auf ihn hatte.

Frustriert sprang er auf, begann im Raum auf und ab zu laufen. Nach ein paar Runden kapitulierte er seufzend, blieb stehen und begann Talwens Brief zu lesen.

Farindel und die Zwölf mit euch, Herr Ioric.

Ioric schmunzelte: auch wenn er persönlich nicht viel von diesem Gruß hielt, schien er ihm doch irgendwie angemessen, wusste er doch um die Aufgabe, welche die junge Vialigh wohl für die nächsten Monde beschäftigen würde.

Es freut mich, dass ihr so gut informiert seid, und nicht aufgebt, euch in eurer ganz persönlichen Queste jeden Tag aufs Neue zu stärken. So ihr denn das nächste Mal mit Unwohlsein vor euren Büchern sitzt, denkt an mich und die Meinigen, die keinen warmen Kamin im Rücken haben, und ich bin mir sicher, dass die Arbeit euch gleich etwas besser von der Hand gehen wird.

Ioric schnaubte leise. Da war sie, die erwartete Spitze ob seiner Klage. Ein wenig empört war er dennoch: Es war ja nicht so, als hätte er sich beschwert, keine zweite Kohlenpfanne für sein Bett zu haben, während sie mit bloßen Händen und nackt in einem Schneesturm mit irgendwelchen Unholden rang. Kopfschüttelnd las er weiter.

Für eure guten Wünsche bezüglich der Reise, für die mich Seine Hochwohlgeboren an die Seite meiner Mutter bestellt hat, seid vielmals bedankt. Es ist eine ehrenvolle Queste, von der ihr bestimmt aus ehrenvoller Quelle gehört habt.

Nach dem letzten Satz musste Ioric leise lachen: Es sah ihr ähnlich, Anstoß daran zu nehmen, das er Informationen besaß, welche nicht unbedingt über den Herold bekannt gemacht wurden. Nüchtern betrachtet könnte man es kaum Spitzelei nennen, hatte er doch keine Kenntnis der tatsächlichen Beratungen. Bei der Lektüre der nächsten Zeilen verfinsterte sich sein Blick.

So habt ihr sicherlich auch erfahren, dass meine Mutter einlud zum Gedenkfest, welches sie zum sechsten Jahrestag der ‚Schlacht der Krähen‘ auf Unkengrund veranstaltet. Ich werde dort sein. Der Herr Yaron und euer Vetter sicher auch. Was ist mit euch? Es wäre ein Zeichen.

Ioric von Krähenfels verweilte eine ganze Weile bei ihrer Frage. Was war mit ihm? Auch wenn die Aussicht, Talwen wieder zu sehen, ihn reizte, war diese Festivität der denkbar schlechteste Ort für so etwas. Er schüttelte den Kopf. Bedächtig faltete er den Brief und steckte ihn erneut ein. Heute Abend würde er sich an eine Antwort machen. Nun warteten Bestandslisten und Bestellungen auf ihn.

Der Abend kam und mit dem Schwinden des Lichts hatte auch der Wind nachgelassen. Nach einem kurzen Abendmahl hatte sich Ioric mit einem Becher warmem Gewürzwein in seine Kammer zurückgezogen. In seinem gepolsterten Sessel sitzend, las er ein weiteres Mal den Brief, bevor er ihn zu seinem dampfenden Getränk auf ein kleines Tischchen legte und sich daran machte, auf einem Pergamentbogen mit Tinte und Feder seine Antwort zu verfassen.

Die Zwölfe mit euch, Hohe Dame Vialigh.
Ich hoffe mein Brief findet euch wohlauf. Ich bin sicher, die Ehrbarkeit eures Dienstes wärmt euch von innen, ebenso wie es das Prasseln des Kaminfeuers für mich von außen tut.

Ioric lächelte leicht, fügte dann aber, nach kurzem Zögern, noch einen Satz dem Absatz hinzu.

Ich bin mir sicher, ihr habt euren Dienst in vollem Wissen um die Unterschiede zu der von mir verrichteten Aufgabe gewählt. Seid aber versichert, ich wünsche euch weder in Kälte, noch Gefahr.

Für einen Moment starrte Ioric auf die trocknende Tinte, betrachtete seine eigenen Worte als müsste er sie lesen, um sie zu glauben. Für einen Moment war er versucht, das Pergament fort zu werfen und erneut zu beginnen, entschied sich aber dann doch dagegen.

Ich hörte von der Einladung eurer Frau Mutter zu dem Gedenktag in Unkengrund, jedoch erreichte mich keine solche. Ich gehe also nicht davon aus, dass meine Anwesenheit dort erwünscht ist. Seine Wohlgeboren Caran von Krähenfels wird das Haus Krähenfels sicherlich angemessener vertreten.

Ein bitterer Zug war auf Iorics Miene aufgetaucht und er griff nach dem Wein, um ihn mit einem langen Schluck hinunter zu spülen.

