Familienrat auf Dun Glaoran (1045) Teil 12: Beim Rat

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Während des Rates

Im Innenhof der Burg findet man früher oder später jeden Bewohner und jede Bewohnerin der Burg sowie die anderen Gäste für ein Gespräch. Die sorgsam gepflegte Rasenfläche im Schatten von Pappeln und Mauern, die Burgwiese jenseits der Brücke, die Pfade im Umland oder gar das nahe Waldstück bieten sich zum Lustwandeln an, wenngleich der Schnee nur auf den wichtigen Wegen innerhalb der Burg geräumt wird.

In der Praioskapelle können die Gäste zum Götterfürsten beten, den dortigen Schelachar-Schrein besuchen oder mit Praihilds Hofkaplan Rude von Beilunk sprechen.

In den Gästezimmern des Gesindehauses und des Palas ist Gelegenheit, sich für allerlei private Gespräche zu treffen. Die Räume sind nicht üppig eingerichtet, aber zumindest angemessen und wohnlich.

Bei den Mahlzeiten im Palas sind üblicherweise alle adligen Bewohner der Burg sowie die wichtigen Amtsträger anwesend. Hier können Gespräche stattfinden, die für aller Ohren bestimmt sind.

Privatgespräche mit der Baronin Praihild und der Edlen Rahjalin würden in deren Räumlichkeiten stattfinden. Praihild hat eine eigene Schreibstube, Rahjalin wurde mit ihrem Gatten und ihrer Enkelin in Minhild von Bösenburschs ehemaliger Kammer einquartiert.

Leomar von Bösenbursch, Praiophan von Bösenbursch und Fridegard von Zweibruckenburg

Leomar ging schnellen Schrittes hinter den beiden her und überlegte sich schon, wie er Praiophan insoweit beruhigen konnte, dass er sich wieder mit an den Ratstisch setzt, um dabei zu helfen, wieder Ordnung in die Familie zu bringen.

“...aber das kann doch wirklich nicht im Sinne der Familie sein,” hörte Leomar Fridegard, wie sie im Tonfall der Verzweiflung hinter ihrem Mann hereilte und gleichzeitig versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Praiophan indes stapfte mit schnellen Schrittes davon und zeterte vor sich hin. "Ich hatte es im Urin! Herzukommen war reine Zeitverschwendung! Wahrlich, das hätte sie sich früher nicht erlaubt, diese giftige Schrumpel! Aber ich bin niemand, der diese Unhöflichkeiten dulden muss.”

“Praiophan, bitte, jetzt bleib doch mal stehen!”

“Sollen sie doch sehen, wie sie klarkommen. Familie nennt sich das? Pah! Eine Bande Ehrloser ist das. Verlogenes Ketzerpack allesamt! Als ob ich mir das bieten lassen müsste, dass so mit mir gesprochen wird, bei Praios! So was hätt es in den Nordmarken nicht gegeben. Aber in Albernia, ja, da geht man wohl so um mit denen, die es nur gut meinen…”

"Deine Schwester hat es sicher nicht so gemeint.”

“Die soll zusehen, dass sie nicht über ihr die Fallstricke fällt, die sie sich selbst gelegt hat. Na, mir gleich.”

“So hab doch ein Einsehen, sie werden dich brauchen, glaube es mir. Du bist ihr Bruder. Ihr einziger.”

“Sehr richtig - aber wir packen und fahren trotzdem. Mein Entschluss steht fest. Getan, wie gesprochen!”

Fridegard hatte eben erst zu ihrem Gemahl aufgeschlossen, als er zur Unterstützung seiner Endgültigkeit verheißenden Worte eine raumgreifende Geste mit den Armen vollzog und dabei den Stapel Unterlagen aus Versehen und den mit Energie von Fridegards Armen fegte. Die Mappe und die Sammlung losen Blattwerks fiel zu Boden. Mit einem feinen Klirren zerbrach dabei das Tintenfass und sein Inhalt spritzte nach allen Seiten. Leider auch auf die Mappe aus Moosgau und einige der Blätter, die nun auf dem Boden verstreut lagen.

“Hesinde hilf, Gudos Entwürfe!” Fridegard bückte sich sofort.

Praiophan war ebenfalls stehenblieb. Nur statt seiner Frau eine helfende Hand zu sein, grunzte er. “Gudos was?”

“Ein paar Ideen, die Gudo für Moosgau hatte…” antwortete Fridegard, die erleichtert feststellte, dass die Tinte nicht in die Mappe gedrungen war. Dafür war das Mappenleder auf der Vorderseite nun expressiv mit Schreibertinte gefärbt. “Ich wollte sie dir in einer Pause beim Rat zeigen. Vorhin wolltest du ja nicht mehr, dass wir sprechen.” Sie bedauerte diesen Umstand. Vielleicht wäre es nicht zu dem Eklat am Ratstisch gekommen, wenn sie Praiophan zuvor schon von den Rettungsplänen für das Stammlehnen erzählt hätte. “Deine Schwester hat sie mir gegeben.”

“Ach ja? Hat sie das.” Mit finsterer Miene starrte Praiophan erst auf seine Gemahlin nieder, dann bemerkte er, dass sich sein Schwager näherte, und er hob seinen Blick und stierte stattdessen Leomar an. “Sieh an, ein Unterhändler. Haben sie dich also geschickt.”

