Bredenhager Buhurt (1045) Teil 03: Aal und Krähe

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Beteiligte:

Vorausgegangene Ereignisse:

  • ING 1039: Ioric nimmt im Auftrag seiner Tante Ravindra von Krähenfels Talwen Vialigh und ihren Schwertvater Yaron Ildborn beim Verrats des Hauses Krähenfels während der Schlacht der Krähen gefangen. Beide sitzen fast einen Monat lang auf Burg Krähenfels im Kerker.
  • BOR 1041: Talwen beginnt ihren Dienst bei den Heckenreitern, strickt die Szene ihrer Gefangennahme auf ihre Heckenreiter-Waffenröcke
  • TRA 1044: erstes Wiedersehen von Ioric und Talwen auf der Hochzeit von Caran von Krähenfels, beide gehen in derselben Jagdgruppe auf Jagd auf einen Hirschen, hitzige Wortgefechte
  • PRA 1045: zweites Wiedersehen auf der Doppelhochzeit des Hauses Heckendorn, erneut hitzige Wortgefechte


Auf ein Bier mit dem Erzfeind (24. Praios, nach der Helmschau) - 3. Aufeinandertreffen von Talwen und Ioric

Wiedersehen zwischen Aal und Krähe

“Hohe Dame Vialigh! Auf ein Wort, wenn es euch beliebt.” Im Trubel der Zeltstadt am Fuß von Burg Bredenhag war es schwer auf Anhieb das Wo des Rufers zu bestimmen, nicht aber das Wer - Ioric von Krähenfels. Einen Augenblick später erblickte Talwen ihn auch, mit langen Schritten auf sie zuhaltend. Ioric war herausgeputzt: Bart und Haare augenscheinlich frisch geschnitten, die schweren Stiefel glänzend, der gelbe Wappenrock mit der Krähe ebenso makellos wie der dunkle Gambeson, den er darunter trug. Unter dem Arm trug der Haushofmeister von Burg Eichengrund einen Helm, gekrönt durch eine Helmzier einer aufsteigenden Krähe, im silbern beschlagenen Waffengehänge ein Langschwert, während er einen Schild locker an einem Lederband über die Schulter geschlagen hatte. Seine Augen musterten die junge Heckenreiterin aufmerksam, ohne Feindseligkeit, aber unverkennbar vorsichtig.

Die Ritterin war in Begleitung zweier halbwüchsiger Damen von ungefähr 10 und 15 Jahren, deren Kleidung darauf schließen ließ, dass sie den Heckenreitern auf irgendeine Weise zugehörig waren. Beide trugen über einer braunen Hose und hohen Stiefeln eine knielange Tunika aus grünem Leinen von derselben Farbe und Machart, wie auch die Tunika der Ritterin war. Selbige wurde bei allen dreien von einem Gürtel gefasst. An jedem hingen ein Dolch und eine Tasche, während an der Hüfte der Ritterin zusätzlich noch ein Anderthalbhänder mit Friedensknoten baumelte. Die Mädchen hatten ihre farblich leicht abgesetzte Gugel ob der sommerlichen Wärme zurückgeschlagen und den Blick nun interessiert auf den sich nähernden Ritter gelenkt.

Auch die Vialigh, die unverkennbar die grün-braune Gewandung der Grenzwacht trug - nur mit dem Unterschied, dass ihre Tunika bereits ein paar der traditionellen Stickereien aufwies - sah dem Krähenfels mit leicht zusammengekniffenen Augen abschätzend entgegen. “Ich weiß nicht, ob es mir beliebt. Kommt drauf an.” grüßte Talwen distanziert zurück - neigte aber ihr Haupt, wahrscheinlich in ihrer Rolle als Vorbild.

“Ihr werdet es mir bekannt machen, da bin ich mir sicher”, gab Ioric mit einem dünnen Lächeln zurück, als er sie erreichte. “Ioric von Krähenfels.”, grüßte er Talwens Begleiterinnen mit der Schwerthand zum Herzen und einem kurzen Nicken, bevor er sich wieder Talwen zuwandte, welcher er mit einer angedeuteten Verbeugung grüßte. “Ich kam nicht umhin, zu bemerken, dass die einzige mit euren Farben bei der Helmschau eure Frau Mutter war…”

“Ja? Tatsächlich? Das liegt wohl daran, dass meine Mutter auch die einzige mit unseren Farben auf der Helmschau war.” entgegnete Talwen belustigt. “Denn, wie Ihr sehen könnt, Herr Ioric, bin ich im Dienst. Einem anderen freilich, wie Ihr ihn sicher erwarten würdet, aber: im Dienst. Ich darf Euch zwei Anwärterinnen für die Grenzwacht vorstellen: Rhiondara Iomhar, Tochter von Schildmeister Arwain Iomhar.” stellte Talwen die Ältere der beiden vor, worauf sich das Mädchen, das bereits sichtbar auf dem Weg zu einer hübschen Frau war, huldvoll verbeugte. Die jüngere tat es ihr daraufhin gleich. Talwen stellte auch sie ordnungsgemäß vor: “Ailynn Vialigh, Tochter der Base meiner Mutter und Enkelin unseres überaus geschätzten Bannerträgers Herrn Edowain Vialigh.”

Das Nicken, mit dem Ioric die Vorstellungen quittierte, war höflich, aber seine Aufmerksamkeit war unverkennbar anderswo. “Verzeiht mir die Frage, aber: Ist etwas vorgefallen?” Sein Blick fixierte Talwen förmlich. “Ihr schient mir nicht eine Frau, die wortbrüchig wird.”

Talwen schmunzelte. „Ich verzeihe euch die Frage. Nur keine Sorge, ich habe nicht vor, euch um das zu bringen, was euch zusteht.” umschrieb sie den Sachverhalt, ohne aber die Prügel als genau solches zu nennen. “Nur leider nicht dieses Mal. Verzeiht mir.“ Dabei sah sie ihren Gegenüber entschuldigend an.

Ioric hob eine Augenbraue. “Wie ihr meint. Ich bin nicht sicher, ob ihr mir gewähren könnt, was mir zusteht...“, antwortete er mit einem dünnen Lächeln. “- aber es ist gut zu hören, dass ihr derlei nicht von anderen für euch erledigen lasst.” Er zuckte mit den Schultern und richtete sich auf. “Was sind es denn für gewichtige Gründe, die euch von eurem Versprechen zurücktreten lassen, wenn ihr die Frage gestattet?”

„Erstens, Herr Ioric, würde ich nie jemanden etwas erledigen lassen, was mich betrifft. Das wäre doch sehr feige, nicht wahr?“ Sie schmunzelte noch immer. „Und zweitens habe ich euch nicht zugesagt, es bei diesem Turnier zu tun. Ich glaube, wir kamen überein, dass es ‚bei einer der nächsten Gelegenheiten’ sein würde. Nun ja, und diese wird sicherlich kommen, meint ihr nicht? Ich hoffe, Ihr seid jetzt nicht allzu enttäuscht. Sonst, hm, würde ich euch zur Milderung eures Grams ein Bier ausgeben. Wäre dies eine Möglichkeit, die euch zusagt? Wir,“ sie deutete auf sich und die beiden Anwärterinnen, die bislang aufmerksam lauschten, auch wenn sie nicht wirklich verstanden, über was die beiden Erwachsenen sprachen, „wollten ohnehin in diese Richtung. Ihr könnt euch uns gerne anschließen.“

Die Enttäuschung in Iorics Gesicht war nur zum Teil gespielt. “Und nun wollt ihr mich in Ungewissheit lassen? Ihr spielt mit meinen Gefühlen, Hohe Dame!” Er grinste. ”Ich denke, ein Bier ist das mindeste, was ich bei euch gut habe.” Er hob den Helm. "Erlaubt, dass wir einen Umweg über mein Zelt machen, es mangelt mir an einem Knappen, dem ich Schild und Helm aufbürden kann.”

Talwen seufzte ob der aus ihrer Sicht völlig überflüssigen Bemerkungen, unterließ es jedoch gerade noch, vor allem bei den letzten beiden Malen mit den Augen zu rollen.

Stumm gab sie den beiden Anwärterinnen einen Wink und beide sprangen herbei, um Schild und Helm abzunehmen. „Ich denke, dass wir Euch für dieses Mal behilflich sein können.“

Mit einem Lächeln und einem dankenden Nicken übergab Ioric erst der jungen Vialigh seinen Helm, bevor er den Wappenschild von der Schulter gleiten ließ und diesen der Älteren übergab. “Sehr freundlich.” Der junge Krähenfelser streckte sich, dann sah er Talwen auffordernd an. “Also dann, Hohe Dame, nach euch!”

Die sah ihn jedoch irritiert an. “Weiß ich denn, wo ihr euer Zelt hingestellt habt? Bitte! Ihr sagtet, dass Ihr MEIN Leben verfolgen wolltet, das heißt aber nicht, dass ICH es mit dem Euren ebenso halte. Lasst uns zusammen dorthin gehen, die Mädchen folgen.” Liebenswürdig deutete sie dem Ritter den Weg.

Ioric wirkte milde irritiert. “Ich kann euch nicht folgen, fürchte ich. Ich dachte der Zweck eures Angebots”, er deutete zu den beiden Mädchen, “,war es euch sofort begleiten zu können - und nebenbei euren edlen Begleiterinnnen in den Pflichten einer Knappin zu üben…” Er machte eine kreisende Bewegung mit der Hand. “Das Lager meines Dienstherren, Brendan Aldewen, zu finden, sollte niemanden vor eine Herausforderung stellen. Jeder, den ihr dort antrefft, wird euch mein Zelt weisen können.” Er seufzte tonlos. “Aber wenn ihr darauf besteht: folgt mir, es ist nicht weit.” Er verbeugte sich mit einer einladenden Geste.

Doch die Vialigh hob einhaltend die Hand, während sie verärgert dreinsah. “Ihr wollt mich wohl missverstehen. Ich sagte nicht, dass - Nein, vergesst es.” Sie zügelte sich.”Gut, nun machen wir daraus gemäß des formidablen Vorschlags des Hohen Herrn eine Übung für Knappinnen! Rhiondara, Ailynn, ihr werdet das Lager des Junkers Aldewen ausfindig machen und dem Herrn von Krähenfels seine Sachen dorthin in sein Zelt bringen. Auf, auf.” scheuchte sie schließlich die Mädchen vor.

Ioric von Krähenfels sah die junge Heckenreiterin einen langen Augenblick lang an, mit einem schwer zu deutenden Ausdruck im Gesicht. Dann lächelte er vorsichtig, während er sich in Bewegung setzte, in Richtung der Tribüne, wo an ein paar aufgespannten Planen Getränke und Pasteten verkauft wurden. “Das war freundlich von euch - auch wenn ihr es womöglich gar nicht beabsichtigt hattet.”

Talwen schloss sich ihm an. “Ihr mutmaßt.”

Er warf ihr grinsend einen Seitenblick zu: “Und ich bitte um Verzeihung, es war nicht meine Absicht euch zu missverstehen.”

“Ach, wisst ihr, interessant wird es sein, was die Leute sagen, wenn bekannt wird, dass Anwärterinnen der Grenzwacht euch Dienste tun. Das wird sicher Fragen aufwerfen. Nachher denkt vielleicht noch irgendwer, ihr hättet der Grenzwacht eine großzügige Spende gemacht oder dergleichen” gab die Vialigh belustigt zu bedenken, während sie an der Seite des Ritters auf den nächsten Bierstand zuschritt.

Ioric lachte laut und herzlich. “Bei allem, was man mir nachsagt, sorgt mich derlei Gerede nun wirklich nicht.” Er zwinkerte Talwen zu. ”Und sollte mich jemand fragen, werde ich einfach sagen ihr wolltet mich ganz für euch alleine haben.”

„Oh das ist eine ganz fantastische Idee! Ihr solltet der Liste an Dingen, die man euch nachsagt, noch den Lügner und den Prahlrik hinzufügen!“ erwiderte Talwen gekünstelt euphorisch, sie blieb dann aber stehen.

Gold für Ruf

Als er sich zu ihr umwandte, sah sie ihn ernst an. „Ich beabsichtige, euch einen guten Rat zu geben. Wollt ihr ihn hören? Oder lieber nicht?“ stellte sie ihn vor die Wahl.

Ioric betrachtete Talwen mit leicht geneigtem Kopf, nun ebenfalls ernst. Er sah ihr direkt in die Augen, hielt ihren Blick für einen Herzschlag, bevor er sanft entgegnete: “Was wäre ich für ein Narr, mich einem guten Rat zu verwehren?”

“Ein Narr, ja. Aber seid gewiss, ich zürne euch nicht, wenn ihr meinen Ratschlag nicht annehmt.” antwortete auch sie für den Moment milder, als er es von ihr gewohnt war. “Es wäre tatsächlich eine schöne Geste - und vor allem eures angeknacksten Rufes wegen eine Möglichkeit, euch etwas ins rechte Lichten zu rücken, wenn Ihr den Männern und Frauen vom Hreodwulfs Wacht ein Geschenk machtet. Ihr bräuchtet nichts fürchten, könntet jedoch ein gutes Werk tun und hättet einen schönen Grund, warum ihr euch mit mir und den Anwärterinnen zeigt.” Sofern man es wollte ließ sich in den Worten der Vialigh Weitsicht, Entgegenkommen und, ja, auch Mitgefühl heraushören.

Ioric schien kurz zu überlegen, dann begann er leise und überlegt zu sprechen: “Ihr verkennt womöglich meine Situation. Mein Herr ist vermögend, sogar mehr als viele, die im Rang über ihm stehen. Niemand weiß das besser als ich. “ Er lächelte kurz. “Und er entlohnt mich gut für meine Dienste. Aber Kleidung, Stiefel und Alkohol werden mir nicht geschenkt, geschweige denn die Notwendig- und Eitelkeiten des Ritterdaseins. Es gibt also wenig, was ich euch bieten kann.” Kurz schien es hinter der Stirn des jungen Krähenfels zu arbeiten, dann huschte ein Lächeln über seine Züge. “Ich wäre aber bereit jede Goldmünze, die ich in dieser Turney gewinne, Löse- oder Preisgeld, euch für die Eurigen zu überlassen.” Er lächelte breit.

“Das wäre durchaus etwas Erwähnenswertes.” entgegnete die Vialigh ernsthaft anerkennend und freudig. “Hätte ich nicht schon gesagt, dass ich euch ein Bier ausgebe, wäre dies ein schöner Anlass.” Anschließend deutete sie voraus und setzte sich in Bewegung.

“Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir die Vorstellung, dass ihr mir nun ein klein wenig den Sieg wünschen werdet, wenn ich streite.” Zufrieden folgte Ioric Talwen, die daraufhin erheitert auflachte, in kurzem Abstand.

“Oh, bildet euch da mal bloß nichts ein, Krähenfels.”

Am Bierstand angekommen, orderte Ioric “Ein Helles bitte!”, bevor Talwen sich selbst “Ein Dunkles!” bestellte und beide wie versprochen zahlte, um anschließend einen Stehtisch anzupeilen, welcher etwas abseits stand. Dass sie dabei zwangsläufig anderen Turnierteilnehmern begegneten, die sich hier ebenfalls eine Erfrischung gönnten, störte die Vialigh nicht. Und wenn, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Stumm nickend grüßte sie mal hierhin, mal dorthin. Denn die Kleidung der Heckenreiter war bekannt und so mancher neigte huldvoll das Haupt.

Nur die beiden jungen Heckenritter, von denen einer das Wappen der Schrötertrutzens trug und die am Nebentisch standen, sahen die junge Frau in ihrem mit Stickerei versehenen grünen Rock fragend an, als diese sich mit ihrem Begleiter zu ihnen gesellte. Weder Wappenrock, noch Wimpel tragend, noch den Eindruck eines Edelfräuleins machend, wussten die Kerle die Vialigh ganz offensichtlich nicht einzuordnen. Ioric kam nicht umhin zu bemerken, dass der anfänglichen Verwirrung schnell männliches Interesse folgte und somit auch der eine oder andere abschätzende Blick hin zu ihm.

Ioric begegneten ihren Blicken mit einem selbstsicheren Lächeln im Mundwinkel, während er die beiden Ritter mit der Andeutung eines Nickens wortlos grüßte.

Auch Talwen zeigte den beiden Fremden einfach die kalte Schulter, in dem sie ihnen nicht mehr als ein höfliches Nicken der Etikette wegen entgegenbrachte. Am Stehtisch abgekommen hob sie den Humpen und sprach: “Dann mal auf eure Siege!"

Ioric lächelte, hob sein Getränk grüßend und trank.

Loyalitäten und Bier

Anschließend sah Talwen ihn skeptisch an. „Herr Ioric, ich würde gerne auf etwas zurückkommen, was ihr zu Beginn unseres Gesprächs sagtet: Ihr machtet kurzzeitig den Eindruck, als würdet ihr mich für jemanden halten, der andere ausschickt, um meine Sachen zu regeln. War das euer Ernst?”

“Ich scherzte.”, antwortete Ioric ohne zu zögern. “Genau genommen wäre ich zutiefst entsetzt ob meiner Fehleinschätzung eurer Person, sollte sich derlei bewahrheiten.” Er lehnte sich auf den Tisch zwischen ihnen und beugte sich vor, als er leise fort fuhr: “Aber sagt mir doch, wie kommt es dazu, dass ihr eure Angelegenheit nicht selbst regelt, hier und heute?”

Indem sie schmunzelnd erst einmal genüsslich einen Schluck nahm, ließ sie ihn warten. “Befehle. Ganz einfach.” erklärte sie dann trivial. Dass sie keine Erlaubnis besaß, sich mit dem Krähenfels anzulegen, und dass sie sich ihrer Mutter, was dies anging, momentan lieber fügte, als diese durch Widerworte in deren Suche nach einem Gemahl für Talwen nur noch zu bestärken, hatte den Ritter nun wirklich nichts anzugehen. Auch nicht, dass sie sich ganz bewusst für den Dienst in Bredenhag gemeldet hatte, um während des Turnierspektakels immer wieder bei selbigem vorbeischauen zu können. Nicht nur, um zu sehen, wie sich ihre Mutter schlug. Oder deren ehemaliger Knappe, der junge Flanarag, den Talwen selbst sehr gut kannte und auch ganz gern mochte. Sie kam selbstverständlich auch her, um jene Männer, welche ihre Mutter möglicherweise gerne an ihrer Seite sehen würde, im Kampf zu beobachten. Deren Scheitern würde ihr Herz höher schlagen lassen als jedes minnigliche Wort.

Ioric richtete sich auf und quittierte die einsilbige Antwort mit einer gehobenen Augenbraue, verzichtete aber darauf, weiter zu bohren, auch wenn es offensichtlich war, dass er seine eigenen Schlüsse aus dem Ungesagten zog.

“Ihr habt mir doch selbst erst noch erklärt, dass man diese nicht infrage stellt.” Diese Spitze konnte sie sich nicht verkneifen. “Erlaubt mir bitte noch zu sagen, dass ihr seltsame Scherze macht.”

“Ja, es ist mir nicht verborgen geblieben, dass wir womöglich dazu neigen einander falsch zu verstehen.”, bemerkte Ioric mit einem Schmunzeln. “Im Übrigen meinte ich nicht, dass es inakzeptabel wäre einen Befehl in Frage zu stellen,” er hob den Krug erneut, sah Talwen über den Rand an, “nur, dass Loyalität manchmal bedeutet, ‚zu tun wie einem geheißen‘.” Er trank einen großen Schluck.

„Hm, ja,“ erwiderte sie. Doch dass sie nicht gänzlich mit ihm gleicher Meinung war, sah er an ihrer gefurchten Nasenwurzel, als er wieder aus seinem Krug zu ihr hinüber sah. „Eure Sicht von Loyalität kenne ich bereits…. Es wäre aber zu viel des Guten, wenn wir darüber diskutieren würden, denn meine Ansicht ist ein wenig anders. Außerdem bin ich euch keine Rechenschaft schuldig.“

“Das seid ihr nicht.”, versicherte ihr Ioric. ”Wir sind auch keine Freunde, es gibt nichts was uns einander verpflichtet und das einzige was wir teilen ist unser Stand. Soviel habt ihr bereits deutlich gemacht.”, kurz huschte ein bitterer Zug über sein Gesicht, bevor sich seine Züge wieder glätteten. “Ich bitte um Verzeihung.”

Bei sich bemerkte Talwen, dass sie es seltsamerweise ganz gerne mochte, wenn er sich bei ihr immer für alles entschuldigte. „Schon gut. Ich muss euch allerdings berichtigen.“ Einen Augenblick wartete sie seine erste Reaktion ab - das Spiel seiner Brauen. Er ließ gerne eine nach oben gleiten, so auch dieses Mal. Dann fuhr sie mit einem inneren Schmunzeln fort: „Da gibt es neben unserem Stand doch etwas, was wir mehr oder weniger teilen.“ Und sie hob ihren Humpen. „Es scheint, wir trinken beide gern. Und ihr seid übrigens als nächstes an der Reihe zu zahlen - Sofern ihr denn noch Zeit und Muße habt, euch mit mir zu zeigen.“ Mit einem kecken Schmunzeln sah sie ihn herausfordernd an. „Ich meine, wegen dem, ‚was man euch dann vielleicht so nachsagt‘, und so.“ benutzte sie seine eigenen Worte.

Für ein paar Herzschläge sah Ioric die Erbin von Unkengrund schweigend an, seine Augen schwer zu lesen, im Mundwinkel der Schatten eines Lächelns. Dann nickte er und grinste: “Ich könnte es wahrlich schlechter treffen als mit euch, was die Gesellschaft angeht. Erlaubt mir also für die nächste Runde aufzukommen, Hohe Dame.” Er ließ den Rest seines Getränks mit einer geschickten Bewegung des Handgelenks im Humpen umherkreisen, bevor er ihn mit einem langen Zug leerte. Auffordernd sah er Talwen an.

Die kippte ihren eigenen Rest in die Kehle und gab ihm ihren Humpen.

Ioric lächelte und wackelte mit den Krügen. “Gebt mir einen Moment, ich bin gleich zurück! Mehr vom gleichen, nehme ich an?”

“Gern.”

Es dauerte nicht lange und er kehrte zurück, die Getränke balancierend. Mit einer Verbeugung überreichte er einen der Humpen, bevor er den seinen erhob. “Also dann, auf das, was uns verbindet?”

„Auf Loyalitäten und Biere.“ schlug Talwen ihrerseits vor und erwiderte den Trinkgruß in derselben Weise.

Die (unbeabsichtigte) Verabredung

Ioric trank einen langen Zug, bevor er sein Trinkgefäß vor sich abstellte. Dann sah er zu Talwen hinüber und für einen Moment schien es als wollte er etwas sagen, doch schloss er den halb geöffneten Mund wieder. “Ich habe doch wohl euren Begleiterinnen nicht zu viel zugemutet?”, begann er einen Augenblick später mit Blick in die Zeltstadt.

Talwen lachte auf. “Nein. Die werden sicher schon ganz in der Nähe lauern, weil sie sich nicht hertrauen.“ Belustigt über die beiden Mädchen, andererseits über seine Bemerkung prostete sie ihrem einstigen Peiniger noch einmal zu, ehe sie ernster wurde. “Herr Ioric, ihr seid wahrlich ein Mann, der etwas sagt, auch wenn er nichts sagt. - Hört mal, wenn es denn euch gar so unangenehm ist, hier mit mir zu trinken, dann macht doch einen Vorschlag, wo und wann es euch angenehmer wäre, dann führen wir unser …Gespräch… anderweitig fort und ihr müsst hier und jetzt keine Wörter schlucken, die euch später vielleicht im Hals stecken.” sagte sie und machte deutlich, dass sie Bescheid wusste, aber ihm ebenso die Möglichkeit geben würde, sich offen zu äußern. “Soll niemand sagen, ich würde euch nicht zu Wort kommen lassen.” Obgleich vor einem ernsten Hintergrund gesprochen schloss sie mit einem Lächeln.

Ioric erwiderte dieses, schien aber kurz unsicher, was er antworten sollte. “Es ist mir nicht unangenehm mit euch zu trinken, vergebt mir, wenn ich diesen Eindruck auf euch gemacht habe.” Dann schien er wieder seine Mitte gefunden zu haben. “Es sieht euch ähnlich, von mir Offenheit zu fordern, nur um dann Anstoß zu nehmen, wenn ich sie euch gewähre.” Aufmerksam sah er sie an. “Frau Talwen, habt ihr mir gerade ein vertrauliches Treffen angeboten?”, fragte er leise.

Talwen lachte belustigt auf. “Na werdet mal nicht übermütig! Ich biete euch nur Gelegenheit, das eine oder andere zu erklären, ohne dazu in aller Öffentlichkeit zu stehen, und nicht ein Treffen im Madaschein!”

Ioric legte sich in augenscheinlich gespielter Betroffenheit die Hand auf die Brust. “Wirklich? Bedauerlich.” Lächelnd schüttelte er den Kopf. ”Dabei hatte ich eine Flasche vorzüglichen Mhôrnoch in meinem Besitz, den ich womöglich bei einer solchen Gelegenheit mit euch teilen könnte. Aber wenn ihr auf ein Treffen im Anstand des Praioslichtes besteht, wird sich dafür wohl keine Gelegenheit finden.” Er trank einen kurzen Schluck und sah wie ihr Gesicht ernste Züge annahm.

“Ihr solltet wirklich aufhören, mir die Worte im Mund zu verdrehen." Dann aber beugte sie sich vor, um diesmal ihrige Stimme zu einer leiseren Erwiderung zu senken. “Wisst ihr, wenn ich es mir recht überlege…meiner Mutter und eurem Vetter scheint es zu gefallen, wenn sich unsere Häuser annähern. Verkennt mein wohlgemeintes Entgegenkommen bitte nicht, doch vor dem eben genannten Hintergrund würde es womöglich beide recht erfreuen, zu hören, wenn wir diese Flasche gemeinsam leeren. Und uns dabei ganz lassen.” raunte sie höflich, aber in ihren Augen blitzte es herausfordernd.

Ioric senkte den Blick, gerade lang genug, dass es als Entschuldigung gelten durfte, aber als er den Blick wieder hob war weder das Blitzen in seinen Augen, noch das Lächeln in seinem Mundwinkel verschwunden. “Ist dem so? Ich habe wenig Einblick in Carans Wünsche und Ziele, und was eure Mutter angeht, glaube ich, sie würde euch lieber bei diesem Nichtsnutz Farranar wissen als in meiner Gesellschaft… Ungeachtet dessen seid willkommen mit mir die Siege und Niederlagen der kommenden Tage zu erörtern und zu begießen.” Sein Lächeln wurde breiter. ”Ihr habt auch mein Wort, dass ich euch ganz lasse.”

„Das ist überaus nett. Etwas anderes hätte ich euch auch nicht geraten. Schwebt euch für diese gesellige Runde ein bestimmter Ort und eine bestimmte Zeit vor?“

“Sagen wir am Abend nach den leichten Handwaffen. Ich werde am folgenden Wettstreit mit der langen Klinge nicht teilnehmen, falls der Abend länger wird. Nach dem Buhurt ist es immer schwer die Ruhe für so etwas zu finden.”, antwortete Ioric nach kurzem Bedenken.

„Gut. “ kam es von Talwen abgeklärt. „Wo?“

“Ich würde euch natürlich in mein Zelt laden, wenn euch der Anschein nicht stört, bin aber gerne bereit euch anderswo zu treffen.”

„Ihr meint den Anschein darüber, dass wir etwas miteinander hätten?“ fragte sie frei heraus, die Augenbrauen nach oben gezogen, ein heiteres Lächeln auf den Lippen. „Ist ja nicht aus der Luft gegriffen. Haben wir doch auch,“ beantwortete sie die Frage gleich selbst, indem sie belustigt den Kopf schüttelte und die Schultern hob. „Obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht weiß, wie dieser Umstand zu betiteln ist. Fehde? Ehrenhändel? Geschäft? Was meint ihr, welche Bezeichnung würde unseren Freunden mit den langen Ohren für ihren Tratsch gefallen?“ Da die Vialigh die beiden fremden Heckenritter vom Nebentisch allerdings für absolut unbedeutend hielt, hatte sie darauf verzichtet, bei ihren Worten die Stimme zu senken. Im Grunde war es ihr sogar ganz recht, wenn diese Nordmärker sie hörten. Vielleicht machten sie sich ja dann aus dem Staub.

Ioric schwieg für einen Moment, zum einen um Talwens Worte wirken zu lassen, zum anderen um sie mit einem langen Blick zu mustern. Im Gegensatz zu Talwen senkte er seine Stimme: “Ich denke, die Worte eures ‚Versprechens‘ könnte man als eine Fehdeerklärung auffassen.” Er lächelte.”Was mich angeht, so bin ich noch nicht sicher…”

„Ah!“ machte sie überrascht. „Verzeiht mir die neugierige Frage, doch was fehlt, damit ihr euch sicher seid? Vielleicht kann ich ja …aushelfen.“ Das letzte sprach sie nicht ohne ein Auflachen.

Ioric grinste. “Hohe Dame, doch nicht vor all den Leuten!”, antwortete er mit gespieltem Entsetzen.

„Ah!“ machte sie noch einmal und nickte tolerant. „Verzeiht. Dann hoffe ich, dass ihr es mir beizeiten bei eurem guten Mhôrnoch erläutert. Dies und alles andere…ihr wisst schon.“

“Sicherlich. Nehmt mich beim Wort.” Grüßend hob Ioric seinen Krug Bier und sah die junge Heckenreiterin belustigt an, bevor er einen großen Schluck nahm.

„Ja, das werde ich. Verlasst euch drauf.“ antwortete Talwen, dann trank auch sie einen großen Schluck. Als sie wieder absetzte: „Dann haben wir also erneut eine Übereinkunft?” Mehr eine Feststellung als Frage. “Mir scheint, dies wird uns zur Gewohnheit.“ lachte sie mit Gedanken an die nicht wenigen letzten Vereinbarungen. Angefangen bei einem Friedenspakt, um Hochzeiten, auf denen sie zu Gast waren, nicht zu stören, weiter über etliche Zusagen und Versprechungen, die letzte, ihn bei seinem just zuvor gegebenem Wort zu nehmen, eben erst ausgesprochen.

Ioric zuckte lächelnd mit den Schultern, dann nickte er: “Damit habt ihr wohl recht.”

Mit kühnem Blick schwenkte sie daher ihren Bierkrug. “Hm, Ihr solltet euch im Klaren sein, dass es sicherlich nicht unbemerkt bleibt, wenn ich dann zu euch komme. Es wird Gerede geben.” Eigentlich hätte sie sagen sollen ‘WIR sollten uns im Klaren sein’, aber Talwen fand es war netter, es auf den Krähenfels abzuwälzen.

Ioric zuckte erneut mit den Schultern, unbeeindruckt: “Es gibt immer Gerede. Hat euch das jemals aufgehalten?”

“Punkt für euch.” Musste sie zugeben und nickte dabei. “Aber was werdet ihr Wohlgeboren Aldewen sagen, aufgrund welcher Sache ihr mich einludet? Aufgrund unserer Vergangenheit könnte ihn das bestimmt interessieren.” Sie musterte dabei Iorics Reaktion. Angst vor Tratsch besaß sie selbst nur wenig, denn es lagen aus ihrer Sicht genügend Gründe für sie vor, der Einladung zu folgen. Beispielsweise die Politik ihrer Mutter. Nicht zuletzt, dass sie den Krähenfels als Geldgeber für die Grenzwacht gewonnen hatte - was sie natürlich nun auf einen Sieg bei den Leichten Handwaffen hoffen ließ.

Ioric machte einen abwehrende Bewegung mit der freien Hand. “Wohlgeboren Aldewen ist mein Dienstherr, er ist weder meine Amme, noch bin ich sein Erstgeborener. Er vertraut darauf, das mein Handeln seine Interessen respektiert. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es ihn sonderlich kümmert, wen ich wann und wozu treffe, so lange es seine Angelegenheiten nicht berührt.” Für einen Moment schien er zu überlegen. “Sollte er fragen, wäre meine Antwort: Weil ich eure Gesellschaft wünschte.” Er lächelte und hob erneut den Humpen zum Mund, wobei er Talwen nicht aus den Augen ließ.

So sah er, wie sich ihr Gesichtsausdruck von Überraschtheit zu Unbehagen wandelte. Begleitet von einer feinen Röte ihrer Wangen, welcher sie sich, anders als seinen Worten, nicht erwehren konnte. “Seid ja vorsichtig mit dem, was ihr euch wünscht,” brummte Talwen, und griff ebenfalls nach ihrem Krug, um sich den Rest des Inhalts kurzerhand in die Kehle zu kippen. Den leeren Krug geräuschvoll auf den Tisch stellend behielt sie das Wort: “So. Ihr müsst mich jetzt entschuldigen, Herr Ioric. Ich werde nun nach meinen Mädchen sehen, denn es verlangt wieder die Pflicht nach mir. Wir haben ja alles besprochen, was es zu besprechen gab. Nicht wahr?” Zweifelsohne keine Frage. “Im Namen meiner Kameraden und Kameradinnen, habt noch einmal Dank für die Aussicht auf eure freundliche Spende, und das Bier.” erklärte sie geradezu diplomatisch und deutlich gefasster, als noch eben.