Eure Queste betreffend: Womöglich sind die Geschehnisse des letzten Feenreitens von Interesse für eure Untersuchung. Sicherlich habt ihr davon gehört, falls nicht: Eine finstere Feenkreatur, die sich Raraen nannte, mischte sich unter die Teilnehmer der von meinem Dienstherren ausgerichteten Turney und trachtete, im Bunde mit dem Sippenmörder Arwulf von Singersberg, ihre dunklen Pläne auf dem Turniergrund umzusetzen.
Vielleicht sehen wir uns also schon bald wieder, seid versichert, ihr werdet auf Burg Eichengrund jederzeit angemessen Gastung erhalten.

Ioric richtete sich auf und seufzte leise. Ein paar Herzschläge lang sah er hinaus in die Finsternis vor seinem Fenster, dann beugte er sich wieder über das Pergament.

Mir fehlt eure Gesellschaft, euresgleichen ist hier, wie ich ja bereits bemerkte, nicht zu finden. Gebt auf euch Acht, während ihr durch die Lande zieht und Heldentaten für euren Waffenrock sammelt.
Der Götter Schutz und Segen für Eure Wege.
Ioric von Krähenfels

Mit geübten Handgriffen faltete Ioric den Brief und adressierte ihn, bevor er aufstand und ihn an seinem Schreibtisch siegelte, wobei er erneut auf die Verwendung eines Siegels verzichtete.

Hreodwulfs Wacht, 12. Phex 1045

Die kleine Gruppe Heckenreiter war eben erst wieder in der Wacht angekommen. Nach etlichen Wochen durch die verschneite Heide sahen ausnahmslos alle recht mitgenommen aus. Nachdem die Pferde in den Stall gebracht, abgesattelt, trockengerieben und auch noch Rapport gemacht war, schlurften alle müde zu ihren Unterkünften. Auch Talwen steckte der Ritt in den Knochen. Nicht, weil er lange gedauert hatte, sondern weil der Grimmige in den letzten Tagen und Nächten noch einmal allen beweisen musste, wie grimmig er war und es ohne Unterlass schneite. Zudem hatten sie erst in jüngster Zeit noch einer Bande Strauchdieben nachgestellt, die bei ihrer Festnahme heftig Widerstand leisteten.

Die Vialigh sehnte sich nun nach nichts anderem als nach einem schönen warmen Bad im Zuber, um die kalten Knochen aufzuwärmen. Sie wollte sich anschließend in ihr Bett legen und drei Tage und drei Nächte einfach nur schlafen. Und erst dann würde sie bereit sein, nach Hause zu reiten. Lust verspürte sie dazu allerdings keine große, erwartet sie doch in den nächsten Wochen und Monate ein Seite-an-Seite-Ritt mit ihrer Mutter auf deren Feenqueste - nebst vieler unangenehmer Gespräche, vermutlich. Talwen missfiel dabei, dass ihre Mutter die eigene Position als Mitglied der Rittertafel ausnutzte, um sie beim Grafen persönlich anzufordern. Dieser hatten der Bitte entsprochen und der Reckin des Flusses gewährt, von ihrer Tochter begleitet zu werden. Na, da war Lamentieren also praktisch nutzlos. Dieser Auftrag war dann doch so etwas wie ein persönlicher Befehl des Grafen….

Talwen schlurfte erschöpft und mit wenig Freude auf das Kommende in ihre Unterkunft, wo sie alles, was sie dabei hatte, unachtsam und müde in eine Ecke warf, ihre Stiefel, die Taschen, und erst recht den stinkenden Umhang aus dickem Wollfilz, der zwar gewärmt, aber auch einiges mitgemacht hatte. Den Sachen nach ließ sie sich erst einmal auf ihr Lager fallen und schloss für den Moment die Augen.

„He Vialigh, da liegt was! Und es ist für dich!“ hörte sie die Stimme ihrer Kameradin Scanlin Tobar, der das Bett neben Talwen gehörte, und die sich noch einmal erhoben hatte, um zu dem Tisch mit dem Wasserkrug hinüber zu gehen, der unweit unter dem Fenster stand. „Na, von wem du wohl wieder bist, du kleines süßes Brieflein, du,“ flötete die Tobar entzückt und ließ sich nur einen Augenblick später mit einem breiten Grinsen in ihrem Gesicht auf Talwens Bettkante nieder. In ihrer Hand tatsächlich mit einem Brief wedelnd.

Talwen erkannte Schriftbild und das unscheinbare Siegel wieder. Der Brief war von ihm. „Gib schon her, wenn‘s für mich ist.“ Talwen setzte sich auf und streckte die Hand danach aus,

Als Talwen danach greifen wollte, zog sich die Hand fort. „A-a-ah. Erst sagst du mir, wer dir da schreibt, Süße, und du bekommst ihn.“

„Das geht dich nichts an!“ entgegnete Talwen wahrheitsgemäß, denn so gern sie die Kameradin mochte, so sehr fürchtete sie doch, deren Plappermaul würde es herum erzählen und schon bald würde die ganze Grenzwacht davon wissen, dass sie in Briefverkehr mit Ioric von Krähenfels stand, den, den sie so verabscheute. Sie fasste also noch einmal beherzt nach dem Brief, doch die Tobar sprang wieselflink auf die Beine und entkam dem Griff. Talwens Blick verfinsterte sich.