“Hör mir mal zu, ich bin jetzt nicht hier um mich mit dir zu streiten, Obwohl ich da jetzt ehrlich gesagt ziemlich Lust dazu hätte.” sagte Leomar mit einem Blick, von dem man ablesen konnte, dass er ebenfalls gerade nicht die beste Laune hatte.

„Du verschwendest Zeit, Schwager. Wir müssen unsere Abreise vorbereiten,“ grunzte Praiophan nur.

Fridegard seufzte. „Bitte, Praiophan, hör ihn doch wenigstens an!“ bat sie ihren Gemahl, der daraufhin abschätzig brummte, es aber dann doch tat.

Leomar war so aufgebracht, dass er ihm doch ein Seitenhieb verpassen musste: “Wärest du nicht so unfassbar von dir selbst überzeugt und würdest vielleicht auch mal mit dir vernünftig sprechen lassen und du auch zuhören würdest, würdest du verstehen, warum hier dieser ganze Zirkus ist. DEINE Frau versucht dir diese Mappe schon eine Weile zu zeigen, aber du hörst ja nicht mal mehr deiner Frau zu, was scheinbar dein Ego nicht zulässt. In dieser Mappe sind Gudos Pläne von der Zukunft in Moosgau. Nachdem Gudo damals gestorben ist, begann für uns eine schwere Zeit, denn Rahjalins Nerven waren sowieso schon am Ende wegen unserer “Tochter” und das mit Gudo hat ihr den Rest gegeben. Wir haben anfangs versucht, es alleine zu schaffen, aber es wurde eher schlechter statt besser und deswegen sind wir hierher gekommen, um erst einmal mit Praihild zu sprechen und da kam die Idee mit dem Rat auf, um endlich wieder in dieser Familie Grund reinzubekommen und wieder den Namen zu dem zu machen, wie er mal war. Und dafür brauchen wir sowohl die Mappe mit den Plänen als auch euch, verdammt noch mal. Also komm jetzt mal wieder zur Besinnung und schau dir die Mappe an.” Leomar hatte sich jetzt doch in Rage geredet. Er war auch nicht mehr der Jüngste und musste jetzt etwas schwerer atmen, da ihn das doch ein wenig angestrengt hatte.

„Es ist ja nicht so, dass ich meine Hilfe nicht mehrfach angeboten hätte, sie aber mehrfach abgelehnt wurde.“ entgegnete der Elenviner verärgert, die Hybris ignorierend, derer man ihn eben zu überführen gedachte. „Aber na schön, her damit!“ brummte der Beamte befehlsgewohnt und streckte die Hand mit zappelnden Fingern ungeduldig in Fridegards Richtung, als warte er schon eine ganze Weile darauf, von ihr etwas zu bekommen, wobei er seinem Schwager einen mehr als ungnädigen Blick zuwarf, weil dieser die Frechheit besaß, ihn auch noch zu tadeln.

„Hier, das sind die Unterlagen,“ murmelte Fridegard, als sie die Mappe an ihren Gemahl weiterreichte. Sie hoffte nur, dass nicht noch mehr Ärger entstand.

Der schlug die Mappe auf und das erste, was er tat, war, akribisch zu zählen, wie viele Seiten darin waren. Erst dann besah er sich nach und nach die Dokumente. Allerdings überflog er die Blätter auch so schnell, dass Leomar nicht sagen konnte, ob Praiophan sie wirklich gelesen und ihren Inhalt registriert hatte, oder ob der Beamte diese unliebsame Aufgabe, die man ihm aufgezwungen hatte, nur schnell hinter sich bringen wollte. Nachdem er auch das letzte Dokument angesehen hatte, ließ er die Mappe energisch zufallen und gab sie Leomar. „Jetzt habe ich sie mir angesehen. Na und? Wenn meine Schwestern meinen, dass mit diesem Firlefanz ein Lehen zu retten ist, was längst schon verloren ist, dann unterliegen sie leider einem Irrtum.“

Seine Frau schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber ich fand, dass da ganz brauchbare Sachen drin sind. Hast du nicht—,“

„Ich HABE gesehen, was du möglicherweise in deiner weiblichen Beschränktheit als brauchbar ansiehst,“ unterbrach er sie gleich, noch bevor sie ausführen konnte, was sie meinte. „Aber aus meiner Sicht ist alles Schund. Unwirtschaftlicher Schund. Das einzige, was diese Lehen wirklich retten könnte - ich sage KÖNNTE! - ist ein enger Gürtel und eine breite Anzahl an Gläubigern. Sag diesen aufgeplusterten Weibern, dass das meine realistische Einschätzung ist. So, und nun empfehle mich, Schwager.“

Leomar wirkte nicht glücklich darüber, aber trotzdem zufrieden, dass er es zumindest versucht und geschafft hatte einen, für sich, kleinen Erfolg zu erzielen. "Danke, dass du dir jetzt trotzdem die Zeit dafür genommen hast. Ich finde es trotzdem bedauerlich, dich nicht wieder an den Tisch zu bekommen, aber sei es drum. Wir werden das schon schaffen und dich dann in Kenntnis setzen, wie das Endergebnis aussieht. Und beschwer dich dann nicht, wenn dir das Ergebnis nicht passt. Gute Heimreise.” Er wandte sich von Praiophan ab und drehte sich zu Fridegard und sprach jetzt ein wenig ruhiger. “Geb dir nicht die Schuld dafür, dass du einen Dickkopf als Ehegatten hast. Ich hoffe er beruhigt sich wieder schnell. Ich wünsche auch dir eine angenehme Heimreise. Lasst es uns wissen, ob ihr heile angekommen seid.”

