Fuxwalden (1044) - Neue Bande Teil 03: Nach Karrnheide

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18. Firun, Nach Karrnheide

Aufbruch

Nach einem kurzen Mahl mit der Waffenmeisterin hatten sich die beiden Ritter und ihre Waffenknechte im unteren Hof versammelt. Aedith hatte Faolyns und Éirnes Ausrüstung heranbringen lassen und auch die Vorbereitungen von Unis und Dobran unterstützt.

Stallknechte unterstützten nun die beiden Ritter, während Stallmeister Cidris derweil das Beladen eines einachsigen Karrens mit verschiedenen Gütern beaufsichtigte, die der Baron zur Verfügung gestellt hatte. Die Ritterin wurde deshalb auch von vier Waffenknechten begleitet, darunter eine grauhaarige Frau mit bulligem Äußeren. Alle trugen ein Lederwams und darüber eine kurze Kette und die Farben der Schwarzenklamm. Gulains und Lodenmäntel halfen ihnen gegen die nasskalte Witterung an diesem Morgen. Faolyn fiel auf, dass zwei der Waffenknechte Wurfspeere trugen und die bullige Frau einen langen Bogen, die sie bald in Köchern an ihren Pferden verstauten. Als Handwaffen führten die Reisigen Breitschwerter und Schilde. Alle Pferde der Fuxwaldener waren von eher kleinem Wuchs.

“Hast du das gesehen?”, wollte die Waffenmagd aus Faolyns Gefolge wissen.

“Was?”, wollte ihr Begleiter wissen. “Dass sie aussehen, als ob wir unterwegs mit Ärger rechnen sollten oder, dass der Baron nicht an ihrer Ausrüstung spart? Ein jeder mit Schwert und Kette. Unsereins muss sich mit einem alten Waffenrock zufrieden geben.”

Unis schüttelte den Kopf, während sie den Sattelgurt erneut überprüfte. “Die Pferde. Mal abgesehen, dass wir wie die Türme einer Burg zwischen ihnen auffallen, könnten wir Probleme mit dem Gelände bekommen, wenn die Wege zu schmal oder zu steil werden.”

In diesem Moment trat Faolyn ui Niamrod zu den beiden. “Reitet nicht zusammen, sondern mischt euch unter die anderen“, wies er sie an. “Vielleicht könnt ihr etwas erfahren, was uns in der nächsten Zeit helfen kann. Ich habe so das Gefühl, als wenn uns ein paar harte Wochen bevorstehen.”

Unis und Dobran nickten fast synchron, während von der Hauptburg die Baronsgemahlin Minhild, der Akoluth und der junge Caradoc erschienen. Der Page des Barons war inmitten der Vorbereitungen bereits kurz aufgetaucht und wieder in der Hauptburg verschwunden, um dort die rechte Zeit für die Verabschiedung zu melden.

Minhild fand nun freundliche Worte und entschuldigte ihren Gemahl wegen Amtsgeschäften, ehe sie Leodegard Segenswünsche für die Reisenden sprechen ließ.

Faolyn, der der Dame gegenüber sein Verständnis bekundete und sie und ihren Gatten fürs erste verabschiedet hatte, dankte dem Akoluthen.

Schließlich gab Éirne das Zeichen zum Aufbruch und bestieg ihre dunkle Stute. Die Waffenmeisterin schob ihr Schild auf den Rücken über den groben Lodenmantel und führte nach einem letzten Gruß Malmuira im Schritt zum Burgtor hinaus. Der Wagen folgte, am Schluss zwei Reisige der Burg, darunter Una Rindenschäler, die bullige Grauhaarige.

Der schmale Page sah der ungleichen Gruppe gedankenverloren nach. Er hatte sich seit dem Lehenseid am Vortag gefragt, von welchen Bedingungen der Baron wohl gesprochen hatte, die ihn offenbar darüber hinwegsehen ließen, dass der junge Ritter gleich mehrere Monde zu spät war und auch nur drei Monde bleiben würde. Aber Caradoc hatte sich bisher nicht getraut, zu fragen. Er fand es jedenfalls bewundernswert, dass der Niamrod sich kaum etwas hatte anmerken lassen und dem Baron scheinbar so kaltschnäuzig begegnet war. So in seine Überlegungen versunken, musste der Junge erst von der Baronsgemahlin ermahnt werden, ehe er den Blick von den kleiner werdenden Reitern abwandte und ihr eilig zurück ins Warme folgte.