Ioric nickte, ein zufriedenes Lächeln auf den Mundwinkeln. “Bestellt den jungen Damen Iomhar und Vialigh meinen verbindlichsten Dank für Ihre Dienste.”

„Tue ich,“ schloss die Heckenreiterin, schon im Aufbruch begriffen, blieb dann aber noch für einen Herzschlag stehen, offensichtlich einen Frage auf den Lippen, die sie jedoch für sich behielt. Stattdessen nickte sie zum Abschied höflich. „Wünsche noch einen schönen Tag und gute Wettkämpfe. Rondra mit euch, Krähenfels.“ Dann wandte sie sich ab, verließ den Stehtisch und verschwand schon bald darauf in der Menge.

“Die Zwölfe mit euch”, murmelte Ioric, noch eine geraume Weile ihr hinterherblickend, ehe er den Rest seines Getränks leerte.

Ioric, die Nordmärker und der Minne-Wettstreit (direkt im Anschluss)

Eine Frage unter Kameraden

Während Ioric noch der streitbaren Ritterin nachsah, deren bemerkenswert plötzlicher, fast fluchtartiger Abgang ihn mit einer ganzen Menge Fragen zurückließ, vernahm er Bewegung im Augenwinkel und nur einen Augenblick später standen die beiden Jungritter vom Nebentisch vor dem Krähenfelser.

„Herr…Ioric?“ fragte der größere der beiden, ein junger Kerl von drahtiger Figur. Sein dunkelblondes schulterlanges, leicht gewelltes Haar hinter die Ohren geschoben und das Gesicht kahl rasiert, neigte er huldvoll das Haupt vor dem älteren Ritter, dessen Name er wohl aus den bisherigen Gesprächen aufgeschnappt hatte. Zumindest waren sie sich noch nicht persönlich begegnet. Lediglich vorhin auf der Helmschau, aber Ioric hatte die beiden Fremden nicht wahrgenommen. Dabei waren die zwei Nordmärker keine Unbekannten. Auf dem Bredenhager Burhurt vor zwei Götterläufen waren sie schon einmal angetreten, mit erst frisch angelegten Sporen hatten sie dort sogar von sich Reden gemacht, als der eine die Dame Efferlil ni Riunad und der andere die Seenländer Baronin Alana ni Channon galant wie wortreich vor dem Lanzengang minnte. Diese Kühnheit hatte ihnen Aufmerksamkeit eingebracht, nicht nur bei ihren Nordmärker Landsleuten.

Ioric selbst war zwar dem letzten Buhurt ferngeblieben, er hatte aber davon gehört. Das waren also diese beiden.

„Ich bin Ellian von Schrötertrutz aus der Gräfinlande Albenhus, und das ist mein Schwertbruder Aureus von Moosgrund aus Gratenfels,“ stellte der junge Mann sich und seinen Begleiter selbstbewusst vor, während er eine freche Strähne zurück hinters Ohr schob. Der vorgestellte neigte grüßend das Haupt, er war ein Kerl von mittelgroßer muskulöser Gestalt mit breitem Kreuz, leicht krummer Nase, markantem Kiefergelenk und dunklem glänzendem Kinnbart, den er sich wohl wachsen ließ, um kühner zu wirken, und den er mit Fett in Form brachte. Er stellte auf’s Stichwort hin zwei Krüge auf den Tisch, wovon er einen sogleich in die Mitte des Stehtisches schob. Ioric kam nicht umhin zu bemerken, dass der Schrötertrutz seinen eigenen Krug noch in der Hand hielt.

„Wie ihr sicherlich bemerkt habt sind wir aus dem Herzogtum Nordmarken angereist, um bei dieser Turney dabei zu sein.“ erklärte der Schrötertrutz überflüssiger Weise, denn dass sie keine Albernier waren, sah und hörte man den beiden jungen Männern nicht zuletzt an.

„Bitte, verzeiht, dass wir euch einfach ansprechen. Wir haben gesehen, dass ihr zwei Bier mit eurer reizenden Begleiterin trankt und da sie euch nun plötzlich verlassen hat, dachten wir, dass wir euch fragen, ob ihr mit uns ein weiteres trinkt. Wir, hm, hätten da nämlich eine Frage an euch, sofern ihr sie uns gestattet.“

Ioric hatte die beiden Nordmärker während ihrer Vorstellung freundlich, aber unverbindlich lächelnd gemustert und nickte ihnen nun jeweils knapp zu. “Der Siegschenkerin zum Gruße. Ich bin Ioric von Krähenfels. Euer in Kameradschaft gebotenes Bier nehme ich gerne an -”, Ioric griff nach dem Humpen in der Mitte des Tisches, “- und Kameraden ist natürlich jederzeit eine Frage gestattet.” Er grinste.

Die beiden warfen sich einen zufriedenen Seitenblick zu, hoben ihre Getränke und prosteten Ioric zu.

“Auf eine der Leuin wohlgefällige Tureney,” sprach der Schrötertrutz wohlklingend.

“Und die Begegnungen - nicht nur auf dem Sandplatz.” wusste der Moosgrund zu ergänzen.

“Wohl gesprochen!” Ioric hob ebenfalls sein Bier.

“Ja…Und genau an diesem Punkt schließt sich unsere Frage an,” begann der Schrötertrutz, Ioric vorsichtig musternd, dann aber genauso selbstbewusst wie zuvor: “Nun, wir kamen nicht umhin zu bemerken, dass eurer eben entfleuchten Begleiterin ein Liebreiz innewohnte, der die Aufmerksamkeit unserer von Rondra und Rahja beseelten Herzen erregte. Und wir kamen überein,” - Der Moosgrund nickte zustimmend, als sein Freund ihn ansah - “dass eine so bemerkenswerte, den Herrinnen Rondra wie auch Rahja wohlgefällige Streiterin es in unseren Augen mehr noch als andere verdiene, dass man ihr nicht nur Kämpfe sondern auch Worte widmet. Und vielleicht auch den einen oder anderen Krug.” Seine Worte klangen etwas gestelzt, aber möglicherweise sprach man in den Nordmarken so. “Leider sahen wir sie vorhin nicht unter den Teilnehmern. Auch ihren Wappenrock können wir beim besten Willen nicht zuordnen - und da wollten wir euch fragen, werter Herr Ioric, ob ihr uns freundlicherweise verraten könntet, mit wem ihr es da zu tun hattet.” formulierte der Schrötertrutz sehr charmant, dass er und sein Freund offensichtlich Gefallen an der Vialigh gefunden hatten - egal wie nieder die Triebe waren, welche die beiden jungen Nordmärker motivierten. “Kurz um: wer war sie? - Aber, verzeiht, wir wollen niemanden auf die Füße treten. Daher, sofern ihr vorhabt, sie selbst zu minnen, würden wir euch selbstverständlich den Vortritt lassen. Schließlich sind wir nur Gäste.” schloss der junge Mann seine Anfrage, der andere blickte nun ebenfalls sehr erwartungsvoll.

Ioric hatte aufmerksam zugehört, sein Gesichtsausdruck freundlich, aber unverbindlich. Dem Angebot des Ritters begegnete er mit dem Anflug eines Lächelns, ging aber zunächst nicht weiter darauf ein. “Die Hohe Dame trägt die Farben und Tracht der Gräflich Bredenhager Grenzreiter, der Bluthunde des Grafen, wenn ihr es so wollt.”, erklärte er ruhig.

“Bluthunde?”, murmelte der andere und spielte nachdenklich mit seinem Bart. “Ist sie also eine Ritterin am Grafenhof?”

Ioric nickte, wirkte aber nicht vollständig überzeugt. “Die Grafengarde..., stellte er richtig.

Der Nordmärker nickte beeindruckt.

”Ihr Name ist Talwen Vialigh, sie ist die erstgeborene Tochter der Herrin von Unkengrund, Leanna Vialigh. Ihr habt sie womöglich bei der Helmschau gesehen, ihr Wappen ist blau, quer geteilt durch einen roten Aal.” Er genehmigte sich einen Schluck vom Bier. “Sollten eure Absichten vom reinen Ideal der hohen Minne abweichen, wäre es angeraten, ihre Billigung zuvorderst einzuholen.” Er musterte die beiden Nordmärker Streiter mit einem wissenden Blick, ehe er das Bier grüßend hob und erneut trank.

Über die Minne

Seine beiden Gegenüber sahen ihn und sich selbst etwas verwirrt an. Augenscheinlich hörten die jungen Ritter davon zum ersten Mal. “Ist das hierzulande üblich?” fragte der Schrötertrutz interessiert nach. “Beziehungsweise bräche man denn irgendwelche Regeln, wenn man es nicht täte?” Der Geist des jungen Heckenritters schien sich schon nach einem Schlupfloch umzusehen.

Auch sein Kamerad hatte sich rasch wieder gesammelt. “Wir wollen schließlich niemandem Ärger bereiten.” sagte dieser. Dabei war auch der Moosgrund in seinem Interesse durchschaubarer, als es ihm höchstwahrscheinlich bewusst war. Beide waren wie all jene jungen Heckenritter, die auf Turnieren stritten, um sich zu beweisen. Sie taten dies, um nicht nur Erfahrungen und Kontakte zu potenziellen Dienstherrn, sondern in erster Linie Damenherzen zu sammeln, diese mit Freude zu füllen, doch am Ende mit Leid zu hinterlassen, wenn sie auf der Suche nach Anerkennung zum nächsten Turnier weiterzogen. Oder wieder nach Hause.

“Üblich?” Ioric zuckte mit den Schultern. “Die Hohe Dame ist frei darin, wem sie Herz, Gunst oder Aufmerksamkeit schenkt. Ich wollte euch bloß raten, dass derlei Interesse wohl nicht unbemerkt bliebe.” Er lächelte. ”Wenn euch derlei Komplikationen aber nicht schrecken…”

Dem Schrötertrutz kratzte sich an der Wange. “Ihr sagtet doch eben, es obläge der Hohen Dame, ihre Gunst zu verschenken. Das heißt also, für die Hohe Minne braucht es keine Erlaubnis des Oberhaupts, aber sollten wir andere Absichten haben, dann schon, richtig? Eigentlich dachte ich, die Mündigkeit beginne auch in Albernia mit der Schwertleite…. Mit Verlaub, in den Nordmarken handhaben wir dies etwas anders.” Lachte er schließlich, dann wurde der junge Mann wieder ernst: “Das war kein Scherz von euch. Oder?” prüfend sahen beide den Krähenfels an.

Ioric unterdrückte den Impuls mit den Augen zu rollen und schüttelte stattdessen den Kopf. “Die Frau Talwen ist frei und mündig. Ich wollte euch nur nicht vorenthalten, dass eure Bemühungen vermutlich auch das Interesse ihrer Frau Mutter wecken werden, immerhin ist sie die designierte Erbin.” Er nippte an seinem Getränk. “Ich nannte euch die Hohe Minne weil ich es für unwahrscheinlich halte, dass jemand an ihr Anstoß nehmen könnte - und ein wenig um eure Absichten zu prüfen.” Er schmunzelte.

Während der große Schlanke deutlich erheitert ein paar Mal mit dem Zeigefinger in Iorics Richtung deutete. “Ah, da habt ihr uns aber eben dran gekriegt. Nicht schlecht. Ich mag euch.”

“Aber ich bin neugierig: Wie unterscheiden sich die Gebräuche eurer Heimat von den unseren?” Fragte der Krähenfels.

Kurz blickten sich die beiden Jungspunde an.

“Naja,” erklärte dann der Schrötertrutz lächelnd mit einem Schulterzucken, “wenn einem bei uns zuhause ein holdes Fräulein gefällt, umwirbt man sie einfach.”

Sein Freund gab ihm nickend recht. “Hohe Minne ist nicht so verbreitet.” Dabei machte der Moosgrund nicht unbedingt den Eindruck, als störe ihn dieser Umstand.

“Und um das andere zu erklären:” nahm der Schrötertrutz wieder das Wort auf. “Bei uns muss man in den allermeisten Fällen nur das Oberhaupt des Hauses um Erlaubnis bitten, wenn die junge Dame, der man seine Gunst schenken möchte, noch unmündig ist. Wenn man Ritterinnen freit dann selbstverständlich nicht! Die können ja für sich selbst sprechen. Aber je nachdem, von welcher Herkunft die Dame ist, mag es der Etikette gefallen, sich die Erlaubnis der Familie einzuholen. Die kann aber dann auch von ihrem älteren Bruder kommen. Oder so ähnlich.” stellte der Blonde klar. Der andere war redefauler.

“Trefflich, dann verstehen wir ja einander!” Ioric nickte zufrieden. Er beugte sich verschwörerisch zu den beiden Nordmärkern. “Unter uns: Ich finde, jenen, die die Hohe Minne preisen, haftet häufig etwas Selbstgefälliges an.” Er richtete sich wieder auf. “Aber ihr habt sicher recht, ihre Praxis ist wohl dieser Lande üblicher, als sie das bei euch ist - Vermutlich, weil wir die besseren Ritter sind.” Er grinste breit und hob den Krug.

“Aber jetzt, jetzt scherzt ihr wirklich!” entgegnete da der Schrötertrutz lachend, doch sichtbar in seiner Ehre gepackt. “Wollt ihr es drauf ankommen lassen?” In den Augen des jungen Mannes blitzte nicht nur der Schalk, sondern auch Wettkampfgeist auf. “Wie wäre ein Wettstreit, hm, sagen wir in der Minne? Ihr gegen uns.” Dabei lehnte sich der junge Rittersmann mit dem Ellbogen auf und tat seinerseits verschwörerisch. “Wer eurer Bluthund-Freundin zuerst einen Kuss abringen kann. Waffen: nur Worte, singen ist erlaubt. Aber kein Alkohol oder andere Geschenke. Und der Gewinn: der Titel ‘Meister der Minne’ - oder habt ihr etwas Handfesteres im Sinn?” Sodann hob auch der junge Mann wieder seinen Humpen, diesmal wartete er jedoch, dass der Albernier seinen dagegenschlug.

Verstörende Selbsterkenntnis

Für einen Moment zeigte sich ein spöttische Lächeln auf Iorics Lippen und er hob den Krug um ihn schwungvoll mit dem Dargebotenen zusammenzubringen, aber auf halber Strecke schien er zu zögern und so ließ die Berührung ihrer beiden Getränke Schwung missen. Für einen Augenblick schien Iorics Blick ins Leere zu gehen, ehe er sich wieder fing und mit einem Lächeln den Kopf schüttelte: “Bedaure, aber ich werde eure Herausforderung ausschlagen.” Kurz lag ein säuerlicher Ausdruck auf seinem Gesicht, welchen er aber, wohl zusammen mit seinem Stolz mit einem Schluck Bier hinunterspülte.

Die beiden Jungritter blickten erst erstaunt, dann belustigt. “Herr Ioric, warum plötzlich so zurückhaltend? War der Vergleich nicht eure Idee?” fragte der Schrötertrutz und seine Augen musterten den Kontrahenten, der nun keiner mehr war, weil er zurückgezogen hatte, eingehend.

“Bei uns würde man jetzt sagen: ihr gackert, aber legt am Ende doch kein Ei.” schnitt sein Kamerad grinsend in dieselbe Kerbe. Gerade der Moosgrund machte den Eindruck, dass ihm die Absage des Krähenfels ganz gut in den Kram passte. “Naja, jedem das Seine, was?” kommentierte jener schulterzuckend, bevor er mit zufriedenem Lächeln einen tiefen Schluck zu sich nahm.

“Ja, tatsächlich machtet ihr den Eindruck, als hättet ihr mehr Schneid.” Die Augen des Schrötertrutz lagen weiterhin herausfordernd auf dem Älteren. “Dann gebt ihr sicherlich zu, dass wir Nordmärker die mutigeren Ritter sind.”

Ioric mühte sich, sich von den durchschaubaren Spielchen der beiden Nordmärker nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. “Wir beide haben - eine Vorgeschichte,” erklärte er flach.”Ihr würdet doch nicht euren Sieg schmälern lassen wollen durch ungleiche Voraussetzungen, oder?”

Der Schrötertrutz nickte höflich. “Euer Entgegenkommen ist mehr als freundlich, doch macht ihr mich neugierig. Was für eine Vorgeschichte ist das?” fragte der junge Mann interessiert.

“Wir standen auf unterschiedlichen Seiten während einer Fehde. Sie war noch eine Knappin und ich nahm sie und ihren Schwertvater gefangen.”, berichtete Ioric knapp mit einem Schulterzucken.

“Eine Fehde, sagt ihr? Das klingt interessant. Naja, wie es aussieht scheint sie euch daraus nichts nachzutragen. Sonst würde sie sich ja nicht mit euch zum Biertrinken treffen, oder?” mutmaßte der junge Rittersmann. “Also - was hindert euch dann daran, euch mit uns zu messen?”

Ioric lachte laut und glucksend auf. “Nur die Götter können in die Köpfe der Menschen sehen und ich bin mir ziemlich sicher bei ihr tun sogar sie sich schwer.” Grinsend machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand. “Macht daraus was ihr wollt, aber ich werde euch wohl das Feld überlassen.”

Der Schrötertrutz trank alsodann einen Schluck und fixierte anschließend Ioric noch einmal musternd, aber durchaus anerkennend. “Ihr seid ein ehrlicher Mann, Herr Ioric, das muss man euch zu Gute halten”, fügte der Schrötertrutz nickend hinzu, bevor er Ioric noch einmal zuprostete. “Na schön. Dann fechten wir das unter uns aus,“ er meinte damit sich und seinen Freund, „und trinken mit euch auf das, was in den Köpfen der Damenwelt so vorgeht und darauf, dass es uns ein ewiges Mysterium bleiben wird. Uns und selbst den Göttern.” kam es von dem jungen Mann, welcher Ioric angrinste und dem Kameraden neben sich lachend auf die Schulter schlug.

Ioric hob schmal lächelnd sein Getränk und prostete den beiden zu, sagte aber nichts.

Der junge Nordmärker war sichtbar guter Dinge, dass dieser Wettkampf nicht allzu schwer werden würde. Zumindest gab er sich siegessicher, denn er lachte: “Eure Freundin scheint etwas besonderes zu sein. Eine Herausforderung zwar auch, aber ich denke, ich finde schon heraus, was sie schwach macht. Jede macht irgendetwas schwach - na ist doch so, oder?” stellte er die Frage in die vertrauliche kleine Runde, woraufhin zumindest der andere bejahend nickte.

Ioric lachte leise. “Haltet mich über eure Erfolge - oder ihr Ausbleiben auf dem Laufenden!” Immer noch lachend hob er den Krug an die Lippen und leerte ihn.

„Werden wir.“ erklärte der Moosgrund zuversichtlich.

„Ach, eines noch, bitte, Herr Ioric.” sprach der Schrötertrutz, der gesehen hatte, dass der Krug des Krähenfels leer und der Ritter im Begriff war, aufzubrechen. “Da ihr die Hohe Dame ja offenbar näher kennt und nun nicht in Konkurrenz zu uns steht, gestattet uns noch diese eine Frage. Gibt es etwas, was wir über die Frau Talwen noch wissen sollten? Etwas, vor dem wir uns in Acht nehmen sollten, beispielsweise einen ‚Aufpasser‘, oder ist ihre Mutter wirklich die einzige Hürde, die unsereins nehmen müsste? Vielleicht noch ein guter Ratschlag, so unter Kameraden?“

“Nur einer: seht euch vor.” Ioric von Krähenfels zwinkerte dem Schrötertrutz zu, stellte seinen geleerten Humpen auf dem Tisch ab und ließ die Nordmärker mit einem knappen Nicken und einem “Rondra mit euch!” stehen. Sein Lächeln erstarb, sobald er das Gesicht abwandte.
Zielstrebig, aber ohne Hast wandte er sich in Richtung seines Zeltes, seine Miene versteinert. Innerlich verwünschte er sich: für die Biere, die ganz offensichtlich seinen Verstand vernebelt hatten, aber vor allem für den Stich der Eifersucht, den er beim Vorschlag des Nordmärker Heckenritters empfunden hatte: Er WOLLTE diesen Kuss. Nicht, weil es den Triumph in einem belanglosen Wettstreit bedeutet hätte, sondern, weil er SIE wollte.


Im Hort der Krähe (25. Praios, der Abend nach den leichten Handwaffen)

Für einen Beutel Münzen

Trotz des langsam spät werdenden Abends sah es nicht aus, als würde im Lager des Herren von Eichengrund bald Ruhe einkehren: Knechte und Mägde gingen allerlei Besorgungen nach oder saßen zusammen mit Waffenvolk in den Farben des Junkers an verschiedenen Lagerfeuern. Man merkte dem Lager die Turnierleidenschaft des Herrn Aldewen an: über ein Dutzend Zelte gruppierten sich um ein riesiges Turnierzelt, das von Bannern der weißen Saufeder auf Schwarz flankiert wurde. Von einem der Feuer war ein Trinkspruch Auf die Frau Leanna! zu vernehmen, welcher bereitwillig aufgenommen und wiederholt wurde.

Die junge Vialigh, die ins Lager gekommen war, schmunzelte ein wenig, fast schon schadenfroh, als sie dabei an ihre gleichnamige Mutter dachte, die man wohl nicht so feierte und die mitsamt deren ehemaligem Knappen und deren weidener Schoßhündchen ob der einkassierten Schläge und des verpassten Sieges am Stöhnen war. Die Edle von Unkengrund hatte es ja noch verhältnismäßig gut getroffen. Der Flanarag sah wesentlich verbeulter aus und hatte eben erst, als Talwen alle besuchte, auf seiner Pritsche gelegen wie halbtot. Was hatte der Kerl erwartet bei seinem ersten Turnier? Natürlich gab es erst einmal Dresche, was sonst! So war das mit dem Einstand. Schulterzuckend wandte Talwen ihre Gedanken ab, sammelte sich neu und steuerte ihr Ziel an. Kurz vorher winkte sie einen Knecht herbei, der sie ankündigen sollte.

Das Zelt von Ioric von Krähenfels lag in direkter Nachbarschaft zu dem seines Dienstherren. Obwohl keine Banner vom Wappen seines Besitzers kündeten, griffen die Schwarz-Dunkelgelb geteilten Wände die Farben seines Hauses auf. Das etwa vier Rechtschritt messende, rechteckige Zelt war hoch genug, um darin aufrecht stehen zu können.

Hinter dem schweren Stoff des Zelteingangs eröffnete sich ein Blick auf das Innere: Linker Hand war mit einer Stoffbahn ein Schlafbereich abgeteilt, während im hinteren Bereich ein hölzerner Diener den Turnierharnisch des Krähenfelsers trug. Zwei hölzerne Hocker und eine kurze, gepolsterte Liege waren um ein kleines Tischchen gruppiert, auf welchem sich zwei gläserne Pokale und eine bauchige Flasche mit einem langen, schlanken Hals befanden. Ioric saß auf der Liege, als sie eintrat, sah auf und legte die kleine Fibel, in der er gelesen hatte, beiseite, ehe er sich erhob. Er trug einen schwarzen Gambeson mit Nähten aus hellem Garn, über einer einfachen Leinenhose. Talwen stieg der Geruch von Wirselkraut in die Nase und eine Beule über dem linken Schlüsselbein in dem ansonsten tadellos sitzenden Kleidungsstück verriet eine Bandage. Ioric lächelte und deutete eine Verbeugung an: “Guten Abend, Hohe Dame.”

„Weiß nicht, ist es ein guter Abend? Für den Eulenbroich bestimmt.“ erwiderte Talwen den Gruß mit einem höflichen Nicken. Sie trug nach wie vor die Farben des Waldes. Anders als bei ihrem letzten Treffen aber ein helleres Untergewand mit eng anliegenden langen Ärmeln und darüber eine gegürtete Cota mit kurzen ausgestellten Ärmeln in Heckenreiter-Grün, die ihr nur bis zu den Knien reichte, worunter man das knöchellange Untergewand sehen konnte. Beides mit Reiterschlitzen versehen. Die Säume des Obergewands waren mit dem selben gelben Floralen Mustern verziert wie auch die längeren Wappenröcke, welche die Grenzwächter im Dienst zu Pferd trugen. Man sah gleich, wohin die Ritterin gehörte. Was auffiel: sie führte kein Schwert mit sich, lediglich einen längeren Dolch zur Seite und ein ledernes Täschchen am Gürtel. „Ihr wolltet ihn ja nicht abhalten, nach dem Wettkampf in den Zweihandwaffen beim letzten Buhurt wieder einen Wettkampf für sich zu entscheiden.“ Ihre Stimme ging am Ende ihrer Bemerkung leicht nach oben, so dass nicht ganz klar war, ob sie es als Frage formuliert hatte.

Iorics Lächeln wankte nur für einen Augenblick: “Nun - es ist keine Schande zuzugeben, das er mir wohl in den rondrianischen Disziplinen über ist.” Kurz blitzte ein geringschätziger Zug in seinem Lächeln. Einladend wies er dann auf die Sitzgelegenheiten. “Ich darf euch immer noch als Gast willkommen heißen? Trotz meines achtbaren Erfolgs?”

„Naja, da ihr mich hier vor euch stehen seht, wohl schon.“ Sie erwiderte sein Lächeln mit einem eigenen, aber die ausgedrückte Freundlichkeit erreichte nicht zur Gänze ihre Augen. Vielmehr vermittelte sie den Eindruck eines gespannten Bogens. „Es waren ja der Dinge zweie, die ihr mir zuspracht. Da das eine aber nun nicht sein wird, heißt es nicht, dass ihr drum herum kommt, das andere nicht auch noch herzugeben. - Ist er das?“ Sie deutete auf die bauchige Flasche, die auf dem Tisch bereit gestellt war, während sie zu einem der Hocker ging. Bevor sie sich setzte, griff sie kurzerhand nach der Flasche, um sie sich prüfend anzusehen.

Die Flasche war aus dunklem Glas, verschlossen durch einen übergroßen Korken in dessen Oberseite ein gekröntes “G” geschnitzt wurde und durch dunkelrotes Wachs versiegelt. Dasselbe Wachs war benutzt worden, um am Halsansatz der Flasche das schon im Korken zu findende Symbol zu wiederholen.

Ioric trat an der jungen Heckenreiterin vorbei und beugte sich in der Nähe seiner Schlafstatt zum Boden. “Es wird euch womöglich trösten, das ihr mit eurer Annahme falsch liegt.”, sprach er von ihr abgewandt, bevor er sich zu ihr umdrehte und ihr einen kleinen Beutel Münzen entgegenreckte. “Es gibt genug, die bereit sind, auf meinen Misserfolg zu setzen - Ihre Enttäuschung ist heute euer Gewinn!” Er trat wieder heran, legte die Hand auf die von Talwen gehaltene Flasche. “Und ja - das ist er..., bestätigte er ruhig.

Ihre Irritation über das entgegengestreckte Säckchen fiel ab, als sie es in ihre Hand gleiten ließ. Gleichzeitig übergab sie dem Krähenfels die Flasche. „Dann: im Namen meiner Kameradinnen und Kameraden seid‘s gedankt.“ Sie wog den Inhalt einen kurzen Augenblick in der Hand, schätzte den Inhalt auf wenig mehr als ein Dutzend Münzen, packte es dann allerdings in ihre Gürteltasche. „Es sei euren missgünstigen Neidern gleich ebenfalls ein Schluck gewidmet für ihre liebenswürdige Unterstützung.“ sprach sie mit nicht ganz ernst gemeinter Anerkennung.

“Vielleicht nicht die erste Runde”, schlug Ioric mit einem Schmunzeln vor.

Talwen sah zu, wie er die Flasche öffnete. „Wie alt, sagtet ihr, ist dieser Mhôrnoch?“

“Sieben Jahre.”, antwortete Ioric, während er nach einem der Gläser griff. “Gereift in Fässern, deren Holz in einem Satyr-Hain geschlagen wurde, wenn man dem Mann glauben darf, der ihn verkauft.” Er grinste kurz, während er geschickt etwas vom braungoldenen, fast ölig wirkenden Inhalt der Flasche in das Gefäß füllte. Mit einer Verbeugung übergab er den Pokal an Talwen, bevor er sich daran machte sich ebenfalls einzuschenken.

“Tatsächlich? Was ihr nicht sagt.” Man hörte der Vialigh an, dass sie kein Wort davon glaubte. “Dann hoffe ich nur, man hat den armen Satyr zuvor um Erlaubnis gebeten. Sonst könnte es nämlich sein, dass ihr euch womöglich durch Kauf und Besitz mit strafbar an einem Waldfrevel macht.” sagte sie recht trocken und ohne Angabe, wie ernst sie dies meinte. Währenddessen betrachtete sie das schillernde Gold, welches sich in ihren Pokal sanft hin und her bewegte. Dabei befreite sich der Duft der Köstlichkeit und Talwen sog ihn interessiert auf.

Nachdem ihre Nase sich an den scharfen Alkoholgeruch, wie er für doppelt gebrannten Schnaps üblich war, gewöhnt hatte, vermochte sie den Geruch von altem Eichenholz und Leder zu identifizieren, aber auch weichere Aromen.

Ioric hatte sich währenddessen ebenfalls gesetzt. “Ihr klingt wie einer dieser Winhaller Finsterlinge von der Distel", bemerkte er mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln. “Seid versichert, ich reiche euch keinen verwunschenen Feentrunk, sondern bloß die Ware eines Schnapshändlers mit einem Sinn für Geschichten - auch wenn der Tropfen ein Geheimnis hat… ” Er hob sein Glas.

Bevor er zu einem Trinkspruch ansetzen konnte, kam sie ihm zuvor, „Na, ihr wart doch derjenige, der etwas von Holz aus dem Hain eines Satyrs gesprochen hat,“ ließ sie seine Bemerkung zu den Distelrittern, mit denen der Krähenfels sie gerade verglich, nicht unkommentiert. „Ihr wisst doch, dass sich an unerlaubtem Holzeinschlag Fehden entzünden. Können.“ Mit gerunzelten Brauen sah sie hinüber zu ihm. „Auf die Geschichte zu diesem ‚Geheimnis‘ bin ich allerdings gespannt.“ Nun hob auch Talwen ihren Pokal in Erwartung einiger Worte ihres Gastgebers.

Für einen kurzen Moment war ein säuerlicher Ausdruck auf den Lippen des Krähenfelsers zu sehen. “Ich denke, wir wissen beide, dass es nicht Holz war, in dem sich die Feindseligkeiten begründeten.” Mit einer Handbewegung wischte er das Thema beiseite. „Hohe Dame Vialigh, seid willkommen in Travias und Rondras Namen”, grüßte er förmlich.

„Ihr gestattet mir sicher zu bemerken, dass sich diese Worte aus eben eurem Munde seltsam anhören - aber habt Dank, im Namen der gleichen.“

Ioric nippte an seinem Getränk und für einen kurzen Moment verweilte sein Blick auf der Flüssigkeit. “Tun sie das? Nun, ich muss gestehen, dass ich nicht sicher war, ob ich heute Anlass haben würde sie auszusprechen - oder jemals.” Aufmerksam beobachtete er Talwen, sein Gesicht schwer zu lesen.

Verwundert, fast ein wenig verärgert sah diese ihn an. “Ihr dachtet also, dass ich…wortbrüchig werde?” Sie wollte nicht sagen ‘kneife’.

Ioric schüttelte den Kopf. “Eine Verabredung ist doch kein Schwur - ich hätte es nicht gegen euch gehalten, wenn ihr, aus welchen Gründen auch immer, nicht euren Weg in mein Zelt gefunden hättet.” Er nippte erneut an seinem Getränk.

Sie hatte hingegen noch nicht getrunken und ließ die Hand, mit der sie das Trinkgefäß hielt, in ihren Schoß sinken. “Euer Entgegenkommen erhält meine Anerkennung, Herr Ioric, aber Untreue -” Kurz hielt sie inne und gab ihren Worten dann eine weniger verfängliche Richtung: “...am eigenen Wort entspricht mir nicht. Ich sagte euch gestern, dass ich herkomme und dann tue ich es auch. Abgesehen von eurer Niederlage, wusste ich ja, dass mich hier noch der von euch offerierte Mhôrnoch erwartet.” Ein feines Schmunzeln begleitete ihren Blick zu dem Edelbrand in ihrer Hand, bevor sie den Pokal an ihre Lippen hob. “Ihr wolltet übrigens erzählen, von welcher geheimnisvollen Geschichte ihr im Zusammenhang mit ihm hörtet. Wollt ihr nicht berichten? Ich erzähle euch anschließend eine Geschichte, die ich gehört habe.” Dann nippte sie und stellte sich dabei seinem beobachtenden Blick, in dem sie ihn hielt.

Leicht nach vorn gelehnt beobachtete Ioric sie während sie das Glas zu den Lippen führte und wieder absetzte, erst als ein paar Herzschläge vergangen waren, kam wieder etwas abrupt Bewegung in ihn und er setzte sich auf. “Ich kenne das Geheimnis dieses Getränks und es ist mitnichten Feenholz oder eine von liebfeldscher Meisterhand erbaute Brennerei.” Er lächelte geheimnisvoll, hob einen Finger. “Ist euch aufgefallen, dass er viel von der für Mhôrnoch üblichen Schärfe im Abgang missen lässt?“

Talwen sagte nichts, ließ aber durch ein langsames Nicken erkennen, dass sie verstand, was er meinte.