„Danke, das… werden wir.“ Die Elenvinerin lächelte gequält.

Leomar streichte ihr leicht über den Arm, um ihr das Gefühl von Mut und Verständnis zu vermitteln. Er nahm die Mappe an sich und ging wieder zurück Richtung Ratssaal.

Fridegard stand einen Augenblick allein an Ort und Stelle, denn ihr Mann war ohne ein Wort weiter in die eine und ihr Schwager in die andere Richtung losmarschiert. Kurz blickte sie beiden nach und machte sich Gedanken, wie es weitergehen könnte. Ihr kam eine Idee! So entschied sie sich dann, Praiophan vorerst ziehen zu lassen - er würde ja doch später im Zimmer auf sie warten, denn er konnte zwar die schwierigsten Dinge berechnen, doch für das Taschenpacken brauchte er sie. Darin war er hilflos wie ein Windelkind. Also eilte sie Leomar hinterher. „Schwager, so warte doch!“ hörte der sie nur kurz darauf rufen.

Leomar drehte sich um. Er sah Fridegard hinter sich her laufen und blieb stehen. “Was ist los?” fragte er mit einem Ausdruck von Verwunderung.

„Meinst du, ich könnte mit Rahjalin noch einmal einen Moment lang unter vier Augen sprechen? Es war doch bald eine Pause angesetzt.“ fing sie an und kam sich selbst dabei dumm vor, weil sie in diesem Moment wie ein Bittstellerin klang. Dabei wollte sie ja nur helfen und vermitteln. Irgendwer musste es doch tun, wenn Praiophan sich schon so kindisch gebärdete. „Würdest du sie denn zu mir hier nach draußen bitten? Ich, hm, möchte ihr ungern das, was ich beabsichtige, vor allen anderen mitteilen, zumal, nun ja…“ sie schaute verstohlen über die Schulter den Gang hinunter, aber ihr Gatte war fort. „…ich mich diesbezüglich eine Kleinigkeit über ihn hinwegsetzen werde - du verstehst?“ Fridegard sah Leomar mit hoffnungsvollen Augen an. „Doch glaube ich, dass ich eine brauchbare Idee habe, wie wir meinen Gatten wieder an den Tisch bekommen.“

Leomar war ein wenig verwundert über diese Bitte, aber Fridegard konnte ja nichts für ihren Mann. “Natürlich, ich denke, es müsste jetzt auch gerade Pause sein. Aber weiß dein Gatte von deinem Vorhaben? Das wird bei euch zu Hause mit Sicherheit Diskussionen geben, was auch immer du vor hast.” Und so ging er dann weiter Richtung Ratssaal. “Erzähl mir auf dem Weg dahin, wie deine Idee aussieht.”

Fridegard seufzte. „Weißt du, eigentlich liegt Praiophan ja schon etwas an diesem Rat. Er würde dies nur im Leben nicht zugeben. Er schimpft zwar über Reisekosten und Zeitmangel, aber wenn es ihm wirklich so sehr zuwider gewesen wäre, hätte er nicht um Freistellung für diese Reise gebeten. Das hat er aber. Und zwar nicht einfach nur schriftlich per Antrag. Nein, er und ich waren persönlich bei meinem Oheim Ardo. Du musst wissen, Praiophan will meinem Oheim stets gefallen, weil dieser als Stadtvogt ja nicht nur ein Vertrauter des Herzogenhauses ist, sondern traditionell seinen Nachfolger für das Amt vorschlagen darf und Praiophan, wie du dir vorstellen kannst, selbstverständlich große Ambitionen hat, dieses Amt nach meinem Oheim zu erhalten.“ sagte sie Leomar wie selbstverständlich und fuhr rasch fort, weil sie vor der Tür zum Ratsaal standen. „Jedenfalls sagte Oheim Ardo wortwörtlich zu ihm: Dann fahre in dieses Gemharsbusch und bringe in Praios’ Namen Ordnung in dein Haus!“ Sie schmunzelte nun frech: „Mein Liebster hat sicherlich in seiner Wut noch nicht erkannt, dass er also genau genommen gegen eine ‘Dienstanweisung’ handelt, wenn er jetzt so einfach abreist.” Sie lachte kurz auf. ”Es wird ihm aber einfallen, wenn jemand nur den Namen Ardo von Plötzbogen ins Gespräch bringt, da bin ich mir ganz sicher, ich kenne ja meinen Mann, er vergisst nie etwas. Jedoch wäre es der Sache förderlich, wenn es von jemand anderem käme, als von mir. Und dazu braucht es Rahjalin. Weil sie immer noch das Familienoberhaupt ist, zu dem er selbstverständlich kommt, wenn sie nochmal mit ihm sprechen will.“

Fridegard war sich im Klaren, dass ihr Plan eine List war, doch störte sie das nicht, denn anders als ihr praiosverliebert Gemahl konnte sie dem Herrn Phex durchaus in manchen Momenten etwas abgewinnen. Das hatte ihr in der Ehe mit Praiophan schon oft genutzt. Nicht zuletzt wegen einer solchen war sie jetzt hier im fernen Albernien.

Leomar überlegte kurz und sagte: "Ja, das könnte funktionieren. Ich hole Rahjalin eben, warte kurz.” Und so ging er nach drinnen und ging zu Rahjalin.