Zur Gastung

Der Tag war so grau und unwirtlich verstrichen, wie er begonnen hatte: Die Baeringsgrund hatte - abgesehen von einer Pause zum Mittag - nicht halten lassen und so wurde bei der Kreuzung des Karrenpfades von Efferdtreu nach Tiefenhall der Weg gen Küste eingeschlagen. Noch vor dem Rand des Nebelgeisterwaldes war die Waffenmeisterin dann gen Firun geschwenkt, auf einen nur schlecht ausgebauten Weg durch die von Karren und Klüften durchzogene Heide. Trotz des diesigen Wetters war deutlich zu sehen, dass der berüchtigte Fuxwald zur Rechten höher lag als die Küstenregion und die unwirtliche Heidelandschaft dazwischen vermittelte.

Grasmatten und Rotes Heidekraut mit wenigen Büschen, Birken und Föhren dominierten, aber die Vegetation beschränkte sich auf die tiefer liegenden Rinnen zwischen den blanken Rippen der Schratten, die der Weg ein ums andere Mal querte.

Bald nach dem Abzweig entdeckte Faolyn parallel zum Weg verwitterte Stelen, kaum kniehoch und vom Beleman rundgeschliffen, und außerdem einige gepflasterte Wegabschnitte. In der Ferne kam in einer fruchtbareren Senke ein einsam gelegener Freibauernhof in Sicht.

Nicht lange danach wurden sie freundlich von der ältesten Tochter des Freien Roban ui Caerdis und seiner Frau Sili begrüßt, die ihnen von einer höher gelegenen Weide entgegengekommen war, nachdem sie Éirnes Farben erkannt hatte. Ainsel stand schon an der Schwelle zur Frau und stieß nach einem kurzen Wortwechsel mit der Waffenmeisterin einen lauten Pfiff aus.

Weiter entfernt erhoben sich zwei kleine Gestalten aus einem Gebüsch und liefen zum Hof: Ainsels deutlich jüngere Geschwister Riganna und Taltin - der Bruder zählte sicherlich kaum ein halbes Dutzend Jahre.

Währenddessen musterte Ainsel den Niamrod und seine Begleiter kritisch und kam langsam näher. Das Mädchen trug ein Haumesser an der Seite und unter ihrem Umhang war ein Kurzbogen mit Köcher zu erkennen, als sie behände die Böschung herabsprang.

Éirne wies auf den Niamrod und meinte: „Dies wird für die nächsten Monde der neue Herr auf Karrnheide sein, Ritter Faolyn ui Niamrod.“

Dieser nickte der jungen Frau freundlich zu, die ihm ein aufgewecktes Kind zu sein schien, das sich zudem in der Gegend auskannte. Vielleicht hatte er Verwendung für sie. “Bist du auf der Jagd?”, fragte er und deutete auf den Bogen auf ihrem Rücken.

Ainsel nickte und sah zu Faolyn auf. Der Ausdruck ihrer grauen Augen war misstrauisch, doch sie antwortete gleichmütig: „Alles was erlaubt ist, besonders aber Wölfe, Hoher Herr.“

“Wölfe!” Faolyns strenger Blick ruhte für einen langen Augenblick auf dem Mädchen. “Dann wisse, dass der Wolf das Wappentier der Niamrod ist und wir derer gleich drei in unserem Wappen tragen“, wieder blieb sein Blick für einen Moment auf der Freien liegen. “Wisse auch, dass das Haus Niamrod auf dem Kampf gegen Wölfe begründet ist.”
Freundlich setzte er dann noch hinzu: “Wenn dich die Geschichte interessiert, dann komm mich einmal besuchen, bei der Gelegenheit kannst du mir auch erzählen, wie groß das Problem ist, das ihr mit den Tieren habt?”

Ainsel sah erstaunt vom Ritter zur Waffenmeisterin und wieder zurück: “Groß genug, dass der Baron die Jagd auf Wölfe freigegeben hat…
Habt Dank, was Eure Einladung anbelangt, Hoher Herr… ich habe hier Arbeit zu tun für meine Eltern”, sie zuckte mit den Achseln. “Ich glaube nicht, dass ich weg kann, aber Ihr könnt heute Abend die Geschichte erzählen und Euch damit für unsere Gastfreundschaft erkenntlich zeigen”, meinte sie forsch.

“Das klingt nach einer Einladung”, stellte Faolyn amüsiert fest. “Hab Dank junge Ainsel für den Hinweis, wie diese zu Entgelten sei.” Sein Blick wandte sich zur Seite, wo sich die Ritterin aufhielt. “Wohlgeboren?”, mit einer Handbewegung deutete er auf den nahen Hof, die Handfläche nach oben zeigend.
”Ein behagliches Feuer käme mir ganz recht, spricht etwas dagegen, der Einladung zu folgen?”

“Keineswegs, Wohlgeboren”, gab Éirne ungerührt zurück, lenkte Malmuira zu Ainsel und zog das Mädchen hinter sich aufs Pferd.