„Das Geheimnis ist, dass man ihn ihn bei der Abfüllung mit bestem Honinger Honigbrand panscht.” Er grinste und zwinkerte verschwörerisch. Dann sah er die junge Heckenreiterin neugierig an, während er sein Glas langsam in den Fingern kreisen ließ. “Aber genug davon - was habt ihr bemerkenswertes zu berichten?”

„Gepanscht, soso,“ sagte sie und nippte gleich noch einmal, um dem Geschmack nachzuspüren. „Das jedoch sehr weise könnte man fast sagen.“ Sie nahm noch einen Schluck, diesmal einen etwas größeren und schmatzte die güldene Flüssigkeit, fuhr anschließend mit der Zungenspitze über ihre Lippen, um den Genuss gänzlich nachzustellen. „Ja. Der Honig kommt rüber.“


Über die Minne

Dann wechselte sie das Thema, in dem sie den Pokal vorerst wieder senkte und gleichzeitig den Kopf ein wenig schieflegte. „Ja, in der Tat habe ich da von einem Wettkampf gehört…"

Ioric stöhnte innerlich: Es war ja zu erwarten gewesen, daß diese beiden Nordmärker ihn mit ihrem dämlichen Wettstreit in die Scheiße reiten! Äußerlich mühte er sich aber um einen neutral-interessierten Ausdruck. “Ein Wettkampf? Ihr werdet schon etwas mehr erzählen müssen, derlei ist dieser Tage wohl nicht unüblich.”

„Es ist wohl kein Wettkampf, wie er üblich ist. Wisst ihr, normalerweise interessiert es mich weniger, was Dienstmannen meiner Mutter so von sich geben, vor allem nicht, wenn‘s der Weidener ist, aber er hat dann doch ein paar ganz interessante Dinge erzählt, als ich im Lager war.“ begann Talwen in aufgesetztem Plauderton und stützte sich mit den Ellbogen auf ihren Schenkeln ab, um eine angenehme Haltung einzunehmen, während sie weiterhin voller Absicht plapperte: „Es hat wohl jemand Erkundigungen bei ihm eingeholt. Über mich. Natürlich fragte ich ihn, wer auf die Idee käme, sich über mich bei ihm zu erkundigen, da meinte er, dass es einer der Nordmärker Streiter gewesen wäre, der eigentlich zu meiner Mutter wollte. Nur war die zu dem Zeitpunkt wohl gerade nicht da. Und als der Firnhorst den Kerl fragte, warum er zu ihr wolle, erzählte der ihm recht vertrauensselig wohl - hm, ich schätze mal, weil er in ihm als Nicht-Albernier einen Verbündeten sah, was weiß denn ich-“ Dabei zuckte sie unbeeindruckt mit den Schultern, „dass er vorhabe, den Wettstreit um einen - haltet euch fest - Kuss von mir gewinnen, in dem er der erste sei, der das Einverständnis meiner Mutter einhole, mich zu diesem Zwecke freien zu dürfen, denn das, so habe ihm angeblich sein ‚Freund Krähenfels‘ berichtet, täte man vorher ja hierzulande.“ Sie ließ eine kurze Pause von mehreren Herzschlägen, in welcher sie wie ein Jäger mit kühlem Blick und ruhigem Atem ihre Beute beobachtete. „Wusste gar nicht, dass ihr Freunde in den Nordmarken habt…“ Sie nippte von ihrem Pokal. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen.

Ioric schürzte die Lippen, schüttelte den Kopf, für einen Moment wirkte er unsicher, dann schien er seine Gedanken geordnet zu haben. “Und jetzt wollt ihr von mir eine Entschuldigung dafür, dass dieser Kavalier meinen Namen genannt hat? - Ich bin ihm und seinem Kameraden begegnet, gleich nachdem wir uns gestern verabschiedet hatten. Sie fragten mich zu eurem Namen - ich nannte ihnen euren Stand, Position und Namen. Sie taten kund, euch minnen zu wollen, ich wies sie darauf hin, dass dies wohl die Aufmerksamkeit eurer Frau Mutter wecken würde. “ Er seufzte, hob die freie Hand in einer gleichsam abwehrenden wie beschwichtigenden Geste. “Wir trennten uns schon bald darauf und ich riet ihnen zum Abschied von ihrem Vorhaben ab.” Ioric nahm einen großen Schluck. “Ich bedaure, wenn diese beiden Welpen euch belästigt haben, aber sie taten dies weder mit meiner Billigung noch in meinem Auftrag.” Ioric begegnete ihrem Blick und nur in seinen Augen ließ sich erahnen, dass die stoische Ruhe, mit der er seine Worte vortrug, nur mit Mühe aufrecht erhalten war.

„Pff, als ob einer von denen…“ Sie brach ab. „Nein, bisher hat mich noch keiner belästigt, aber ich finde es durchaus interessant, den Sachverhalt zu kennen. Wie ihr sagt, ist euch kein Vorwurf zu machen, nicht wahr?“ Das ganze klang lauernd. „Ich schätze meine Mutter hat anderes zu tun, als sich mit welchen von dieser Sorte abzugeben.“ stöhnte sie durchaus ehrlich, bevor sich ihre Augen noch etwas verengten: „Nur so aus Neugier, wie kam es eigentlich dazu, dass ich zum Mittelpunkt eines Wettbewerbs erklärt wurde? Ihr wart doch offenbar dabei. Erzählt mal.“

Ioric hob eine Augenbraue und verschaffte sich etwas Zeit, indem er von dem Pokal in seiner Hand nippte. Als er dann absetzte, war etwas angriffslustiges in seinen Blick getreten und er lehnte sich leicht vor, der jungen Ritterin entgegen: “Ist das denn so undenkbar? Ihr seid von edlem Blut, ungebunden und von stolzem Gemüt und Erscheinung - eher eine Berglöwin als ein Kätzchen. Glaubt ihr wirklich, es gibt niemanden, der dies begehrenswert findet?”

Die heftige Reaktion des Ritters verwirrte Talwen, aber ihr Erstaunen darüber verbarg sie selbstbeherrscht. Das Groteske an dieser Situation verleitete sie eher dazu sanft zu schmunzeln. “Herr Ioric. Habt ihr mir da gerade wirklich Komplimente gemacht?”

Ioric setzte sich wieder auf. “Ich - Ich war nur ehrlich zu euch”, gab er zurück, bemüht, beiläufig zu klingen, was er mit einem Schulterzucken unterstrich. Für den Bruchteil eines Augenblicks huschte sein Blick über Talwen, bevor er ihn senkte und den Rest Alkohol in seinem Glas betrachtete.

“Ich bin also in euren Augen eine Berglöwin.” stellte sie nüchtern fest, wobei auch sie sich bemühte, den Worten keine Bedeutung zu verleihen. Aber wenn sie ehrlich war, bedeuteten sie schon etwas. Nur war Talwen sich nicht sicher, ob sie über die wirkliche Bedeutung genauer nachdenken wollte, nachforschen sollte. Verstörende Gedanken drängten sich ihr dabei auf, denen sie keinen Raum geben wollte. Schließlich war er der, der er war. Allen netten Worten zum Trotz. “Nun, das nehme ich einfach mal so an.” fügte sie hinzu und trank einen Schluck. „Ihr könnt ja doch ganz nett sein,“ lachte sie dann. Ob ihr das gefiel, oder ob sie es aus Hohn heraus sagte, war nicht eindeutig. “Tsk.”, machte Ioric, um nicht weiter darauf einzugehen. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf leicht schräg. “Ich nehme mal an, keiner der beiden konnte bis jetzt euer Herz in Minne entflammen lassen?” Er grinste, dann hob er abwehrend die Handflächen. “- Nein, das geht mich absolut nichts an, ich habe es nicht vergessen, verzeiht mir.”

„Ich habe, um ehrlich zu sein, noch keinen der Kerle getroffen,“ antwortete Talwen schulterzuckend, doch wahrheitsgemäß und ging auf sein Gehabe nicht ein, sondern sah ihn herausfordernd an. „Aber falls ihr eure Freunde seht, Freund Krähenfels, dürft ihr ihnen gerne von mir ausrichten, dass es schon mehr braucht als einen infantilen Wettstreit, welcher auch noch recht dümmlich vorangetrieben wird. Ihr hättet womöglich gut getan, eure Freunde besser zu beraten. Wobei….“ Ein Gedanke schien sich in ihrem Kopf gerade gefunden zu haben, der sie zum schmunzeln brachte. „Es sei denn, ihr wolltet…. - Ach, nein, das wäre ja absurd!“ lachte sie dazu, dann prostete sie dem Krähenfels zu. „Wir haben noch keinen seltsamen Trinkspruch gesprochen, fällt mir auf.“

“Ich hege kein Interesse daran, diesen Freunden in irgendeiner Form bei ihrem Ansinnen zu Diensten zu sein.”, beeilte sich Ioric zu versichern. “Da sollen sie sich ruhig weiter an die weidener Charakternase eurer Frau Mutter halten!” Er grinste und leerte mit einem kurzen Schluck seinen Pokal. “Dann trinkt aus - ich habe einen!” Lächelnd schüttete er sich nach, ließ sein Gefäß aber auf dem Tisch stehen.

Talwen trank ebenfalls aus, woraufhin Ioric ihr sofort nachschenkte. „Ich bin gespannt. Lasst hören!“ sagte sie, als sie das gefüllte Gefäß wieder in Händen hielt.

Ioric griff nach seinem Getränk, hob es grüßend hoch. “Auf all jene, die heute enttäuscht wurden - und es in den kommenden Tagen noch werden.” Er lächelte dünn.

„Ihr sagt es.“ erwiderte die Vialigh trocken. „Wobei sicherlich noch Dinge geschehen, die uns unvorbereitet treffen, daher würde ich gerne noch folgendes ergänzen:“ Und sie hob ihren Pokal noch ein kleines Stück. „Und auf diejenigen, die überrascht wurden und es noch werden. Mit was auch immer.“ Einen Moment prüfte sie, wie er ihren Zusatz fand. Wohl eine Anspielung auf das Geldsäckchen, mit dem er sie überrascht hatte.


Travianische Gastfreundschaft

Iorics Lächeln flatterte kurz, bevor er mit einem kurzen Nicken den Pokal ansetzte und trank, wobei er Talwen aufmerksam beobachtete, unsicher, wie viel er aus ihren Andeutungen lesen sollte oder durfte. Für einen Moment senkte er den Blick, gab vor, die goldene Flüssigkeit zu beobachten. Reiß dich zusammen du Tölpel!, schalt er sich. Als er den Blick wieder hob, lächelte er seinen Gast wieder höflich an. “Verzeiht mir, ich versäumte euch etwas zu essen anzubieten. Wurst? Käse? Obst? Nüsse? Konfekt?” Er erhob sich, machte Anstalten zu einer kleinen Truhe unweit des Holzdieners zu gehen.

“Konfekt, ernsthaft?” hörte er sie fragen, sich dann jedoch schnell räuspern. Deutlich beherrschter antwortete sie: “Herr Ioric, es obliegt mir als Gast nicht, zu fordern, mich jedoch zu freuen, wenn ihr etwas kredenzt. Was auch immer. Auch, wenn dies, das muss ich sagen, nicht Teil unserer Abmachung war.” konnte Talwen sich nicht verkneifen zu erwidern. Die Belustigung darüber und ebenso einen gewissen Tadel, ob ernst oder nicht, hörte er aus ihrer Stimme heraus.

Ioric warf ihr einen belustigten Blick zu. “Frau Talwen, habt ihr gerade mich über das Gastrecht belehrt?” Er kniete sich hin, ließ die Truhe aufschnappen und begann mit dem Rücken zu ihr darin herumzukramen.

„Nur, wenn ihr wollt, dass es so ist.“ entgegnete Talwen. Da er ihr abgewandt hantierte sah er nicht, dass sich ihre Nasenwurzel gefurcht hatte.

Ioric lachte leise. “Also von allem etwas, ja?”, rief er ihr halblaut über die Schulter zu. Dann drehte er sich wieder um und kehrte an das Tischchen zurück, in der einen Hand einen einfachen Holzteller, auf dem neben einem kleinen Messer mit Horngriff ein kleines Stück Käse, eine halbe Hartwurst und eine Handvoll Nüsse, augenscheinlich in Honig und Salz gewälzt, lagen. In der anderen Hand trug er ein kleines Schälchen aus poliertem Kupfer mit einem Deckel. Beides platzierte er mit einem wissenden Lächeln in Richtung der Erbin von Unkengrund auf dem Tisch. “Erinnert mich doch bitte: Was genau umfasst unsere Abmachung?”, fragte er dann, während er nach seinem Getränk griff.

„Unsere Abmachung umfasst die Auszahlung eurer Gewinne und das Verköstigen des Mhôrnochs. Beides habt ihr bereits eingelöst.“ erklärte sie daraufhin. Weil es sich wie Vergebung angehört hätte, wenn sie gesagt hätte ‚es besteht keine Notwendigkeit, etwas gutzumachen‘ ließ sie diese Worte unausgesprochen. „Allerdings wäre es gegen die Gebote der Herrin Travia, wenn ich dieses reichhaltige Mahl, das ihr zu Ehren meines Besuches nun auftrugt, ablehnen würde. Nicht wahr?“

Ioric sah sie ernst an, während er sich langsam wieder setzte. Kurz zuckte sein Blick zu dem Dargebotenen, dann blieb er wieder an Talwen hängen. Einen Moment schwieg er. “Es würde mich freuen, wenn ihr das hier Gebotene mit mir teilt, aber ich entlasse euch aus jedweder Verpflichtung, die ihr mir gegenüber empfinden mögt.” Einen Herzschlag senkte er den Blick, dann sah er wieder auf. “Verweilt, weil es euer Wunsch ist - und weil die Flasche kaum halb leer ist, wollt ihr das wirklich eine Verkostung nennen?” Ein vorsichtiges Lächeln begleitete seine Worte und er trank einen kleinen Schluck.

“Wie viele Flaschen habt ihr denn dabei?” fragte sie.

Ioric legte die Stirn in Falten. “Ich? Nur diese. Das Haus Aldewen? Ein halbes Dutzend, wenn ich mich recht erinnere.” Er legte den Kopf schief. “Was tut das zur Sache?”

Talwen zuckte mit den Schultern. “Nichts. Ich wollte nur wissen, ob ihr mich auch noch damit verköstigen könnt, wenn ich nach den anderen Wettbewerben eure Spenden abholen komme.” Sie lächelte zufrieden und mit Schalk im Nacken.

Ein breites Grinsen zeigte sich auf dem Gesicht des Haushofmeisters. “Ich werde mich mühen euch standesgemäß zu empfangen und zu bewirten, sollten euch eure Wege erneut in mein Zelt führen.” Grüßend hob er den Pokal, nippte erneut. “So die Sturmherrin will, habe ich dann sogar ein paar Münzen für euch.”

Talwen lachte auf. “Oder der Herr Phex, nicht wahr?” Sie grüßte mit ihrem Pokal zurück und deutete anschließend auf die Speisen, genauer gesagt auf das noch mit einem Deckel verschlossene kupferfarbene Schälchen. “Ihr habt also auf jedem Turnier, das ihr besucht, Konfekt dabei? Da wird man ja fast neidisch auf euren Sold,” lachte sie noch einmal. ”Na, los, dann zeigt mal, mit was ihr all die hübschen Damen verwöhnt, die sich in euer Turniergemach verirren. Ich verspreche, auch nur eine kleine Kostprobe zu nehmen, denn ich möchte ja nicht, dass ihr den edlen Schönheiten am Morgen nach einer glückseligen Nacht nur noch Käse ans Bett bringen könnt.” zog sie ihn neckisch ein klein wenig, aber durchaus neugierig auf.

Ioric biss sich auf die Unterlippe: sein Gast hatte ein Talent dafür, Interaktionen mit ihr auf unsicheren Grund zu führen - ob nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Mit spitzen Fingern und einem dünnen Lächeln hob er den Deckel von dem Schälchen, welcher eine Handvoll kandierter Früchte enthüllte. “Mein Schwertvater lehrte mich, es steht einem Ritter wohl zu Gesicht, wenn er auf einer Turney jederzeit einen edlen Gast zu bewirten vermag.” Mit einer einladenden Geste deutete er auf die Süßwaren. “Und bitte: Beleidigt nicht meine Gastfreundschaft indem ihr euch zurück nehmt, mir zu liebe. Was ich anbiete, habe ich zu geben, seid unbesorgt.” Er lehnte sich zurück, maß Talwen von Kopf bis Fuß mit einem langen Blick. “Was die edlen Schönheiten angeht - ich würde schon einen Weg finden ihren Morgen zu versüßen…” Er lächelte vieldeutig und ließ die junge Ritterin keinen Wimpernschlag aus den Augen. Du willst spielen, Vialigh? Spielen wir!

Talwen, welcher die Musterung nicht entgangen war, sah einige Momente starr zu ihrem Gegenüber. Kurzzeitig huschte ein argwöhnischer Schatten über ihr Gesicht, der aber wieder verschwand. „Zweifellos,“ sagte sie dann seufzend und griff anschließend nach der Konfektschale.


Schatten der Vergangenheit

Talwen besah sich die gezuckerten Früchte. „Ihr wisst, wer mein Schwertvater war, aber ich gebe zu, dass es bislang für mich nicht von Interesse gewesen ist, welcher der eure war. Da ihr ihn aber gerade erwähnt, wüsste ich es nun schon gerne. Ein paar Dinge hat er nämlich wohl versäumt, euch mit auf euren Weg zu geben….“ sagte sie betont gelassen, während ihr Blick auf die Früchte gerichtet blieb und ihr Zeigefinger - vermeintlich unschlüssig - über selbigen Kreise zog.

Iorics Blick wanderte für ein paar Atemzüge ins Leere. “Beide waren sie von Singersberg. Ich wurde Knappe, als Krieg in Albernia herrschte und der erste von ihnen, Albarhold, wurde während eines Scharmützels von einem Weißen Löwen erschlagen.”

Talwen hatte sich, während er angefangen hatte zu erzählen, ein kandiertes Fruchtstück auserwählt und hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger. “Von welchem der Weißen Löwen?” fragte sie interessiert.

Er lächelte grimmig und trank einen Schluck. “Vom erstgeborenen Sohn von Maelwyn Stepahan, um genau zu sein.”

“Ihr meint Graf Arlan,” resümierte die junge Vialigh und nickte verstehend, denn das erklärte in ihren Augen vieles.

Ioric zuckte mit den Schultern. “Die verbliebenen sechs Jahre bis zu meiner Schwertleite verbrachte ich beim Junker von Halians Horn. Ihm werdet ihr wohl die meisten Versäumnisse in meiner Ausbildung anlasten müssen.” Er machte eine auffordernde Geste mit der Hand. “Aber berichtet mir doch von diesen - Versäumnissen. “

Sie kippte sanft schmunzelnd den Kopf gen Schulter, um den Ritter so über das Schälchen in ihrer Linken und die weiteren Speisen auf dem kleinen Tischchen mit einer schwer zu durchschauenden Mischung aus Selbstsicherheit, Abscheu, Neugierde und etwas wie Mitleid anzusehen. „Es hat euch offenbar noch niemand gesagt, dass es höchst unanständig ist, jemanden mit Augen auszuziehen. Man könnte euch das übelnehmen. Euch womöglich Dinge unterstellen.“ Anschließend schob sie sich das gewählte Stück Zuckerfrucht bewusst langsam in den Mund und schleckte sich auch die verwendeten Finger provokant langsam sauber, dass erneut nicht klar war, wie viel Ernst in ihren Worten lag.

“Ah.” Ioric wirkte ehrlich zerknirscht und senkte den Blick, auch wenn er es nicht lassen konnte Talwen einen schnellen Seitenblick zuzuwerfen. “Falls ich euch Unwohlsein bereitet habe durch mein Handeln, bedaure ich dies. Er beugte sich vor, schnitt sich mit dem Messer äußerst gewissenhaft ein Stück vom Käse ab, nahm es zwischen die Finger und betrachtete es eingehend. Dann schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. “Mir scheint in dieser Frage sind wir wohl von unterschiedlichen Ansichten geformt worden, aber noch einmal: Ich bedaure es, sollten Alkohol und die späte Stunde euch Fehl an meinem Verhalten finden lassen.” Mit schmal zusammengepressten Lippen blickte Ioric zu Talwen wieder herüber, unverkennbar ernst, auch wenn sein Ausdruck schwer zu deuten war.

„Wir sind wohl nicht nur in dieser Frage unterschiedlich geformt worden…“ entgegnete Talwen, während sie erneut in das Schälchen mit den gezuckerten Früchten griff. „Aber wisst ihr, was mir gerade auffällt? Ihr bedauert immer sehr schnell - wenn ihr mir erlaubt dies so offen zu sagen.“ Neugierig, auffordernd, vielleicht vorsichtig abschätzend, erwiderte sie seinen Blick, während sie sich ein Stück gezuckertes Irgendwas zwischen die Zähne schob und es mit den Lippen in ihrem Mund verschwinden ließ.

Ioric sah sie kurz an, öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne gesprochen zu haben. Hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten und er verspeiste stattdessen den Käse in seiner Hand. Als er diesen vertilgt hatte, versuchte er es mit einem dünnen Lächeln. “Es ist wohl, weil ich, wenn ich euch gegenübertrete, nichts zu den Dingen, die zwischen uns stehen, hinzufügen möchte, denke ich.” Nachdenklich schaute er in seinen Pokal hinab, trank ihn mit einem kurzen Schluck aus und stellte das geleerte Gefäß auf dem Tisch ab.

„Und was wären Dinge, die ihr stattdessen hinzufügen möchtet, wäre es euch möglich?“ Auf diese Antwort war sie sehr gespannt. Sie hielt, wie vorhin schon, mit einem weiteren Stück aus der Kupferschale zwischen den Fingern, inne. „Seht mich neugierig und in einem gewissen Maße offen für Vorschläge.“

Für den Bruchteil eines Augenblicks wirkte Ioric verblüfft und obwohl er sich schnell genug wieder im Griff hatte, um offensichtlichere Zeichen zu vermeiden, war doch seinen Augen anzusehen das er etwas überrumpelt worden war. Dann sah er die junge Vialigh ihm gegenüber einige Herzschläge an, wobei er ungeniert ihre Absichten im Braun ihrer Augen zu lesen versuchte, während sie derweil wieder ganz gemütlich von den Zuckerfrüchten eine in den Mund schob. Er schluckte, wobei er dies hinter einer Berührung seines Kinns zu verstecken versuchte. “Fürs erste würde es mich freuen eine weitere geteilte Runde dieses Getränks hinzuzufügen”, brachte er dann mit einem vorsichtigen Lächeln vor, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Mit einem sanften Nicken, das von einem feinen wissenden Schmunzeln begleitet wurde, stellte Talwen erst die Konfektschale vor sich auf das Tischchen ab, bevor sie ihren Pokal griff und dessen Inhalt für einen Augenblick gedankenverloren schwenkte. Dabei blickte sie in das Trinkgefäß und er sah ihre Mundwinkel zucken. „Einverstanden.“ sagte sie, als sie wieder aufsah. „Es ist wirklich ein unerwarteter Genuss….an den man sich jedoch gewöhnen könnte.“ Talwen blickte ihren Gastgeber über den Rand des Pokals hinweg an und wieder einmal konnten ihre Worte alles heißen.

“Das freut mich.”


Blick in die Zukunft

„Habt ihr euch denn schon entschieden, ob ihr zum morgigen Wettkampf antretet? Ihr meintet gestern, dass das für euch noch nicht sicher wäre? So könnte sich natürlich im Anschluss an den zweiten Wettkampftag eine solche Runde anschließen, denn wie ihr wisst, käme ich dann her, um eure Spenden einzusammeln…“

Ioric schüttelte sanft den Kopf. “Ich habe mich wohl unklar ausgedrückt: Ich habe keinerlei Talent beim Kampf mit der langen Klinge und werde daher dort nicht antreten, somit gibt es nichts, was mich hindern würde heute Nacht in Gesellschaft so lange es mir beliebt zu trinken.” Er griff erneut nach dem Messer, teilte ein Stück Käse ab. “Das nächste Mal, dass ihr eine Spende von mir erwarten könnt, ist den Tag darauf, nach dem Tjost. Und an diesem Abend werde ich mich schonen müssen, schließlich gedenke ich nicht am Tag darauf Schande über mich oder meinen Herrn zu bringen.” Seine Augen wanderten zu der Flasche, bevor sie wieder zu Talwen zurückkehrten.

„Verstehe.“ murmelte sie, bevor sie erheitert auflachte, weil sich in ihrem Geiste wohl ein belustigender Gedanke fand, welcher ihr für den Augenblick die Stirn glättete: „Lasst es mich zusammenfassen. Das heißt also, heute könnten wir theoretisch trinken, bis wir vom Hocker kippen? - Ich hätte zumindest Zeit bis kurz nach der zehnten Stunde, denn zur elften schließt die Mannpforte der Wacht.“ Passend dazu trank sie einen Schluck von dem Mhôrnoch in ihrer Hand. Sicher, ob sie tatsächlich auch so lange hier bleiben wollte, und ob es überdies so klug war, mit dem Erzfeind zu zechen, war sie sich nicht. Ihre Unsicherheit überspielte sie jedoch gekonnt.

“Ganz recht.”, bestätigte Ioric mit einem Schmunzeln. Er griff sich den Käse und begann zu kauen. “Sagt einmal,...”, begann er dann, bevor ihn ganz hinunter geschluckt hatte, “... was würde geschehen wenn ihr diese Sperrstunde versäumt? Müsst ihr wie ein Hund vor der Pforte nächtigen? Zerrt man euch an den Ohren vor die Bannerherrin?” Er grinste schelmisch. ”Bis zur zehnten Stunde ist es nicht lang und womöglich euer Durst noch nicht gelöscht, wenn sie uns ereilt.”

„Also, dass die Frau Branwen damit belästigt wird, ist eher unwahrscheinlich, wohl wird sie es am nächsten Tag schon zu Ohren bekommen. Eure Fragen und Überlegungen sind jedoch vergebens, denn ich habe nicht vor, zu spät zu kommen, Herr Ioric.“ In ihrer Stimme lag der Tonfall eines Tadels. „Denn das geziemt sich ebenso nicht, wie das, von was wir vorhin sprachen.“ Talwen schenkte dem Ritter einen tiefen Blick, durch den sie hoffte, dass er sich erinnerte. „Schenkt euch doch noch einmal ein und dann erzählt mir, welche Möglichkeiten erhofft ihr euch im Lanzengang? Gibt es jemanden, den ihr fürchtet? Gibt es jemanden, den ihr gar fordern wollt? Ich bedaure es sehr, aber ich werde mir leider nicht ansehen können, wie ihr vom Ross fliegt.“ jetzt besaß Blick wieder etwas Herausforderndes.

Ioric tat wie ihm geheißen und schenkte Ihnen nach. “Manchmal muss was sich geziemt einmal zurückstecken, zugunsten von was Freude macht .”, murmelte er. Über Talwens Frage musste er nicht lange nachdenken: “Ich habe wenig Ambitionen was den Tjost angeht: ich wäre überrascht, wenn ich so gut abschneide, wie ich das heute tat. Meinen Ruhm, wenn es denn in dieser Turney welchen für mich zu erringen gibt, sehe ich im Buhurt, der Königin der ritterlichen Disziplinen. Wie kommt es, das ihr nicht dort sein werdet? Mir wird euer widerwilliger Segenswunsch fehlen…” Er griff nach seinem Glas und deutete einen Gruß an.

Doch Talwen erwiderte den Gruß nicht. „Zurückstecken zugunsten von was Freude macht?“ wiederholte sie ein wenig verwirrt. „Ich würde euch uneingeschränkt Recht geben, wenn es sich um eine Feier in einem Tempel der Rahja handeln würde. Aber mein Dienst und mein Ansehen ist mir wichtig. Das mag sich mit dem euren anders verhalten - Oder wir sind diesbezüglich wohl auch anders …geformt.“ Da sie sich die Frage nicht beantworten konnte, zuckte sie mit den Schultern und fixierte Ioric mit ihrem Blick, wie sie es zuvor schon tat. „Und warum ich nicht den ganzen Tag an der Tjostbahn stehen kann? Ganz einfach, aus demselben Grund, warum ich vor der Sperrstunde auf der Burg sein werde und warum ich nicht an diesem Turnier teilnehme: weil ich im Dienst bin. Nicht gerade, doch generell. Aber…“ Und da brach ein neckisches Schmunzeln ihren strengen Gesichtausdruck auf und sie prostete Ioric nun doch zu, „sofern ihr auf meinen widerwilligen Segenswusch besteht, kann ich ihn euch gerne überbringen lassen. Wäre das etwas, was euch Freude macht? Es sei.“ Dann trank sie einen tiefen Schluck und leckte sich anschließend die Reste des Mhôrnochs von den Lippen.

Ioric trank nun ebenfalls, sichtlich erleichtert. “Es war nicht meine Absicht euch Pflichtvergessenheit zu unterstellen”, murmelte er noch, den Blick zerknirscht gesenkt, während ihm das Bild ihrer Lippen nicht aus dem Kopf ging. Verflucht, spielte SIE etwa mit IHM? Er gönnte sich nur einen Augenblick der Besinnung, bevor er den Blick wieder hob. “Ich bin für jedes Zeichen von Gunst dankbar.”, bestätigte er vorsichtig lächelnd mit einem Nicken.

Er hörte sie stöhnen. „Ach hört doch auf zu jammern. Ich bin mir sicher, dass ihr durchaus Zuschauer haben werdet, die an den Hufen eures Tieres hängen, die den Flug eurer gesplitterten Lanzenspitzen und auch euer Fallen mit Begeisterung wie Entsetzen mitverfolgen werden. Vielleicht sogar mit einem empörten Aufschreien. Wenn ich ernsthaft darüber nachdenke, braucht ihr eigentlich von einer Heckenreiterin keinen Zuspruch. Erst recht nicht von mir. Bei unserer Vergangenheit…“ Sie ließ es wie eine Aufmunterung klingen, aber so ganz schien es doch keine zu sein. Ioric setzte erneut zum Trinken an. “Brauchen tu ich ihn wohl nicht…”, murmelte er, halb in sein Glas. Anstatt den Satz zu vervollständigen, trank er. Als er absetzte, lächelte er kurz, was aber schnell erstarb. „Aber?“ fragte die Vialigh und musterte ihn aufmerksam mit dem Kopf leicht schiefgelegt. Nebenbei ließ sie ihren Brand kreisen.

“...aber das ändert nichts daran, dass mir etwas daran liegt.”, vervollständigte Ioric nun doch seinen eben begonnenen Satz. Sobald die Worte seine Lippen verlassen hatten, verfluchte er sich im Stillen für seine Unbeherrschtheit, aber nun war es zu spät. Vorsichtig spähte er zu Talwen hinüber.


Wer wir sind - und was nicht

Die hatte aufgehört ihren Pokal und den Mhôrnoch darinnen kreisen zu lassen und einige Herzschläge lang breitete sich Stille im Zelt aus, weil Talwen weder etwas von sich gab, noch sich rührte. Viel eher dachte sie über die Bemerkung des Krähenfels nach. Sie kam jedoch nur zum Schluss, dass es einerseits sehr unangenehm war, wenn sie sich so anschwiegen, und andererseits wollte sie wissen, was er damit meinte, um auszuschließen, ihn falsch verstanden zu haben. “Ihr kennt mich doch gar nicht,” sagte sie schließlich, nüchtern feststellend. “Ihr wisst nicht, was ich denke, fühle, was mich ausmacht, wer ich bin! Und dennoch wollt ihr meine Gunst? Ist es wegen dem, wer ihr seid? Der Politik wegen?” Mit großer Aufmerksamkeit betrachtete Talwen sein Mienenspiel.

Ioric wirkte erst verstimmt, dann fast enttäuscht. “Glaubt ihr das wirklich?” Er verzog das Gesicht, trank missmutig aus seinem Glas. Kurz schien er sich zu sammeln, dann sprach er leise weiter: “Keine Politik.” Langsam schüttelte er den Kopf: “Und ich maße mir sehr wohl an, euch zu kennen.” Das Lächeln auf seinen Lippen war bitter, aber er vermied es, sie anzusehen.

“Das ist tatsächlich anmaßend,” hörte er sie sagen, ihr begleitendes Schnauben klang entweder amüsiert oder geringschätzig. Sie trank ebenfalls und stellte ihren Pokal anschließend ab, um sich die Konfektschale zu schnappen. “Ich möchte euch allerdings gerne die Gelegenheit geben, darüber zu sprechen. Denn ansonsten fürchte ich, wird dieser Abend möglicherweise zu etwas, was ihr nicht hinzufügen wolltet.” Ein weiteres Schnauben, von dem er aber sicher war, dass es von einem leisen Auflachen stammte. Gnade war zwar die Tugend Ifirns, aber Talwen war firungefällig genug, um einem waidwunden Hirschen Zeit zum Sammeln seiner Kräfte zu geben, damit jene Macht zwischen Beute und Jäger wieder ausgeglichen war. Dies war nur ehrvoll. Tatsächlich fand sie den Vergleich gar nicht so unpassend, gerade, da der Krähenfels sich wand wie von einem Pfeil getroffen und sie nichts anderes als Waffe besaß als eine Schale Konfekt.