Als er bei ihr angekommen war, erklärte er ihr kurz das Fridegard draußen warten würde um mit ihr unter vier Augen zu sprechen. “Soll ich mitkommen oder hier warten?” fragte er sie noch.

Rahjalin sah ihren Gatten verwundert an. “Fridegard, allein? Na… komm ruhig mit.” Damit erhob sie sich und verließ ebenfalls den Saal.

Leomar folgte ihr, immer noch mit der Mappe in der Hand.

Draußen unterrichtete Fridegard auch Rahjalin von ihrem Plan. “Ich weiß, es ist eine List, doch ist der Herr Phex nicht auch einer der Zwölfe?” Sie schmunzelte, aber mit einem Hauch von Qual. ”Leider wird eine Entschuldigung eben nicht ausreichen, um euren Bruder zurückzuholen. Er ist so stolz und stur.” schloss sie ihren Vorschlag, vermied aber zu erwähnen, dass Sturheit und Stolz eine Eigenschaft war, die auf alle Geschwister zutraf. Von ihrem Vorschlag war sie jedenfalls überzeugt.

Rahjalins Züge verhärteten sich. “Phexens Wege sind mir ziemlich fremd, Fridegard. Dein Gatte war es doch, der auf uns zukam und mich direkt beschuldigte, meinen Pflichten nicht nachzukommen, oder nicht? Warum soll er nicht seine eigene Medizin schmecken?”

“Ich denke, das wird er nicht. Praiophan ist, man könnte es versessen nennen, dass er vor meinem Oheim immer korrekt und perfekt dasteht. Und wir werden ihm ja den Vorwurf nicht machen. Er wird selbst darauf kommen.“

Die Edle von Moosgau schien mit dem Vorschlag nicht glücklich zu sein. Sie sah zu den anderen beiden. “Ich weiß, dass ihr beiden gerne etwas um den heißen Brei herumredet, aber Praiophan ist ein Freund offener Worte. Wenn ihr wollt, machen wir es so… schauen wir, was passiert.”

„Ach, auf einmal bin ich ihr wichtig?“ Praiophan sah skeptisch von seiner Schreibtätigkeit auf und zu seiner Frau, die eben zu ihm gekommen war und erzählt hatte, dass ihn seine älteste Schwester Rahjalin noch einmal sprechen wollen würde. Er hatte sich auf der Reise hierher jede einzelne Ausgabe in ein kleines Büchlein notiert und gegenzeichnen lassen. Er war geradezu pendantisch mit solchen Gewohnheiten. Das zweimal gefaltete Blatt mit der aufnotierten Liste glättete er gar an den Faltkanten mit einem Faltbein, bevor er es als erste Seite in das Büchlein steckte und dieses seiner Frau in die Hand drückte, nachdem er sich erhob. „Hier, gibt das der Meisterin Aldewen. Das ist die Auflistung unserer Kosten mit den gewünschten Quittungen. Ich habe es für sie bereits aufgerechnet. So.“ Dann widmete er sich Fridegards Anliegen. „Na schön. Wenn du meinst, dass es Not tut, werde ich mir nun anhören, was die Moosgauerin zu sagen hat. Du kannst sie herein lassen.” Brummte er unwirsch. ”Ich erwarte, dass sich der Junge in der Zwischenzeit hier einfindet.“

Fridegard nahm das Büchlein entgegen und nickte. “Natürlich, Praiophan, natürlich. Ich gehe ihn holen, gebe die Rechnungen ab und lasse deine Schwester mit Leomar herein.” Wenn der Plan aufging, würde es nicht mehr nötig sein, die Liste der Haushofmeisterin auszuhändigen. Mit diesen Worten ging die Zweibruckenburg zur Tür des Gästezimmer, um ihre Schwägerin und deren Mann hinein zu bitten.

Praiophan erwartete die beiden sitzend, erhob sich aber, als sie im Raum waren. Immerhin war eine davon das Familienoberhaupt und die Ältere. “Wir sind in den Vorkehrungen unserer Abreise begriffen, Rahjalin, was gibt es jetzt noch zu besprechen?” brummte er und sah ihr mit trotzigem Stolz entgegen.

“Ich mache es kurz - du kannst nicht gehen. Praihild will unsere Prinzipien und Statuten aufweichen, damit sie hier in Albernia leichteres Spiel in der Politik hat. Ich brauche deine Stimme im Rat. Wer weiß, was sie noch geplant hat. Du bist einer der wenigen, die hier noch einigermaßen bei Trost sind. Ich kann nicht sie *und* meine Tochter gleichzeitig bändigen.”

„Schön und gut, doch wenn du nicht mit dem Gedanken spielst, den Familienvorsitz aufzugeben, sehe ich keine Probleme. Zumindest nicht diesbezüglich. Übrigens, meine Einschätzung bezüglich…“ Er sah die Mappe in Leomars Händen und deutete darauf, „…der Aufforstung von Moosgau habe ich deinem Gemahl bereits alles gesagt, was es dazu von meiner Seite aus zu sagen gibt. Bei Trost. Ja, ich habe auch das Gefühl, dass einige Mitglieder dieser Familie nicht ganz bei Trost sind, und du gehörst dazu, tut mir leid, wenn ich das so sagen muss.“ Er schüttelte den Kopf, als er so offen sprach.

Fridegard stand noch immer in der Tür und beobachtete die Szene mit Unwohlsein. Sie wollte nicht gehen, sondern beizeiten helfend einspringen können.