„Sieh an, sieh an, die achtbare Talwen Vialigh hat ein Geheimnis! Ist es etwa ein Mann, von dem deine Mutter nichts weiß? Oder wissen darf?“

„Das geht dich nichts an! Bitte gibt ihn mir!“ wiederholte die Ritterin mit einem Knurren, während ihre Augen denen der schelmischen Freundin standhielten, die Hand nach dem Brief ausgestreckt und die Finger zuckte in einer Geste der Ungeduld.

Die Tobar lachte. „Springst du mich sonst gleich an und vergräbst deine Klauen in mir, Stepahan-Löwin?“ zog sie Talwen auf.

Löwin?

Talwen wusste, dass ihre Freundin Löwin mit Ritterin gleichsetzte, denn schließlich war sie das, ein ritterlicher Waffenarm für das Grafenhaus mit der Stepahan-Leuin im Schild. Aber es hörte sich dennoch seltsam an. Daher hielt sie einen Herzschlag lang inne und rang sich dazu durch, nicht wie ein eben solches Tier nach vorn zu stürzen und die andere niederzureißen - obwohl sie das gerne getan hätte. „Ach, mit dir gehen wohl die Pferde durch, Tobar,“ sagte sie unter einem Auflachen, das ob des Aufgesetzseins etwas gekünstelt klang.

„So, meinst du?“ fragte ihre Freundin lauernd. „Dann macht es dir doch nichts aus, wenn ich mal einen Blick riskiere, was da so drinsteht. Wieder ein Gedicht, wie von diesem Nordmärker?“

“Ich hoffe nicht!” Die Erbin von Unkengrund stemmte sich nun doch auf die Beine, begleitet von einem unguten Gefühl, und ging ihrer Kameradin betont gleichgültig entgegen, einen Arm nach dem Schriftstück ausgestreckt. “Nun gib schon her! Ich bin zu müde, um mit dir zu raufen.“ Sie seufzte zur Verdeutlichung demonstrativ und ahnte ein Gähnen nach.

Die andere lachte derweil amüsiert, als sie ihr gekonnt ein paar Schritte auswich, und ihre Finger an das Siegel setzte. Es knackte, als es zerbrach. „Na, wenn du es mir nicht sagen willst, muss ich wohl selbst nachsehen.“ Im nächsten Augenblick hatte sie das Obere des Pergamentes nach oben aufgeklappt. „Die Zwölfe mit euch, Hohe Dame Vialigh.,“ las sie mit verstellter Stimme vor, „Ich hoffe mein Brief findet euch wohlauf. Ich bin sicher, die Ehrbarkeit eures Dienstes wärmt euch von innen, ebenso wie es das Prasseln des Kaminfeuers für mich von außen tut. - Was? Wer schreibt denn so ein Gesäusel? Mal sehen…“

“Schluss jetzt!“ Im Nu war Talwen heran. Mit der einen Hand packte sie die Kameradin, mit der anderen riss sie ihr das Schriftstück aus der Hand.

Die Tobar gab sich geschlagen. „Gute Güte, na, das muss aber was Ernstes sein zwischen dir und dem Kaminfeuer-Schreibering.“ Sie grinste wölfisch.

„Schön, dass du dich amüsierst, Scanlin.“ Talwen setzte sich wieder auf ihr Bett, warf einen raschen Blick auf die Unterschrift am Ende der Zeilen und faltete das Pergament ganz schnell zusammen. „Aber es ist weder etwas Ernstes, noch ist es Irgendetwas. Es ist ein Brief. Nichts weiter.“

„Jaja, schon klar, nichts weiter.“ Immer noch grinsend tat die Tobar jetzt das, was sie zuvor schon machen wollte und schenkte sich Wasser aus einem Krug ein. „Nimm ihn doch mit in den Zuber und lies ihn mir vor. Und dann sage ich dir, ob es etwas ist oder gar nichts. Ich kenne mich da aus. Weißt du doch.“

Talwen steckte den Brief erst einmal ein und musste jetzt auch etwas lächeln. „Damit nicht, glaub mir.“

„Horch, wegen mir kannst du gerne an jedem Finger zwei Verehrer haben. - So lange nur einer einen Bruder hat, der für mich abfällt…“ Die Tobar zwinkerte.

„Er hat keinen.“ murmelte Talwen, aber eigentlich wusste sie das nicht mit Gewissheit. Während sie sich den Pferdeschwanz löste und beim Ausschütteln der Haare ein kleines Blatt fand, das sich darin verfangen hatte, zogen ihre Gedanken unweigerlich dahin. Sie war froh, dass ihre Freundin nur den Anfang gelesen hatte und nicht den Namen des Verfassers. Das hätte ihr gerade noch gefehlt.