Iorics Blick wanderte kurz von der Süßspeise zu ihren Lippen, bevor er sich mit einem erzwungenen Blinzeln losriss. Es ärgerte ihn, wie überlegen sie mit ihm umging und dieser Ärger erlaubte ihm, die Reste seiner angeschlagenen Selbstbeherrschung zusammenzukratzen. “Ihr droht mir, dabei gibt es nichts, was ich zu verlieren habe.” Während sie entsetzt mit dem Kopf schüttelte, trank er einen Schluck, dann stellte er sein immer noch gut halbvolles Gefäß ebenfalls auf den Tisch. “Worüber wollt ihr sprechen? Stellt eine Frage und womöglich werde ich sie euch beantworten…”

“Nein!” entgegnete Talwen da sobald er geendet hatte. “Ich werde euch keine Fragen stellen, solange ihr denkt, ihr würde euch drohen. Was ich überhaupt nicht tue!” Sie schien ebenfalls verärgert und sah aus zornigen Augen zu ihm hinüber. “Ihr seid so ein selbstgefälliger… Arsch! Für euch gibt es entweder nur eure bedauerliche Situation, die zu bejammern ist, oder eure kompromisslose Selbstverherrlichung, in der man euch aber auch nicht kritisieren darf. Ihr verkennt mein Gutmeinen, Herr Ioric, was, aus meiner Sicht gesprochen, wirklich bedauerlich ist, weil ich nicht glaube, dass dieser Abend jetzt noch dahin gehören kann, wo ihr ihn gerne gesehen hättet.” Mit einem Rums stellte sie die Konfektschale geräuschvoll auf den Tisch, um die Arme vor ihrer Brust zu verschränken und ihn verärgert anzustarren. Der Hirsch wusste das Entgegenkommen der Berglöwin einfach nicht zu schätzen.

Ioric hielt ihren Blick für einen Moment, herausfordernd, aufsässig. Dann senkte er ihn und schüttelte enttäuscht, vermutlich vor allem von sich selbst, den Kopf. “Dann habe ich euch - erneut - Unrecht getan.”

“Hm.” brummte Talwen, innerlich nickte sie zustimmend.

Mit dem Glimmen einer Hoffnung im Auge sah er auf. “Sagtet ihr gerade, ihr bedauert dies?”

“Ja, das sagte ich. Ist das abwegig?”

“Es fällt mir schwer, euer Wohlwollen einfach als solches zu akzeptieren - so sehr ich das möchte.” Ioric wirkte nachdenklich, dann berappelte er sich. “Ihr seid eine Frau von Ehre und ich werde euch keine Falschheit unterstellen. Aber bitte - um weitere Missverständnisse zu vermeiden - stellt mir eine Frage, je einfacher, desto besser.” Er lächelte schwach.

“Na gut. Obwohl ich ja glaube, dass sich weitere Missverständnisse nicht vermeiden lassen, tue ich euch den Gefallen. Ob es allerdings eine einfache Frage ist, müsst Ihr selbst beurteilen.” Talwen ließ bewusst eine Pause, in der sie von ihrem Pokal trank und einen Blick zum Zelteingang warf, hinter dem sie die Welt wusste und so auch die Möglichkeit, jederzeit zu gehen. Aber noch wollte sie nicht hinaus in die aufziehende Nacht. Während sie den Blick von ihrem Gastgeber abwandte, gingen ihr viele Fragen im Kopf herum. Sie entschied sich alsdann für eine naheliegende - auch entgegen ihrer Neugier nach den wirklichen Beweggründen des Krähenfels. “Warum seid ihr so überzeugt davon, mich zu kennen? Wir trafen uns gestern gerade erst zum dritten Mal, und die Male zuvor standet ihr noch auf der Seite des Verrats. Wie wollt ihr wissen, wer ich bin? Aus unseren oberflächlichen Gesprächen auf Krähenfels, Heckenwacht, oder von unserer Jagd im Flüsterwald?” Dabei sah sie ihn an mit ihren dunklen Augen, die tief in ihm nach Antworten suchten, und die ob der Dunkelheit, die sich im Zelt des Ritters ausbreitete, eindringlicher wirkten, als sie in Wirklichkeit waren.

Ioric war ihr und ihren Blicken mit den Augen gefolgt, aufmerksam und konzentriert, auch wenn in der fleckigen Rötung seiner Wangen bereits unverkennbar die Wirkung des Alkohols kundtaten. Als er bemerkte, das das schwindende Licht begann ihm das Erkennen von Details zu erschweren, beugte er sich vor und holte aus einem hölzernen Kasten unterhalb des Tischchens eine Sturmlaterne, entzündete sie mit ein paar geübten Handgriffen und stellte sie auf dem Tisch ab. Das anfängliche Tanzen und Flackern ihrer Flamme beruhigte sich schnell und wich einem sich sanft wiegenden orangeroten Licht. “Ihr habt eure Frage zum größten Teil bereits selbst beantwortet.”

“Habe ich das?”

Ioric nickte. ”Zusätzlich ist es eine meiner Aufgaben als Haushofmeister ein Auge und ein Ohr für - Entwicklungen - in der Grafschaft zu haben.” Leise lächelnd griff er nach seinem Pokal, trank einen Schluck, während sie ihrem eigentlich recht hübschen Gesicht Skepsis verlieh. “Und wenn ihr die von euch genannten Gespräche oberflächlich nennt…Würde es mich freuen, einmal ein wirklich tiefschürfendes Gespräch mit euch zu führen.” Lächelnd sah er Talwen an und dieses Mal verweilte sein Blick einen Herzschlag länger als wohl angemessen wäre, bevor er ihn wieder senkte.

“Nur, damit ich das richtig verstanden habe, Herr Ioric: ihr baut also euer Bild von mir auf unseren wenigen Gesprächen und auf Berichten über die Grafschaft?” Unwillkürlich musste sie schmunzeln. “Wusste gar nicht, dass ich so wichtig bin!” Leicht zog sie die Brauen hoch. “Aber verratet mir doch bitte, da ihr mich ja zu kennen wisst: was bin ich denn nun für ein Mensch?” Das schien sie zu interessieren, vielleicht aus Neugier, vielleicht aus Wertschätzung. Obwohl sie deutlich machte, dass sie nicht alles glaubte.

Ioric blickte für einen Moment ins Licht. “Ein komplizierter: ihr haltet die Ideale von Ehre und Treue über alles und seid andererseits von ausnehmender Starrköpfigkeit. Eine Berglöwin, in Gestalt und Gebaren: stolz, gefährlich und bereit, euch mit Gebrüll auf jeden zu stürzen, der euren Unmut erregt.” Er nippte an seinem Mhôrnoch. “Ein Rätsel.”

“Aus Sicht derer, die uns nicht verstehen, ist möglicherweise einjeder von uns rätselhaft, meint ihr nicht?” Sie hatte sich den Zopf gelöst, jetzt fuhr sie mit gespreizten Fingern von unten durch das dunkle Haar, das ihr glatt über die Schulter fiel.

“Mh-hm.”, bestätigte Ioric geistesabwesend. Mit einem langen Seitenblick sah er sie an, bevor er erneut trank. Den verbliebenen Rest seines Getränks betrachtend lächelte er: “Ihr habt mir nicht widersprochen…”

„Ach, ihr wertet das gleich als Geständnis.“ Ein grollendes Lachen drang aus ihrer Brust. „Interessant. Na gut, wie ihr meint. Aber weil wir gerade dabei sind… lasst uns ein tiefgehendes Gespräch führen.“ Sie lockerte die verschränkten Arme und griff nach ihrem Pokal. „Über euch und … Arlan Stepahan.“ Sie sah anschließend etwas angespannt zu dem Krähenfels hinüber, denn immerhin war der Graf jemand, dem sie anders gegenüberstand als er, allein schon wegen der Tatsache, welchem Blut sie jeweils angehörten. „Keine Sorge, ich werde euch weder ans Messer liefern, noch bin ich ein Tratschweib. Ich, hm, fragte mich nur vorhin schon, ob das Erlebnis vom Tod eures Schwertvaters mitunter dazu geführt hat, dass…“ Talwen brach ab. „Verzeiht mein Vorstoß war nicht richtig.“

Ioric machte eine auffordernde Geste, augenscheinlich unbekümmert. “Nein, nur zu, sprecht weiter - ich bin mir nämlich sicher, dass ihr irrt. Ich verspreche euch keinen Anstoß an euren Worten zu nehmen.” Er grinste. “Und rücksichtsvolle Zurückhaltung ist nun wirklich nicht eure Art.”

Ein erleichtertes Lächeln spannte ihre Mundwinkel. „Ist sie das nicht? Richtig, ich vergaß, ihr kennt mich ja. Na gut, dann erzählt doch mal. Wie war das für euch damals, als der Erstgeborene Maelwyn Stepahans euren Schwertvater erschlug?“ fragte sie ehrlich interessiert. Sie war jedoch ernst geworden. Ihr Lächeln hatte dem üblichen Ausdruck von Strenge Platz gemacht, den auch ihr nun offen über die Schultern fallendes Haar nicht aufbrechen konnte. Es lag ebenfalls etwas in ihrem Blick, was durchaus Mitgefühl transportierte.

Iorics Blick blieb kurz an der Zeltwand hängen. Dann fing er an zu berichten, mit einer kühlen, sachlichen Distanz: “Mein Schwertvater kämpfte, wie sein Graf, auf Seiten des Reiches. Das Gefecht selber ist nichts, was eine besondere Erwähnung verdient, aber in seinem Verlauf kreuzte er mit Seiner Hochwohlgeboren die Klingen - und unterlag. Ich erinnere mich an den Moment, als er tödlich getroffen stürzte: Meine Gedanken galten nicht ihm oder den Männern und Frauen, die er führte, sondern mir. Der Kampf war verloren und wir in keiner Position für einen Rückzug.” Er schwenkte seinen Kelch, betrachtete das Spiel des Lichts in der darin herum schwimmenden Flüssigkeit. “Ich fragte mich, zum ersten Mal in meinem Leben, ob ich dort sterben würde, auf diesem Hügel ohne Namen, das Kurzschwert in der Faust, für diesen hartherzigen Bastard, der einem hartherzigen Bastard diente.” Während die Vialigh bei diesen Schimpfwörtern überrascht die Brauen hob, dann ihre Stirn zusammengeschob, setzte Ioric ein ironischen Lächeln auf und trank einen winzigen Schluck. “Natürlich wollte niemand an diesem Tag das Nirgendmeer sehen, daher streckten wir die Waffen.” Er machte eine winzige Pause, in der er Talwens Blick suchte, bevor er fortfuhr. “Arlan Stepahan gab mich frei, um den Körper meines Herrn zu seiner Familie zurückzubringen, damit sie ihn in Ehre bestatten konnten.” Unverändert sah er die junge Vialigh an, neigte den Kopf leicht.

Während der Krähenfels erzählte, hatte die Vialigh aufmerksam zugehört, hin und wieder genickt. Sie hatte ihren Gegenüber aussprechen lassen, ihn nicht unterbrochen, auch dann nicht, als sichtbar eine Frage in ihrem Blick stand.

„Der Herr Arlan ist ein gerechter, aufrechter Mann. Ein wahrhafter Recke für die Leuin, aber kein Schlächter. Mich wundert nicht, dass er euch schonte. Es war, wie ich finde, eine sehr noble Geste von ihm, euch und der Familie eures Schwertvaters zu gestatten, über den toten Leib des Ritters zu trauern,“ sprach Talwen überzeugt, und in ihrer Stimme lag Anerkennung sowie Bewunderung für den Grafen von Bredenhag, aus denen sie keinen Hehl machte. Warum auch, sie war Heckenreiterin, eine treue Gefolgsfrau des Grafen, und würde dem Haus des Weißen Löwen später eine ebenso treue Vasallin sein. Dabei verwendete die Vialigh bewusst jene Anrede, die sich Ritter untereinander gaben.

Auch Ioric ließ die Andeutung eines Nickens erkennen.


Noch mehr Schatten der Vergangenheit

In einer eher nachdenklichen Geste strich sie sich anschließend Strähnen ihres Haares hinter die Ohren. „Aber darf ich sagen, dass ihr den Eindruck erweckt, hm, naja, auf euren ersten Schwertvater nicht gut zu sprechen zu sein? Was für ein Mann war er, dass ihr ihn heute noch so nennt, wie ihr es eben tatet?“ fragte sie zuletzt vorsichtig, aber weiterhin durchaus ehrlich interessiert an der Geschichte.

Missmutig verzog Ioric das Gesicht. “Vielleicht tue ich ihm Unrecht: aber für mich war er immer ein Menschenschinder, mit einem Herz kalt wie die Niederhöllen, dessen einzige verbliebene Freude auf Dere es war, seine Untergebenen zu peinigen.” Er seufzte, zuckte dann mit den Schultern. “Wäre er mein Schwertvater geblieben, wäre ich wohl heute ein anderer.”

„Und der Herr Adalhard war demnach anders?“ Ihre Frage war mehr eine Feststellung.

Ioric hob eine Augenbraue. “Auch er war ein gestrenger Lehrmeister, ungleich seinem Bruder aber war er gerecht in seiner Strenge. Und wenn ihr ihn heute kennt - viel hat er sich seitdem nicht gewandelt.”

Talwen wog ihren Kopf hin und her. „Ich muss euch das jetzt fragen. Euer Erlebnis mit dem Stepahan - spielte das mitunter eine Rolle bei dem Dienst, den ihr eurer Tante während der Heckenfehde erwiesen habt? Ihr wisst, was ich meine.“

“Nicht gerade die Geburtsstunde eines verfehmten Verräters und Feinds aller, die treuen Herzens zum Löwen von Bredenhag stehen, nicht wahr?”, Ioric mühte sich Spott in seine Worte zu legen, vor allem wirkte er aber betrübt. “Nein, das tat es nicht”, beantwortete er dann die Frage. “Meine Tante war es, die mir den Ritterschlag zahlte, als Krähenfels nicht mehr unser war und unser Haus ein versprengter Schatten seiner selbst. Das mindeste, was ich tun konnte, war, für sie Waffenvolk und Klinge zu führen.”

„…und dies würdet ihr jederzeit wieder tun. Ja, ich habe eure Worte noch gut im Ohr,“ ergänzte Talwen seufzend mit einer Anspielung an seine ihr bekannte Überzeugung. „Es ändert zwar nichts an meiner Meinung über euer Handeln, doch verstehe ich nun besser, was ihr damit meintet, als ihr sagtet, ihr hättet es aus Pflicht an der Familie heraus getan.“

Ioric versah sie mit einem prüfenden Seitenblick, schwieg aber.

Sie kniff die Augen zusammen und sah ihren Gegenüber wissbegierig an: „Herr Ioric, etwas geht mir bei allem nicht aus dem Sinn und wenn euch die Beantwortung der Frage Unbehagen schafft, hoffe ich, dass ihr es mir nachseht, aber ich muss euch das fragen: Wart ihr froh, als Arlan Stepahan euren Schwertvater erschlug?“ kam sie wieder einmal ohne Umschweife auf den Punkt. Sie sparte es sich auch zu erwähnen, dass der heutige Graf von Bredenhag ihn in gewisser Weise davor bewahrte, weiterhin ein furchtbares Knappenleben unter einem kaltherzigen Tyrannen zu führen, denn dies, so ging sie fest davon aus, wusste er selbst am allerbesten.

Ioric schnaubte. “Nein. Das war ich nicht. Ich mag davon profitiert haben, rückblickend, aber ich habe ihm nie den Tod gewünscht.”

Sie nahm dies mit Verwunderung, Erleichterung und einem respektvollen Nicken hin. Einen Moment fragte Talwen sich, wie sie sich gefühlt hätte, wäre sie an seiner Stelle gewesen. Wahrscheinlich wäre sie nach einem Moment des Entsetzens über ihre eigene düstere Zufriedenheit, erleichtert gewesen über den Verlust und ja, auch demjenigen dankbar, der sie erlöst hätte. Ein kleines bisschen konnte Talwen die Situation nachvollziehen. Ihr eigener Schwertvater war in seiner Strenge auch meisterlich. Was Yaron Ildborn von Zöglingen forderte war nicht wenig, auch er war ein kalter freudloser Mann und die Knappschaft unter ihm war eine anstrengende Zeit gewesen, doch eines war der Junker in ihrer Zeit auf Moranshall nie gewesen: ein Menschenschinder. Zumindest nicht auf die grausame Art! Er hatte aber wesentlichen Anteil daran genommen, dass sie als Mensch, Frau, Ritterin nun so war, wie sie war. Ein Seufzen drang aus Talwens Brust, als sie an das Scheißgrubenschaufeln am Treffen der Besten im Jahr 38 dachte, eine Strafe, die der Ildborn ihr aufgebrummt hatte, obwohl sie sich eigentlich nichts zuschulden kommen hatte lassen, außer, dass sie sich möglicherweise etwas zu tief in sein persönliches Leben einmischen hatte wollen. Im Nachhinein und mit Abstand betrachtet aber einen angemessene Strafe für das Überschreiten von Grenzen, selbst wenn motiviert durch Sorge und Treue. Nach einigen Herzschlägen, die sie mit Erinnern und einem weiteren Schluck Mhôrnoch verbracht hatte: „Warum denkt ihr, war euer Schwertvater so kalt und freudlos?“ Sie betonte das kleine Wörtchen ‚euer‘ ein ganz klein wenig mehr, fast nicht auffallend, nur wenn man ganz genau hinhörte.

Ioric schien es aber dennoch zu bemerken, denn er merkte auf und schenkte ihr ein kurzes, wissendes Lächeln. Dann trank er, sodass nur noch ein winziger Rest in seinem Pokal verblieb und stellte diesen vor sich ab. “Das ist nicht schwer: Man sagt ihm nach, dass ihn eine schwere Turnierverletzung entmannte.” Er warf Talwen einen Seitenblick zu und beugte sich vor, um nach der Flasche zu greifen und hielt diese prüfend ins Licht. “Ich nehme also an, er war frustriert und…angespannt.”

„Weil er noch keinen Erben besaß?“

Ioric rollte mit den Augen und ließ einen leisen Seufzer hören. “Ich bin mir sicher, das spielte auch dort mit hinein.”

„Es gibt etwas, was man mir in meiner Pagenschaft schon recht früh deutlich machte, und an das ich gerade wieder denken muss: Wer Waffen führt, muss damit rechnen, dass sie einen verändern.“ Das ließ Talwen einfach mal so stehen. Es stand ihr genau genommen nicht zu, mehr zu sagen. Mit diesem Wissen streckte sie ihm ihren Pokal hin. „Ist noch etwas drin, dürft ihr mir gerne auch noch etwas davon einschenken,“ dabei begleitete ein feines Lächeln ihre Worte.

Mit leicht zusammengekniffenen Augen musterte Ioric Talwen für einen kurzen Moment, dann schenkte er ihr nach. Als er sich selber den Pokal füllte, gab es nur noch ein winziges Rinnsal, welches sich in sein Glas ergoss. Etwas bedauernd drehte er die Flasche auf den Kopf, bevor er sie abstellte. “Zu Schade.”

Langsam griff er nach seinem Becher und sah prüfend auf seinen Inhalt. “Gestattet ihr mir auch eine Frage?”

„Ob wir uns den Rest teilen können?“ Sie schmunzelte, wissend, dass er etwas anderes meinte, hob ihm allerdings im nächsten Augenblick mit einem neckischen Ausdruck im Gesicht erneut den Kelch hin. „Natürlich. Nehmt euch ruhig und sagt nicht, es wäre nicht traviagefällig mit seinen Gästen zu teilen, denn ihr wisst, das stimmt nicht. Ich würde ungern vor euch die letzten Tropfen schlürfen, während ihr mir dabei traurig zuseht.“

Ioric sah von dem Kelch zu Talwen, dann lächelte er, während er ihren Blick hielt. “Oh nein - Dieser Tropfen ist für eure Lippen bestimmt… Meine Wünsche stehen vor denen meines Gastes zurück, ganz so wie die gütige Mutter es wünscht.”

„So seid‘s gedankt.“ Damit nahm sie den Pokal wieder zurück und wollte schon trinken, hielt aber noch einmal inne. „Dann dürft ihr mir jetzt wohl eure Frage stellen. Was wollt ihr wissen?“


Die Frage aller Fragen

“Warum?”, fragte Ioric schlicht. ”Warum seid ihr hier? Ich nehme euch nicht ab, dass es aus Dankbarkeit für die Handvoll Goldmünzen, die ich für eure Kameraden aufgebracht habe, oder gar als Gefallen an die Politik eurer Mutter ist.” Er biss sich auf die Unterlippe, mied ihren Blick.

Talwen hatte sich diese Frage selbst schon gestellt, das letzte Mal bevor sie das Lager des Junkers betrat, daher brauchte sie nicht lange überlegen. “Ja. Tatsächlich bin ich nicht nur hier wegen des Geldes - Götter, wie das klingt - oder wegen der neu entflammten heißen…” Sie vermied es von Liebe zu sprechen und benutzte stattdessen das Wort “...Freundschaft…”, allerdings mit einem Hauch Ablehnung, “...zwischen meiner Mutter und meinem Knappenbruder.” Kurz maß sie die Reaktion des Ritters, welcher ihren Kommentar mit einer gehobenen Augenbraue und einem Schmunzeln quittierte.

“Um ehrlich zu sein, Herr Ioric, sie sind beide natürlich schöne Gründe. Ganz zu schweigen davon, dass ihr mir diesen herrlichen Mhôrnoch in Aussicht gestellt habt und ich so einen sehr gerne, aber leider viel zu selten trinke.” Dabei hob sie den Pokal in ihrer Hand wie zum Gruß. “Ich bin ehrlich zu euch, ich bin aber auch hier, weil ich wissen möchte, wer ihr seid, Ioric von Krähenfels. Wer der Mann hinter dem Gebirge an Vorbehalten ist. Meinen. Euren. Und denen von anderen. Ihr scheint wahrlich mehr zu sein, als euer Ruf und meine düstere Erinnerung an euch wegen des Schwerts an meiner Kehle damals,” antwortete sie in lockerem Plauderton, obwohl ihre Worte wohl gewählt schienen. “Daher auch die vielleicht etwas zu persönliche Frage bezüglich der Sache mit eurem Schwertvater, bitte verzeiht…. Wenn ihr mir im Gegenzug auch eine persönliche Frage stellen wollt, nur zu. Dann würde die Waage für den heutigen Abend wieder ins Gleichgewicht kommen.” Ihr Angebot untermalte die Vialigh mit einem Lächeln. Dann ließ sie im Ausklang ihrer Antwort seinen Blick auf ihr gewähren und trank genüsslich, dem Geschmack für einen kurzen Moment sogar hinter geschlossenen Lidern nachspürend. “Hmm, ” Freundlich sah sie dann zu ihm hinüber. Ihre innere Anspannung ob ihrer Ehrlichkeit versuchte sie zu kaschieren: “Durch den Honig echt hervorragend. Wollt ihr wirklich keinen Tropfen mehr davon?”

Der Krähenfelser reagierte nicht sofort, vielmehr schien er kurz in einer Betrachtung versunken, von der er sich mit einem winzigen Kopfschütteln befreite. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. “Er gehört ganz euch, ich kriege früh genug eine weitere Flasche davon in die Finger. Ihr hingegen müsstet dafür erneut meine Gesellschaft suchen.”

Sie lächelte, nickte und trank.

Er tat es ihr gleich, leerte jedoch sein Getränk und stellte den Pokal vorsichtig ab. Kurz schien er nachzudenken. “Die Stickerei -”, er deutete auf ihren Waffenrock, „das bin ich, nicht wahr?”

Talwens dunklen Augen glitten an sich herunter zum Rocksaum. Bevor sie aber an den Stoff ihrer Gewandung griff stellte sie ebenfalls erst ihren Pokal beiseite, um sogleich ungefähr auf Höhe des rechten Knies eine ganz besondere Stelle ins Lampenlicht zu rücken, denn dort war in das florale Muster aus Ranken, Blättern und Tierwesen der bittere Verrat des Hauses Krähenfels wie ein Mahnmal mit gelbem Faden eingestickt: Eine Figur, die zwei anderen ein Schwert entgegen hielt, während die Schwerter der beiden, die bedroht wurden, vor deren Füßen lagen. Eine der beiden schien ein Mann, die etwas kleinere rechts von ihm sein Zögling. “Ja, das stimmt. Ihr, ich und der Herr Yaron. Ihr habt ein gutes Auge.” Sie schmunzelte.

Ioric lächelte bitter. “Was bedeutet es euch?” Aufmerksam studierte er das Gesicht der Heckenreiterin.

Bei seiner Frage fiel Talwens Lächeln von ihr ab und sie straffte als sichtbarer Ausdruck ihrer Distanz die Schultern. Dennoch stellte sie sich seiner Neugierde selbstbewusst. „Es ist ein Moment, den ich nie vergessen werde. - Wisst ihr denn, was das für Szenen und Gestalten sind, die wir Heckenreiter auf unsere Röcken sticken?“ Sie strich den Saum entlang, glättet dabei den Faltenwurf, so dass noch einige weitere Stickereien in dem floralen Muster sichtbar wurden. Ein Hirsch, aber auch unbekannte monsterartiges Wesen. Sicherlich weniger, als man bei wesentlich älteren Heckenreitern finden würde, aber es gab sie.

Ioric furchte die Stirn. “Dinge die euch - wichtig sind?”, fragte er zaghaft.

„Überwundene Gegner!“ gab sie emotionslos zurück. „Oder Situationen in unserem Waffenleben, die uns prägten.“

Ioric nickte langsam, ließ den Blick langsam über die Stickereien gleiten, verweilte bei einzelnen, glitt dann weiter über den Stoff und die Muster. Mit einer fast körperlichen Anstrengung riss er sich los von seinen Betrachtungen, sah Talwen wieder ins Gesicht. “Aber was bedeutet es euch?”

Ihren Widerwillen sah er ihr förmlich an. Sie presste die Lippen zusammen und verengte die Augen. Es vergingen einige Herzschläge, bis sie zu einer Antwort ansetzte, nach wie vor unwillig, gerade mit ihm darüber zu sprechen, denn er war es ja schließlich gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie so empfand. Doch die Jahre unter dem kalten Ildborn hatten ihr eine Selbstbeherrschung anerzogen, die Talwen nun äußerlich ruhig gegenüber ihres einstigen Peinigers sitzen ließ, während sie davon sprach, warum ihr das gemeinsame Erlebnis so wichtig war, dass sie ihre Gewandung damit verzierte: “Als ihr damals eure Waffe gegen meinen Schwertvater und mich erhobt, war das nicht nur unerwartet, dreist, ehrlos und daher verabscheuenswürdig, sondern es führte mir vor Augen, dass Bünde ebenso machtvoll wie fragil sind. Dass Sicherheit nichts ist, was jemals sicher ist,” begann sie sachlich, wurde aber schon gleich danach persönlicher: “Ich weiß noch genau, wie sich das angefühlt hat. Wie ihr und eure Muhme unsere Aufgabe erzwungen habt, und das in einem Moment, in dem wir auf den Bund mit euch und auf eure Hilfe setzten. Ihr aber habt diejenigen, die eure Waffenverbündeten waren und Hoffnung auf euch gesetzt hatten, schamlos betrogen. Mehr noch. Ihr seid uns mit nach Blut lechzenden Klingen in den Rücken gefallen! So sollte das unter Verbündeten, unter Nachbarn, nicht sein! Im Folgende führte euer schändlicher Verrat dazu, dass die nostrischen Schweinehunde das Lehen meiner Familie noch vollends zerstörten. Unsere Burg brannte nieder, mein Vater fiel in die Hände seiner Mörder….” Nun griff sie wieder nach ihrem Pokal, trank aber nicht, sondern blickte in die schillernde Flüssigkeit hinab. “Ich hoffe für euch, dass ihr niemals zusehen müsst, wie eure Heimstatt, wie der Ort, von dem ihr wusstet, dass dort immer ein Herdfeuer für euch entzündet sein wird, lichterloh brennt.” Sie sah auf, ihm direkt ins Gesicht. “Und ich hoffe für euch, dass ihr niemals hören müsst, dass jemand, den ihr sehr liebtet, der euch sogar das Leben schenkte, sterben musste für eine Bande räudiger Hunde und verlogener Getreuen, die den Begriff Treue beschmutzen wie Ärsche den Donnerbalken. - Um noch einmal auf eure Frage zurückzukommen, Herr Ioric: diesen Moment sichtbar für alle auf meiner Kleidung zu tragen, bedeutet mir sehr viel! Denn er zeigt, dass ich den Schmerz, die Enttäuschung, das Leid, die Demütigung, all das ertragen habe.” Mit unbeugsamem Stolz sah die Berglöwin den Krähenfels an. Selbst wenn etwas von ihrer Verletzlichkeit durchdrang, war es nicht mehr als ein Schimmern. “Seht ihr, es scheint, dass Dinge, die wir als Knappen erleben, uns doch möglicherweise mehr prägen, als wir ahnen. Ich nehme mich da nicht aus.”

Aufrecht und mit unbewegter Miene war Ioric von Krähenfels ihren Ausführungen gefolgt. Bei der Erwähnung der Nostrischen Söldlinge kräuselte sich kurz seine Oberlippe und ein säuerlicher Ausdruck zeigte sich auf seinem Gesicht, er blieb aber stumm. “Zweifelsohne”, bestätigte er dann einsilbig. Dann schien die Anspannung von ihm abzufallen und er senkte den Blick, augenscheinlich betrübt. Der Moment verging aber und er wandte seinen Blick wieder seinem Gast zu, sein Gesicht wieder eine neutrale Maske.

“Tja, so ist das.” seufzte Talwen und glättete nebenbei ihren Wappenrock. Die Erzählung hatte sie aufgewühlt, daher strich sie den Stoff bewusst langsam glatt. “Gibt es denn noch etwas, was ihr über mich wissen wollt?” fragte sie, als der Saum wieder lag, wie er sollte. “Oder wäre es euch lieber, wenn ich ginge? Das könnte ich verstehen.” Als Geste des Entgegenkommens und um zu zeigen, wie ernst es ihr war, stellte sie den Pokal zurück auf den Tisch. “Möglicherweise sollte ich auch die Sperrstunde nicht ausreizen. Ja, ich denke, es ist besser, wenn ich aufbreche…” Sie versuchte ein Lächeln. Noch aber blieb sie sitzen, wartend, was von ihm käme.

Für einen Moment schien es als wollte Ioric etwas sagen, er öffnete den Mund und hob die Hand, dann schloss er ihn wieder und ließ die Hand sinken. Er räusperte sich. “Bitte trinkt aus, nehmt euch noch eine Kleinigkeit.”, bat er, betont förmlich. “Gleichwohl seid ihr jederzeit frei zu gehen, wenn es euch beliebt.”

“Hm, vielleicht habt ihr recht.” Ihr Augenmerk fiel auf den Pokal, die Wurst, den Käse und die Schale mit dem Konfekt. Kurz war sie versucht, die Leckerei zu greifen, sie nahm sich allerdings ihr Getränk zurück in die Hand. “Vorschlag: ich trinke aus, ihr stellt noch eine Frage, und dann breche ich auf. Wäre das in eurem Sinne?”


Segen und Fluch

Nachdenklich nickend griff Ioric nach dem Messer und schnitt ein weiteres Stück Käse. Dann überwand er sich und sah zu ihr auf. “Was meintet ihr als ihr mir vorhin einen Segenswunsch versprochen habt - und gilt euer Angebot noch?” Er versuchte die Frage mit einem lockeren Lächeln zu begleiten, aber unüblich für den Krähenfelser wirkte er tatsächlich ein wenig unsicher.

Talwen stutze und sah ihn skeptisch an. “Helft mir auf die Sprünge. Was meint ihr?”

“Ihr hattet bedauert meinen Turniererfolg oder sein Ausbleiben wohl nicht verfolgen zu können, aber wolltet mir einen Segenswunsch übermitteln - natürlich nur im Interesse eurer Kameraden”. Ioric schmunzelte. “Erinnert ihr euch nicht?”

“Ach das. Ja… Gut … Ich werde euch etwas wünschen.” sagte sie etwas verwirrt, denn damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Zumal sie das auch gar nicht mehr im Kopf hatte.“Was genau soll ich euch wünschen außer den Sieg?"

“Vergesst es einfach.” Mit einer Handbewegung und einem Lächeln wischte Ioric das Thema beiseite.

Sie sah ihn aus dem Augenwinkel musternd an. “Sicher? Es schien euch irgendwie…wichtig.”

Ioric schüttelte den Kopf. “Nur ein Versuch, etwas Unverfängliches zu finden.” Kurz schien er sich über sich selbst zu ärgern, dann glätteten sich seine Züge wieder und er griff mit spitzen Fingern nach einem Konfekt.