Doch ihr Mann sah sie dort stehen und rief: „Fridegard! Der Junge! Die Abrechnung! Auf was wartest du noch? Husch!“

“Ich? Nicht bei Trost?! Was soll das denn heißen?” Ohne jedoch auf eine Antwort zu warten, warf sie hinterher: “Mutters Methoden haben bei dir ja scheinbar ganz hervorragend gefruchtet! Aber wenn das die Art und Weise ist, wie du auf dem Amt mit dem Herrn von Plötzbogen redest, wundert’s mich kaum, dass du nicht vorankommst! Aber das traust du dich bestimmt nicht. Nur für deine Familie hast du dieses hässliche Gesicht übrig!”

„Tja, ICH bin es NICHT, der seine Pflichten vernachlässigt!“ entgegnete Praiophan seiner Schwester mit erhobenen Augenbrauen. „Und ich mahne dich, Schwester, auch wenn du die Ältere von uns bist: Sprich nicht so mit mir! Denn du hast keine Ahnung von meiner Arbeit. Keine.“

Die Ältere zog gespielt-pikiert die Augenbrauen hoch. “Nun, du wirst schon wissen, was du zu tun und zu lassen hast. Komm’, Leomar, wir gehen!”

Bevor dieser jedoch etwas erwidern konnte, rauschte Fridegard mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht ins Zimmer und sah entrüstet beide Geschwister an: „Das…das kann doch jetzt nicht euer Ernst sein… Praiophan! Du bist doch hier, um in Praios Namen Ordnung in dieses Haus zu bringen,“ zitierte sie ihren Onkel, den Stadtvogt Elenvinas, nun in ihrer Verzweiflung selbst, „und nicht, damit der Widersacher der Herdmutter euch auseinanderbringt. Weißt du denn nicht mehr, was du mit meinem Oheim besprochen hast?“ Als äußeres Zeichen ihres Unverständnisses deutete sie auf ihre Schwägerin. „Hast du deiner Schwester denn überhaupt zugehört? Sie braucht dich hier. Um beim Rat zu helfen und um in Praios Namen ORDNUNG in EUER HAUS zu bringen!“ betonte sie noch einmal eindringlich, in der Hoffnung, dass ihr Mann kapierte. „Das ist doch das Gleiche, was DU vorhattest, also verstehe ich jetzt nicht, warum du… ihr… ARGH!“ Sie hatte sich in Rage geredet und ließ ihren Frust heraus, indem sie ihrem Gemahl mit dem Quittungsbüchlein mehrmals gegen die Brust schlug. „Redet endlich miteinander! Bei den Zwölfen, was gäbe ich dafür, noch einmal mit meinem Bruder Burghard sprechen zu können. Und ihr…ihr…ihr streitet immer nur.“ Fassungslos mit dem Kopf schüttelnd stierte sie ihren Mann an.

Rahjalin sah mit großen Augen von einer zum anderen und dann zu ihrem Gatten. Auf einmal fühlte sie sich sehr deplatziert.

Leomar wusste nicht so recht, was er jetzt sagen sollte. Er war so überrascht, dass Fridegard so aus ihrer Haut gefahren war, denn das hatte er bei ihr noch nie erlebt, dass er wie versteinert auch nur daneben stand und gespannt war, wie sein Schwager jetzt reagieren würde.

Praiophan war überrascht und die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er sah seine Frau mit einer Mischung aus dümmlich und erschlagen an, aber bevor er etwas erwidern konnte, war es Fridegard, die zuerst zu Wort fand:

“Ich habe dich bisher immer unterstützt. Immer! Aber jetzt kann und will ich es nicht, weil es um die Familie geht, Praiophan. Und Familie kostbar ist! All die Berichte über gebrochene Federn… Denk an Bridlin und all die anderen, die sterben mussten!” Fridegards Stimme hatte sich, während sie das sagte, angefüllt mit Traurigkeit und Sorge.

Rahjalin hatte beiläufig nach Leomars Hand geangelt. Es war ihr unangenehm, dass sich die Sache zu einem Ehestreit entwickelte, auch, wenn es absehbar gewesen war. Hätte sie beiden einfach ziehen lassen sollen?

Leomar spürte, dass es seiner Frau unangenehm war, denn ihm selbst war die Situation auch unangenehm und fasste dann ebenfalls ihre Hand.

„Und falls du etwas zu sagen hast, dann sag es ihr! Sie ist diejenige, die her kam und mit dir sprechen wollte.“ ergänzte Fridegard noch rasch und deutete überflüssig auf ihre Schwägerin. „Ich werde jetzt die Frau Aldewen aufsuchen und dann Gosbert über den ganzen Irrsinn in Kenntnis setzen.“ An Rahjalin und Leomar gerichtet: „Ihr entschuldigt mich bitte…“ Dann eilte sie, ohne auf Antwort zu warten, nach draußen.

Rahjalin nickte nur perplex… und etwas anerkennend.