Als sie wenig später im Zuber saßen und ihre Anstrengungen der letzten Wochen durch das warme Wasser dahinschmolzen wie Schnee über einem Topf aus Feuer, griff die Tobar das Thema noch einmal auf. Offenbar machte sie sich mehr Gedanken dazu, als es Talwen lieb war: „Warum siegelt der Kerl die Briefe eigentlich nicht. Ich meine, mit einem Familienwappen.“ sprach sie ihre Gedanken aus.

Talwen, die für einen Augenblick den Kopf an den Zuberrand gelehnt und die Augen verschlossen hatte, öffnete diese wieder und sah durch den warmen Wasserdampf zu ihrer Freundin hinüber. „Keine Ahnung. Ist mir aber auch egal.“ Dabei wusste sie genau, warum er das tat. Egal war es ihr im Grunde auch nicht. Im Gegenteil. Es sprach von Respekt und das gefiel ihr.

„Als hätte er etwas zu verbergen….“ mutmaßte ihre Freundin nachdenklich und traf dabei die Wahrheit recht genau, ohne es zu wissen.

„Vielleicht gefällt ihm der verwendete Stempel nur. - Oder er weiß einfach, was Diskretion ist. Andere nicht.“ Das letzte war eindeutig an ihre Freundin gerichtet.

Die machte sich allerdings nichts draus. „Das klingt immer besser. Ein geheimnisvoller Fremder, der Diskretion übt, um nicht ehrenrührig zu sein. Komm, jetzt sag doch einfach, wer es ist, mit dem du da schreibst. Ich werde es auch niemandem weiter sagen.“

Talwen seufzte. „Tobar, ich möchte jetzt das Wasser genießen.“ Währenddessen massierte sie sich eine Verspannung an der Schulter des Schildarms.

„Jetzt komm schon, Vialigh! Spann mich doch nicht länger auf die Folter! Bin ich deine Freundin oder bin ich deine Freundin, hm?“

„Bist du, aber übe dich in Demut - wie meine Mutter stets zu sagen pflegt,“ entgegnete Talwen mit leichter Geringschätzung in der Stimme, dabei lehnte sie sich als Demonstration ihres Unwillens zurück und schloss wieder die Augen. Ihr Schmunzeln wegen der bohrenden Neugierde ihrer Freundin war durch den Gedanken an ihre Mutter und die bevorstehende Zeit verzerrt.

„Demut, Demut. Was Besseres fällt dir nicht ein?“ grummelte die andere, bevor sie mit der Schulter zuckte. „Naja. Vielleicht ist er nicht standesgemäß genug für dich, und es muss deswegen ein Geheimnis bleiben. Gut. Versteh ich. Du bist von Stand und erbst mal ein Lehen.“

„Glaub mir, er ist standesgemäß.“

Da leuchteten die Augen der anderen auf. „Ahaaaa! Du gibst es zu, dass es da in dem Brief um einen Mann geht.“ Die Tobar lächelte triumphierend.

Talwen überlegte einen Moment lang, doch die andere würde so oder so nicht aufgeben, also konnte sie eigentlich die Wahrheit sagen. „Ja, der Brief ist von einem Mann. Von einem Ritter, wenn du‘s genauer wissen willst. Was bedeutet, dass er standesgemäß wäre, würde er mir den Hof machen.“

„Ohooo! Fein, fein. Den Hof machen! Das klingt guuut. Jetzt brauchen wir nur noch einen Namen. Ich höre?“

„Ich werde dir seinen Namen nicht nennen. Du Plappermaul verrätst ihn sonst, ich kenn dich doch. Und du würdest es schaffen, dass alle Welt denkt, dass da mehr ist. Aber da ist nichts. Sagte ich schon.“

„Ja, das sagtest du. Ein Bekannter von früher, der dir nicht den Hof macht, blabla.” zitierte die andere Talwens Worte belustigt. “Ich erinnere deine Worte.“

„Richtig.“ Die Vialigh seufzte angestrengt und fragte sich, ob das denn gar nicht mehr aufhörte.

„Kennst du ihn von da, wo du in Knappschaft warst?“ fragte die andere.

„So ungefähr.“

„Hattet ihr damals w…?“

„Nein!“

„Na, das kam jetzt aber plötzlich.“ Die Tobar stutzte schmunzelnd.

„Vielleicht, weil du mir auf die Nerven gehst, Scanlin. Wir kennen uns von früher, ja, aber da war nichts zwischen uns. Zumindest nichts, was du meinst.“ erklärte Talwen barsch und warf ihrer Gegenüber einen mahnenden Blick zu.