Am Abend

Die Hofstatt war nicht allzu groß, zeugte aber aufgrund der einsamen Lage von der Wehrhaftigkeit der wenigen Bewohner. Über dem Gebäudesockel mit Stallung gab es ein nur über eine Treppe zu erreichendes Wohngeschoss. Darüber lag ein mit Kalkplatten gedecktes Dach, dessen Giebel mit Mauerwerk verschlossen waren. Die wenigen Öffnungen waren recht geschickt platziert und Faolyn fragte sich, ob es wohl leicht zu verteidigen wäre.

Die Stallungen waren ähnlich ausgeführt - nur auf drei Seiten hochgemauert - aber die Frontseite war mit Holz solide geschlossen. Zwei Hunde sprangen an die Reiter heran und brachten mit ihrem scharfen Bellen die Pferde in Unruhe. Das Waffenvolk der Schwarzenklamm wußte seine Tiere zu bändigen, wiewohl die Magd auf dem Karren etwas Mühe hatte. Auch der Ritter und seine Waffenmagd hatten ihre Pferde gut im Griff, nur Dobran kämpfte mit seinem scheuenden Ross.
”Hör auf zu bocken verdammter Klepper”,fluchte er. “Kann die Köter nicht mal jemand festhalten?”, rief er, während sein Pferd unruhig hin und her tänzelte und nach einem Fluchtweg Ausschau hielt.

“Mäßige Dich und lern lieber Reiten”, schallte Faolyns Stimme über den Hof.

Unis hingegen konnte ein Lachen kaum verbergen, gerade als ein scharfer ansteigender Pfiff von Ainsel das Bellen verstummen ließ.

Eine blonde Frau aus der Heimstatt der Familie war durch die Hunde auf den Plan gerufen worden: Sili Caerdis hieß die Waffenmeisterin, ihr Gefolge wie auch den jungen Niamrod bei der Heimwächterin willkommen.


Bei den Caerdis

Bald nachdem die Ritter im Haupthaus und die Waffenknechte durch die Kinder im Stall einquartiert worden waren, kam auch der Freibauer selbst zurück. In Roban ui Caerdis war ganz eindeutig das Erbe der Flussleute zu erkennen: stämmig, mit breitem Kreuz und auffallendem roten Bart und Haupthaar. Letzteres trug er nach albernischer Sitte mit geflochtenen Schläfenzöpfen. In seinem Haarschopf fanden sich keine grauen Haare, sodass der Bauer recht jung wirkte. Der Blick seiner grauen Augen war nicht unbedingt erfreut über die Gäste, die seine Gemahlin aufgenommen hatte, was wohl daran liegen mochte, dass er die beiden Hasen, die er gemeinsam mit der alternden Magd an seiner Seite zur Strecke gebracht hatte, nun würde teilen müssen. Außerdem hatte die Hausherrin natürlich den elterlichen Schlafraum an die beiden Ritter abgetreten.

Sili wusste nach Robans Begrüßung der Ritter und ihres Gefolges seine Stimmung zumindest durch die Nachricht zu heben, dass Éirne einen Sack Emmer aus den Beständen des Barons abgegeben hatte, wofür sich auch Roban bedankte. Seine Frau und die älteste Tochter hatten bei seinem Eintreffen schon begonnen, einen Eintopf aus dem Emmer zu kochen, aber nun zogen Ainsel und die Magd Ildha den Hasen die Haut ab und bereiteten sie zum Essen vor.

Faolyns Blick wanderte zwischen der jungen Ainsel und ihren Eltern hin und her. Mit ihrem Vater konnte der Ritter, nicht nur bei den Haaren und der Augenfarbe, Gemeinsamkeiten erkennen, doch von ihrer Mutter schien sie kaum etwas geerbt zu haben. Ganz im Gegensatz zu den beiden jüngeren Kindern, bei denen sich die Augenfarbe der Mutter durchgesetzt hatte. Zudem müsste die Freibäuerin noch sehr jung gewesen sein, wenn er sich beim Alter der beiden nicht sehr irrte. Faolyn ertappte sich dabei, wie er sich Gedanken machte, was wohl ihrer wahren Mutter zugestoßen sein mochte, obwohl er nicht mal wusste, ob seine Vermutung zutraf.

Die Baeringsgrund hatte zwei ihrer Leute zum Holzhacken hinter das Haus geschickt, während Borwen, die Wagenlenkerin, beim Stall blieb. Dobran wollte noch einmal nach den Pferden sehen und Unis bot sich an, beim Kochen zu helfen. Ob sie über das Zwiebelschneiden, dass man ihr zudachte, glücklich war, ließ sich ihrem Gesicht nicht anmerken, auch wenn ihr eine Träne die Wange herunter lief.