Praiophan war noch im Begriff zu verstehen, was da gerade über ihn gekommen war, aber er zog bereits die Brauen zusammen und sah von der Tür, in der seine zeternde Gemahlin verschwunden war, zu seiner Schwester und deren Gatten. In seinem Kopf mochten die gefallenen Worte gären, denn er fuhr sich zuerst mit der Hand über das schüttere Haar und kratzte sich am Hinterkopf, dann räusperte er sich. „Na schön, bei allem was Recht ist… Vielleicht bin ich unter diesen, hm, Umständen geneigt, nun ja, mir noch einmal anzuhören, was du zu sagen hast.“

Die Edle seufzte kurz, ließ ihren Gemahl los und setzte sich. “Weißt du, unsere Schwester will mal wieder alles an sich reißen und bestimmen. Ob das wegen früher ist und sie einfach den Hals nicht vollkriegt, aber sie nimmt einfach keine Rücksicht auf unsere Traditionen. Einiges von dem, was sie sagt, macht ja Sinn, aber ich fürchte, dass Moosgaus Belange etwas untergehen. Praihild will ihr Wappen ändern und über irgendwelche Burgen in Gemharsbusch reden, aber wer daheim der neue Vogt wird, das scheint sie kaum zu kümmern. Ganz zu schweigen davon, dass sie meine Enkel womöglich noch mit irgendwelchen albernischen Lokalgrößen verheiraten will…!” Dass Liudger und Luzia vielmehr “Jolentas Kinder” und außerdem erwachsen waren, schien Rahjalin dabei nicht allzu wichtig zu sein.

Er setzte sich ihr gegenüber. „Wer daheim in Moosgau Vogt wird, hat dich doch bisher auch nicht interessiert,“ brummte Praiophan missmutig, doch er sprach gleich etwas versöhnlicher weiter: „Gut, lass es uns beim Namen nennen: Praihilds mangelnder Respekt ist ein Problem. Das sehe ich auch so.“ stellte er nüchtern fest. „Was dieses Gemharsbusch angeht, so entzieht sich mir die Kenntnis, was sie hier will. Dieser Flecken Dere ist, soweit ich das bislang beurteilen konnte, fade. Sie will hier in einer Enklave leben? Auf Feindesland? Soll sie. Sie ist mündig.“ Selbst, falls ihm auffiel, dass dies momentan auf Rahjalin ebenfalls zutraf, die hier bereits seit einiger Zeit freiwillig lebte, ließ er keine Regung erkennen. „Aber dann soll sie sich nicht so aufspielen, als wüsste sie, was für diese Familie gut sei. Das Haus Bösenbursch ist immer noch ein Nordmärkisches! Wir brauchen keine Verbündeten aus den Reihen von Häretikern! Wir brauchen auch kein Lehen im Feindesland. Denn wir haben eines und mit diesem - bei Praios! - wie es aussieht, genug Probleme!“ Ob es eine erneute Spitze gegen Rahjalin sein sollte, ging aus den Worten Praiophans nicht hervor, wohl aber, dass ihm das Gebaren seiner jüngeren Schwester gegen den Strich ging. „Was Praihild hier treibt interessiert mich nicht, wenn es nicht dem Wohle unseres Hauses dient. Wie dem auch sei, ihr gehört ein Riegel vorgeschoben, hier bin ich mit dir einer Meinung.“

“Hm, nun, eine Baronie ist eine Baronie - auch, wenn die Bedingungen schwierig sind. Dass man uns die schweren Fälle gibt, kann man auch als Anerkennung verstehen. Oder auch nicht. Egal. Was du vielleicht noch nicht weißt, ist, dass Liudger sich entschieden hat, seinen Orden zu verlassen. Damit ist er also wieder ein Kandidat für Moosgau, zumindest in den Augen Praihilds. Aber der Junge eignet sich einfach nicht dafür. Er wollte das sowieso nie.” Sie pausierte kurz. “Stellt sich also die Frage, ob du tatsächlich willens wärst, das Lehen zu übernehmen. Keyserring dürfte damit kein Problem haben. Zumindest so lange, bis die Nachfolge geklärt ist. Wir drei sind ja… naja.” Alt, wollte sie vermutlich sagen.

Praiophan hörte aufmerksam hin, was seine Schwester ihm erzählte. Am Ende aber schüttelte er sich einen Moment, als habe er Essig getrunken. „Was heißt das, wenn ich Willens wäre, das Lehen zu übernehmen? Ich erinnere mich, dass ich mehrfach meine Hilfe anbot und dies keinerlei Wertschätzung erfuhr,“ schnaubte der Elenviner, sein Blick glitt allerdings noch einmal zur Tür, hinter der seine Gemahlin verschwunden war, und der Nachhall ihrer Worte machte wohl, dass der sonst so kragensteife, rechthaberische Beamte recht milde wirkte.

„Falls du damit sagen möchtest, dass du mich gerne als Verweser von Moosgau sähest, der das Lehen an deinerseits führt, kommt das in meinen Augen zwar reichlich spät, doch um der Traditionen wegen werde ich darüber nachdenken - obgleich ich auch ehrlich zu dir sein will: ob es mir möglich sein wird, dir dort auszuhelfen, muss ich erst noch eruieren. Ich kann das nicht allein entscheiden, wie du weißt. Des Weiteren gehe ich aufgrund deiner jetzigen Bitte davon aus, dass du nicht vorhast wieder nach Eisenstein zurückzukehren, sondern weiterhin in den Landen der Abtrünnigen verbleibst. Entspricht das der Wahrheit?“ Er musterte seine Schwester kritisch.

“Das weiß ich noch nicht. Das hängt von… anderen Umständen ab. Ich werde genötigt, mich untersuchen zu lassen. Anscheinend, weil ich ein bisschen vergesslich werde.”