„Verstehe, ihr durftet nichts miteinander haben, und jetzt dürft ihr und deshalb lebt die Romanze wieder auf. Hach…“ Die Tobar seufzte geradezu theatralisch-verzückt und legte die in Andeutung an ihre Verzückung gefalteten Hände sinnierend an ihre Lippen, während sie ihrerseits ihre Freundin einen Augenblick lang mit schief gelegtem Kopf musterte. „Talwen Vialigh, ich denke, dass du meine Hilfe brauchst.“

Jetzt musste Talwen lachen, während sie gleichzeitig den Kopf schüttelte. „Ganz sicher nicht.“

„Doch doch,“ sagte die andere überzeugt, „Du hast offensichtlich Gefühle für diesen Mann. Warum ich das weiß? Du verteidigst, dass er ein Geheimniskrämer ist und du reagierst empfindlich, wenn ich ihn Freier nenne. Ganz klar, du weißt es selbst nicht genau, was er für dich sein soll.“ Und weiter erklärte diese: „Du brauchst mich also, um herauszufinden, was du für ihn wirklich empfindest. Aber keine Sorge, das kriegen wir heraus.“

„Ich sage dir, was ich denke. Ich denke, du solltest es jetzt gut sein lassen, Scanlin. Wirklich, ich mag dich, aber du nervst. Und ich sage dir die Wahrheit, wenn ich sage: es ist nicht so, wie du denkst.“ Bei diesen Worten zog sie sich hoch, um aus dem Zuber zu steigen.

„Du gehst schon?“ Ihre Kameradin blickte überrascht.

Bevor sie eine überflüssige Antwort gab, trocknete die Vialigh sich lieber, glitt in ihre Hose und in die Stiefel und griff sich zum Schluss das ebenfalls bereit gelegte Hemd. „Genieß das Wasser noch, so lange es warm ist, doch bitte weck mich später bitte nicht, wenn du ins Bett kommst,“ antwortete sie dann, bevor sie den wasserdampfgeschwängerten Baderaum verließ, um sich noch einmal bei der Badhausmagd, die ihnen das Wasser erwärmt hatte, zu bedanken. Dann tapste sie, in ihren Mantel gehüllt, über den winterlichen Hof. Ein kalter Wind fuhr unter den Stoff auf ihrer Haut und ließ die Heckenritterin, die eben noch in einem angenehm warmen Zuber gesessen hatte, unweigerlich frösteln. Talwen spürte Ärgernis in sich. Warum musste man für jeden, mit dem man sich Briefe schrieb, gleich irgendetwas empfinden. Genau genommen empfand sie ja etwas für Ioric von Krähenfels. Sie hasste diesen Kerl. Und sich selbst ebenfalls, weil sie ihn seit ihrem Treffen am Rande des Buhurts eigentlich ganz nett fand, und dafür, dass sie es sogar recht interessant finden würde, würde er sich dazu durchringen, ihr tatsächlich den Hof zu machen.

In ihrer Unterkunft angekommen entzündete Talwen als erstes eine dicke Stumpenkerze, bevor sie sich in ihr Nachtgewand warf und dann nicht etwa schlafen legte, obwohl ihr Körper nach der langen Reise und dem angenehmen Bad eine gehörige Bettschwere aufwies, sondern sie begann, ihre Post von Ioric von Krähenfels zu lesen.

Die Zwölfe mit euch, Hohe Dame Vialigh.
Ich hoffe mein Brief findet euch wohlauf. Ich bin sicher, die Ehrbarkeit eures Dienstes wärmt euch von innen, ebenso wie es das Prasseln des Kaminfeuers für mich von außen tut.

Talwen rollte mit den Augen. Das war ja so typisch, dass er das Wort ‚Ehrbarkeit‘ verwendete.

Ich bin mir sicher, ihr habt euren Dienst in vollem Wissen um die Unterschiede zu der von mir verrichteten Aufgabe gewählt. Seid aber versichert, ich wünsche euch weder in Kälte, noch Gefahr.

Für einen Moment ließ sie seine Worte in sich nachhallen. Der letzte Satz war glaubhaft. Das davor eine Spitze. Trotzdem erhielten die Zeilen ihre Zustimmung.

Ich hörte von der Einladung eurer Frau Mutter zu dem Gedenktag in Unkengrund, jedoch erreichte mich keine solche. Ich gehe also nicht davon aus, dass meine Anwesenheit dort erwünscht ist. Seine Wohlgeboren Caran von Krähenfels wird das Haus Krähenfels sicherlich angemessener vertreten.

Bei dem Gedanken an den bevorstehenden Gedenktag wanderten ihre Erinnerungen zurück zu jenen Momenten von damals, die unweigerlich für immer mit seinem Gesicht verbunden sein würden. Eigentlich, fand sie, gehörte er in jedem Falle mit dazu zu diesem Festakt und sie ertappte sich dabei, zu bedauern, dass er nicht kommen würde.

Eure Queste betreffend: Womöglich sind die Geschehnisse des letzten Feenreitens von Interesse für eure Untersuchung. Sicherlich habt ihr davon gehört, falls nicht: Eine finstere Feenkreatur, die sich Raraen nannte, mischte sich unter die Teilnehmer der von meinem Dienstherren ausgerichteten Turney und trachtete, im Bunde mit dem Sippenmörder Arwulf von Singersberg, ihre dunklen Pläne auf dem Turniergrund umzusetzen.