Der Hausherr hatte gerade einen Kräutertee ausgeschenkt, als von draußen in der hereinbrechenden Dämmerung weiterer Lärm - besonders Blöken - zu hören war: die Schafe wurden hereingetrieben und es klang durchaus nach einer größeren Herde. Dazu war neben dem Kinderlachen von Riganna und Taltin eine unbekannte, männliche Stimme zu hören. Der Knecht Elric kam bald darauf gut gelaunt mit den jüngeren Kindern in die Stube hinauf und begrüßte die Gäste freundlich, bevor er ebenfalls mithalf, das Mahl zu richten.


Am Stall

"Ganz schön einsam die Gegend”, meinte Dobran, als er zu Borwen herüber geschlendert kam, sich gegen die Stallwand lehnte und der Wagenlenkerin einen Weinschlauch entgegen hielt. “Ich frag’ mich, ob es auf der Burg oder was auch immer uns dort erwartet, genauso trostlos zu geht. Da muss man ja aufpassen, dass man nicht vereinsamt.”

Borwen lachte auf und zwinkerte ihm zu: “Du hast doch die Schlehwein an deiner Seite und den Ritter. Da wirds nicht einsam für dich. Ein bisschen zusammenrücken müsst ihr auf Karrnheide dann schon…
Und dort gibt’s genügend Schafe, mit denen du sprechen kannst… oder du lauscht dem Lied des Beleman.”

“Macht man das hier so mit den Schafen und lauscht dem Wind beim blasen? Ist, glaube ich, nichts für mich, ich bevorzuge Zweisamkeit.” Dobran rieb sich die Nase und akzeptierte die Abfuhr.
“Das mit dem Zusammenrücken hab ich mir aber schon fast gedacht. Können wohl froh sein, wenn wir nicht unter ‘ner Plane schlafen müssen. Ich hatte ja schon gehört, dass es hier noch richtige Wilde geben soll. Hast du schon mal welche gesehen?”, fragte er stattdessen die Wagenlenkerin.

“Wilde? Ich weiß nicht, was du meinst”, unschlüssig sah Borwen ihn an. “Wen meinst du damit? Orks, Goblins… oder die Cortak oder Garan?”

“Cortak oder Garan?”, offensichtlich sagten die Namen dem Hasenhöh nichts. “Nun vermutlich dann alle vier”, befand der Waffenknecht “Wobei ich nicht wusste, dass Orks in dieser Gegend leben.”

Die Reisige der Schwarzenklamm nickte düster und griff nun doch nach dem Weinschlauch, um einen Schluck zu nehmen.
“Doch, weiter oben im Hag, und in schlechten Jahren kommen sie in die Niederungen hinab, um zu rauben. Ebenso die Goblins, aber die sind eher im Süden ein Problem…”
Borwen seufzte kurz, da der kräftige Rotwein seinen Geschmack entfaltet hatte. Sicherlich war es kein liebfelder Arivorer Blut, doch weit besser als der Elenviner oder gar Zungenkrauser, den man sonst bekam.
“Die Sippen, nun ja, die stehen auf einem anderen Blatt - die waren schon immer da, also noch bevor die Schwarzenklamm oben belehnt worden sind und das Haus des alten Barons groß geworden ist. Man lebt zusammen, so gut es geht, auch wenn die sperrig sind und oft eigenartige Ansichten und Traditionen pflegen.”
Die Ältere zuckte mit den Schultern. “Und du, wie lange bist du schon in Diensten des jungen Ritters?”

“In Herrn Faolyns Diensten?” fragte er, um dann lächelnd hinzuzufügen: “Knapp zwei Wochen und eigentlich nicht einmal das. Ich diene eigentlich dem hochgeborenen Herrn Landvogt Wulfgrimm ui Niamrod, dem eigentlichen neuen Herrn der Karrnheide. Herr Faolyn ist nur sein Neffe und ein einfacher Dienstritter in Bredenhag.”

“Ein Diener zweier Herrn also. Klingt anstrengend…”, schloss die Reisige und nahm noch einen Schluck, ehe sie den Schlauch verkorkte und zurückgab. Sie ließ den Wein langsam über die Zunge rollen und musterte den Waffenknecht des Niamrods.

“Wo mein Herr gleich dreien dient, muss sein Knecht es doch zumindest mit zweien aufnehmen.” Dobran grinste und hängte den Weinschlauch wieder an den Gürtel. “So schlimm ist es aber gar nicht, immer schön hinterher traben und nicht unnötig auffallen."
Gemächlich schlenderte er zu einem der Niamroder Pferde hinüber. “Die Frau Éirne kommt mir ganz umgänglich vor, aber beim Baron denke ich, dass man ihm besser nicht quer kommt”, stellte er fest.