Wappen des Hauses Bösenbursch Rahjalin von Bösenbursch und Jolenta von Bösenbursch

Rahjalin hielt sich schon eine ganze Weile länger auf Dun Glaoran auf und kannte die Burg gut genug, um ihre Tochter herumzuführen. Sie ging durch eine Hintertür des Rittersaales in den Wohntrakt von Praihilds Amtleuten, bog dann rechts ab und schlurfte langsam einen langen Gang hinunter, von dem nach links die Türen zu den Gemächern der Beamten abgingen. Etwas nach der Hälfte des Ganges schob sie eine der Türen auf und wies hinein. Der dahinter liegende Raum war völlig leer.

Erhobenen Hauptes folgte Jolenta ihrer Mutter. Im Raum angekommen, drehte sie sich um. “Offenbar habe ich einen wunden Punkt getroffen, denn ich sehe, dass Du leidest. Und… das tut mir Leid. Wollen wir uns wie Erwachsene verhalten und darüber reden, oder sollen wir denen da draußen ein Schauspiel liefern und uns gegenseitig die Augen auskratzen?” Eigentlich hatte sie beabsichtigt gelangweilt zu klingen, doch tatsächlich schwang Müdigkeit und Trauer in ihrer Stimme mit.

Ihre alte Mutter blinzelte verwirrt. “Aber Jolenta, wovon redest du denn? Ich weiß, Phelinde und Hadelin sind manchmal etwas anstrengend. Kleine Geschwister sind einfach so. Du als große Schwester musst ihnen ein Vorbild sein. Lass’ dich doch von ihnen nicht provozieren!”

“Geht es Euch gut?”, fragte Jolenta verwirrt. “Phelinde ist nicht hier und Hadelin”, sie brach ab. Die Worte “ist tot” hätten den Satz beenden müssen. Hatte Rahjalin das vergessen?

Rahjalin antwortete einen Moment lang nicht, sondern sah Jolenta nur still an. Ihr Ausdruck veränderte sich allerdings vom gütigen Lächeln einer liebenden Mutter zu einer leeren, ausdruckslosen, ziemlich verlorenen Grimasse, bevor sie leicht zu zittern begann und leise stammelte: “…Nein.”

Jahrelanger Zorn auf ihre Mutter hatte ihr Herz erkalten lassen, doch als sie ihre Mutter so vor sich sah, bekam sie Angst. "Was ist los?", fragte sie daher besorgt und nahm ihre Hand.

Rahjalin schüttelte nur den Kopf und begann, leicht zu weinen.

Jolenta nahm ihre Mutter in den Arm und strich ihr sanft über den Rücken.

Die Edle nahm die Umarmung an und benötigte einige Augenblicke, um sich zu beruhigen. Nach einigen Minuten konnte Jolenta spüren, dass Rahjalins Atmung regelmäßiger geworden war.

"Möchtest Du zu den anderen zurück, oder lieber auf Dein Zimmer?"

Es dauerte nochmal einen Moment, bis Rahjalin sich wirklich gefangen hatte. “Ich muss zurück zum Rat. Ich kann dem unmöglich fernbleiben.”

Jolenta nickte. "Ist gut. Aber sag Bescheid, wenn es Dir zu viel wird. Wir sagen dann einfach: Du hättest Dein Frühstück nicht vertragen und müsstest etwas frische Luft schnappen und Dich bewegen, bis es wieder gut wird."

Ihre Mutter nickte nur. “Wir werden sehen.” Wie sehr sie noch neben der Spur war (und ob sie Jolentas Vorschlag tatsächlich verstanden hatte), würde sich wohl zeigen müssen. Rahjalin wandte sich um und begann, wieder den Weg in Richtung Rittersaal einzuschlagen.

Liudger von Bösenbursch, Luzia von Bösenbursch und Jolenta von Bösenbursch

Jolenta hatte ihre Kinder in ihre Unterkunft geladen. Hier war zumindest geheizt, wenn auch spärlich. Nerek war ausgeritten. Er wollte die Drei nicht stören, würde aber später dazustoßen. “Setzt euch bitte”, sagte sie und wies auf, mit Schaffellen bedeckte, Scherenstühle. Dann ging sie zum Kamin und hob eine große Kanne auf, die seitlich einen langen Stiel aufwies. Als sie die Kanne kippte, klappte deren Deckel auf und der Duft von warmen Würzwein erfüllte den Raum. Sie reichte ihren Kindern je einen Kelch und schenkte sich selbst ein. Dann setzte sie sich ihnen gegenüber. “Nun, ihr zwei, wie sieht es denn nun aus mit eurem Liebesglück?”, fiel sie gleich mit der Tür ins Haus. Sie lächelte freundlich und ihre Augen zeigten echtes Interesse.

Die beiden schauten einander und dann Jolenta an. Keiner der beiden schien wirklich etwas sagen zu wollen; die Situation war ihnen wohl eher unangenehm. Schließlich grummelte Luzia etwas vor sich hin: “Hm, naja, Herr von Münzberg hat mich beim Bredenhager Buhurt angesprochen und seitdem schreiben wir uns… also, Liebesglück ist vielleicht etwas viel gesagt, aber, ja…” Der Satz verlief danach etwas im Sande. Liudger machte hingegen bisher keine Anstalten, sich zu äußern.

Jolenta seufzte. Sanft sagte sie: “Kinder, ich möchte wirklich, dass ihr glücklich werdet. Aber ich kann euch nur helfen, wenn ich weiß, was ihr wollt. Auch, wenn ein solches Gespräch unangenehm ist und auch, wenn ihr euch selbst unsicher seid. Wenn ihr zu lange wartet, wird ihre Hochgeboren euch jemanden vorsetzen, ob ihr wollt oder nicht. Nerek und ich werden zwar für euch kämpfen, auch vor Gericht, aber wenn Praiophan sich an Mutter statt zum Haupt der Familie erklärt, wird er es so sehen wie Praihild. Ihr wisst, wie stur und streng die beiden sind.”