Begleitet wurde er von einem Auflachen Talwens, denn sein Kommentar hatte es irgendwie geschafft, ihr Trübsal zu durchdringen. “Etwas Unverfängliches?” fragte sie daher belustigt. “Herr Ioric! Habt ihr noch nicht gemerkt, dass es in all unseren Gesprächen nichts Unverfängliches gibt? Alles führte bislang entweder dazu, dass wir uns missverstehen, piesacken, beim anderen entschuldigen, Argwohn hegen, oder dass das Gesagte aufs Gemüt schlägt.” zählte sie an ihren Fingern auf.

Ioric lachte trocken. “Ja, da habt ihr wohl recht, wie dumm von mir.” Er grinste, nicht nur erheitert ob der Beobachtung, sondern auch froh, der misslichen Lage entkommen zu sein, in welche er sich selbst manövriert hatte.

“Vielleicht könnte das Trinken als unverfänglich gelten. Nur,” Talwen sah in das Gefäß in ihrer Hand, “habt ihr nichts mehr, nur ich. Also müsst ihr wohl oder übel unverfängliche Worte finden, während ich unverfänglich trinke.” Sie prostete Ioric zu.

Jetzt lachte der Krähenfelser glucksend. "Trinken, um nicht etwas Dummes zu sagen? Dieser Plan ist noch nie fehlgeschlagen!” Immer noch erheitert blickte er von Talwen zu der geleerten Flasche und von dort zu der kleinen Truhe, aus der er vorhin das Dargebotene entnommen hatte. “Wollt ihr noch was? Ich werde mir nicht nachsagen lassen, ich hätte euch unzureichend bewirtet!”

“Ich möchte euch in eurem eigenen Zelt keine Vorschriften machen”, stellte sie klar, “doch wenn ihr euch als Gastgeber wohler fühlt, dürft ihr selbstverständlich noch etwas auftischen.”

Während er zu der Truhe ging, nippte sie ein kleines Schlückchen und meinte: “Warum habt ihr eigentlich noch keinen Knappen? Ist das wegen der Hürde eures schlechten Rufs? Oder seid ihr noch nicht bereit, euch zu binden?” Wie schon mehrere Male zuvor an diesem Abend besaßen ihre Worte keine festgelegte Bedeutung. Sie machte allerdings nicht den Eindruck, über die Doppeldeutigkeit in ihrer letzten Frage bescheid zu wissen, denn ihre Stirn lag nachdenklich in Falten, als er sich wieder zu ihr umdrehte. “Selbst einen Zögling fürs Leben als Ritter vorzubereiten, könnte zumindest ich mir momentan nicht vorstellen.”

“Nein?” Ioric hatte einen kleinen Handkäse und ein paar getrocknete Trauben aus der Truhe entnommen und wog diese nun, augenscheinlich unzufrieden, in der Hand. “Ich hätte Gold verwettet, ihr würdet darauf brennen, den oder die nächste Heckenritterin unter eure Fittiche zu nehmen…”

“Von Zeit zu Zeit Anwärter herum zu scheuchen ist etwas anderes als Tag und Nacht für einen Knappen oder eine Knappin da zu sein. Ihr wisst doch selbst: man kann so vieles falsch machen, wenn man nicht mit Herz und Seele dabei ist.” entgegnete sie wahrheitsgemäß. Erst nachdem ihre Worte den Mund verlassen hatten, merkte sie die Unverschämtheit, die in ihnen steckte. Errötend fügte sie daher noch schnell dazu: “Äh, ich meine, ich bin nur Grenzwächterin, die allermeiste Zeit unterwegs, ein karges Leben auf dem Pferderücken. Ihr hingegen seid Haushofmeister an einem machtvollen Hause besten Leumunds. Eure profunden Fertigkeiten in der Lehensverwaltung übersteigen sicherlich die meinen um Längen - darauf würde ich wetten…”

“Frau Talwen, habt ihr mir gerade ein Kompliment gemacht?”, fragte Ioric, mit betontem Erstaunen und in bewusster Umkehrung ihrer früheren Frage. Einen Moment schien er nachzudenken,während er ironisch lächelte. “Die Familien reißen sich nicht gerade darum, ihre Sprösslinge bei mir abzugeben - und ich bin mir sicher, der von euch angesprochene schlechte Ruf spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle.” Er legte den Kopf schief und deutete mit einem Finger in Richtung des Tisches. “Ich könnte eine zweite Flasche besorgen, wenn ihr es wünscht. - Durch meine profunden Fertigkeiten.” Ioric schmunzelte.

Talwen strich sich ertappt das Haar hinters Ohr, obwohl dazu keine Notwendigkeit bestand, weil sich gar nichts gelöst hatte, und warf einen Blick auf die leere Mhôrnoch-Flasche. Einen kurzen Augenblick wog sie Versuchung gegen Vernunft. Noch spürte sie nur die unbeschwerte Leichtigkeit, aber würde sie weitertrinken, würde diese wie immer sich wandeln. “Das ist wahrlich verlockend. Ich fürchte nur, dass Ihr mich dann --” Abrupt hielt sie inne, als ihr bewusst wurde, dass ihr Gastgeber es möglicherweise gänzlich falsch verstehen könne, wenn sie sagte, er müsse sie danach ins Bett tragen. Sie wollte allerdings auch kein schlechter Gast sein und eigentlich gefiel ihr der Geschmack des Getränks ebenso wie die Tatsache, den Geldbeutel des Krähenfels ein klein wenig zu schöpfen, weil die Flaschen sicherlich nicht billig waren. Daher beendete sie ihren Satz so: “...noch eine kleine Weile ertragen müsst.” Sie erwiderte sein Schmunzeln mit einem eigenen.

Ioric, dem ihr Zögern nicht entgangen war, lächelte nun breit. “Es wäre mir eine Freude, für eine weitere Weile, ganz gleich wie lang, das Privileg eurer Gesellschaft zu genießen.” Mit langen Schritten durchmaß er den Raum, legte Käse und Trauben auf dem Teller ab und wandte sich dem Zeltausgang zu. “Entschuldigt mich, es dauert nur einen Moment.”

Als Talwen für einen Moment allein war, hatte sie Zeit, sich mit einer Wahrheit, besser noch, einer Erkenntnis auseinander zu setzen. Doch das Gefühl, welches sich ihrer bemächtigte, wenn sie daran dachte, dass sie hier freiwillig Zeit mit Ioric von Krähenfels verbrachte - den sie eigentlich bis jetzt überhaupt nicht leiden konnte und über den sie bislang hinweg zu sehen gedachte wie über einen Unwürdigen - war kein schlechtes. In mancherlei Hinsicht war Ioric anders geprägt als sie, ein stolzer Krähenfels, Caran in vielen Dingen unähnlich, wobei sie sich dazu eingestehen musste, mit selbigem bisher noch keine solch tiefgehenden Gespräche geführt zu haben. Ioric war von anderem Charakter als Caran, und auch von anderem Charakter als sie selbst, doch schien er beileibe kein schlechter Mensch zu sein. Er besaß Witz, Empathie und Geschmack, was guten Alkohol anging - Eigenschaften, die Talwen feststellte an ihm zu mögen. Abgesehen von seinem unverzeihlichen Verrat, welchen sie immer noch als solchen ansah, war er ein interessanter Mann, der nicht mal hässlich aussah, ohja, und ein amüsanter Gesprächspartner war er obendrein. Außerdem hatte der Krähenfels wie sie selbst in seinem bisherigen Leben mehr erlebt, als die Schlacht der Krähen. Sie war ein wenig von sich selbst überrascht, dass sie es spannend fand, was sie noch über ihn erfahren würde, wenn sie noch eine kleine Weile blieb. Vielleicht würde sie auch hinter das Geheimnis kommen, welches er vor ihr zu verbergen versuchte, aber ganz offensichtlich mit sich trug.

Rahja zu Ehr‘

Mit einem triumphierenden Lächeln kehrte Ioric von Krähenfels in sein Zelt zurück, seine Beute, eine Flasche gleicher Machart wie die zuvor geleerte, grüßend erhoben. “Da bin ich wieder! Reicht mir euer Glas!”, grüßte er seinen Gast gut gelaunt. Sein Gesicht zeigte nun Zeichen einsetzender Trunkenheit: Wangen und Nasenspitze waren leicht gerötet und im Licht war ein leichter Glanz in seinen Augen zu erkennen.

Er fand Talwen auf den Beinen vor, weil sie sich diese während seiner Abwesenheit ein wenig vertreten hatte. In der einen Hand hielt sie ihren Pokal, mit der anderen naschte sie just ein paar der getrockneten Trauben, die sie in der Faust bei sich trug. “Ich bin neugierig. Habt ihr die eurem armen Dienstherrn geklaut oder was habt ihr erzählt, warum ihr sie braucht?” fragte sie neckisch.

Ioric lachte auf. “Der Waffenknecht, der das Vorratszelt bewacht, weiß besseres als mich aufzuhalten. Den Herrn Aldewen habe ich aber noch nicht über meine Entnahme in Kenntnis gesetzt, also muss diese Flasche wohl für heute Abend als gestohlen gelten.” Mit einer geübten Bewegung entkorkte er das Glasgefäß und streckte es Talwen entgegen.

Die streckte wiederum ihren Pokal hin, auf dass er ihn füllen konnte. In ihrem war nur noch ein kläglicher Rest. „Trinken wir also fürs Erste Diebesgut, in Ordnung.“ lachte sie. „Aber verratet es nur keinem. Vor allem nicht meiner Mutter. Die würde das nicht lustig finden.“

Konzentriert goss Ioric ihr vom goldbraunen Inhalt der Flasche in ihren Pokal, bemüht, keinen Tropfen zu verschenken. “Meine Lippen sind versiegelt.”, versicherte er verschwörerisch. Dann beugte er sich über den Tisch und füllte sich ebenfalls nach. Vorsichtig stellte er dann die Flasche auf dem Tisch ab, bevor er seinerseits nach dem Pokal griff und ihn erhob. “Hohe Dame -”. Mit einer einladenden Handbewegung wies er auf die Sitzgelegenheiten.

Sie folgte seiner Einladung und peilte die gepolsterte Liege an, auf der er zuvor gesessen hatte. „Wäre es vermessen, wenn ihr mir diesen Platz anbötet?“ Sie nahm ihn sich kurzerhand in Besitz und ließ sich nieder. Von dort grüßte sie zurück: „Hoher Herr.“

Ioric hatte die Gelegenheit versäumt, sich ebenfalls zu setzen und stattdessen die Erbin von Unkengrund beobachtet. Jetzt wirkte er etwas aus dem Gleichgewicht gebracht, schien er unwillens ihren Gruß im Stehen zu erwidern und so setzte er sich, ein wenig Eleganz missen lassend auf einen der Stühle, während er ebenfalls das Glas erhob. “Vermessen wäre es, ihre Freuden für mich allein behalten zu wollen. Vergebt mir, dass ich sie euch nicht zuvor bereits anbot”, beeilte er sich zu versichern.

“Ich denke, dass es die Herrin Rahja durchaus zu würdigen weiß, dass wir ihr mit diesem formidablen Tropfen…huldigen.” Noch einmal hob die Vialigh den Pokal. “Auf was trinken wir diesmal? Habt ihr einen Vorschlag?” Offen für alles schmunzelte sie ihn an. Auch bei ihr zeigte der Konsum Wirkung. Ioric brauchte einen Moment, um die sich ihm ungebeten aufdrängenden Bilder zurückzudrängen und so drehte er den Pokal einmal, vorgeblich um das Spiel des Lichts in der Flüssigkeit zu betrachten. Dann warf er Talwen einen Seitenblick zu. “Ich hatte gehofft, ihr hättet einen solchen, mir fehlt eine Inspiration…”

Talwens Lächeln bekam, ebenso wie ihre herausfordernden dunklen Augen etwas Spitzbübisches, eben so, als hätte sie einen Einblick in seine Gedanken erhascht. “Dann… lasst uns doch auf die Heitere trinken! Immerhin tun wir’s mit ihr…und ihr zu Ehren - oder seid ihr anderer Meinung?” schlug sie vor.

Für einen Augenblick wirkte Ioric ertappt und es dauerte einen kurzen Moment, bis er seiner Gedanken und Gefühle wieder Herr war. So war das Lächeln, mit dem er ihren Worten begegnete, etwas angestrengt. “Auf die Schöne Göttin! Möge uns ihre Heiterkeit begleiten!”, schlug er dann vor, sobald er sich wieder einigermaßen sicher fühlte.

“Oh ja,” antwortete Talwen, wobei sie ihre Antwort fast hauchte, während sie ihn aufmerksam musterte. Zur Verdeutlichung ihrer Zustimmung hob sie ihren Pokal noch etwas höher, bevor sie ihn an die Lippen setzte und sich einen tiefen Schluck genehmigte. Beim Absetzen zerrieb sie genussvoll die herbe Süße zwischen ihren Lippen. “Wirklich ein Genuss. Ihr müsst mir unbedingt sagen, woher ihr diese Köstlichkeit habt.”

Ioric hatte ebenfalls getrunken und hielt nun den Pokal zwischen zwei Fingern, während er Talwen ansah. “Aus den Kellern von Burg Eichengrund”, antwortete er mit einem breiten Grinsen.

“Gut zu wissen.” Sie zwinkerte. Sie riss sich nachfolgend von dem Thema los und kam auf ein anderes zurück: “Hm, wollt ihr mir eigentlich noch Fragen stellen? Oder was ist derzeit Wunsch in euch?” Wie bereits mehrere Male zuvor an diesem Abend besaßen die Worte der Vialigh - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - nicht nur eine einzige Bedeutung. Sie ließ eine kurze Pause, eben so lange, wie es dauerte zu trinken. “Oder gestattet ihr mir euch noch etwas zu fragen?” Interessiert blickte sie durch das Lampenlicht zu dem Krähenfels hinüber.

“Ich -” Iorics Selbstsicherheit schien ein wenig zu taumeln und so rang er kurz um Worte “- also -” Mit einem Blinzeln und einem kurzen Atemzug fing er sich wieder. “Fragt ruhig“, antwortete er dann mit einem auffordernden Nicken.

„Ist euch nicht wohl?“ wollte sie auf sein Zögern hin wissen.

Ioric setzte sich auf, schüttelte den Kopf. “Macht euch meinetwegen keine Sorgen, ich hätte wohl zwischendurch etwas Wasser trinken sollen.”

Schmunzelnd nickte die Vialigh und bewies, dass es ihr noch nicht mal flau im Magen war, in dem sie einen großen Schluck nahm, der ihren Pokal leerte. Anschließend griff sie nach der Flaschen und schenkte sich nach, hielt danach die Flasche aber noch in der Hand und inne: „Ihr… wollt sicher momentan nichts mehr hiervon, oder?“

In Iorics Augen blitzte es, mit einem kurzen Blick in seinen fast vollen Pokal schien er eine Entscheidung zu treffen und er leerte sein Getränk ebenfalls. Mit einem herausfordernden Lächeln streckte er ihr den Pokal entgegen.

Mit einem durchaus als Anerkennung geltendem Nicken füllte Talwen ihrem Gastgeber nach, bevor sie die Flasche zurück auf den Tisch stellte und ihren Pokal fast liebevoll mit dem Daumen streichelte. „Ihr müsst wissen, Brand wärmt in kalten Nächten, die man fern ab eines Unterschlupfs verbringt, hervorragend,“ erklärte sie schmunzelnd den Umstand, warum sie noch immer munter trinken konnte, während er bereits die ersten Grenzen seines Körpers fühlte. „Nicht, dass wir bei der Grenzwacht alle versoffene Brüder wären,“ sie lachte, „aber wenn ihr es vorher noch nicht konntet lernt ihr dort das Trinken. Freilich, so ein feines Tröpfchen haben wir nicht mit auf Reisen dabei, sehr bedauerlich.“ Noch einmal lachte sie auf, als ein Gedanke sie streifte: „Bei Rahja! Ich hoffe, dass ihr nicht gewillt seid, diese Informationen über mich gegen mich zu verwenden.“ warf sie ihm heiter entgegen, und daher nicht ganz ernst gemeint, bevor sie mit einem Blick über ihren Becherrand fortfuhr. „Ihr müsst nicht, wenn ihr nicht wollt. … Trinken, meine ich. Ich möchte schließlich nicht, dass es heißt, ich hätte euch gezwungen, oder dergleichen.“ Gespielt verletzt fasste sie sich mit der Hand an die Brust, dann lachte sie und trank. Sie hatte nicht vor, dem Krähenfels zu offenbaren, dass auch ihr der Alkohol zu Kopf stieg. Nicht so wie ihm, aber sie spürte ihn schon auch.

Ioric lachte. “Also habt ihr meinen Brand auf Heckendorn fast wieder ausgespuckt, weil er von mir kam?“

„Nein, der Fusel war wirklich untrinkbar, ich hab euch da nichts vorgemacht,“ konterte sie wahrheitsgemäß. An den furchtbaren Geschmack erinnerte sie sich noch und zog eine angewiderte Grimasse.

„Ich habe mich schon gewundert, dass ihr euch als solches Leichtgewicht gabt.” Kopfschüttelnd nippte er an seinem frisch gefüllten Getränk. “Ihr habt mein Wort, dass ich euch nicht zu schaden trachte - bei Rahja”, fügte er mit einem verschmitzten Lächeln hinzu, während er sie mit einem langen Blick von oben bis unten musterte. “Und gebt es doch ruhig zu: es würde euch doch gefallen, würde man euch nachsagen, ihr hättet den Krähenfels unter eurem Joch.” Demonstrativ grüßte er mit dem Becher und trank erneut.

„Jjjjaaaa, das wäre schon einige nette dumme Gesichter wert,“ gab sie schmunzelnd zu und ihre Augen leuchteten begeistert auf, als sie das so sagte. Ob das Gesicht ihrer herrischen Mutter auch dazu gehörte, sagte sie leider nicht. Etwas nachdenklicher fügte sie hinzu und sah ihn dabei prüfend mit schiefgelegtem Kopf über ihren Pokal hinweg an: „Würde es euch denn gefallen?… - Also, ich meine, wenn man dies über euch sagen würde!“ umschiffte sie die Klippe der Zweideutigkeit ein weiteres Mal. „Je nachdem, aus welcher Sicht betrachtet, würde es euch ja dann vielleicht nicht unbedingt zum Ruhme gereichen, wenn ihr euch von jemandem wie mir klein machen würdet. Andere wiederum würden euch vielleicht Respekt zollen…“

Ioric ließ seinen Pokal sinken, sah sie lang an. “Wie einen Minnedienst, meint ihr?” Er schüttelte den Kopf, wirkte ernst. “Nein, ich hätte Sorge, man würde derlei bloß als Spott oder Geringschätzung eures Standes auslegen.” Dann grinste er und der Alkohol machte ihn mutiger, als er das wohl für gewöhnlich gewesen wäre: “Was nicht heißt, dass es mir nicht gefallen könnte - unter euch.”

„Ihr meint mit meinem Fuß in eurem Genick?“ fragte sie trivial. Sie ging nicht davon aus, dass er das meinte, aber so überging sie elegant, dass seine Bemerkung Bilder in ihr auslöste, die sie interessant wie verstörend fand. Das Allerverstörendste war aber, dass sie ihn und sich selbst abschätzte und die Konsequenz daraus gar nicht so schlimm fand, wie sie es sich selbst gewünscht hätte. Trotzdem versteckte sie sich lieber hinter ihrer Erwiderung, beugte sich vor und griff nun auch nach einem Konfekt.

Anstatt Atem mit einer überflüssigen Verneinung zu verschwenden, lachte Ioric nur und trank einen Schluck. Als er wieder absetzte, war das zufriedene Lächeln in seinem Mundwinkel nicht verschwunden. “Ihr hattet eine Frage, oder nicht?”

Talwen lachte ebenso. “Eine Frage? Ihr werft derer viele auf!” Grinsend spürte sie in sich hinein, fuhr dann fort: “Ihr habt mir schon einiges von euch gezeigt. Dass ihr gut im Jammern seid. Oder wo eure Loyalitäten liegen. Und erst eben, dass ihr euch nicht zu schade seid, euren Dienstherrn für ein vergängliches Vergnügen zu beklauen.” Dabei grüßte sie ihn erneut mit ihrem Pokal und sah ihn anschließend herausfordern an: “Aber was seid ihr bereit noch von euch preiszugeben, Ioric von Krähenfels?”

Falls Ihre Worte an seiner Ehre kratzten, so ließ er sich das nicht anmerken: “Alles Vergnügen ist vergänglich, wie sollten wir es sonst vom grauen Alltag unterscheiden?”, gab er mit einem Schulterzucken zurück. “... und bis jetzt schient ihr mir eine willige - Komplizin - gewesen zu sein…” Er grinste und hob nun ebenfalls den Pokal. “Ich habe nichts zu verbergen.”

“Das heißt, dass ihr mir jede Frage beantworten würdet, wenn ich sie euch stellte? Wirklich jede?”

“Sofern mich nicht Eide oder Versprechen binden, ja.” Ioric nickte ernsthaft, er schien mehr neugierig als besorgt ob ihrer Frage.

Dass das gerade von ihm kam, fand sie recht putzig. “Keine Sorge,” versicherte sie ihm lachend, “Ich habe nicht vor, euch zum Frevler zu machen. Das... “ überlasse ich euch schon selbst, wollte Talwen sagen, hielt sich aber zurück, denn sie wollte ihrem Gegenüber nicht vor den Kopf stoßen, wo er sich doch gerade so Mühe gab, sich selbst die Beine zu stellen. Ihr gefiel das irgendwie. “... wäre nicht schicklich!” Sagte sie stattdessen und ließ die folgenden Worte wie nebensächlich klingen. “Außer natürlich ihr wollt Dinge tun, die…nicht schicklich…sind. Aber die Entscheidung darüber überlasse ich ganz euch,” sagte sie nun doch. Bevor er allerdings etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: “Weil wir gerade beim Thema ‘schicklich’ sind. Hm, ich bräuchte vielleicht mal euren Rat bezüglich dieses Wettbewerbs, in dessen Mitte ich stehe. Wäre es denn eurer Meinung nach schicklich, gäbe ich einem der beiden Hundskerle nach? Was meint ihr? Und, da ihr sie ja näher kennt,” Sie zwinkerte bei diesem Seitenhieb, “Wem von euren beiden Freunden sollte ich eurer Meinung nach denn den Vorzug geben?” Seine Meinung war zweitrangig, sie interessierte, ob er reagierte und wie. Bei all seinen Anspielungen erwartete sie das fast.

Ioric lächelte. Die erwartete Zurecht- und Zurückweisung ob seines, die Grenzen von Anstand und Höflichkeit zumindest ausreizenden Kommentars, war ausgeblieben. Stattdessen erhöhte sie den Einsatz: Süße Rahja, sie spielte mit ihm! Oder natürlich er war betrunkener als er dachte. “Ich soll euch zu einem Werber raten? Wer bin ich, eure Mutter?”, wies er ihre Forderung nach einer Empfehlung zurück. “Schicklichkeit ist so ein schwer greifbares Ding - “ Nachdenklich drehte er sein Glas in der Hand. “ - Ich habe die Erfahrung gemacht, sie scheint ihre Gestalt zu ändern, je nachdem, wo und mit wem man sich befindet.” Er trank einen winzigen Schluck, dann sah er Talwen unverhohlen an. “Warum bittet ihr mich nicht zu euch herüber und macht beide dieser Schaumschläger unwiderruflich zu Verlierern?“

Gestern, oder noch auf Heckendorn, hätte sie ihn sicher für solche Worte schallend ausgelacht, vielleicht sogar geohrfeigt. Ihm ihre Belustigung gezeigt und ebenso die kalte Schulter. Nun musste sie zwar auch lachen, aber sein Vorstoß gefiel ihr irgendwie. Verriet er doch sehr viel über ihn. “Stimmt, das könnte ich.” antwortete Talwen erfrischt durch seinen Annäherungsversuch, während sie sich erneut gemütlich vorbeugte, um nach Konfekt zu greifen. Dabei brach sie seinen Blick nur zu gerne für einen Moment, wissend, dass er dem kleinen Naschwerk von der Schale zu ihrem Mund folgen würde, und ebenso wissend, dass sie ihm noch keine richtige Antwort gab. “Doch sagtet ihr nicht, dass ihr euch nichts aus diesem Wettkampf macht?” spielte sie die Verwunderte. “Was hat eure Meinung geändert?” Dabei sah sie ihn wieder mit ihren dunklen Augen an. Nebenbei ließ sie die Süßigkeit in ihrem Mund verschwinden, kaute und schleckte sich anschließend ihre Finger ab.

Ioric beobachtete sie äußerlich ungerührt, ließ sich von ihrer uneindeutigen Reaktion nicht aus der Ruhe bringen. Als er sprach, sprach er mit schlichter Überzeugung in der Stimme: “Nichts hat sich geändert. Mir liegt weiterhin nichts an diesem Wettkampf.” Er senkte den Blick, fuhr mit dem Finger den Rand des Glases entlang, ehe er wieder aufblickte und ihre Augen suchte. “Mir liegt etwas an euch.“

Talwen hielt für einige Herzschläge kaum merklich die Luft an. Es stimmte also: jeder fiel irgendwann über die Schlingen, die er sich selbst legte. Der Ausdruck in ihren Augen wandelte sich von Verwunderung zu Bewunderung. „Falls ihr das eben ehrlich meintet, muss ich euch mutig und kühn nennen, Herr Ioric. Aber auch verrückt.“ Das Gefühl der gewonnenen Schlacht ließ sie breit schmunzeln.

Ioric wandte den Blick ab und trank. “Nennt mich wie es euch beliebt”, brummte er und zuckte mit den Schultern, betont gleichgültig, auch wenn der Ton seiner Stimme diesen Eindruck nicht untermauerte.

„Oh, ich meinte das durchaus ernst.“ sagte sie belustigt und unterdrückte den Impuls, mit den Augen zu rollen, als er sich ins Häuschen zurückzog wie ein Schneck. „Ihr seid tatsächlich mutig, mutiger als manch anderer. Doch euer Gehabe, als würdet ihr gekränkt wie ein Kind die Lippen schürzen, steht euch nicht. Ihr wollt meinen Respekt? Tut etwas, was euch besser zu Gesicht steht!“ Kurz wunderte sie sich über ihre eigenen Worte.

Kurz flackerte Ärger in den Augen des Krähenfelsers auf, dann verengten sie sich und er fixierte die junge Vialigh. “Wenn ihr auch nur für einen Herzschlag glaubt, ich würde euch in eine ehrenrührige Situation bringen, enttäuscht ihr mich, Talwen Vialigh. Ihr wollt etwas? Habt den Schneid es einzufordern. Ihr seid keine sanft errötende Jungfer, erwartet nicht von mir das ich euch als eine solche behandle!”, obwohl Ioric offensichtlich erregt sprach, klang mehr Herausforderung als Ärger aus seinen Worten.

Während der Krähenfels sprach, hatten sich auch Talwens Brauen verärgert zusammengeschoben, ihre Nasenwurzel zornig gefurcht und ihr Herzschlag erhöht. „Ich habe nie gesagt, dass ich glaube, ihr wölltet etwas tun, was…“ Sie brach ab. „Aber ihr habt ganz recht, ich bin keine sanft errötende Jungfer,“ entgegnete sie äußerlich selbstbeherrscht, die Energie, mit der sie dann aber ihren Pokal auf das Tischchen knallte und sich in den Stand drückte, sprach eine andere Sprache. „Und wenn ihr etwas von mir wollt, Ioric von Krähenfels, dann solltet ihr dringend genauer werden und die Andeutungen sein lassen! Los! Ich fordere eure Aufrichtigkeit ein.“ Dabei machte sie einen Schritt auf ihn zu und verlieh ihrer Aufforderung mit einer Handgeste Ausdruck. „Ihr sagt, dass euch etwas an mir liegt? Beweist es! Und vor allem, dass ihr nicht genauso seid, wie die anderen!“ Am Ende stand sie vor ihm, lodernd ihr Blick, eine Raubkatze vor dem Sprung.

Ioric war ebenfalls aufgesprungen, als Talwen sich erhoben hatte, sein hastig auf den Tisch gegebener Pokal taumelte und stürzte auf den Zeltboden, wo er zwar nicht zerbrach, aber seinen Inhalt vergoss. Aufrecht bot er der jungen Ritterin die Stirn, wich nicht einen Fingerbreit zurück. “Was ich will, ist euch diesen Waffenrock vom Leib reißen und wenn ihr ihn wieder anlegt, sollt ihr ein neues Bild hinzufügen wollen - eines, das euren Anwärtern das Blut in die Ohren treibt”, knurrte er. “Ich will eben dieses Feuer in euren Augen sehen, wenn ihr auf mir kniet.” Iorics Mundwinkel verzog sich zu einem Grinsen, als er bemerkte, dass seine Worte ihr kurzzeitig den Atem nahmen, nur, um selbigen einen Augenblick später schneller einsetzen zu lassen, als ihr womöglich bewusst war. “Ihr wollt Beweise, dass mir etwas an euch liegt? Ich habe nichts zu geben, außer meinem Wort, aber ich versichere euch, dass ich euch für euch begehre, nicht um etwas zu beweisen, oder weil es politisch oder dynastisch opportun ist.” Seine grünen Augen begegneten den ihren stolz und furchtlos.

„Ich nehme euch beim Wort. Und gnaden euch die Götter, wenn ihr es brecht!“ drang es bedrohlich aus ihrer Kehle, während sie ihren Dolch zwar zog, aber nur, um ihn im nächsten Augenblick auf dem Tischchen niederzulegen. Ihr Blick hielt dem seinen nicht minder mutig und selbstbewusst stand.

Ioric lächelte selbstsicher und überwand die letzten Spann, die sie trennten, mit einem halben Schritt nach vorn, sodass kaum noch ein Halbfinger Platz zwischen ihren Körpern verblieb. Das Blut war ihm in die Wangen geschossen und seine Augen schienen sie herauszufordern: Komm her, kleine Raubkatze!

Einen kurzen Augenblick war Talwen noch versucht gewesen, ihn nun unverrichteter Dinge stehen zu lassen, vor dem Hintergrund, dass es sich möglicherweise erbauend angefühlt hätte, sich erneut über ihn zu erheben. Dann überwand er die restliche Distanz und seine Präsenz, sein Körper, seine Nähe, sein Geruch ließen ihr Herz so hart und laut und schnell in ihrer Brust schlagen, dass sie sich fast dafür schämte, wie sehr ihr auch das gefiel. “Ihr wollt also ein neues Bild von euch auf meiner Kleidung?” Provokant auflachend griff sie an eine der Schnallen seines Gambesons, zog diese mit einem geübten Ruck auf. Schon wanderten ihre Finger zur nächsten. “Eines, das meinen Anwärtern die Schamesröte ins Gesicht treibt, sagt ihr?” Die Vorstellung gefiel ihr. Weiterhin ohne zu fragen öffnete sie die nächste Schnalle. “Das klingt nicht ganz…schicklich…”

Erst als Talwen ihn berührte, kam auch wieder Bewegung in Ioric von Krähenfels. Zufrieden mit ihrer Reaktion grinste er, ließ sie gewähren, während sie die Schließen seiner Kleidung öffnete. “Tut es das nicht?” Ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden, ertastete er mit den Händen ihren Gürtel. “Bedauerlich.” Mit einer schnellen Bewegung zog er sie gleichsam an sich und löste ihn von ihren Hüften. “Dabei ist doch euer einziges Ansinnen ein Leben in - Schicklichkeit.”

Sie seufzte. „Weil ihr mich ja so gut kennt…“ entgegnete sie als Anspielung darauf, dass er sich gerne anmaßte, mit ihrem Wesen ausreichend bekannt zu sein. Ihre Arbeit unterbrach sie dabei nicht, allerdings hielt sie nach der Öffnung der letzten Schnalle inne. „Eben erst hat jemand behauptet, Schicklichkeit wäre ein wankelmütiges Ding, das seine Gestalt nur zu gern ändert. Aber wisst ihr, was ich gerade denke?“ Der lauernde Tonfall in ihrer Frage ließ ihn aufhorchen, tatsächlich riss sie im nächsten Moment seinen Gambeson weit auf. „Manchmal ist es nicht schicklich, schicklich zu sein.“

Ioric grinste breit, ließ mit einer einfachen Geste und einer Bewegung seiner Schultern seinen Gambeson, ebenso wie ihren Gürtel, achtlos zu Boden fallen. Darunter trug er ein helles Hemd aus einfachem Leinen, welches über dem Herzen bis zur linken Schulter leicht deformiert wurde durch den darunter liegenden Verband, ansonsten aber tadellos saß, als wäre es ihm erst vor kurzem auf den Leib geschneidert worden. Den Blick nicht für einen Herzschlag von ihr nehmend, senkte er den Kopf leicht und breitete die Arme in einer herausfordernden Geste aus.

„Und wisst ihr, was ich auch denke?“ Beherzt rupfte sie den Hemdsaum aus seiner Hose - wobei sie wirklich nicht zimperlich mit ihm umging - und ließ dann aber von ihm ab. „…Dass ihr das selbst könnt,“ dabei grinste sie ihn unverhohlen frech an, machte einen Schritt zurück und streifte sich in einer flüssigen Bewegung den kurzärmeligen Wappenrock vom Leib. Statt ihn aber einfach auf den Boden gleiten zu lassen, schüttelte sie das gute Stück sorgsam aus, schlug es ein und warf es sauber auf die kleine Liege, auf der erst er, dann sie gesessen hatten. „Auf Falten stickt es sich so schlecht,“ kommentierte sie schmunzelnd, warum sie so sorgsam vorging.