Zuerst kam keine Antwort, da Borwen nur mit den Schultern zuckte. “Kann man so sehen…”, gab sie zurück.
“Die Schwarzenklamms haltens zusammen und die Baeringsgrunds sind ihre wichtigsten Vasallen. Es gibt niemanden in Fuxwalden, der so viel im Sattel ist wie die Waffenmeisterin. Sie kennt viele Menschen und viele Menschen kennen sie.”
Borwen lehnte sich entspannt gegen die Stallwand, während Dobran sorgsam die Hufe kontrollierte, den Pferden übers Fell strich und das Futter jedes einzelnen überprüfte: “Weißt du, was ich nicht begreife? Was will ein Mann wie Wulgrimm ui Niamrod mit einer Wiese gut 200 Meilen von seinem Haus entfernt. Die paar Schafe werden ihn nicht reicher machen, als er schon ist und so ist er, ein Landvogt, einem Baron weit weg von seinem Stammlehen auch noch lehenspflichtig. Verstehe einer die hohen Herrschaften.”

Borwen lachte und fragte dann: “Also würdest du einen guten Wein ausschlagen, den du ihn geschenkt bekommst, nur weil das Gasthaus weiter weg liegt?”

Dobran grinste ebenfalls breit: “Jetzt weißt du warum ich nur ein einfacher Waffenknecht bin und nicht in einer Burg und an einer reich gedeckten Tafel speise. Wo wir gerade von Essen reden, sollten wir vielleicht langsam wieder reingehen. Nicht, dass man versehentlich vergisst, uns zu rufen.”

Borwen nickte verschmitzt und folgte ihm dann aus dem Stall, den sie sorgfältig verschloss. Als sie die Treppe zur Tür des Wehrhofs hinaufgingen, meinte Borwen mit Schalk in der Stimme: “Du bist nicht nur bequem, du gibst zu schnell auf.”


Abendmahl

Die Zweikornsuppe mit Schwarzwurzeln, Bohnen, Zwiebeln und Lauch und die gekochten Hasen waren unerwartet schmackhaft gewesen. Dazu hatte Roban für die beiden Ritter einen Krug würzig-nussiges Schwarzbier beigesteuert, das dem Auswärtigen eine willkommene Abwechslung zu dem häufigen Dünn- oder Gagelbier in diesem Landstrich war.

Faolyn strich sich mit dem Handrücken über die Lippen, nachdem er einen tiefen Schluck genossen hatte. “Ein wahrlich gutes Bier, Roban! Wo habt ihr es erstanden? Ich habe über Meilen weder Hopfen noch einen Mälzer gesehen, es muss einen weiten Weg hinter sich haben.”

Roban schüttelte den Kopf und lächelte. “So weit ist der Weg nicht, Hoher Herr. Bier wird auf Schwarzenklamm, in Tiefenhall, Merhar und Windtrutz gebraut. Hopfen wird dafür aber selten verwendet, weil er mühsam an den Waldrändern und im Fluhtal gesammelt werden muss. Das hier kommt aus Tiefenhall. Aber ja, das Bier ist gut!”
Der Freibauer nahm noch einen kleinen Schluck und wechselte das Thema. “Und Ihr, Hoher Herr, werdet dann auf Karrnheide herrschen?”, fragte Roban, als er den beiden Adligen nachschenkte.

„Zumindest für eine Weile”, bekannte der Niamrod und nahm noch einen Schluck aus seinem Becher. „Meinem Oheim wurde das Lehen zugesprochen. Ich nehme es nur in seinem Namen in Besitz und werde es für ihn ein paar Monde verwalten. Damit werde ich genug zu tun haben, da ist es mit dem Herrschen vermutlich nicht weit her.“

Da Éirne die Aussagen nicht kommentierte, grinste Roban die beiden Ritter, aber besonders Faolyn, an. “Oh ja, Ihr werdet weniger weich schlafen, als Ihr das vielleicht gewohnt seid. Wo kommt Ihr her? Hier aus der Gegend ja eher nicht?”

“Nein, guter Mann”, erwiderte Faolyn schmunzelnd, während er sich vergegenwärtigte, dass die Menschen hier ihn für einen verweichlichten Städter hielten. “Ich komme aus dem Abagund. meine Geburtsstätte liegt in Traviarim auf einem kleinen Edlengut, unweit des Rodasch einem Zulauf des Großen Flusses."