Luzia zog einen Flunsch. “Naja, also, ich hatte vor, mit Himiltrud nach Otterntal zu reisen, um dort das Manuskript von Tante Rahjalieb einzufordern… oder abzuschreiben, je nachdem. Wenn wir sowieso unterwegs sind, können wir ja bei Herrn von Münzberg vorbeischauen, um diese Sache einmal direkt anzusprechen…? Bisher haben wir dieses Thema eher umschifft, aber ich glaube, wir trauen uns beide nicht so richtig. Oder so.”

Mit einem Seufzen ließ sich dann auch Liudger zu einer Antwort herab. “Das hier hat mit Frau Travia nichts am Hut, das kann ich wohl sagen!” Er schien innerlich noch stark mit sich zu ringen. “Ich kann mit Himiltrud sprechen, aber… ach, bei den Göttern, das ist doch alles…!” Es folgte ein undefinierbarer Laut der Frustration. Sollte er nun Gudos Ehefrau ehelichen, nur um sie beide aus der Schusslinie zu bringen? Liudger wollte sich gar nicht ausmalen, wie sie wohl auf diesen Vorschlag reagieren würde… von seinem eigenen Gewissen einmal ganz zu schweigen.

"Also, Luzia, ich finde es gut, dass Du Dich mit ihm treffen willst. Nehmt euch Zeit. Redet miteinander. Lernt euch kennen. Und dann überlegt, jeder für sich und danach gemeinsam, ob es sich richtig anfühlt. Und Du, mein Sohn, es ist uralter Brauch, die Witwe des Bruders zu ehelichen, damit sie nicht unversorgt bleibt. Aber fühle Dich nicht dazu gezwungen. Wenn Ihr beide es wollt, dann traut euch. Ansonsten kann ich Dir nur den selben Rat geben wie Deiner Schwester."

Beide nickten. Liudger meinte noch: “Gezwungen fühle ich mich trotzdem. Uralter Brauch hin oder her. Und ich werde dazu nichts weiter sagen, ohne mit Himiltrud gesprochen zu haben.” Dabei verschränkte er die Arme.

“Das musst Du auch nicht. Himiltrud und Du, ihr werdet schon eure Wege finden. Regelt das unter euch. Ihr schafft das schon. Und wenn ihr Hilfe braucht, dann fragt einfach.”

Luzia hatte wohl noch ein anderes Anliegen: “Und was ist mit euch? Was habt ihr jetzt vor? Also, wenn Vetter Praiophan Moosgau verwaltet?”

“Dein Vater und ich wollen, solange es uns möglich ist, in Elenvina bleiben. Dort ist immer was los. Allerdings, jetzt, wo ich Gefahr laufe, es zu verlieren, merke ich doch, dass mein Herz noch immer an Moosgau hängt. Ja, ich glaube, ich vermisse es sogar. Nerek und ich, wir werden Onkel Praiophan auf die Finger schauen und ich werde in engem Kontakt mit Mutter stehen. Ehrlich gesagt, fürchte ich, dass er Ambitionen hat der nächste Edle zu Moosgau und damit Familienoberhaupt zu werden. Dabei wäre es euer Erbe, auch wenn wir mit dem Keyserring einen Baron mit efferdgefälligen Launen haben, so ganz unmöglich ist es ja nicht Titel und Lehen in unserem Teil der Familie zu erhalten.”

Luzias Miene verdüsterte sich. “Meinst du wirklich, das ist sein Plan? Er hat sich wirklich unmöglich benommen, aber am Ende des Tages wird er sich doch der Ordnung der Dinge beugen, oder nicht? Frau Großmutter hat doch extra nochmal betont, dass die Nachfolge nicht geklärt ist…” Liudger gab abfällig dazu: “Und da fragt ihr euch wirklich, warum ich nie Lust auf diese ganzen Intrigen hatte. Praiosgefälliges Haus, als ob! Jeder verfolgt doch hier trozdem nur seine eigene Agenda.” Wieder fragte er sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

“Ich weiß es nicht, Liebes. Aber eben weil er sich heute so benommen hat, mache ich mir Sorgen. Er wäre nicht der Erste, der glaubt, der Ordnung der Dinge zu dienen und stattdessen Chaos verursacht.”

“Hm. Nicht falsch. Umso wichtiger ist es wohl, dass ihm jemand auf die Finger schaut… aber das wird ein täglicher Kampf. Es will mir nicht schmecken. Und ihm noch viel weniger. Warten wir die Besprechungen zur Zukunft Moosgaus ab und schauen wir, wie er reagiert. Wenn er es nicht erwartet und ihr einfach dort aufschlagt, wird er euch wohl einfach hinauswerfen. Daher denke ich, das sollte vorher geklärt werden. Frau Großmutter war beim Rat überraschend versöhnlich gestimmt. Womöglich würde sie einer solchen Kontrolle gar zustimmen?”

“Du hast wohl Recht. Wobei seine Versuche Nerek in die Schranken zu verweisen doch recht kläglich waren.” Sie schmunzelte, nicht ohne Stolz auf ihren Gatten. “Dennoch werde ich noch mal mit Mutter sprechen. Sicher ist sicher.”