Als sie sich wieder umdrehte hatte Ioric das Hemd ausgezogen und achtlos unweit seines Gambeson abgelegt. Sein nackter Oberkörper schien mäßig behaart und obwohl ihm die fast statueske Erscheinung einiger seiner Standesgenossen fehlte, war ihm doch der Körper eines Kriegers anzusehen. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch einen sauberen Verband im Bereich der linken Schulter sowie einer Handvoll blauer Flecken an den üblichen Positionen. Mit einem hungrigen Ausdruck beobachtete er die junge Ritterin, ihre Erklärung mit keinem Wort kommentierend.

Er sah gar nicht mal schlecht aus, musste sie zugeben, was ein zufriedenes Aufblitzen ihrer Augen deutlich machte, nachdem sie ihn ein, zwei Herzschläge lang musternd ansah. „War das der Eulenbroich?“ Interessiert deutete sie auf seine lädierte Stelle. Nebenher schlüpfte sie aus ihren Stiefeln, die sie beide nacheinander fort kickte.

Ioric sah an sich herab und schnaubte. “Eine Vorsichtsmaßnahme, mehr nicht. Dieser Ogerling wird sich eine ganze Zeit länger an mich erinnern als ich das werde.” Er gab sich keine Mühe, seinen verletzten Stolz über das Ende seines Fortkommens in den Duellen zu verhehlen, wischte diesen aber mit einer Geste beiseite. Mit zwei kurzen Bewegungen entledigte er sich seiner Schuhe, überwand dann erneut die Distanz zwischen ihnen. “Und ihr wollt wirklich jetzt über die Duelle reden?”, fragte er sie leise und legte einen Finger seiner Schwerthand auf ihre Brust, bevor er die Hand hob und - fast sanft - ihr Kinn berührte.

Natürlich wollte sie nicht über die Duelle sprechen, es machte ihr aber Spaß, ihn zu verunsichern, indem sie sich anders verhielt, als er erwartete. „Nein, natürlich nicht, meine Kehle ist staubtrocken,“ entgegnete sie als Antwort auf seine Frage und wandte zuerst ihren Kopf, dann sich selbst dem Tischchen zu, um nach ihrem Trinkpokal zu greifen. Dabei hob sich die Nähe von Finger und Kinn unweigerlich auf, aber es ging nicht hervor, ob die Ritterin nach dem Gefäß griff, weil ihr die Berührung unangenehm war, oder ob sie tatsächlich dürstete. Vor seinen Augen trank sie einen tiefen genüsslichen Schluck, anschließend drückte sie dem Krähenfels kurzerhand den Pokal in die Hand. „Wollt ihr denn jetzt vielleicht etwas davon? Wenn nicht, haltet ihn einfach mal, damit ich die Hände frei habe.“ Es war unnötig zu sagen, dass sie, bis sie nach dem Pokal griff, die Hände frei gehabt hatte. Sie nutzte den Moment, um damit zu beginnen, die kleinen weißen Knöpfe aus Bein am Brustteil ihrer hellgrünen Cota aufzustemmen.

Ioric lachte stumm, als sie sich ihm entzog, verweilte aber ungerührt wo er war und beschränkt sich darauf sie aus nächster Nähe mit Blicken zu verschlingen: Die Linie ihres Kinns, der Schwung ihrer Lippen, das herausfordernde Funkeln in ihren Augen, der Weg des Schnapses von ihrer Kehle hinab zum Hals, die Haut, welche sie dort entblößte. Erst verspätet drang zu ihm durch, das sie ihm den Pokal in die Hand gedrückt hatte, woraus er einen kleinen Schluck nahm, ohne die Augen einen Lidschlag von ihr abzuwenden.

Das Wissen, bei allem was sie tat von ihm beobachtet zu sein, ließ Talwen sinnig schmunzeln und sie kostete es aus. Jeder weitere geöffnete Knopf gab wiederum ihm die Gewissheit, dass sie unter ihrer Cota sonst nichts mehr trug, außer ihrem Tsagewand. Nachdem sie sich mit eleganten Bewegungen, die wirklich einer Katze gleich kamen, aus dem Kleidungsstück geschält hatte und selbiges an ihren Beinen abwärts zu Boden geglitten war, stand die Vialigh, ebenso wie er, nur noch in einer einfachen Leinenhose vor ihm. Das flackernde Licht der Laterne in ihrem Rücken vernahm er von ihrem Leib noch nicht alle Details. Nur das, was vom Schein umspielt wurde. Sie besaß sehnige Arme und einen burschikosen Leib mit breiteren Schultern, als Edelfräulein sie hatten. Aber sie war ja auch keines. Sie war eine schlanke Jägerin, die Muskelstränge an den richtigen Stellen ihr eigen wusste, mit denen sich nicht nur eine schwere Sehne aufziehen, sondern auch das ritterliche Waffenhandwerk ausführen ließ. Kleine Brüste und ein straffer Bauch vervollständigten das Bild der Kriegerin. “Ihr zuerst”, sagte sie sodann, und sah selbstbewusst zu ihm auf.

Iorics Augen glitten über ihren entblößten Leib und in das Begehren in seinem Blick mischte sich ein kleines bisschen Neid, ob ihrer körperlich überlegenen Form. “Kleine Berglöwin”, murmelte er mit einem zufriedenen Lächeln. Dann suchte sein Blick den ihren, hielt ihn fest, während er mit einer knappen Bewegung seine Hose öffnete und fallen ließ.

Am Morgen allein

Ioric von Krähenfels fror als er erwachte. Das Licht, welches durch die Wände seines Zeltes drang, ließ ihn vermuten, dass es kurz vor oder nach Sonnenaufgang war und das leise Klappern von Töpfen und Geschirr bedeutete, dass im Lager des Hauses Aldewen bereits die Nacht geendet hatte. Er warf den Kopf herum, musste aber feststellen, dass seine Bettstatt außer ihm leer war. Sein Blick wanderte zur Zeltdecke. Obwohl der pelzige Geschmack auf seiner Zunge vom gestrigen Alkohol kündete, war der Kopfschmerz ausgeblieben und die Bilder in seinen Erinnerungen bemerkenswert klar, welche ihn verträumt lächeln ließen.

Nur kurz später setzte er sich auf, sah sich mit einer Mischung aus Genugtuung und Wehmut in seinem Zelt um. Er brauchte ein Bad. Kurzentschlossen stand er auf, griff sich seine Hose und machte sich auf, einen Bediensteten zu finden. Als er bereits das Zelt verlassen wollte, fiel ihm eine Reflektion auf dem kleinen Tisch ins Auge: Ihr Dolch! Ioric schmunzelte: Keine Spuren von der Berglöwin, außer ihre Klauen!

Schmach… (27. Praios, nach der Tjost, tagsüber)

Der Geprügelte

Es war nicht gut gelaufen im Lanzengang für Ioric von Krähenfels. Schon gleich im ersten Anritt seiner ersten Begegnung hatte er lediglich eine schöne Trefferfläche für die Lanze seiner Gegnerin abgegeben. Die Spitze der Stangenwaffe hatte den Ritter mit so großer Wucht getroffen, dass es fast egal gewesen wäre, ob er sie im letzten Moment noch hatte mit seinem Schild ablenken können - durch den Aufprall war Ioric regelrecht aus dem Sattel in den Turnierstaub und somit in die Schmach der frühen Niederlage katapultiert worden. Ein Schicksal, welches er zwar mit der Hälfte der antretenden Streiter, nicht zuletzt seinem Dienstherren, teilte, ihn dennoch gehörig wurmte, schien ihm doch das Losglück mit einer leichten Gegnerin hold. Ein wenig Erleichterung fühlte er am Ende doch, hatte Talwen doch gesagt, dass sie dem Lanzengang nicht beiwohnen würde. Er wäre ungern unter ihren Augen so hart und rüde in den Staub geschickt worden, denn sicherlich hätte sie dafür eine spitze Bemerkung und ein schadenfrohes Lächeln gehabt.

So trottete er vom Turnierplatz, sein Pferd, ein glänzend schwarzes Streitross am Halfter, der Turnierharnisch, ein schlichtes, aber hochwertiges Werkstück, dessen einzige Zier Metallbänder aus brünniertem Stahl und Messingold auf den Schulterstücken waren, wirkte durch den Staub seines Sturzes ein ganzes Stück weniger eindrucksvoll als zu Beginn des Wettkampfs. Sein Haar war in Unordnung und er ließ den Kopf in der Art der Besiegten hängen.

Einige Schritte hinter ihm gingen zwei Waffenknechte in den Farben des Hauses Aldewen und trugen Helm, Schild und Lanze für ihn, einzig sein Turnierschwert trug er an der Seite, während er sich langsam zu seinem Zelt aufmachte.

„Meine Güte, ihr seht ja aus wie ein geprügelter Hund!“ hörte er eine Frauenstimme sprechen, die ihm bekannt war. Talwen Vialigh lehnte unweit seines Weges an der Rückwand einer der Buden, an denen man sich Essen kaufen konnte. In der Hand hielt sie die Hälfte eines mit allerlei Dingen gefüllten faustgroßen runden Brotes und stieß sich nun ab, als sich der kleine Trauerzug näherte. Sie trug ihr übliches Grün und anders als am Abend, als sie ihn besucht hatte, eine Seitenwaffe gemäß ihres Standes, das schwarze Haar zu einem tiefen Pferdeschwanz im Nacken gebunden und ein Schmunzeln im Gesicht. „Wer hat euch aus dem Wettkampf geschmissen?“ fragte die Heckenreiterin übertrieben überrascht.

“Talwen Vialigh.” Das Lächeln, mit dem er sie grüßte war gepresst, das Nicken knapp. “Ganz recht, ihr kommt zu spät, um mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen und mir euer Tuch um die Lanze zu binden.” Er wirkte zerknirscht.

Sie hingegen lachte.

”Die Hohe Dame Erlinau ist's, der ihr Glückwünsche übermitteln könnt.”

„Erlinau?“ Talwen zuckte mit den Schultern. „Sagt mir gar nichts. Hm, wie hoch habt ihr denn gegen sie verloren?“ Sie hatte sich auf den kleinen Zug zubewegt und schloss nun zu ihnen auf. Nebenbei biss sie in ihre Mahlzeit.

“Ihr Schild sind die Farben der Bösenbursch, mit einem Bastardbalken”, beantwortete Ioric ihre erste Frage etwas lustlos, während er weiter trottete und Talwen zwang Schritt zu halten, wollte sie nicht zurückfallen. “Sie hat eine Lanze an meinem Schild zerdrückt und mich aus dem Sattel gehoben”, resümierte er den Kampf knapp. “Was kümmert es euch?”

„Ach, ich vergaß, mit den Nordmärkern habt ihr‘s ja nicht so,“ kommentierte sie belustigt schmunzelnd. „Schade, dass ihr das Turnier schon verlassen müsst. Fielt ihr denn wenigstens spektakulär von eurem wunderschönen Pferd, damit sich die eine oder andere Maid den Mund vor Bestürzung hob?“

Ioric warf ihr einen kühlen Seitenblick zu. “Ich bin sicher, derlei geschah.” Kurz wurde er langsamer, maß sie mit einem kurzen Blick. “Was wollt Ihr, Hohe Dame? Wenn euch eure vielfältigen Pflichten nicht davon abhalten, ein Dorn in meiner Seite zu sein, könnt ihr mir auch mit dem Harnisch zur Hand gehen.” Er setzte sich wieder in Bewegung, deutete zur Unterstützung seiner Worte auf die Banner des Hauses Aldewen, welche unweit aus dem Meer der Farben der Zeltstadt hervorstachen.

„Ich bedaure, euch diesen Dienst nicht selbst erweisen zu können, aber es wäre nicht schicklich, ginge ich euch zur Hand, nicht wahr? Mir scheint, ihr solltet wirklich darüber nachdenken, einen Knappen anzunehmen!“ erwiderte sie lachend, bevor sie noch etwas hinzufügte: „Außerdem erwartet mich euer Freund Moosgrund baldigst dort. Und es wäre doch wiederum ebenso unschicklich, wenn ich ihn enttäuschte, wo er mir doch einen so minniglichen Brief schrieb.“ Sie maß zwar Iorics Reaktion, war sich aber sicher, dass er sich vor den beiden Waffenknechten keine Blöße geben würde. „Ihr wisst schon, der Wettstreit.“ wies sie ihn unnötigerweise hin und biss wieder in ihr Brot.

Ioric warf der jungen Heckenreiterin einen vielsagenden Seitenblick zu. “Einen Brief sagt ihr? - Dann will ich euch natürlich nicht aufhalten.” Er beließ es bei einem dünnen Lächeln, nickte ihr zu. “Nun, falls ihr es einrichten könnt, edle Jungfer, es würde mich freuen, ebenfalls beizeiten ein wenig eurer Zeit in Anspruch zu nehmen.”

„Jungfer?“ wiederholte sie, die Brauen hochgezogen, um sich selbst von dem Gedanken der Freude über sein unerloschenes Interesse abzulenken, obwohl sie ihn nach ihrem Stelldichein ohne ein Wort verlassen hatte. „Ihr seid wohl beim Sturz vom Gaul auf den Kopf gefallen, Herr Ioric. Sollte dies aber als Kompliment gemeint gewesen sein, will ich nichts gesagt haben.“ Dabei schmunzelte sie spitzbübisch. „Ihr könntet mir natürlich auch einen Brief schreiben. Seid gewiss, dass er mich erreichen wird - vor allem, wenn ihr ihn zuvorderst an den befehlshabenden Hauptmann adressiert, bei dem ihr um Dispens für mich bittet. Ich bekomme ihn dann alsbald überreicht.“ gab sie ihm preis, was passiert sein musste. Sie lachte bei ihren Worten mehr belustigt als beschämt.

Iorics Schritte wurden langsamer, er schien einen Moment zu brauchen, bis er die Implikationen ihrer Worte durchdrungen hatte. Dann musste er breit grinsen. “Ihr meint, er hat mit ein paar honigsüßen Zeilen eine Freistellung für euch erwirkt? Er schnaubte belustigt. “Hohe Dame Vialigh, ihr seid heute minniglich zu umwerben. Weggetreten!”, gab er seine Interpretation der Ereignisse zum Besten.

In diesem Glauben wollte sie den Krähenfels gerne lassen, schien es ihr doch passend, dass sie so nicht erwähnen musste, dass sie sich entgegen ihrer Aussagen nun doch für den Tag des Lanzenstechens freigekommen hatte. Das nur wollte sie ihm nicht auf die Nase binden, zu interessant schien ihr, ob er mit Gleichgültigkeit oder Eifersucht reagierte. „An Einfallsreichtum scheint es eurem Freund jedenfalls nicht zu mangeln.“ Sie wusste zwar, dass der Moosgrund und der Krähenfels nichts gemein hatten, aber es machte ihr nichts, ihn damit aufzuziehen. „Man muss ihm zugutehalten, dass er einen schönen Schreibstil in seinen Gedichten hat. - Wie dem auch sei,“ kürzte sie die Konversation ab. „So ist das nun.“ Sie ließ auch nicht unbedingt erkennen, ob sie sich durch das aufdringliche Werben des jungen Nordmärkers gestört oder geehrt fühlte. „Es ist aber auch so, dass ihr der Grenzwacht Spenden verspracht und ich daher in gewisserweise verpflichtet bin, diese einzuholen, dispensiert oder nicht.“ gönnte sie ihm einen kleinen Ausblick, ohne für Außenstehende allzu konkret zu werden.

“Ist dem so?”, fragte Ioric lächelnd, ohne darauf einzugehen, worauf er sich bezog. Dann senkte er die Stimme: “Wenn ihr also nicht mir in mein Zelt folgen wollt, um zu sehen ob ihr dort neben meinen Blessuren nicht noch etwas anderes findet, das euch Freude bereitet…” Er grinste, hob die Stimme wieder: “Dann seid ihr natürlich willkommen, euren Pflichten zu späterer Stunde nachzugehen. Ihr wisst ja, wo ihr mich findet. Bis dahin werde ich mir den Verlauf des Tjost ansehen.”

Bei seiner Anspielung hatte sie tatsächlich ein ganz klein wenig Farbe bekommen. “Gut. Bis dann. Herr Ioric.” Sie nickte grüßend und wandte sich alsdann um, und schlenderte zurück zum Turnierplatz zurück, in ihre Mahlzeit beißend.


Der Stachel im Fleisch

Tatsächlich konnte Ioric später den jungen Nordmärker mit der Vialigh zusammen unter den Zuschauern entdecken. Beide unterhielten sich am Bandenzaun stehend und den Wettkampf mitverfolgend. Der Ritter versuchte dabei unermüdlich die Aufmerksamkeit der Ritterin vom Geschehen auf der Tjostbahn auf sich zu lenken. Sie tat ihm oft den Gefallen, was den jungen Mann dann jedesmal anspornte, gestenreich von Dingen zu berichten. Ioric konnte aus der Distanz nicht genau sagen, ob die Vialigh tatsächlich Interesse an der Unterhaltung besaß, oder ob sie nur aus Höflichkeit zuhörte, ob das Lächeln, das sie dem jungen Ritter schenkte, aufrichtig oder ebenfalls nur Frucht guter Erziehung war. Ein paar Mal sah er sie gar lachen. Und sie ließ es zu, dass der Moosgrund sich bei Lärm mit seinem Gesicht zu ihr beugte, um ihr ins Ohr zu sprechen. Einmal streifte er ihr sogar etwas von der Schulter.

Iorics und die Blicke der Vialigh hatten sich dann gekreuzt, als Talwen ihren Verehrer für einen Augenblick abkömmlich wusste und sie das Augenmerk über die Menge schweifen ließ. Die junge Heckenreiterin hatte Ioric dabei kurz zugenickt, dann aber war der Nordmärker wieder neben ihr aufgetaucht, zwei Becher in der Hand, und Talwen hatte sich erneut ihrem Gönner zugewandt, war nur wenige Augenblicke später sogar mit ihm in der Menge verschwunden.

Obwohl er sich sicher wähnte, das sie nicht ernsthaft Interesse an dem Jungritter hatte und wohl eher aus einer Gefälligkeit - wem auch immer gegenüber - ihre Zeit mit dem Nordmärker verbrachte, kam er nicht umhin, eine leichte Unruhe ob ihres Verschwindens zu empfinden. Er untersagte sich jedoch, nach ihr zu suchen, schließlich war er sich fast sicher, dass ihr Gebaren genau darauf abzielte. Dennoch ließ ihm die nagende Ungewissheit keine Ruhe und so spähte er, während er zwischen den Marktständen hindurch lief - vorgeblich auf der Suche nach einer kleinen Zwischenmahlzeit - nach der Vialigh und ihrem dreisten Verehrer.

Jedoch ohne Erfolg. Auch im Zeltlager war keine Spur mehr von ihnen zu finden und so blieben sie verschwunden.


Der Bote

Am Abend nach dem Wettkampf zur Lanze sprach man überall im Lager von dem tragischen Tod des Erbjunkers Ardan Falkraun, der während des 4. Durchgangs unerwartet durch einen Lanzensplitter im Hals schneller verblutet war, als Heiler herbeispringen konnten. Der Tod des jungen Ritters drückte spürbar auf die Gemüter. Zwar hatte Talian von Eichenstolz das Turnier gewonnen, aber der Zweitplatzierte, Caertan von Nymphensee, ein blutjunger Ritter, der den Ritterschlag erst erhalten hatte, war zwar weit gekommen in seiner ersten Turney, aber er war leider auch jeder gewesen, dessen gesplitterte Lanze dem jungen Falkraun das Leben nahm. Was die Herrin Rondra mit diesem Urteil nur bezwecken wollte, entzog sich dem traurigen Geiste angesichts der Tatsache, dass der junge Nymphensee seit dem Unglück auch nur noch ein stummer Schatten war. Wer wusste schon, ob er dieses Erlebnis jemals überwinden können würde? Selbst erfahrene Recken hatte die Schnelligkeit, mit welcher der Erbe des Steinvasallengeschlechts Falkraun verstorben war, erschüttert, denn es hatte sich wieder einmal gezeigt, dass das Schicksal gar grausam zuzuschlagen im Stande war, und dass Turniere Orte waren, an denen gute Ritter selbst in Friedenszeiten starben. Daher blieben die Feierlichkeiten im Zeltlager der Turnierteilnehmer vielerorts verhalten. Auch im Lager des Aldewen war keine Siegesstimmung aufgekommen: der Junker von Eichengrund ebenso wie sein Haushofmeister waren bereits in der 1. Runde ausgeschieden, und das, obwohl der Aldewen schon als einer der Favoriten gehandelt worden war.

Ioric fragte sich schon, ob er an diesem Abend überhaupt noch Besuch bekommen würde von ihr, schließlich neigte sich der Tag unweigerlich in einigen Stunden dem Ende, da trat einer der Waffenknechte an ihn heran. “Hoher Herr, ich soll ausrichten, dass ihr euch drüber am Turnierplatz einfinden sollt. Äh, sofern Ihr etwas von eurer Zeit erübrigen könnt. Soll ich euch sagen.”

Ioric von Krähenfels, der im Schein einer Laterne las, sah auf, runzelte die Stirn. “Aha.” Musternd sah er den Knecht an. “Nandus erbarme! Hat auf dem Weg hierher euch ein Pferd vor die Stirn getreten oder haltet ihr das wirklich für eine angemessene Art Meldung zu machen?” Er hob eine Augenbraue. “Ich schlage vor, ihr versucht das nochmal - oder muss ich mit seiner Wohlgeboren über die Anforderungen, die an jene, die seine Farben tragen, gestellt werden sprechen?”

Der Mann, jung und noch nicht lange auf Eichengrund in Diensten des Hauses Aldewen, verdrückte sich vor Aufregung einen Hicks, räusperte sich und straffte nach dem Anschiss die Glieder. „Verzeiht. Hoher Herr. Natürlich. Verzeiht tausendfach. Das kommt nicht wieder vor.“ Noch einmal räusperte er sich aufwändig und intensiv, knetete dabei sein ledernes Käppchen in seinen Händen zu Tode, während er es noch einmal versuchte: „Hoher Herr von Krähenfels, verzeiht, dass ich euch anspreche zu so später Stunde, doch ich traf eben eine Hohe Dame, die mich zu euch schickte, nachdem sie in mir einen Knecht Seiner Wohlgeboren ausmachen konnte. Und äh, also ich soll euch von der Hohen Dame ausrichten, dass die Hohe Dame euch, äh, nun ja, beim Turnierplatz erwarten würde. Und sie sagte, ich solle euch sagen ‚sofern ihr etwas von eurer Zeit erübrigen könnt‘ und dann, äh, wüsstet ihr, wer sie sei. Das war alles, was ich euch ausrichten sollte.“ Bei Sprechen war der Mann zunehmend unsicher geworden, und Ioric fand auch gleich heraus warum: „Hm, nun ja, ich, öhm, weiß leider nicht, wer sie gewesen ist. Sie hat sich mir nicht vorgestellt. Ich weiß auch nicht mehr, ob sie ein Wappen trug. Hab keins gesehen. Euren Namen kannte sie aber.“ gab er zum Schluss kleinlaut von sich.

“Na also.” Ioric lächelte dünn. “Immer noch ausbaufähig, aber besser.” Mit einer kurzen Handbewegung entließ er den Knecht. “Habt Dank für euren Dienst. Einen guten Abend, Boron mit euch.”


… und Schmerz (27. Praios, spätabends im Lanzenhain)

Totengedenken

Der Lanzenhain lag verlassen und still, da sich das Treiben in die Wirtshäuser von Bredenhag und in die Lager der Teilnehmer verteilt hatte. Selbst bei den Buden, die tagsüber um den Lanzenhain ihre Waren feilboten, war Ruhe eingekehrt. Nur noch vereinzelte Nachtschwärmer schlurften herum. Morgen, am letzten Wettkampftag brauchten diejenigen, die sich beim Buhurt eingeschrieben hatten, nochmal alle ihre Kräfte - nicht wenige mussten nach schmerzhaften Niederlagen der Nacht vertrauen, um soweit wieder zu gesunden, dass ihnen die Teilnahme möglich war. Denn der Buhurt war neben dem Lanzengang nicht nur namensgebend für das Turnier zu Fuße des Madasteins, sondern auch eine Möglichkeit Rechnungen zu begleichen. Wenn man sich die üblichen Lösengelder für Gefangennahmen ansah, stimmte der Begriff. Es gab auch in diesem Jahr etliche Streiterinnen und Streiter, die so verbeult aus der Tjoste gingen, dass sie sie ihre Teilnahme am Buhurt aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen mussten. Oder, weil sie tot waren. Noch lagen die Felder, auf denen sich das kriegerische Spektakel am morgigen Tage abspielen würde, jedoch in friedlicher Dunkelheit und im Madaschein träumend.

Talwen Vialigh saß auf der vordersten Kante der Zuschauertribüne, die für die hochgeborenen Herrschaften aufgebaut war, und ließ die Beine nach unten baumeln. Vor einiger Zeit erst hatte sie noch einmal nach ihrer Mutter gesehen, der es mit einigen gebrochenen Rippen nicht so gut ging, mit ihr ein ebenso be- wie erdrückendes Gespräch über Familie, Erbe und Tod geführt. Wobei ihre Mutter das Wort geführt und Talwen nur nickend zugehört hatte. Alles andere hätte zu einem neuerlichen Disput geführt, auf den wahrlich keiner von beiden Lust besaß. Dann hatte die junge Ritterin ihrem Familienoberhaupt huldvoll einen erholsamen Schlaf gewünscht, aus Gehässigkeit eine Flasche Holderbrand mitgehen lassen, und dann abgewogen, wohin ihr Weg sie führen sollte. Die Einladung ins Lager der Nordmärker ließ sie getrost da, wo diese ihr schon am Nachmittag vorbei ging: am Arsch. Ihr war auch leider nicht nach einem Besuch bei dem Krähenfels - obgleich ihr letzter sehr… erbauend… gewesen war und der Gedanke an das, was geschehen war, ihr immer ein Grinsen ins Gesicht schnitt. Bis heute nachmittag hatte ihr Triumph sie auch mit Leichtigkeit beseelt - Seit dem Unglück auf dem Lanzenhain aber spürte sie die gedrückte Stimmung, die über der Szenerie lag. Die eindringlichen Worte ihrer Mutter hatten das Übrige getan, um Talwens Stimmung unter die Erde zu bannen. Als habe das Schicksal es gewollt, war ihr aber der Knecht mit der silbernen Schippe auf schwarz über den Weg gelaufen. Und weil sie sich nicht nachsagen lassen wollte, sie würde Versprechungen machen, die sie dann nicht einhielt, hatte sie den guten Mann losgeschickt mit einer Gegeneinladung. Nun wartete sie darauf, dass der Knecht mit einer Absage zurückkam. Dass der Haushofmeister Eichengrunds selbst antanzte, damit rechnete sie fast nicht, denn immerhin hatte sie ihn versetzt. Wahrscheinlich würde also gar nichts passieren, niemand kommen, nicht einmal der Knecht. Dann würde sie in der Stille der Nacht den Umstand belächeln, dass sie dem Krähenfels wohl doch nicht so wichtig war, wie er sie so gerne glauben lassen wollte. Irgendwie fand sie seine Bemühungen, sich vor ihr zu beweisen, ja süß. Ebenso wie seinen Stolz und seine Art, sich selbst immer wieder das Messer in die Brust zu rammen. Er hatte zwar Macken, aber sie fand ihn längst nicht mehr so schlimm wie anfangs. Darüber musste sie schmunzeln. Und auch darüber, dass sie es sogar verstehen konnte, wenn er ihr heute nicht hinterhergekrochen kam. Eigentlich schade, denn sie hätte es irgendwie doch ganz schön gefunden, mit ihm über den Tag zu sprechen, seine Meinung zu hören, eine weitere Seite an ihm kennenzulernen.

“Und ich dachte mich zu erinnern, dass ihr derlei Zusammentreffen entschieden ausgeschlossen hättet", sprach der Haushofmeister von Eichengrund sie an. Im fahlen Licht des Madarunds war sein Gesicht schwer zu lesen und der dunkle Waffenrock, den er trug, ließ ihn fast in seiner schlecht beleuchteten Umgebung verschwinden. An der Seite trug er ein Langschwert, die Arme hatte er verschränkt.

Talwen hatte eben für einige Momente die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt, um in die Stille zu seufzen, als sie erst Schritte hörte, dann seine Stimme. Er war wirklich gekommen. Das hatte sie nicht erwartet. Mit einem freudigen Lächen auf den Lippen schlug Talwen die Augen auf. Es blieb nur nicht lange in ihrem Gesicht, da sie seiner Worte gewahr wurde. „Es ist heute einiges entschieden ausgeschlossen worden. Das Weiterkommen,... Weiterleben…“ Sie seufzte. „Wohl aber nicht von euch, dass ihr euch zu dieser Stunde noch einmal aufmacht. Das freut mich. Na los, kommt doch hoch!“ lud sie den düster gekleideten Ritter ein. „Genießt mit mir die Stille und lasst für den Moment eure Beine baumeln. Ach ja,“ sie griff neben sich und stellte geräuschvoll eine kleine irdene Flasche mit Bügelverschluss aufrecht auf den Holzboden. „Absacker gefällig?“ Sie versuchte zwar freudig zu klingen und ihren Worten einen scherzenden Tonfall mit auf den Weg zu geben, aber der Schwermut in ihrer Stimme war nicht von der Hand zu weisen.

Ioric musterte sie für die Spanne von ein paar Herzschlägen schweigend, sein Gesicht unbewegt, auch wenn er die Arme gelockert hatte. Kurz begutachtete er ihren gewählten Sitzplatz, ehe er sich immer noch schweigend neben sie setzte, wobei er eine halbe Armlänge Abstand zwischen ihnen ließ. Er musterte erst sie, dann ihre Flasche, bevor er diese ergriff und einen kurzen Zug nahm. Die Nadelholz-Note und der herbe Geschmack des Gebrannten waren gewöhnungsbedürftig. Obwohl weder allzu kratzig beim Schlucken noch allzu scharf auf der Zunge reichte der Geschmack doch bei weitem nicht an einen Mhôrnoch heran.

“Kanntet ihr ihn?”, brach er nach einer langen Weile des Schweigens leise die Stille, während sein Blick über das Feld der Ehre schweifte.

„Persönlich? Nein. Doch es fließt dasselbe Blut in uns. Vialigh-Blut. Naja, besser gesagt: floss.“ Sie nickte schmunzelnd, aber ihr Lächeln war von Schwermut getragen. „Schon erschreckend, wie schnell sowas gehen kann, was?“ Seufzend griff sie nach der Flasche, öffnete diese, hielt aber noch einmal inne, den Blick die ganze Zeit auf den Turniergrund gerichtet: „Seine Großmutter ist die direkte Tante meiner Mutter. Und sein Schwertvater ist der Mann, bei dem mein Bruder nun das Ritterhandwerk lernt. Klein ist doch Dere.“ reichte sie die fehlende Information trocken nach. Dann trank sie. Zweifelsohne war das nicht alles, was ihr auf der Seele lag, aber das, was sie von sich preiszugeben, gewillt war.

Ioric machte ein Geräusch, welches man wohl als Zustimmung werten konnte, während er langsam nickte. Aufmerksam sah er sie an, studierte, was er von ihrem Gesicht ausmachen konnte und schwieg. Er sah keinen Wert darin, die entstehende Stille mit Worten zu stören, also schwieg er, überließ es ihr, sie zu füllen.

Eine Weile schwiegen sie auch. Dann wandte Talwen den Kopf und sah ihn durch die dunkle Nacht an. “Ihr nehmt es erstaunlich leicht hin, dass ihr die Anverwandte eines Steinvasallen und Weißen Löwen, der noch dazu Vogt der Heimstatt der Stephans ist, gevögelt habt. ” Auch wenn sie lächelte sah er nicht, ob sie das wirklich amüsierte oder ob sie ihn aufzog.

Ein Grinsen huschte über Iorics Gesicht: “Mir war nicht bewusst, dass ich meinen Speer neben euren Schenkeln auch noch in eurer Ahnenreihe vergraben habe.” Er gluckste kurz, griff nach dem Schnaps und schwenkte ihn einmal herum. “Warum seid ihr so versessen darauf in mir einen Feind des Grafen und seiner Familie zu sehen?” Er schüttelte den Kopf, klang leise belustigt: “Ich bin Realist. Glaubt ihr wirklich ich träume davon sein Haupt auf einem Spieß auf dem Pfad hinauf zum Madastein zu sehen?” Ein Kopfnicken in die Finsternis unterstrich seine Worte, während er einen Schluck nahm. “Er ist ein guter Graf. Ehrbar und stark, aber gleichzeitig klug genug, um zu erkennen, dass Stärke nicht das einzige ist, was diese Lande zusammenhält.” Er drückte die Flasche Talwen wieder in die Hand, machte eine auffordernde Bewegung mit dem Kopf. “Er hätte den Kopf meiner Tante nach der Heckenfehde rollen lassen können und mich zumindest entehren und verbannen und keiner seiner Stein- und sonstigen Vasallen hätte mit der Wimper gezuckt.” Ioric legte den Kopf schief. “Habe ich Dinge getan, die den Interessen seiner Familie zuwider liefen? Ja.” Er zuckte mit den Schultern. “Aber das heißt nicht, dass ich von einem neuen Jast Irian an seiner Stelle träume.”