Deutlich konnte der Ritter sehen, dass von seiner Heimat wenig bei der Ritterin und bei Roban bekannt war, weshalb er nun seinerseits ein anderes Thema aufbrachte.
„Was ich sehe, lässt mich ahnen, dass es für Euch nicht immer einfach ist. Ich nehme an, dass das Leben entbehrungsreich ist und wenn ich dann höre, dass euch Wölfe über die Maßen zusetzen, bestärkt das meine Annahme. Ich bin fremd hier und wenn ich etwas ausrichten will, sollte ich wissen, was die Menschen bewegt, denke ich. Sagt mir Roban, wie ist das Leben auf der Karrnheide? Was lässt euch nachts nicht einschlafen und was wärmt euer Herz am Morgen?“

Die Waffenmeisterin blieb ungerührt, aber Roban lächelte. “Was wärmt mein Herz…?”, wiederholte er die Worte des Ritters und blickte zu seiner Frau hinüber. “Das ist eine einfache Frage, Hoher Herr. Wie das Herz eines jeden aufrechten Mannes, wärmt die Familie mein Herz - meine Frau, meine Kinder, die mir Verpflichteten - und die Vorstellung, dass es ihnen gut geht.”
Dann sah er direkt Faolyn an und zuckte mit den Schultern: “Was das andere anbelangt… Wir haben viele Probleme, Hoher Herr. Ob es Wölfe sind, der Beleman oder Feuer im Rondra. Unser Leben ist fordernd, aber wir sind frei. Und wir haben ein Heim und müssen nicht durch die Heide ziehen.”

“Durch die Heide ziehen?” Faolyn hatte nicht gewusst, dass sich fahrendes Volk durch Fuxwalden bewegte. Bilder von Gauklern und fahrenden Händlern wollten nicht zu dieser Gegend passen.
“Was sind das für Leute und gibt es viele von ihnen?”, wollte er dann auch gleich wissen.

“Das sind Hirten, Hoher Herr. Karrnhirten, die durch die Heide ziehen”, gab Roban zurück. “Es sind nicht allzu viele, nicht mal zwei Hände, und manche haben nur wenige Tiere.”

Éirne nickte beipflichtend. “Sie dürfen mittlerweile auf Geheiß des Barons in der Heide weiden - als Gewohnheitsrecht.”

Faolyn nickte, er würde mehr über diese Hirten in Erfahrung bringen müssen, schließlich musste er wissen, wem sie abgabepflichtig waren. Für den Moment sollte aber reichen, dass er ihrer gewahr geworden war. “Das Land sieht weitläufig genug aus, auf dass sie niemandem zur Last fallen", befand er. Von den Feuern würde er dann wohl nichts mehr mitbekommen, doch er musste seinem Oheim davon berichten. Wem immer er das Lehen schlussendlich anvertrauen würde, musste sich damit befassen.


Zur Nacht

Zu späterer Stunde wandte sich Faolyn an den Freibauern. "Eure Tochter meinte, ich könne meine Dankbarkeit für Eure Gastfreundschaft vergelten, indem ich euch von der Legende der Niamrod berichte.”
Roban sah mit zusammengezogenen Augenbrauen zu seiner Tochter, hatte aber einen verschmitzten Zug um den Mund, während der Bredenhager schon fortfuhr. “Dieser Empfehlung möchte ich gern nachkommen, allerdings ist die Sage recht gewaltsam. Vielleicht sollte ich warten, bis die kleineren Kinder im Bett sind."

Ainsel erhob sich sogleich und zog Taltin mit auf die Füße. Dessen lamentierende Einwände brachte sie durch ein rüdes “Halt die Klappe” zum Schweigen. Das Mädchen kletterte behände mit ihrem jungen Bruder auf den Kamin hinauf zum Dach und schob dort eine Luke auf. Nachdem Taltin außer Sicht war, kehrte Ainsel wieder zurück. Gerade als ihre Mutter den Mund aufmachen wollte, meinte die junge Frau salopp: “Wir sind ganz Ohr, Hoher Herr.”

"Nun gut, dann werde ich euch die Geschichte meines Hauses erzählen", begann Faolyn, "doch zuerst schenkt nochmal nach, auf dass mein Hals nicht trocken wird."

Ainsel kam seiner Bitte nach und tat wie geheißen, so dass der Ritter dann seine Stimme erhob: "Also gut. Es begab sich zu einer Zeit, als Sinjer ni Benain Fürstin von Albernia war. Jene Sinjer, die nach 40 Jahren garethischer Zwangsherrschaft die Wogenkrone als erstes auf ihrem Haupte trug. Zu jener Zeit also trieben drei Wölfe ihr Unwesen in den tiefen Wäldern des Honinger Grafen Galahan. Nun waren das nicht irgendwelche Wölfe. Menschenfresser waren es, riesige Biester mit gewaltigen Fängen und Klauen groß wie Dolche. Immer wieder fielen ihnen Reisende und Wanderer zum Opfer und auch in den Dörfern war man vor ihnen nicht sicher. Auf den Feldern fielen sie die Männer an, bei den Waschplätzen lauerten sie den Frauen auf und die Kinder holten sie beim Spielen. Bald schon trauten sich die Menschen nicht mehr aus ihren Häusern und Angst und Schrecken ging um, wenn es hieß, Grauenbringer, Schwarzfang und Dunkelauge haben wieder zugeschlagen. Denn das waren ihre Namen."