Raraen - der Name sorgte unter ihresgleichen gleichermaßen für Gänsehaut wie Zorn. Die Berichte von den düsteren Umtrieben während des letzten Feenreitens hatten hier auf der Wacht ebenso alte Ängste, wie auch neu den Willen ausgelöst, dieser schwarzfaulen Holden endlich habhaft zu werden. Bislang waren jedoch alle Bemühungen ergebnislos verlaufen.

Vielleicht sehen wir uns also schon bald wieder,

Sie stutzte. Hieß das denn, dass er sich nun doch dazu entschlossen hatte, zum Gedenktag zu kommen?

seid versichert, ihr werdet auf Burg Eichengrund jederzeit angemessen Gastung erhalten.

Sie überschlug die Wegstrecke. Nein, Eichengrund lag zu weit südlich, um relevant zu sein für die Feenqueste ihrer Mutter. Falls sie wirklich in nächster Zeit dorthin käme, dann nur auf einer der Heckenreiterpatrouille. Die nächste würde sie allerdings erst nach Ablauf eines ganzen Götterjahres reiten. Aber im Praios würde es ja wieder einen Buhurt geben, und daran musste sie unweigerlich denken, als sie das folgende las.

Mir fehlt eure Gesellschaft, euresgleichen ist hier, wie ich ja bereits bemerkte, nicht zu finden. Gebt auf euch Acht, während ihr durch die Lande zieht und Heldentaten für euren Waffenrock sammelt.

Sie schmunzelte erfreut. Ja, sie und ihr Waffenrock hatten es ihm wohl wirklich angetan.

Der Götter Schutz und Segen für Eure Wege.
Ioric von Krähenfels

Nachdem sie den Brief gelesen hatte, waren tatsächlich viele Gefühle in ihr. Genauso wie ihre Freundin es zuvor so treffend bemerkt hatte. Die seltsamsten dabei waren leise Sehnsüchte, die von der Phrase mit der Gesellschaft herrührten. Sie musste zugeben, dass es ihr ähnlich ging. Zwar war sie nicht allein, sie hatte viele Freunde hier, ja, man war eine Familie, ein sehr liebes Mitglied dieser Familie schlief jede Nacht nur eine Armlänge von ihr…trotzdem war es wie er schrieb: seinesgleichen fand sie hier auf der Wacht auch nicht. Vielleicht fiel ihr Brief, den sie anschließend aufsetzte, daher etwas zugänglicher aus.

Farindel und die Zwölf mit euch, Herr Ioric.

Sie blieb bei dieser Anrede.

Dies hier wird vorerst mein letzter Brief sein, den Ihr von mir aus Hreodwulfs Wacht bekommt, da ich in wenigen Tagen in Richtung Unkengrund aufbrechen werde und im Verlauf der nächsten Göttermonde vermutlich so schnell nicht wieder herkomme. Das heißt, dass Briefe, die ihr mir nach Bredenhag schickt, hier auf meine Rückkehr warten müssen. Das soll euch allerdings nicht hindern, wenn ihr euch mir mitteilen wollt. Doch bitte bleibt dabei, sie ohne euren Namen zu versenden, denn so haben meine Kameraden mehr Freude am Rätseln und ich bin durchaus gewillt, sie damit noch etwas zu beschäftigen.

Talwen schmunzelte und stöhnte gleichzeitig. Es würde nervig werden, vor allem die Tobar würde nicht so einfach aufgeben. Aber so war es besser und so fühlte es sich vor allem besser an.

Ich habe schließlich nicht vor, irgendwem auf die Nase zu binden, dass die Briefe von euch sind. Es gibt einfach Dinge, die andere nicht verstehen. Aber das wisst ihr ja selbst recht gut.

Ja, sie hatte sich entschieden, es mit der Wahrheit zu versuchen.

Für euren Bericht zu den Ereignissen des Feenreitens danke ich euch. Wir bei der Grenzwacht haben leider immer wieder mit garstigen Wesenheiten der Anderswelten zu tun. Es scheint, dass solche Begegnungen sich häufen, was ein guter Grund zur Sorge ist. Mich sorgt allerdings auch, dass diese Zeichen nicht eindeutig deutbar sind. Nicht selten wissen selbst wir schlicht nicht, was Wesenheiten wie die dunklen Holden wirklich wollen, obwohl wir mit ihrer Art mehr zu tun haben, als andere. Wir können nur mutmaßen, was sie aus ihren Welten in die unsere drängt, warum sich ihr Auftreten mehrt und was dies letztlich für uns alle bedeutet. Sicherlich nichts Gutes. Ich verstehe daher das Ansinnen Seiner Hochwohlgeboren Graf Arlans, mehr darüber in Erfahrung bringen zu wollen.

Kurz war sie gewillt, dem Krähenfels gegenüber den Begriff ‘aufziehender Feenkrieg’ zu verwenden, tat es aber dann doch nicht. Sie hatte schon zu viel geschrieben.