Talwen wartete, bis er mit seinen Worten am Ende war, dann brach es aus ihr heraus. „Jetzt haltet mal die Klappe! Ich bin überhaupt nicht… versessen… in euch einen Feind des Grafenhauses zu sehen - aber ihr lasst euch wunderbar damit reizen, wie man sieht, also ist vielleicht doch mehr dran, als ihr euch selbst eingesteht? Nur eine Vermutung, die wir wohl fürs Erste so stehen lassen, denn ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus. Allerdings schafft ihr es wieder einmal, den Sinn meiner Worte zu verdrehen!“ Wütend knallte sie den Schnaps auf den hölzernen Grund und holte die Beine ein, um sich im Schneidersitz zu ihm umzudrehen. Eine Hand stützte sie dabei auf dem kleinen Krug auf und ließ die Finger auf den gebrannten Ton tippeln. „Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass der Umstand, dass der hohe Herr Luran Falkraun der Vetter meiner Mutter ist und dies den armen Ardan zu einem halbwegs engen Verwandter von mir macht, möglicherweise etwas war, was ihr bisher NICHT über mich wusstet. Weil ihr doch immer sagt, ihr wüsstet alles über mich. ‚Deswegen‘ erwähnte ich es. Damit ihr nicht dumm sterbt, sollte euch morgen das gleiche Schicksal ereilen.“ Sie hoffte es nicht. „Und ja, um gleich Abbitte zu leisten: es war ein Witz. Nur verzeiht mir, wenn er mir ob des heutigen Tages ein wenig entglitt.“ Sie holte noch einmal Luft. Zog dann aber den Schnaps zu sich und nahm brummend einen Schluck.

Ioric hob beide Hände in einer gleichsam abwehrenden wie beschwichtigenden Geste. “Ich bin es, der um Vergebung bitten sollte. Ich - Ich war wohl übermäßig defensiv.” Er zog ebenfalls ein Bein an sich, um sich zu ihr zu drehen. “Ganz gleich wer er für euch ist, ich bin sicher, er weilt nun an Rondras Tafel.”

Talwen nickte in stummer Anerkennung seines frommen Wunsches.

Aufmerksam sah er die junge Vialigh an. “Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser Scherz es nicht ist, weshalb ihr mich habt hierher einladen lassen.”

“Tatsächlich dachte ich, es wäre nett, wenn wir uns hier draußen treffen.“ gab sie ehrlich zu und es hörte sich tatsächlich auch so an. „Nach Konfekt ist mir heute nicht. Tut mir leid, falls ihr andere …Vorstellungen… von diesem Abend hattet.“

Mit einer Handbewegung wischte Ioric ihr Bedauern milde lächelnd beiseite. “Macht euch meinetwegen keine Sorgen. Ich war nur sicher, ihr würdet irgendwann euren Besitz zurückfordern, das ist alles.” Er zwinkerte ihr zu. “Mein Geldbeutel dankt es mir, wenn ich nicht einen weiteren Abend damit verbringe, einer Berglöwin Alkohol und Spezereien hinzuwerfen.” Sein Lächeln schien ehrlich vergnügt.

Das hob auch ihre Stimmung etwas und fast war ihm, als erwidere die Vialigh sein Lächeln, bevor sie etwas bestimmter fortfuhr: „Ein Pfand - keine Trophäe!“

Ioric grinste und hob abwehrend eine Hand. “Ich muss gestehen, ich hatte einen Moment mit dem Gedanken gespielt, ihn als eine solche zu behalten.” Lächelnd schüttelte er den Kopf. “Aber so ist er mir ungleich lieber.“ Aufmerksam sah er sie an. “Mir scheint, ihr seid unbescholten zu den Eurigen zurückgekehrt, wie habt ihr das angestellt? - Ich möchte nur, dass ihr wisst, dass ich bereit wäre, vor eurer Dienstherrin um Verzeihung für eure - Verspätung - zu bitten.”

„Lieb von euch. Braucht es aber nicht. Genügt euch mit der Antwort, dass ich durchaus Geheimnisse habe, die ich nicht vor euch offenlegen werde.“ antwortete sie und es hörte sich an, als schmunzelte sie dabei auch.

“Nicht nötig.” Wehrte Ioric ab, ehe er grinsend hinzufügte: “Auch wenn ich festgestellt habe Gefallen an derlei …Offenlegungen… zu finden.” Kurz suchten seine Augen den Schnaps, er schien es sich dann aber doch anders zu überlegen und streckte nicht die Hand aus.

“Das ist mir nicht entgangen.” Ihr selbst ging es doch nicht anders. Wissbegierig saugte Talwen auf, was er von sich gab, mit dem Ziel, noch mehr über ihn zu erfahren. “Glaubt mir aber, dass euch nicht alles etwas angeht. Ihr wisst ohnehin schon recht viel, finde ich. In manchen Punkten mehr als andere. Ihr solltet es daher nicht übertreiben mit eurer Neugier.” Ioric schmunzelte still. “Wie ihr meint”, gab er dann zurück. ”Behaltet eure Geheimnisse, wenn euch danach ist - aber haltet meine Neugierde nicht gegen mich. Schließlich gibt es nichts wozu ich euch zwingen könnte.”

„Zumindest nichts, ohne dass es Konsequenzen für euch hätte,“ entgegnete sie mehrdeutig, wechselte dann aber das Thema und ließ gleichzeitig offen, was sie meinte: „Was macht eure Schulter eigentlich, geht es der besser? Ich nehme an, dass ihr morgen beim Buhurt mitmacht.“

Überlegungen

“Längst nicht so lädiert wie mein Stolz”, gab er leichthin zu und ließ sein Schultergelenk einmal kreisen. “Ich hätte sie vielleicht ein wenig mehr schonen sollen - aber nunja.” Grinsend zuckte er mit den Schultern. “Ja, das werde ich. Weshalb fragt ihr, gibt es Gefangene, die ihr in meinem Lager sehen wollt?” Er lächelte.

„Ihr meint, sofern ihr nicht beim ersten Anritt schon, nun ja…“ Sie ließ die Anspielung unvollkommen. „Tut mir leid, es war zu verlockend,“ gab sie sogleich zu und er hörte sie tatsächlich heiter lachen. Ihre Laune schien sich zu bessern. Zu einem großen Teil war das sein Verdienst - nur wollte Talwen ihm das natürlich nicht sagen. Wie ernst es ihr allerdings mit ihrer Aussage, nicht mehr so gemein zu ihm zu sein, wirklich war, ließ sich nicht sagen. „Gibt es denn jemanden, den ihr gerne gefangen nehmen würdet?“ fragte sie interessiert. „Um vielleicht eine alte Feindschaft zu begleichen - oder weil die Auslöse ein schönes Sümmchen für die Meinen ergäbe?“

Kurz schien Ioric zu überlegen: “Ich glaube nicht, dass mich alte Feindschaft eine oder mehrere Helmzieren suchen lassen wird. Ich denke, wenn überhaupt, wird die Initiative von anderen ausgehen.” Er legte den Kopf schief. “Gibt es ein paar Kandidaten für fette Pfründe, die ihr mir raten könntet?”

Talwen überlegte einen Moment lang. „Hm. Tritt die Bösenbursch-Bastardin, die euch heute in den Staub warf? Dann könntet ihr euch bedanken. Doch ich glaube, da würde nicht viel Silber zu erwarten sein. Bei der Baronin von Fairnhain würdet ihr sicherlich mehr Anerkennung erhalten - wobei die Bennain noch recht jung ist. Wenn ihr euch profilieren wollt, wäre es womöglich günstig, ihr würdet euch Gegnern suchen, die euch größeren Respekt einbringen. Einen Bardred ui Baran beispielsweise.“ zählte sie auf, was ihrer Meinung nach Sinn machte. Dabei öffnete sie die Flasche, trank, und streckte sie ihm am Ende offen hin. „Oder aber, wenn ihr euren Schneid zeigen wollt, wie wäre es mit, hm… einem Brendan Aldewen?“ In ihrer Frage schwang durchaus eine Herausforderung mit. Oder es war es Neugierde auf seine Reaktion. Möglicherweise beides.

Dankend nahm Ioric die Flasche entgegen und trank. Als er wieder absetzte war ein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. “Einen Gehörnten werde ich tun und den Herrn Aldewen angehen, wie stellt ihr euch das denn vor?”

“Mutig,” konstatierte sie als Antwort auf seine Frage. “Aber klar, ich würde die Hand, die mich füttert, auch nicht beißen. Dann eben nicht den Aldewen.” Sie zuckte mit den Schultern. “Was denkt ihr über die anderen?”

Sein Blick wanderte über den Turniergrund, während er die anderen genannten Namen abzuwägen schien. “Die Bennain ist womöglich lohnenswert - beim Herrn ui Baran gibt es eine gute Möglichkeit, dass er mich in den Staub schickt, und nicht ich ihn.” Er grinste, sah wieder zurück zu Talwen: “- Außer natürlich das ist euer Ansinnen.”

“Mein Ansinnen ist es, euch genug andere Gegner einzusagen, damit ihr nicht auf die Idee kommt, meine Mutter als Ziel auszuwählen. Es gibt andere, die weitaus mehr Vermögen ihr eigen wissen und den Heckenlanden sicherlich noch weitaus weniger gegeben haben.” Obwohl sie dabei schmunzelte, schienen ihre Ansichten einen ernsten Kern zu besitzen. “Ihr wollt mir doch bestimmt wieder ein gut gefülltes Säckchen übergeben. Morgen abend. Beim Rest des vorzüglichen Mhôrnochs. Enthielte es jedoch einen Teil meines Erbes wüsste ich nicht, ob der Abend nach unserer beider … Wünsche… wäre.” Sie ließ eine kurze Sprechpause. “Außerdem bin ich geliefert, wenn herauskäme, dass ich euch vielleicht sogar noch auf die Idee dazu gebracht habe.”

“Bittet ihr mich gerade, eure Frau Mutter zu schonen?”

„Sagen wir eher: mein Erbe.“

Ioric lachte. “Macht euch keine Sorgen: Sie ist ein klarer Fall für ‘Mehr Ärger als es wert ist’. Seid also sicher, dass ich nicht die Konfrontation mit ihr suchen werde.” Er schüttelte den Kopf. “Ich werde sie aber auch nicht entehren, indem ich sie schone, sollten wir doch einander begegnen. Das gilt übrigens auch für meinen Dienstherren.”


Geheimnisse

Mit einem dünnen Lächeln musterte er die ihm gegenüber sitzende Ritterin. “Seid versichert, von mir erfährt niemand ein Wort.”

„Hm. Mögt ihr denn vielleicht präzisieren, worüber ihr gewillt seit zu schweigen? Immerhin teilten wir schon das eine oder andere… Geheimnis.“ fragte sie mit einem geheimnisvollen Unterton in ihrer Stimme.

Ioric lehnte sich vor, musterte Talwen eindringlich für einen langen Moment. “Glaubt ihr eure Geheimnisse nicht bei mir sicher? Vielleicht mögt ihr mir sagen, über welche …Dinge… euch ein Stillschweigen ganz besonders wichtig ist.”

Talwen tat es ihm gleich, sah ihn erst einen langen Moment an, bis ihr Schweigen fast die Grenze zur Unerträglichkeit erreicht hatte. „Alle.“ antwortete sie dann mit einem Flüstern, bei dem sie selbst Gänsehaut bekam. „Jedes. Einzelne. Kleine. Geheimnis. Das wir teilen.“ Ihr war nach diesem furchtbaren Tag irgendwie nach Gesellschaft. Seiner. Es war seltsam. Sie wusste, wenn der Krähenfels sie jetzt erneut küssen würde, würde sie es nicht einmal ablehnen. “Und soll ich euch ein weiteres Geheimnis verraten?” fragte sie nicht mehr flüsternd, aber immer noch leise, sie lächelte ihn dabei aufmunternd und herzlich an. “Ihr seid gar nicht so…schlimm.” Zu der Erkenntnis war sie im Anschluss an ihre Nacht mit ihm die letzten Tage hinweg gekommen. Und dass er hier vorhin tatsächlich aufgetaucht war, hatte das neue Bild, welches sich von ihm gerade in ihr formte, bestätigt.

Sanft lächelnd sah Ioric sie an, wie das Silber sich im Dunkel ihrer Augen spiegelte. Dann beugte er sich die verbliebene Distanz zu ihr und küsste sie, nur für einen Herzschlag, ohne das drängende Begehren ihrer letzten Begegnung. “Meine Lippen sind versiegelt.”, murmelte er leise.

Talwen spürte, wie ihr heiß das Blut in die Ohren schoss. Erfreut über das Prickeln in ihrem Innern stellte sie fest, dass sie einer längeren Berührung ihrer Lippen nicht abgeneigt gewesen wäre. Die Vernunft gebot ihr aber, es ihm nicht gleich zu tun, um selbige einzuholen. „Die meinen auch,“ entgegnete sie stattdessen nur und riss sich mit einem lauten Seufzen aus ihrem Traum. Sie wandte sich um und ließ ihre Füße über die Kante hängen. „Wollt ihr eigentlich wissen, was aus dem Nordmärker geworden ist?“ fragte sie lauernd und sah dabei über ihre Schulter hinweg zu ihm hin.

Langsam richtete Ioric sich auf. Ein Teil von ihm hatte erwartet, für seinen Vorstoß von ihr von seinem Sitz hinabgeworfen zu werden. Ein weiterer Teil war enttäuscht, dass sie sich nun stattdessen von ihm abwandte und ein ungleich kleineren Teil von ihm stach die Eifersucht, dass sie von IHM reden wollte - ausgerechnet jetzt! Er nahm sich einen Augenblick, um seine Gefühle zu ordnen, während er sie im Profil betrachtete. Das Mondlicht schmeichelt ihr, was muss es erst für ein Anblick sein, wenn sie -, mit einem fast körperlichen Ruck riss er sich aus seinen Gedanken und zwang sich sie dem hier und jetzt zu widmen. “Aureus von Moosgrund”, stellte er fest, betont neutral. “Was ist aus ihm geworden?”

Er sah sie breit grinsen. „Ein Verlierer. Ein sehr bemühter und, oh ja, er wusste wohl um das Risiko, entsprechend hoch war sein Einsatz. Aber ich konnte ihm einfach nicht vorenthalten, dass es bereits einen Gewinner um einen Kuss von mir gibt. Das ist schließlich nicht schicklich, nicht wahr?” Sie zwinkerte dem Krähenfels neckisch zu.

Dieser gestattete sich einen lautlosen Seufzer, auch wenn er ein bisschen erleichtert war. “Ich bin mir sicher, er findet schon bald eine weiche Hand und einen warmen Schoß, die seinen verletzten Stolz zu heilen vermögen”, mutmaßte er dann grinsend.

Sie zuckte mit den Schultern. „Eigentlich ist mir das egal. Aber es würde mich wundern, wenn er seiner Niederlage allzu lange ins Auge sähe. - Hm, weil wir gerade davon sprechen… Wie ist das mit euch?“ fragte sie, doch bevor er im Geiste eine Erwiderung formen konnte, fuhr sie fort. „Ich möchte nicht, dass ihr morgen vor Müdigkeit vom Ross kippt. Solltet ihr nicht langsam Borons gnädige Ruhe genießen?“

“Macht euch meinetwegen keine Sorgen”, wiegelte er ab. “Ich bin genau dort, wo ich sein will.” Ioric lächelte.

„Sicher?“ fragte sie lächelnd zurück. Eine seltsame Wärme flutete sie, als er das so sagte.

Ioric nickte langsam. “Nennt ihr mich etwa einen Lügner?” Ein Lächeln spielte in seinem Mundwinkel und er sprach leise, während er sie gebannt ansah.

„Nein. Ich wollte euch lediglich die Möglichkeit geben, zu überdenken, ob es wirklich besser für euch ist, mit mir hier nachts auf dem einsamen Lanzenhain herumzulungern wie Gesindel, als euch für den morgigen Tag zu stärken durch eine gesegnete ritterliche Bettruhe.“ Talwen griff wieder nach dem Schnapsfläschchen, dabei brachen sie ihre Blicke, sah ihn dann aber aus dem Augenwinkel neugierig an, während sie den Bügelverschluss aufschnellen ließ, was ein Geräusch erzeugte, das der sanfte Wind kurz über den Platz trug.

“Psch.” Mehr als kurzes Zischen hatte Ioric für ihre Betrachtungen nicht übrig. Mit einer behänden Bewegung griff er nach dem Tongefäß, wobei er seine Hand auf die ihre legte. Mit sanfter Gewalt entfernte er den Schnaps aus ihrem Griff und nahm lächelnd einen kleinen Schluck, ehe er ihn ihr anbot.

„Ihr wählt also das Herumlungern?“ Fragte sie belustigt, wobei es mehr eine Feststellung war. „Ihr müsst verrückt sein!“ lachte sie leise, bevor sie den Schnaps wieder an sich nahm und einen kurzen Schluck davon, nur ein Nippen, in ihre Kehle spülte.

“Es ist eine schöne Nacht und es gibt mehr als einen Weg den Geist auf einen Tag wie morgen vorzubereiten.”, gab Ioric mit einem Schulterzucken zu bedenken. “Aber wenn euch danach ist, dem Moment etwas Anrüchiges anzudichten - kann ich euch wohl nicht aufhalten.” Er lächelte unbekümmert.

“Ihr meint wegen dem Herumlungern?” fragte Talwen auf seine Bemerkung hin, gleichzeitig sah sie ihren Gegenüber aber wissend an. Ihr Herz schlug schon seit einiger Zeit schneller. Die Berührung seiner Hand auf der ihren eben noch war wie Öl in ein Feuer gewesen, das konnte sie nicht leugnen, und der Wunsch in ihr wuchs, zu sehen, wohin die Flut seiner neuerlichen Andeutungen führte. Überrascht nahm sie außerdem hin, dass er nicht unbedingt angetrunken sein musste dazu.


Gedichte

Talwen lächelte. “Hoher Herr, mir scheint viel eher, dass ihr es seid, dem danach ist, zu dichten. Fragt sich nur, ob eure…Reime… Anklang finden. Es ist ja mit der Vortragskunst so, dass sie manches Mal missverstanden wird. Oder nicht die Würdigung erfährt, die sie vielleicht verdient.”

Ioric lachte leise. “Mir scheint, Hohe Dame, euch verlangt es nach wohlgesetzten Worten. Nun gut, so will ich mich versuchen.” Er schwieg einen Moment, sammelte sich.

“Stolze Maid in Madas Schein!
Euer Geist, so stark und rein!
Ganz anders doch das Sinnen mein:
Vor meinem Auge Silberglanz
bedeckt eure Haut - allein und ganz!”

Obwohl sein Schwertvater ihn sicher für die ungeschliffenen Verse gescholten hätte, stellte Ioric, nicht ohne Genugtuung, fest, dass sie zumindest mit einer gewissen Kunstfertigkeit vorgebracht waren.

Lachend hielt Talwen sich eine Hand vor die Augen. “Ist das euer Ernst? Silberglanz auf meiner Haut, wirklich? Na, zumindest muss man euch lassen, dass ihr Mut besitzt.” Sie überspielte dabei, dass die offensichtliche Botschaft seines Reims ihr das Blut in die Wangen trieb. “Und erst neulich sagtet ihr mir, ihr gäbet nichts auf diesen Minnewettstreit.” stichelte sie belustigt.

Ioric, anscheinend nicht im mindesten betroffen durch ihren Spott, lächelte selbstsicher: “...und doch habe ich ihn gewonnen.” Er streckte die Hand aus, berührte ihre Wange für einen Moment, dann ließ er sie sinken. “Aber wenn meine Verse hier weder Anklang noch Würdigung erfahren…”

“...zieht ihr euch schmollend zurück und grummelt euch in den Schlaf?” Ihre Worte begleitete ein freches Grinsen. “Verzeiht mir, dass ich euch nicht in derselben Weise antworte, aber meine Dichtkunst steht meiner Fähigkeit, eine Taube vom Himmel zu schießen, weit nach. Besteht ihr aber darauf, so werde ich eine Erwiderung versuchen. Lasst mich nur noch vorher die Stimme ölen.” Talwen hatte die Schnapsflasche schnell geöffnet - diesmal leise - und gönnte sich einen Schluck.

“DAFÜR lohnt es sich bestimmt, meinen schmollenden Rückzug aufzuschieben”, kommentierte Ioric mit einem Schmunzeln. “Ich möchte nur klarstellen: ihr tut Dinge weil ihr es so wünscht, nicht weil ich euch dazu dränge.”

„Es ehrt euch, dass ihr so besorgt um mich seid. Ich denke aber, dass ich mich ganz gut wehren kann.“ Sie prostete ihm zu, hielt dann die Flasche vor sich und suchte nach Worten.

„Edler Recke, wie könnte ich
erwidern euer Wort so minniglich.“

Begann sie, woraufhin sie eine Pause ließ und weiter nachdachte.

„Denn der meinen Kunst ist Dichtkunst nicht.
Verzeiht, wenn meine Zunge vor Reimen gebricht.“

Sie verzog das Gesicht und lachte. „Oh, das war schlecht. Ich versuche es noch einmal, wartet.“ Dabei deutete sie ihm Warten an. Es folgte ein Schluck vom Wachholderschnaps, ehe sie wieder in sich ging.

„Ihr sprecht vom Mondenschein auf meiner Haut,
Dem ihr sogleich einen Wunsch anvertraut.
Doch silbern…hm…“

Wieder suchte sie einen Reim. Dabei schwenkte sie in Gedanken das Schnapsfläschchen. Plötzlich warf Talwen dem Krähenfels einen musternden Blick zu, der ebenso herausfordernd wie durchdringend war, ein bisschen distanziert auch, aber ebenfalls mit einer Portion Frechheit.

„Doch silbern ist der Maiden Schwert
Und euer Wunsch allein nichts wert.
Wollt ihr der Maiden Herz gewinnen,
Müsst ihr‘s mit klarem Wort beginnen.“

Ihn nicht aus den Augen lassend, trank sie erneut.

Ioric hatte ihr aufmerksam gelauscht, einzelne Passagen mit einer gehobenen Augenbraue oder einem vergnügten Lächeln kommentierend. Als sie geendet hatte, wurde er ernst, sah sie lange an, ehe er leise seufzte. “Ihr wollt ein offenes Wort? Was tun wir hier, Talwen Vialigh?”

“Sitzen, trinken, dichten, Zeit verbringen, den Tag vergehen lassen und uns die Nacht um die Ohren schlagen?” versuchte sie das Offensichtliche zusammenzufassen, wissend, dass seine Frage auf anderes abzielte. Dabei fuhr sie sich mit der Hand ins Haar, kratzte sich im Anflug von Unsicherheit an der Schläfe. “Um ehrlich zu sein, Herr Ioric, ich weiß es nicht. Nicht genau jedenfalls. Ich meine, ich weiß, was ICH möchte.” Das entsprach der Wahrheit.

“Das ist - schön. Ich muss euch gestehen, ich habe absolut keine Idee, was IHR möchtet. “ Ioric setzte ein schiefes Lächeln auf. “Was meine Absichten angeht, bin ich wohl auch noch nicht bei derselben Klarheit angelangt.”

Sie schmunzelte, denn aus ihrer Sicht war es leicht. “Wie ich euch schon sagte: Ich möchte euch kennenlernen. Ich möchte wissen, wer ihr seid, Ioric von Krähenfels.” half sie ihm auf die Sprünge und gab dabei ohne Scheu die Wahrheit zu. “Das ist, warum ICH hier sitze und trinke und mir die Nacht um die Ohren schlage.” Sie schmunzelte noch immer.

“Ich hoffe, ich habe euch euer Bestreben so leicht wie möglich gemacht.”

“Ich darf vermelden, dass es vorankommt.” entgegnete sie amüsiert. “Aber eures scheint euch Kopfzerbrechen zu machen. Hm, vielleicht kann ich helfen. Beginnt doch mit dem, dessen ihr euch gewiss seid!”

Für einen Moment schien Ioric in Gedanken versunken. “Ich weiß eure Gesellschaft zu schätzen: dass ihr euch nicht scheut, mir den Spiegel vorzuhalten oder eure Meinung zu nennen - ganz gleich, ob ich sie hören will. Ich genieße eure Offenheit, euren Witz und euren Idealismus - in all seiner Verbohrtheit.” Er zwinkerte ihr lächelnd zu, fuhr aber sogleich fort. “Ich habe auch genossen, mit euch der Schönen zu opfern und würde dies jederzeit wiederholen - heute oder an einem anderen Tag.” Er biss sich auf die Unterlippe. “Aber will ich deshalb ‘euer Herz erobern’? Ich weiß es nicht.” Der Blick, den er Talwen zuwarf, konnte man fast traurig nennen.

Talwens Gesicht hatte seine Worte erst strahlend bestätigt. Als ihn dann am Ende Lethargie erfasste, büßte es ihr Lächeln ein und gewann dafür an Nachdenklichkeit. “Dann haben wir wohl noch etwas gemeinsam,” seufzte die Vialigh tief und in Anspielung darauf, dass sie bei all ihren Unterschieden doch bereits belustigt ein paar Gemeinsamkeiten feststellen konnten. “Ich weiß auch nicht, ob ich will, dass ihr es erobert”.

Kurz huschte ein Lächeln über das Gesicht des Krähenfelsers, verweilte aber nicht. Er nickte langsam und streckte die Hand in einer auffordernden Geste in Richtung der irdenen Flasche in ihrer Hand aus.


Das ‚Aber‘

Kurz war sie versucht, sie ihm zu geben, aber im letzten Moment zog sie die Flasche doch fort. “Hört mal. Ich wollte euch mit dem Gedicht weder zu etwas nötigen, noch malte ich mir aus, eine solche Antwort zu bekommen. Ich finde eure Ehrlichkeit sehr ehrvoll. Aber das mit dem ‚Herz erobern‘, das war doch eigentlich nur…“ auf die Schnelle dahergesagt, wollte sie sagen, hielt aber inne, denn es wusste Talwen selbst am allerbesten, dass es eigentlich NICHT nur so auf die Schnelle dahergesagt war. „Einerlei. Ihr müsst bitte aufhören, euch daran anzustoßen,“ riet sie ihm. Schuldbewusst - oder unschlüssig - kaute sie einen Moment auf ihren Lippen herum. „Ich schätze aber euer ehrliches Wort drum möchte ich es gerne erwidern: mir hat der Abend mit euch auch sehr gefallen und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es die Schöne gern sähe, wenn wir ihr noch einmal so huldigen wie zuletzt.“ Talwens Wangen glühten, als sie das so sagte. Der Satz enthielt ein ‚aber’, doch sie sprach nichts dergleichen und reichte ihm das Fläschchen nun doch.

Der Ausdruck in Iorics Gesicht hatte sich von entrüstet, als sie ihm den Schnaps verwehrte, über nachdenklich, hin zu einem dünnen Lächeln, in das sich eine Spur Verlegenheit mischte, gewandelt. Vorsichtig nahm er das Tonfläschen entgegen und nahm einen kleinen Schluck, bevor er es zwischen ihnen abstellte. “Der Herrin Rahja Haltung zu derlei Zeitvertreib ist mir bekannt, denke ich.” Er grinste. “Aber nicht sie ist es, die hier vor mir sitzt.”

Auch Talwen lächelte wieder, noch immer brannten ihre Ohren. Bei Rahja! Doch ganz schien die Heiterkeit sie nicht ergreifen zu können. “Wisst ihr, der heutige Tag war schmerzhaft.” Dabei meinte sie nicht nur den erschreckenden Tod des jungen Ritters, der unweit auf dem Platz vor ihnen elendig verblutet war, sondern auch das ernüchternde Gespräch, zu dem sich ihre Mutter daraufhin berufen fühlte. Von letzterem wusste der Krähenfels natürlich nichts. Und auch, wenn die Aussicht auf eine erneute Nacht mit ihm verlockend klang, war es andernseits nicht rechtens, wenn sie sich der Lust und der Freude hingaben, wenn anderswo um einen Sohn, Bruder, Freund getrauert wurde. "Es scheint mir unangemessen, würden wir uns etwas anderem widmen als seinem würdigen Abschluss in Demut und Stille.” Das war also ihr ‘aber’. Dabei nahm sie seufzend die Flasche an sich und gönnte sich einige kräftige Schlucke.

Ioric warf ihr einen verständnisvollen Blick zu, falls er enttäuscht war, verbarg er es sehr gut. Lange schwieg er, ließ ihren jeweiligen Gedanken Raum, während er fast regungslos dasaß. Nach einer Weile kam Bewegung in ihn und er drehte sich ebenfalls, ließ nun beide Beine wieder seitlich baumeln, nutzte aber die Bewegung, um den Handbreit Abstand zwischen ihnen zu überwinden, sodass sie nun Schulter an Schulter saßen. “Ist noch etwas übrig?”, fragte er dann mit einem Nicken in Richtung der Flasche. “Ich denke wir sollten jenen, die heute mehr Schmerz als einen verbeulten Harnisch erfahren haben, noch einen Schluck widmen.”

Talwen nickte zustimmend. “Ja, das sollten wir. - Auf dich, Ardan, du armer Hund. Das hast du nicht verdient.” Mit einer Armbewegung prostete sie gen Alveran. Anschließend trank sie und reichte das Gefäß an Ioric weiter.

Dieser nahm es entgegen, führte die Hand mit dem Schnaps in einem Kriegergruß zum Herzen, bevor er ebenfalls trank. “Rondra befohlen!”

„Das war schön,“ murmelte sie anerkennend, als der Moment ihres gemeinsamen Gedenkens vorbeigezogen war, und sie aufsah in sein Gesicht, nachdem der Bügelverschluss des Brands unter ihre Finger zuschnappte. „Danke.“ Was sie genau damit meinte, ließ sie offen.


Überschneidungen

Ioric nickte langsam, ehe er sich räusperte: “Also dann, ich werde mich nun wohl doch in mein Zelt zurückziehen... Oder braucht ihr noch Hilfe mit dem Rest?”, setzte er mit einem Lächeln nach.

Daraufhin schüttelte Talwen prüfend die kleine Flasche. „Dürfte nicht mehr viel drin sein. Fühlt euch gern eingeladen, noch einen Moment zu verweilen. - Holderbrand?“ Mit einem sanften Lächeln hielt sie ihm erneut die Flasche hin, als lerne er diese eben erst kennen. „Ist kein Mhôrnoch, aber er muss auch weg.“

Ioric erwiderte Ihr Lächeln und griff nach dem Schnaps. “Ist mir nicht unbekannt. Und ich teile eure Einschätzung.” Langsam führte er ihn zu den Lippen und trank. “Sollte euch einmal nach Abwechslung hiervon sein -”, er ließ die Flasche zurück zu ihr wandern, “- wisst ihr ja, wo ihr mich findet.”

„Ich weiß nicht, ob ich meinen Schildmeister überredet bekomme, bei euch auf Eichengrund Gastung zu beziehen, wenn nur ich es bin, die von dem Kellerschatz kosten darf,“ entgegnete sie, leicht schmunzelnd, und setzte ihrerseits den Brand an, um zu trinken.

“Es ist selbstverständlich eine Ehre, die gräflichen Grenzreiter in unseren Mauern willkommen zu heißen. Und sicherlich wird es den geschätzten Gästen an nichts mangeln.” Er lachte. “Ob nun aber ALLE von Ihnen dieselbe Behandlung erfahren, wage ich zu bezweifeln. Euer Schildmeister wird also ein WENIG Ungleichbehandlung hinnehmen müssen.”

„Herr Ioric, ich denke, das, was euch vorschwebt, wäre nicht klug. - Außer, ihr meintet das gerade anders.“ entgegnete sie so undefiniert wie schon oft.

Ioric lachte erneut. “Frau Talwen, maßt ihr euch an meine Gedanken zu kennen?”

„Möglicherweise. Oder dürft nur ihr das, von anderen behaupten, sie zu kennen?“ Währenddessen drückte sie ihm die Flasche in die Hand.

“Solange ihr euch sicher seid, dass es meine Gedanken und nicht die euren sind.” Ioric schmunzelte, während er trank.

„Solange ihr sicher seid, dass es eure Wünsche sind und nicht die meinen, die euch zur Ungleichbehandlung verleiten lassen,“ entgegnete sie ihm, ebenfalls schmunzelnd.

“Wie könnte ich?”, entgegnete er vergnügt, während er ihr die Flasche zurück reichte. “Es scheint ja vorzukommen, dass sie einander geradezu zum Verwechseln ähneln.”

Nun musste Talwen doch wieder lachen. „Ihr meint, eure Wünsche und die meinen? Hm, das würde ich nicht unbedingt in Gänze bejahen. Ich gebe aber zu, dass die Möglichkeit besteht, dass es, nun ja, gewisse … Überschneidungen… geben könnte.” Sie sah ihn aus dem Augenwinkel heraus an.

“Seht ihr? Unmöglich also!” Lachend hob Ioric die Hände in einer hilflosen Geste, wobei er ihren Blick erwiderte.