Faolyn dessen Stimme eindringlich und düster geworden war, wechselte nun wieder zu einem geduldigen Erzähler. "Natürlich hatte Graf Galahan seine Wildhüter und Fallensteller ausgesandt, gar eine Belohnung ausgelobt, die von Woche zu Woche stieg. Viele Glücksritter und Abenteurer suchten ihr Heil in den Honinger Wäldern. Gar mit Hundemeuten hetzte man die Wölfe, doch auch damit war den Dreien nicht beizukommen und vielen von ihnen war ein blutiges Schicksal beschieden.
Niemand wusste, woher die Wölfe kamen und wohin sie gingen. Eine Zeitlang kehrte Ruhe ein und die Menschen glaubten sich in Sicherheit. Man vermutete, die Bestien wären weiter gezogen und man dankte den Göttern und nicht zuletzt dem Grafen”, fast freudig berichtete der Ritter vom Glück als ein dunkler Schatten sich auf seine Züge legte.

"Doch zwischen den Jahren, an den Namenlosen Tagen, kamen sie wieder und taten ihr blutiges, grausiges Werk. Die Menschen zitterten und verriegelten sich in ihren Häusern. Kaum ein Händler wanderte noch von Dorf zu Dorf und kein Bauer brachte seine Erträge noch in die Städte. Dies alles gelangte auch an Fürstin Sinjers Ohr und so rief sie zu einer großen Wolfshatz auf. Jäger, Ritter, Waffenknechte, Hunde, ein jeder war aufgerufen, ihr zu folgen. Immer tiefer drang sie mit ihrem Gefolge in die Wälder vor, immer düsterer und unwegsamer wurde die Gegend, bis man zur Wildnis von Baumwassern vorgedrungen war, wo man den Bau der drei Bestien vermutete. Als die Nacht am dunkelsten war und die erschöpfte Jagdgesellschaft schlief, schlugen die drei Wölfe zu. Sie fielen über die arglosen Menschen her, die ihr einziges Heil in der Flucht sahen und in alle Richtungen auseinander stoben. Doch sollte ihnen das nichts nützen, waren sie doch nun vom Jäger zum Gejagten geworden.
Gut zwei Dutzend Ritter, Knappen und Waffentreue fanden an diesem Tag den Tod durch die blutdürstenden Kiefer der Bestien."

Die Geschichte hatte bislang ihre Wirkung nicht verfehlt, wie Faolyn mit einem raschen Blick feststellen konnte. Sili hielt die jüngere Tochter und wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrem Mann. Selbst Éirnes und Ainsels Gesichtsausdruck war ernst geworden.