Da ihr dem Feenreiten beiwohntet, habt ihr sicher eine ganz eigene Meinung davon. An einem Austausch mit euch wäre ich interessiert, ich fürchte allerdings, dass sich dies mit meiner Abwesenheit in nächster Zeit nicht vereinbaren lässt.
Trinkt ein Glas Mhôrnoch für mich mit, wenn ihr nach eurem Dienst vorm passelnden Kaminfeuer in selbigen schaut. Ich proste euch vom Saum des Farindel mit dem tropfenden Schwert zu.
Mit Dank für eure guten Wünsche,
Berglöwin


Dann überlegte Talwen noch einen Moment und nahm den Graphitstift wieder zur Hand:

P.S. Solltet euch euer Weg doch an Carans Seite nach Unkengrund führen, wisset, dass euch nicht alle mit den Blicken meines Schwertvaters und meiner Mutter ansehen werden.

Ja, dies wollte sie ihm noch mit auf den Weg geben. Nicht unbedingt als Ermunterung, aber um klarzustellen, dass sie an dem, was sie bisher zu ihm sagte, festhielt. Sie verband ihre Nachricht wie schon den ersten Brief und steckte ihn am Ende in ihre Tasche. Neugierig war sie ja schon, ob es wirklich ein Wiedersehen in Tommeldomm geben würde. Großartig zum Nachdenken, wie dieses dann sein würde, kam sie allerdings nicht mehr, da Boron nun recht laut und eindrücklich nach ihr rief. Sie hörte schon nicht mehr, wie ihre Kameradin nur Augenblicke später durch die Tür kam.

Burg Eichengrund, 23. Phex 1045

Ioric von Krähenfels fand Talwens Brief, als der Abend bereits vorangeschritten war, in einem Stapel aus Dokumenten, Notizen und sonstiger Korrespondenz auf seinem Schreibtisch liegend. Sein Dienstherr, Junker Brendan Aldewen, hielt Hof dieser Tage und so hatte er seit den frühen Stunden seine Zeit damit verbracht, einer nicht enden wollenden Reihe von Audienzen beizuwohnen: Bittsteller, Kläger, Ratsuchende und Wichtigtuer, vom niedersten Leibeigenen bis zu einflussreichen Familienoberhäuptern hatten den Weg durch Schnee und Winterkälte auf sich genommen, um Gehör beim Herrn von Eichengrund zu finden. Das Abendessen hatte er dann im kleinen Kreis mit dem Herrn Aldewen, seiner Gemahlin und der anderen Dienstritterin auf Eichengrund, Leanna Widra, verbracht. Eigentlich wollte Ioric nur seine Notizen des Tages noch einmal lesen, prüfen, ob er womöglich eine Anmerkung oder dergleichen nicht zu Papier gebracht hatte, aber er kam nicht umhin, einen Blick auf den Stapel der Schriftstücke, die seiner harrten, zu werfen.

Da war er, ein Brief gleicher Machart wie ihr letzter! Für einen Moment erwog er ihm bis morgen Aufschub zu gewähren, aber vermutlich würde ihn dieser Brief ungeöffnet bis in die späte Nacht verfolgen. Mit einem Seufzer zog er einen Stuhl heran, setzte sich und machte sich vorsichtig daran, den Brief zu öffnen.

Farindel und die Zwölf mit euch, Herr Ioric.

Falls es noch irgendeinen Zweifel an der Identität der Verfasserin dieser Zeilen gab, so waren diese nun ausgeräumt, nicht nur verwendete sie die gleiche Formulierung wie in ihrem letzten Brief, auch ihre Handschrift konnte er mittlerweile gut erkennen. Weil du ihren letzten Brief nun schon ein gutes Dutzend mal gelesen hast, du trauriger Hund!, spottete eine Stimme in seinem Kopf.

Dies hier wird vorerst mein letzter Brief sein, den Ihr von mir aus Hreodwulfs Wacht bekommt, da ich in wenigen Tagen in Richtung Unkengrund aufbrechen werde und im Verlauf der nächsten Göttermonde vermutlich so schnell nicht wieder herkomme. Das heißt, dass Briefe, die ihr mir nach Bredenhag schickt, hier auf meine Rückkehr warten müssen.

Ioric verzog missmutig das Gesicht: Ihm war schon vor einiger Zeit klar geworden, dass die Queste, die Talwen, oder besser ihre Mutter, auf sich genommen hatte, ihren Briefwechsel unterbrechen würde. Ihm fehlte der Austausch mit ihr bereits jetzt. Auch wenn er den Gedanken an sie womöglich etwas zu viel Raum in seinem Alltag gewährt hatte, so wusste er doch bereits: Das Ausbleiben ihrer Nachrichten würde für längere Zeit ein Loch in seinem Leben bedeuten, welches er sich schwer tun würde, angemessen zu füllen.

Das soll euch allerdings nicht hindern, wenn ihr euch mir mitteilen wollt. Doch bitte bleibt dabei, sie ohne euren Namen zu versenden, denn so haben meine Kameraden mehr Freude am Rätseln und ich bin durchaus gewillt, sie damit noch etwas zu beschäftigen.
Ich habe schließlich nicht vor, irgendwem auf die Nase zu binden, dass die Briefe von euch sind. Es gibt einfach Dinge, die andere nicht verstehen. Aber das wisst ihr ja selbst recht gut.