„Unmöglich? IHR seid unmöglich, Ioric von Krähenfels!“ Lachend schüttelte sie den Kopf.

Mit einer abwehrenden Geste wandte Ioric den Blick wieder ab, ließ ihn schmunzelnd über das Feld vor ihnen wandern. “Wie ihr meint, Hohe Dame”, murmelte er leise nach einer Weile.

Talwen setzte derweil die Flasche an. Es war nicht mehr viel darinnen, nur mehr ein letzter Schluck, den sie in einem Stück in ihre Kehle rutschen ließ. Dann stellte sie die Flasche neben sich zur Seite und ließ sich zufrieden seufzend nach hinten auf die Holzbretter nieder, bettete ihren Haupt auf die hinterm Kopf verschränkten Arme, um auf dem Rücken liegend in den Himmel über ihnen zu starren. Ihre Beine baumelten weiterhin nach unten. Vergnügt ließ sie sie sanft zappeln. Das angebrachte Dach über den Sitzen der hohen Herrschaften erschwerte die Sicht, doch war genug Himmel unverdeckt, um unzählige glitzernde Sterne und das leuchtende Madamal zu bestaunen. Ihr Blick glitt allerdings seinen Rücken hinauf. „Wisst ihr, dass ihr durchaus etwas von einem, hm, Hofnarren habt?“ neckte sie ihn verspielt. „Ich meine, ihr habt eine Art an euch, die ist amüsant, erheiternd und unterhaltsam. Das meine ich übrigens nicht gehässig.“ schob sie gleich hinterher, um Missverständnisse auszuräumen. „Mein Gemüt habt ihr jedenfalls wunderbar erhellt. Aber was ist gerade mit euch passiert?“ fragte sie aufrichtig interessiert.

Iorics Gesicht blieb zunächst abgewandt, aber seine Stimme verriet mehr Belustigung als Ärger: “Ein Hofnarr? Weil ihr Freude an einer Unterhaltung mit mir gefunden habt?” Er lachte leise, ehe er sich zu ihr umdrehte und sie musterte: “Was meint ihr, was soll mit mir passiert sein?”

Sie stemmte sich auf ihre Ellbogen auf. „Ah! Ich dachte schon, eine traurige Stimmung hätte sich eurer bemächtigt. Zumindest wirktet ihr kurzzeitig so, als ihr so über den Platz gestarrt habt,“ antwortete sie erleichtert und mit einem Lächeln. „Aber da hab ich mich dann wohl in euch getäuscht.“ Sie lachte auf: „Das tue ich in letzter Zeit öfter, scheint mir.“

Ioric erwiderte Ihr Lachen mit einem Grinsen und einem Schulterzucken. “Ja, ich habe auch festgestellt, dass ich von Zeit zu Zeit dazu neige, mich zu irren, was meine Einschätzung angeht - glücklicherweise zum Besseren…”

„Tatsächlich ist das auch meine Beobachtung“, sagte sie, wahlweise ebenso geheimnisvoll oder offenkundig, wie es auch seine Aussagen gewesen war, bevor sich ihre Brauen grübelnd zusammenschoben. „Hm. Darf ich euch etwas fragen?“


Gedanken an finstere Zeiten

“Natürlich”, kam es ohne zu Zögern von Ioric zurück, auch wenn sich eine Spur Vorsicht in seine Stimme mischte.

Mit einer katzengleichen Bewegung schwang sich die Berglöwin auf und saß nun wieder direkt neben ihm. „Was habt ihr zwischen dem Ende der Fehde und unserer ersten Begegnung auf Carans Hochzeit gemacht? Wo habt ihr euch da nur versteckt, dass wir uns noch nicht vorher über den Weg gelaufen sind?“ Der Gedanke trieb sie wohl tatsächlich um, auch wenn sie ihre Frage weniger ernst formulierte, als sie es auch gekonnt hätte.

Ioric sah sie einen Augenblick ernst an. “Auf Krähenfels.” Er senkte den Blick. “Nachdem alles vorbei war, kehrte meine Tante dorthin zurück - und ich mit ihr.” Ein bitteres Lächeln glitt über sein Gesicht und er vermied es weiterhin, sie anzusehen. “Ich würde euch keinen Vorwurf machen, wenn ihr mich dort nicht bemerkt hättet. Der Herr von Krähenfels sah keinen Wert darin, sich mit meinen Diensten zu schmücken und so verbrachte ich die meisten Tage als Handlanger meiner Mutter, nur ab und zu als Jagdgesellschaft für Caran.”

„Schon komisch. Ich war die ersten beiden Jahre nach Ende der Fehde auch zuhause, bevor ich zu den Heckenreitern ging. Naja, ZUHAUSE ist ein sehr weiter Begriff. Eben was davon übrig war.“ brummte sie einen Moment lang seufzend. Sie hatte aber auch gleich eine Antwort, warum zumindest sie nichts mit den Nachbarn auf Krähenfels zu tun hatte: „Ich erinnere mich gut. Meine Mutter war so wütend auf eure Tante, dass wohl die ‘Hecke’ längs des Wacholderwegs hätte wachsen können.“ lachte Talwen belustigt über die Erinnerung an damals. „Und wisst ihr, was auch komisch ist? Ich glaube, hättet ihr euren Kopf damals nur ein einziges Mal vor meine Augen gebracht, hätte ich euch ohne Zögern mit dem Bogen erlegt. Heute sitzen wir hier und ich denke an… ganz andere Dinge.“

Ioric sah sie an, sein Mund bloß ein dünner Strich, bei ihrem letzten Satz krümmte der Schatten eines Lächelns kurz seine Mundwinkel, dieser verflog aber schnell. “Dann ist es gut, dass unsere Pfade sich nicht kreuzten. Euer Triumph - Rache, nennt es, wie ihr es wollt - wäre hohl gewesen. Ihr hättet einen Makel auf euch geladen, der euch bis ans Ende eurer Tage befleckt hätte. Das alles für einen Moment der Verwirklichung eurer finstersten Gelüste?” Er schüttelte den Kopf, seine zuvor versteinerte Miene brach wieder auf.

„Ihr wisst doch, dass ich das nie tatsächlich getan hätte, oder? Sagtet ihr nicht selbst, ich wäre viel zu ehrbar für solcherlei?“ wollte sie klarstellen. “Heute, sicher.” Ioric nickte. “Aber ich weiß nichts darüber, wie ihr euch damals womöglich gefühlt habt. Es braucht nur einen kurzen Moment der Unbeherrschtheit und nunja - für mich war es eine finstere Zeit, wenn auch sicherlich anders als für euch.”

Eigentlich wollte sie noch etwas zum Begriff der Ehre sagen, und dazu, dass sie ihre eigene nicht erst seit gestern pflegte. Sie entschied sich jedoch für etwas anderes, denn sie wollte sich nicht wegen alter Zöpfe streiten. Nicht mit ihm und jetzt. „Wisst ihr, mir fällt auf, dass ihr schon lange nicht mehr gejammert habt,“ lachte sie und er spürte ihre Hand auf sein Schulterblatt fallen. „Also wegen mir braucht ihr damit auch nicht anfangen. Ich fand euch ohne das Gejammer…unterhaltsamer.“ Ioric lächelte dünn. “Vergebung Hohe Dame. Mir scheint, meine Zufriedenheit ist flüchtig.” Er war sich ihrer Berührung eindringlich bewusst, unternahm aber nichts, um sie zu erwidern - oder loszuwerden.

Sie stieß ein lautes Seufzen aus „Und ebenso scheint es eure gute Laune. Schade. - Aber wenn ich etwas gesagt haben sollte, was euch verletzt hat oder dergleichen, dann bitte ich euch, mir das mitzuteilen, und zwar so ehrlich wie bisher. Stoßt mich ruhig mit der Nase hinein. Ihr wisst ja, dass ich einiges aushalte.“ Bei ihrer letzten Bemerkung zog sich ihr Mund wieder zu einem Schmunzeln, aber ihre Hand hob die Berührung auf, während sie wartete, ob er etwas sagen würde.

Ioric schüttelte den Kopf, dann musste er ebenfalls schmunzeln. “Euch trifft keine Schuld.” Kurzentschlossen griff er nach ihrer gerade zurückgezogenen Hand. “Ich… Danke”, endete er dann seinen eigenen, etwas ratlos begonnenen Satz.

“Wofür?” fragte sie sogleich, ihr Augenmerk legte sich allerdings auf ihrer Hand in der seinen.

“Für einen denkwürdigen Abend... Eure Gesellschaft… Ihr wisst schon.” Widerwillig beendete Ioric die Berührung, zog seine Hand zurück.


Wünsche

Dass er losließ bedauerte sie sehr. “Das klingt, als würdet ihr aufbrechen wollen.” Auch das bedauerte sie. Ganz verübeln konnte sie es ihm aber nicht.

Ioric sah ihr in die Augen. “Euer Brand ist geleert, die Stunde spät. Ich bitte euch: Lasst nicht zu, das mich Wünsche quälen, die keine Erfüllung finden werden.”

Talwen musste schmunzeln, als er das so sagte. “Seid ihr nicht selbst Herr eurer Sinne?” Doch sie war auch empathisch genug, um seine Botschaft zu verstehen, deshalb unterließ sie weitere Sticheleien. „Ich werde euch nicht aufhalten.” sagte sie und hielt dennoch seinen Blick mit ihren dunklen Augen gefangen.

Ioric hielt ihren Blick für ein paar Herzschläge, bevor er ihn lächelnd abwandte. “Wohl nicht.” Er machte sich keine Mühe, das Bedauern in seiner Stimme zu verhehlen.

Talwen versuchte zwar, sich die Verwirrung über seinen eigenen Widerspruch nicht anmerken zu lassen, aber das schaffte sie zu dieser späten Stunde nicht mehr. Mit einem Seufzen holte sie eins der Beine ein und drehte sich um, damit sie ihm direkt gegenüber saß. Was ein Stückweit den Abstand zwischen ihnen vergrößerte. „Ich glaube, ich verstehe euch nicht.“ entgegnete sie mit leichter Entrüstung den Kopf schüttelnd. „Im einen Moment bittet, nein, fleht ihr mich regelrecht an, euch gehen zu lassen, und wenn ich es dann tue, ist es euch auch nicht recht? Was wollt ihr? Und sagt nicht mir den Wappenrock vom Leib reißen, denn an diesem Punkt waren wir schon.“ Ihren Worten folgte ein amüsiertes Auflachen. „Wolltet ihr vor dem Auseinandergehen etwa noch einen Kuss?“ mutmaßte sie schließlich. „Vielleicht hätte ich euch sogar einen gestattet - doch ihr sagtet selbst, dass ihr keine Qualen wünschtet,“ schloss gnadenlos ehrlich. Sie war nicht wirklich verärgert, wie ihr schmales Lächeln dabei zeigte. Eher verwundert über sein konträres Gebaren.

Ioric sah Talwen für einen Moment an, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. Dann blinzelte er und senkte zerknirscht den Blick. “Mein Verhalten war unangemessen und unwürdig - dafür bitte ich um Verzeihung.” Er richtete sich auf und atmete tief durch. “Ich wünsche euch eine gesegnete Nachtruhe.”

Talwen zog sich ebenfalls nach oben und nahm das leere Fläschchen mit sich. „Das wünsche ich euch auch.“ erwiderte sie den Gruß, als sie sich gegenüber standen. Nur einen Augenblick später war sie neben ihn hingetreten. „Entschuldigt euch nicht immer,“ raunte sie ihm wie eine Verbündete über ihre Schulter zu, ehe sie ihm noch mal ein Lächeln schenkte und etwas beherzter fortfuhr: „Bitte bleibt morgen am Leben! - Ich meine, wegen der Lösegelder, … und damit sich die Grenzwacht über ein paar neue Waffenröcke freuen kann.“ Dann trat sie an ihm vorbei und er verlor sie aus den Augen, als sie sich der Treppe zuwandte, um als erste zu gehen.

Ioric blickte ihr für eine Weile nach, leise lächelnd. Schließlich wandte auch er sich ab und ging langsam durch die mondbeschienen Zeltreihen zurück in sein Lager.


Ein Säckel für die Grenzwacht (29. Praios, der Morgen des Aufbruchs)

Wieder im Hort der Krähe

Trotz der frühen Stunde war im Lager des Herrn Aldewen, ebenso wie überall sonst in der Zeltstadt am Fußedes Madasteins, reges Treiben. Waffen- und Trossvolk eilte quer durcheinander, angeleitet von verschiedenen befehlsgewohnten Stimmen, beladen mit Bündeln, Kisten und Stangen. Die Zelte der hohen Herrschaften waren noch nicht angerührt worden, der Rest des Lagers befand sich aber in verschiedenen Stadien des Abbaus.

Ioric von Krähenfels Zelt war in Unordnung: verschiedene Truhen standen halb aus- oder eingeräumt herum, einer der Stühle lag zusammengefaltet in der Ecke, einzig seine Bettstatt war ordentlich, fast unberührt. Sein Bewohner saß auf der Liege in der Mitte des Zelts, augenscheinlich damit beschäftigt, mithilfe einer polierten Kupferscheibe und einem Messer seinen Bart zu stützen. Ioric trug dunkle Reiterhose und -stiefel, dazu ein helles Leinenhemd. Es war nicht schwer, ihm den langen Abend und die kurze Nacht anzusehen, auch wenn er sich mühte, sich nichts anmerken zu lassen.

Ein Räuspern von draußen. “Dürfte ich euch mit meinem Schwert aushelfen? Ich wollte schon immer mal meine Klinge an eurem Hals sehen.” drang sodann die Stimme Talwen Vialighs spitz an Iorics Ohr und als er sich umwandte, stand sie vor dem offenen Zelteingang. Wie immer in ihr Heckenreiter-Grün gekleidet, das dunkle Haar ordentlich zu einem tiefsitzenden Pferdeschwanz gefasst, eine Hand lässig auf den Schwertknauf ihrer Waffe gelegt. Im Gesicht ein feines Schmunzeln. Hinter ihr mit etwas Abstand ihr Anhang: eine der Anwärterinnen und zwar jene, die auch den Namen Vialigh trug.

Ioric begrüßte seinen Besuch mit einem Lächeln, auch wenn dieses kurz flackerte. “Die Zwölfe mit euch, Hohe Dame.” Er legte Messer und Scheibe beiseite, erhob sich. “Ich werde eine Rasur durch euch zu den Dingen hinzufügen, die ich als Lösegeld von euch fordern werde - bei nächster Gelegenheit.” Ein Grinsen huschte über sein Gesicht und er verbeugte sich mit einer einladenden Geste. “Seid mir willkommen in Travias und Rondras Namen. Verzeiht die Unordnung, darf ich euch etwas anbieten?”

Talwen gab dem Mädchen einen Wink, draußen zu warten, sie selbst betrat das Zelt. „In Travias und Rondras Namen seid’s gedankt, doch macht euch keine Umstände, wir werden nicht lange bleiben, da das Oberhaupt unseres Hauses alle Mitglieder zum Frühstück geladen hat. Naja, ihr wisst ja wie das mit den familiären Pflichten ist…“ Lächelnd trat sie an ihm vorbei weiter in den Raum, ließ den Blick schweifen. Er konnte sich nicht sicher sein, ob ihr auffiel, dass seine Bettstatt wenig Anzeichen besaß, dass er längere Zeit darin gelegen hatte, wohl aber, dass ihr Augenmerk auf ihren Dolch fiel, welcher immer noch auf dem kleinen Tischchen lag. Doch die Vialigh machte keine Anstalten, darauf einzugehen, sondern drehte sich lachend zu ihm um: „Ihr wollt als Auslöse mal eine Rasur von mir? Das wäre zumindest mal was Neues. Aber da ihr es ansprecht: Wie mir zu Ohren gekommen ist, war es ein sehr erfolgreicher Tag für euch gestern. Bis zum Ende dabei. Nur meiner Mutter unterlegen. Dann einige Gefangene, darunter die Erlinau und der Moosgrund. Hm, man könnte meinen, ihr wärt auf Genugtuung aus gewesen. Ich hoffe doch nicht, dass ihr den Kerl wegen mir in den Dreck warft.“ Sie zwinkerte Ioric zu.

Ioric grinste breit. “Aber wieso denn? Es ist doch nichts zwischen ihm und euch gewesen, oder?” Für einen Moment schien er den gestrigen Tag noch einmal vor seinem geistigen Auge zu erleben, dann kehrten seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Selbstsicher trat er an Talwen heran, welcher nun einen Anklang von Minzöl in die Nase stieg. “Achja - die Gelder. Deswegen seid ihr hier, nicht wahr?”, fragte er leise, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Ihr seid doch noch willig, sie mir auszuhändigen?“ antwortete sie mit einer Gegenfrage und hielt seinem Blick stand.

Ioric machte eine angedeutete Kopfbewegung in Richtung einer der Ecken des Zelts, jedoch ohne den Augenkontakt zu unterbrechen. “Es ist alles dort drüben.” Er lächelte dünn. ”Abzüglich meines Beitrags zu eurem Erbe.”

„Ah ja, richtig.“ Talwen kniff leicht die Augen zusammen, während sie verstehend nickte und sich aufmachte, die Ecke aufzusuchen, in die er gewiesen hatte. „Wie war es, unter meiner Mutter zu liegen?“ Die Bemerkung hatte sie sich den ganzen Morgen über schon gefreut, machen zu können. Entsprechend schelmisch war ihr Blick, als sie sich in jener Ecke stehend erneut zu ihm umdrehte.

Ioric zollte ihrem Witz mit einem Grinsen und einem Nicken Anerkennung. “Mir ist die Tochter lieber, aber manchmal sucht man sich derlei nicht aus”, antwortete er betont unbeeindruckt mit einem Schulterzucken, auch wenn der Schalk in seinem Augenwinkel blitzte.

„Ich werd‘s ihr ausrichten,“ entgegnete sie ihm, aber ohne Ernst. Talwen maß den Abstand zwischen ihnen und mit einem Blick an seiner Schulter vorbei den Weg zum Zelteingang. Die junge Ailynn war außer Sicht. „Ihr wolltet mir eure freundliche Spende für die Grenzwacht überreichen,“ tat sie so, als wolle sie ihn erinnern, warum er sie in diese Ecke seines unordentlichen Zeltes geführt hatte.

Eine Schatulle voll Gold

Ioric überwand mit zwei langen, vorsichtigen Schritten die Distanz zwischen ihnen, musterte sie kurz, ehe er sich dann nach einer kleinen, mit Eisen bebänderten Holzschatulle bückte. Mit einem stolzen Lächeln hob er ihren Deckel an. Sie enthielt, neben einer großzügigen Menge Goldmünzen, auch einige daumennagelgroße edle Steine in verschiedenen Farben.

Talwen pfiff beeindruckt, als sie sah, was er ihr da präsentierte. „Na, wenn diese Spende nicht euer Ansehen und euren Ruhm mehrt,“ ließ sie verlauten. „Wollt ihr die Schatulle wieder zurück, oder darf ich sie behalten? Als Pfand, meine ich.“ Sie hob die offenen Hände, um anzudeuten, dass sie gerne gewillt war, die Schatulle nun zu empfangen.

Ioric ließ die Schatulle zuschnappen, bevor er sie Talwen in die Arme drückte. “Den Anteil eurer Mutter habe ich bereits entnommen.” Er biss sich auf die Unterlippe. “Macht keine große Sache daraus, ja? Ich möchte weder Vergebung noch Gunst hiermit kaufen, mir - mir reicht es, wenn ihr wisst, woher das Gold stammt.” Mit einem zaghaften Lächeln trat er einen halben Schritt zurück. “Behaltet sie ruhig - vielleicht findet ihr beizeiten eine Gelegenheit sie mir zurückzugeben.”

Beeindruckt blickte Talwen von der Schatulle in ihren Händen zu Ioric. „Dann, hm, dann danke ich euch im Namen meiner Kameradinnen und Kameraden,“ fing sie schon an, sich für die Großzügigkeit des Krähenfels zu bedanken, hielt dann aber inne, schürzte die Lippen und fixierte den Ritter skeptisch unter zusammengeschobenen Brauen hervor. „Es gibt ein Problem. Ich hatte mit einem Säckchen gerechnet, vielleicht auch mit zwei, nun gebt ihr mir einen kleinen Schatz in die Hand, und ihr meint tatsächlich, ich würde nicht gefragt werden, woher ich alles habe? Euren Wunsch kann ich verstehen, doch versteht auch mich, ich brauche eine Erklärung! Zuerst für meine Anwärterin, die mich mit einer Schatulle aus eurem Zelt kommen sieht. Dann für meine Familie, denn dorthin werden wir anschließend gehen, und nicht zuletzt wird meine Bannerherrin ebenfalls wissen wollen, woher ich dies alles habe. Und verzeiht, wenn ich es noch einmal frage, weil die Heckendorn es möglicherweise auch tun wird:“ Ihr widerstrebte es, das folgende zu sagen, aber sie kam nicht drum herum. „Ist Anonymität das einzige, was ihr verlangt?“ Wie eine Berglöwin musterte sie währenddessen jede seiner Regungen.

Ioric musterte sie für einen Moment, sein Gesichtsausdruck irgendwo zwischen Belustigung und Empörung. Dann machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand. “Ich gab euch mein Wort und ich halte es.” Mit einem bitteren Lächeln schüttelte er den Kopf. “Ich habe auch nicht mit derart viel Erfolg gerechnet und sicher - gerne würde ich es für ein neues Zaumzeug und einen ziselierten Kürass verwenden, aber deshalb werde ich doch nicht wortbrüchig.” Er sah sie an.”Nehmt es hin und beleidigt mich nicht mit euren Fragen nach Gegenleistungen.” Mit einem langen Blick musterte er erst die Truhe, dann Talwen. “Ich verlange nicht, dass ihr lügt, wenn man euch fragt. Wollt ihr aber Fragen entgehen, lasst sie hier, dann lasse ich sie für euch an der Feste abgeben.”

Talwen war sich bewusst, dass sie nicht verhindern konnte, dass man sie fragte, wie es zu dieser Spende gekommen war, und tatsächlich konnte sie es nicht erwarten, zu erzählen - zumindest ihrer Bannerherrin - von wem die Spende war. Aber dass sie das Gold und die Edelsteine nicht durchs Lager schleppen musste, war ihr ganz recht. Allein der vielen seltsamen Fragen wegen, welche sie seitens ihrer Mutter erwartet hätten. „Gut, dann lasse ich alles hier,“ sagte sie schließlich, während sie einen Schritt auf ihn zumachte, um ihm die Schatulle gegen die Brust zu drücken. „…Und vertraue darauf, dass ihr keinen anderen Bittstellern etwas davon abgebt.“ Sie schmunzelte.

Ioric schüttelte lächelnd den Kopf, während er die Schatulle wieder entgegen nahm. Achtlos stellte er sie dann ab. “Ich nehme an, ich halte euch auf.”, bemerkte er murmelnd, während er die junge Heckenreiterin mit einem langen Blick musterte.

Ihre Augen sahen einen Moment nachdenklich drein. „Etwas davon muss ich mitnehmen,“ sagte Talwen schließlich, während sie an ihre Gürteltasche griff und ihre Geldkatze hervor zog. Dabei überging sie seine Bemerkung. „Immerhin habe ich erzählt, dass wir unbedingt noch vor eurer Abreise bei euch vorbei gehen müssen, um eure Spende abzuholen. Es, hm, wäre also nicht klug, wenn ich euer Zelt gleich mit leeren Händen verlasse. Sonst wirft das womöglich Fragen auf.“ Welche genau, ließ sie offen. Zweifelsohne dachte sie jedoch nicht nur an seinen Ruf, sondern zuallererst an ihren eigenen. „Außerdem könntet ihr so ganz einfach beides verbinden, das Angenehme mit dem Nützlichen.“ Möglicherweise eine Anspielung, die sie jedoch nicht weiter ausführte. „Das heißt, eure großzügige Spende, dass man euch mit Anerkennung bedenkt - und später, wenn ihr den restlichen Inhalt der Schatulle nach Hreodwulfs Wacht bringen lasst, dass nicht jeder erfährt, dass ihr mir euer gesamtes erstrittenes Vermögen vermacht.“ schlug sie ihm vor, überzeugt von dieser Taktik. „Ich meine natürlich: der Grenzwacht!“ lockerte sie zum Schluss lächelnd auf.

“Wie ihr meint”, kommentierte Ioric ihren Redeschwall amüsiert. “Nehmt euch etwas für euren Beutel, nur um den Schein zu wahren.” Er zwinkerte.”Ich werde Sorge tragen, dass ihr den Rest ebenfalls erhaltet. - Ich meine natürlich die Grenzwacht!” Ioric von Krähenfels lachte gutmütig.

“Natürlich,” untermauerte Talwen. Anschließend füllte sie ihre Geldkatze mit Münzen aus der Schatulle. Am Ende ging das Beutelchen fast nicht mehr zu. Statt es zurück in die Tasche zu stecken, wog sie es prüfend, aber sichtlich zufrieden in der Hand. Nun konnte sie ihr Sätzchen sagen. “Ehrerbietendsten Dank im Namen meiner Kameradinnen und Kameraden für eure großzügige Unterstützung, Herr Ioric. Ihr habt damit der Gräflichen Grenzwacht einen guten Dienst erwiesen - auf dass wir wiederum euch einen Dienst erweisen können, indem wir eure Heimat, die Heckenlande gut ausgerüstet gegen Unbill und Dunkelheit verteidigen,” sie ließ eine kurze Pause, ehe sie mit einem neckischen Grinsen, in das sich durchaus etwas Überlegenes mischte, fortfuhr: “…und ebenso euer Leben.” Anschließend verbeugte sie sich huldvoll.

Abschiedsworte

Ioric begegnete ihrem förmlichen Dank mit einem bescheidenen Nicken. “Nicht nur dafür habt ihr meinen ergebensten Dank.” Obwohl er lächelte, war etwas schwer zu deutendes in seinem Ausdruck.

“Sondern?” Sie sah ihn neugierig an, während sie bei sich möglichen Antworten nachsann.

“Eure Gesellschaft. Ich habe Gefallen an ihr gefunden und bedaure, dass sich unsere Wege nun wieder trennen werden.” Ioric machte eine unbestimmte Handbewegung, während er fast verlegen lächelte.

Nur das feine Erröten, das sie hinter ihrem frechen Auflachen versteckte, zeigte, dass es ihr möglicherweise ähnlich ging. “Für das schöne Kompliment danke ich euch. Aber ihr wisst doch: alles Vergnügen ist vergänglich. Das flüssige und das generelle. Eure Worte,” zitierte sie eine Aussage, die er vor einigen Tagen getätigt hatte, als sie sich über den gemeinsamen Genuss des Mhôrnochs unterhalten hatten. “Aber ich muss ehrlich zugeben, Herr Ioric: ich werde bestimmt noch eine Weile an unsere Gespräche denken. Sie waren besonders.” Und etwas leiser fuhr sie fort: “Dem gibt es wohl nichts hinzuzufügen…oder?” fragte sie, während sie einen kleinen Schritt auf ihn zumachte.

Einen kurzen Moment zögerte Ioric, dann machte er ebenfalls einen winzigen Schritt auf Talwen zu, legte die Hände auf ihre Hüften und drückte einen Kuss auf ihre Lippen. “Nur etwas für einsame Stunden am Wachfeuer”, murmelte er, als sich ihre Lippen wieder trennten.

Seine Hände an ihrer Seite und den Nachhall seines dreisten Kusses auf den Lippen griff sie in den Stoff des Hemd und zog ihn an sich zu einer Erwiderung. Dabei hielt sie sich nicht mit oberflächlichen Berührungen auf, sondern küsste den Krähenfels frech und hingebungsvoll. “Und etwas für die öde Schreibstubenarbeit,” sagte sie anschließend, ebenso spitzbübisch wie er, als sie ihn ihrerseits freigab.

Iorics Atem ging schneller und eine leichte Röte hatte seine Wangen ergriffen. Unwillig sie fortzugeben, hielt er sie an sich gepresst. “Ihr werdet mir fehlen, Talwen Vialigh”, murmelte er leise, während sein Blick ihre dunklen Augen suchte.

“Gibt es denn auf Eichengrund niemanden, der euch triezen kann, hm?“ witzelte sie.

Ioric schmunzelte und gab sie wieder frei. “Euresgleichen findet man nicht auf Eichengrund, nein.”

„Na das hoffe ich doch!“ entgegnete sie, ebenfalls ein Schmunzeln im Gesicht.

Kurz schien er nachdenklich. “Wenn meine mannigfaltigen Pflichten es erlauben, kann ich euch vielleicht von Zeit zu Zeit schreiben. Persönlich, natürlich.” Er grinste.

„Mannigfaltige Pflichten, so so. Nun, falls ihr es erübrigen könnt bei eurer vielen staubigen Arbeit, die ihr zu tun habt, dann ja, dann würde ich mich wahrscheinlich wirklich über ein paar Zeilen von euch freuen. Ihr könnt mir ja in euren Briefen von eurem schweren Leben vorjammern, wie wäre das?“ Obwohl sie sich einmal mehr über ihn lustig machte, schien ihre Freude über einen Brief von ihm doch einen inneren Kern zu besitzen.

“Ich werde mich wohl ein wenig zurücknehmen, man hat mir zu verstehen gegeben, ich tue derlei wohl etwas zu gern und ausgiebig.” Ioric zwinkerte vergnügt. ”...Und mir ist ja daran gelegen euch nicht ein Wiedersehen mit mir zu verleiden.”

“Ach, kommt schon! Das bisschen Gejammere…” Sie machte eine abwehrende Handbewegung und lachte: “Das ist schon in Ordnung. Das seid eben ihr!” neckte sie ihn mit einem Schulterzucken und einem frechen Seitenblick, bevor sie den Krähenfels im nächsten Moment eindringlich und ernst ansah, während sie noch einmal Kontakt suchte, indem sie ihre Rechte auf seine Brust legte. “Hört mal! Bleibt einfach ihr selbst! Lebt euer Leben und beschränkt euch nicht meinetwegen, denn wer weiß, wann und wie wir uns das nächste Mal über den Weg laufen. Ich würde mich wahrlich unwohl fühlen, würden aus eurer Sicht aus unserer Begegnung wie auch immer geartete, hm, …Verpflichtungen… entstanden wären, die einer oder beide nicht…erfüllen…können.” Mit einem tiefen Blick sah Talwen den Ritter an. “Das, hm, ist aber nicht der Fall - richtig?” Ihre Frage war vorsichtig formuliert, der Inhalt jedoch klar. “Mehr Ansprüche habe ich nicht an euch. Außer vielleicht einen noch: ihr müsst mir versprechen, gut auf mein Pfand aufzupassen.” An dieser Stelle brach ihre Ernsthaftigkeit mit einem Schmunzeln auf und nachdem sie abschließend mit den Fingern ein paar Mal auf seine Brust geklopft hatte, hob sie die Berührung auf.

Ioric ließ sich Zeit mit einer Antwort, während er Talwen lächelnd musterte. “Keine Ansprüche oder Verpflichtungen also?”

“Keine Ansprüche oder Verpflichtungen.” wiederholte Talwen nickend.

Langsam nickend ließ er den Blick durchs Zelt wandern, hin zu dem Tisch mit ihrem Dolch. “Macht euch keine Sorgen um eure Klaue, sie bekommt einen Ehrenplatz unter meinen Troph- äh, ich meine natürlich Unterpfanden.” Er grinste schelmisch.

Berglöwin, Klaue, sie verstand. Irgendwie fand sie das süß, daher schmunzelte sie. “Danke. Na, das hoffe ich doch!” Ihr lag noch eine spitze Bemerkung auf der Zunge, doch draußen wurde ihre Anverwandte gerade von irgendjemandem angesprochen und so kam ihr die Pflicht zurück ins Gedächtnis. “Ich sollte jetzt gehen. Nicht, dass noch jemand Schlechtes von euch denkt, weil ihr da draußen eine arme Anwärterin darben lasst.” Mit einem Seufzen befreite sie sich von ihrem eigenen Widerwillen, zu gehen und sah noch einmal auf ihre mehr als gut gefüllte Geldkatze, bevor sie noch einmal zu ihm aufsah. “Dann…auf bald, Krähenfels.”

Ioric sah sie schweigend an und obwohl er lächelte, war doch eine Spur von Wehmut in seinen Augen zu erkennen. “Gebt auf euch Acht, Vialigh”, antwortete er leise, während er ihr die Hand bot.

Welche sie mit einem Nicken ergriff. Ihren Kriegergruß hielt sie eine Weile länger als es üblich war. “Mach’ ich.” Sie schenkte dem Ritter noch einmal ein Lächeln, bevor sie sich abwandte. Am Zelteingang warf sie jedoch keinen Blick mehr zurück, - auch wenn er sich das vielleicht gewünscht hätte - sondern trat mit beherztem Schritt hinaus. “Komm, Ailynn, wir haben alles.” hört er die Vialigh draußen zu ihrem jungem Zögling sprechen. Er hörte sie das Säckchen schütteln. Nur Augenblicke später waren beide im geschäftigen Chaos untergegangen und fort.

Ioric sah ihr nach, auch eine ganze Weile noch, nachdem die Zeltplane wieder die Sicht auf das draußen verwehrte. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. Worüber, das war ihm selbst nicht klar.