Faolyn nahm einen Schluck aus seinem Becher und sein Blick fiel auf die junge Jägerin. "Nun Ainsel, sicher fragst Du dich, warum ich das alles erzähle und was das wohl mit den Niamrod zu tun hat. Hab etwas Geduld und ich werde es euch gleich erzählen.
Denn auch die Fürstin war allein durch die Nacht geirrt und so dämmerte bereits der frühe Morgen, als Grauenbringer ihr gegenübertrat. Sofort fiel das Untier sie an und Sinjer schwang ihr Schwert, doch seine Klauen fegten es achtlos zur Seite und seine Fänge schlugen tiefe blutige Wunden in Ihr Fleisch. Schwer verletzt rettete sich die Fürstin auf einen freistehenden Felsen, auf den der Wolf ihr nicht folgen konnte. Die Kraft troff mit jedem Tropfen Blut, den die Fürstin verlor, aus ihr heraus, während die Bestie um den Fuß des Felsens seine Runden zog und mit wehklagendem Jaulen seine Brüder rief. Doch auch Niamh, eine junge Köhlerin, vernahm die Rufe Graubringers. Sie griff den Bärenspieß Beornfîrn und den Hirschfänger Hûrtingur, die sie vom Vater bekommen hatte und eilte der Fürstin zur Hilfe.
Nur Radmor, ein alter großer Wolfshund, der schon seit er ein Welpe war an ihrer Seite lebte, war Niamhs einziger Begleiter, als sie sich dem Untier stellte. Doch als sie das riesige Tier mit seinen gelben Augen und dem blutverschmiertem Maul, das sie hasserfüllt anknurrte, sah, wollte ihr der Mut schwinden. Da stellte sich Radmor vor sie und bleckte ebenfalls knurrend die Zähne. Niamh packte Beornfîrn, der drohte ihren Fingern zu entgleiten, wieder fester und stieß ein Gebet an die Siegschenkerin und den Herrn der inneren und äußeren Kälte aus. Beide Tiere sprangen aufeinander los und schon schlug Grauenbringer seine Fänge in Niamhs treuen Begleiter und riss ihm das Fleisch von den Knochen. Die junge Köhlerin sprang vor und stieß Beornfîrn in den Leib der Bestie. Die Götter mussten ihren Stoß gelenkt haben, den ihr Spieß durchbohrte auf der Stelle das dunkle Herz des Wolfes.
Noch zerrte sie an ihrer Waffe, die tief in der Brust des toten Grauenbringers steckte, da sprang auch schon Schwarzfang auf die Lichtung und stürzte sich sofort auf sie. Todesmutig warf sich erneut Radmor dazwischen, doch mit einem einzigen Biss zerfetzte der Wolf dessen Kehle und schon mit dem nächsten Sprung war er über Niamh. Seine Klauen schlitzten ihre Kleidung auf und gruben sich tief in ihre Eingeweide, während sein Kiefer nach ihrer Kehle schnappte. Firuns kalte Führung ergriff Besitz von der jungen Frau und so trieb sie Hûrtingur durch den Rachen ins Gehirn des rabenschwarzen Ungetüms.
Dunkelauge erschien als letztes, doch nicht in rasender Wut, sondern mit lauernder Umsicht. Seine rechte Augenhöhle war ein schwarzes Loch und eine tiefe Narbe verunstaltete sein Gesicht zu einer Maske des Grauens. Langsam näherte sich der Wolf der leblos am Fuße des Felsens kauernden Frau. Geifer troff aus seinem Maul, als seine Gier das Blut wahrnahm, das noch immer reichlich aus ihren Wunden auf den Waldboden ran.
Schritt um Schritt näherte sich das Tier vorsichtig schnüffelnd, bis er nah an den Leib der Köhlerin heran war und noch immer regte sich der Leib der Frau nicht. Da riss er sein riesiges Maul auf, um seine Fänge in ihren Körper zu schlagen, als die Hand der Fürstin sein struppiges Fell im Nacken packte und ihn zurück riss. Dunkelauge fuhr herum und schnappte nach der unerwarteten Ablenkung, doch Niamh nutzte diesen Moment, sprang mit letzter Kraft auf und trieb den bereit gelegten Beornfîrn in den Schädel des Tieres, ehe sie sterbend neben ihm auf den Waldboden sank. So starb auch der letzte der drei Wölfe durch die Hand meiner Vorfahrin."

Die Geschichte hatte die Caerdis in den Bann geschlagen, besonders Roban schien aufgewühlt zu sein, aber vielleicht lag das daran, dass Riganna angsterfüllt seine Nähe gesucht hatte. Auch Ainsel versuchte, ihre jüngere Schwester aufzumuntern, während Sili sich aufstemmte: “Habt Dank für die Geschichte, Hoher Herr.”
Sie blickte mißtrauisch nach oben zur Luke zum Dachboden. “Aber wir werden uns jetzt für das morgige Tagwerk wappnen.” Sie wies auf die Schlafkammer, die sie vorhin an die Ritter abgetreten hatte und blickte unschlüssig von Faolyn zu Éirne.

Bevor jedoch einer der Ritter etwas sagen konnte, fragte Ainsel halblaut: “Wie ist es ausgegangen? Ihr würdet nicht hier stehen, wenn sie dort gestorben wär’?”

"Leider doch, junge Ainsel", antwortete der Niamrod. "Sie starb in den Armen der Fürstin.” Sein Blick suchte den der Herrin des Hauses in der Hoffnung, nicht ihren Unmut zu erregen, indem er ihre Kinder von ihrer Weisung abhielt. Doch Sili nickte ihm zu, so dass er sich entschied, diesen Teil kurz und wenig aufregend zu gestalten und mit sachlicher Stimme fortfuhr: “Diese sah sich in ihrer Schuld, erhob Niamh noch auf dem Totenlager in den Adelsstand und sprach ihr und ihren Nachkommen das Land um den Felsen als Lehen zu. Sinjer ni Bennain ließ Niamhs Kinder am Fürstenhof aufziehen und so war es ihr Sohn Jeldan, der das Stammgut in Besitz nahm und es zum Andenken an seine Mutter Wolfentrutz nannte."

“Habt Dank, Hoher Herr”, Sili deutete eine Verbeugung an, "dass Ihr diese Geschichte mit uns geteilt habt.” Sie legte die Arme um ihren Mann und ihre Töchter, eine traviagefällig, behütende Geste.
“Wir werden uns daran erinnern und sie soll uns Mahnung sein, zusammenzuhalten gegen die Wölfe.”