Ioric lächelte nachsichtig: Hatte er ihr nicht versprochen, dass ihre Geheimnisse bei ihm sicher wären? Für einen Moment kehrten Iorics Gedanken zu jenem Abend auf dem Turniergrund zurück: dem Mondlicht in ihrem Haar, ihren Lippen… Mit einem Kopfschütteln vertrieb er die sich ungebeten aufdrängenden Erinnerungen.

Für euren Bericht zu den Ereignissen des Feenreitens danke ich euch. Wir von der Grenzwacht haben leider immer wieder mit garstigen Wesenheiten der Anderswelten zu tun. Es scheint, dass solche Begegnungen sich häufen, was ein guter Grund zur Sorge ist. Mich sorgt allerdings auch, dass diese Zeichen nicht eindeutig deutbar sind. Nicht selten wissen selbst wir schlicht nicht, was Wesenheiten wie die dunklen Holden wirklich wollen, obwohl wir mit ihrer Art mehr zu tun haben, als andere. Wir können nur mutmaßen, was sie aus ihren Welten in die unsere drängt, warum sich ihr Auftreten mehrt und was dies letztlich für uns alle bedeutet. Sicherlich nichts Gutes. Ich verstehe daher das Ansinnen Graf Arlans, mehr darüber in Erfahrung bringen zu wollen.
Da ihr dem Feenreiten beiwohntet, habt ihr sicher eine ganz eigene Meinung davon. An einem Austausch mit euch wäre ich interessiert, ich fürchte allerdings, dass sich dies mit meiner Abwesenheit in nächster Zeit nicht vereinbaren lässt.

Enttäuscht ließ Ioric den Brief sinken. Bei sich hatte er gehofft, die Ereignisse der Turney vor nicht ganz zwei Jahren würden eine Untersuchung und damit einen Besuch der Vialighs auf ihrer Feenqueste rechtfertigen. Missmutig blickte er einen Moment in die Leere, ehe er wieder anfing zu lesen.

Trinkt ein Glas Mhôrnoch für mich mit, wenn ihr nach eurem Dienst vorm passelnden Kaminfeuer in selbigen schaut. Ich proste euch vom Saum des Farindel mit dem tropfenden Schwert zu.

Ioric seufzte: Der Geschmack des doppelt gebrannten Schnapses war für ihn nun unweigerlich mit den Erinnerungen an die Nacht, die sie miteinander im Lanzenhain am Fuße des Madasteins verbracht hatten, verbunden. Ein Umstand, der ihn dieses Getränk beizeiten meiden und beizeiten suchen ließ. Eine Weile saß er da, in Gedanken versunken, ehe er sich mit einem Biss auf die Unterlippe in die Gegenwart zurück holte und seine Augen auf die letzten Zeilen ihres Briefes richtete.

Mit Dank für eure guten Wünsche,
Berglöwin

Ihre Unterschrift ließ ihn schmunzeln. Dieses Mal traf sie ihn nicht so unvorbereitet wie das Mal zuvor. Ein warmes Gefühl bemächtigte sich seiner und er legte den Finger auf den Spitz-, nein, den Kosenamen, den sie sich bereitwillig zu eigen machte. Erneut seufzte er leise, legte den Brief vor sich ab und nahm sich einen Moment, seine Gedanken und Gefühle zumindest rudimentär zu ordnen, ehe er ihr Addendum las.

P.S. Solltet euch euer Weg doch an Carans Seite nach Unkengrund führen, wisset, dass euch nicht alle mit den Blicken meines Schwertvaters und meiner Mutter ansehen werden.

Ioric lächelte gequält. Wieder einmal verrieten ihre Worte wenig über ihre eigenen Auffassungen, stattdessen sprach sie vage über Allgemeines, überließ es ihm, was sie nicht sagte, aber womöglich meinte, zwischen ihren Worten zu finden. Er seufzte. Auch er hatte Leute verloren an jenem Tag, Männer und Frauen, die unter seinem Banner und in seinem Namen gekämpft hatten, wäre es denn so verwerflich, in ihrem Gedenken nach Unkengrund zu reisen? Vielleicht war es Zeit einmal mit dem Herrn von Krähenfels in Kontakt zu treten und seine Gedanken dazu zu hören. Nachdenklich spielte Ioric mit dem Federmesser. Womöglich könnte er sogar im Interesse seines Herrn in der Heimat nach dem Befinden seiner geliebten Schwester sehen…

Eine schnelle Antwort hatte jedenfalls keinen Wert, wie sie geschrieben hatte, war es unwahrscheinlich, dass sie diese in den nächsten Wochen oder Monden zu Gesicht bekommen würde und so verzichtete er darauf, zu Papier und Tinte zu greifen. Gewissenhaft faltete er den Brief, ehe er aufstand und ihn sich in die Tasche steckte.

Es war Zeit ins Bett zu gehen, auch wenn er ahnte, dass die Finsternis und die Stille seiner Kammer ihn heute nicht den üblichen Frieden finden lassen würden.