Familienrat auf Dun Glaoran (1045) Teil 01: Vorgeplänkel

Aus AlberniaWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Vor der Anreise

Praiophan und Fridegard

Praiophan sah von dem Brief auf, einen mehr als skeptischen Ausdruck auf dem Gesicht. Leicht den Kopf schüttelnd nahm er das Monokel ab und ließ den Brief auf seine ausgestreckten Beine fallen. „Leider wird der Inhalt auch beim erneuten Belesen nicht besser. Ich fürchte sehr, dass es meiner Wenigkeit dort bedarf, um zumindest die Frage an meine werten Schwestern zu stellen, ob es denn tatsächlich notwendig ist, dieses Geld so sinnlos zu verprassen. Was wollen sie das grundmarode Moosgau halten - es wirft ja doch nichts ab, von einer ausreichenden Steuer ganz abgesehen. Das Einzige, was sich dort mehrt, sind die Schulden. Ich sagte wahrlich schon immer, dass das Lehen ein Verlustgeschäft ist. Rahjalin sollte einfach endlich zugeben, dass sie Hilfe benötigt, vor allem jetzt, da ihr Sohn nicht mehr unter uns weilt. Es ist ja nicht so, als hätte ich ihr nicht immer wieder angeboten, die Geldmittel zu optimieren. Ich bin mir sehr sicher, sie zahlt zu viele Abgaben an den falschen Positionen und anderswo fehlt es ihr, was dann zu ihren Problemen mit dem Baron führt. Das hat sie nur noch nie begriffen. Aber bitte, wenn man meint, man könne die rollende Kugel des unvermeidlichen Ruins gänzlich allein aufhalten….“

Bevor ihr Gemahl sich restlos seinem Ärger hingab, fuhr Fridegard, die sich zu ihrem Mann ins Bett begeben hatte, liebevoll dazwischen: „Deine Schwestern werden beide ihre Gründe haben, meinst du nicht?“ Sie zog die Decke über ihre Füße und puffte das Kissen zurecht.

„Na, diese Gründe möchte ich hören!“ grunzte ihr Gatte verächtlich, faltete anschließend das Schriftstück und wollte es mit dem Monokel auf das Nachtkästchen legen.

„Also wirst du hingehen?“ fragte Friedegard sanft.

„Das entscheide ich, wenn Praihild verlauten lässt, wie sie sich das mit den Zöllen und den Reisekosten vorstellt. Soll die jeder selbst tragen? Immerhin möchte SIE ja, dass wir nach...“ ihm war der Namen entfallen, besser gesagt, er hatte ihn gar nicht wirklich gelesen. „…auf diese albernische Burg mit diesem schrecklichen Namen, den sich kein Mensch merken kann, kommen!“

„Wahrscheinlich, weil sie möchte, dass sich die Familie das neue Heim eures Hauses in Albernia mal ansieht. Ich kann das verstehen, “ versuchte Fridegard weiterhin Besänftigung, wohl wissen, dass es wenig helfen würde. Sie hatte aus der Schublade ihres Nachtkästchens ein Tiegelchen gezogen, dessen salbenartigen Inhalt sie sich nun auf die Fältchen an Augen und Mundwinkeln tupfte. Anders als ihr Gatte war sie sich der aufziehenden Hässlichkeit des Alters bewusst und kämpfte dagegen an. Er hingegen kultivierte die schmalen Ärmchen zu einem dicken Wanst und kämmte sich das schüttere Haar wie vor 30 Götterläufen zurecht, obwohl man an vielen Stellen schon auf die bleiche Kopfhaut blicken konnte.

Praiophan sah seine Gemahlin irritiert an. „Neues Heim des Hauses? Irrtum. Praihilds Heim! Das Heim des Hauses Bösenbursch war und ist schon immer Elenvina!“ Zur Verdeutlichung drückte er mehrfach den Zeigefinger in die Daunendecke. „Nur scheint das in der heutigen Zeit niemanden mehr so richtig zu interessieren. Das ist eine Schande!“

„Ja du hast recht“, sagte Fridegard, obwohl sie anderer Meinung war, sie war jedoch empathisch genug, nicht noch mehr Öl in das Feuer zu gießen, „Ich glaube, deine Schwestern meinen es doch nur gut.“

Praiophan hob die Brauen. „Oh, meine lieben Schwestern meinen sehr vieles, aber die eine meint, sie könne alles alleine, die andere meint, nur weil sie eine Rangkrone tragen darf, dass sie herumscheuen kann, wen sie will.“

„Ach, sie scheucht doch niemanden.” Fridegard seufzte. Wie ihr Mann sich immer über die kleinsten Kleinigkeiten aufregen konnte war ihr rätselhaft. “Das ist nur eine Einladung. Aber mach doch die Reise, tu ihnen den Gefallen und höre dir an, was sie zu sagen haben. Du könntest ja Gosbert mitnehmen. Sagtest du nicht, man wöllte dort auch über Heiratspolitik sprechen?“ schlug sie vor, wissend, dass Praiophan dieser Gedanken wohl auch schon gekommen sein musste, aber sie kannte ihn und wusste auch, dass er über solcherlei Dinge nicht sprach, weil sie ihm fremd waren. Kinder im Allgemeinen und das eigene schon gleich zweimal. „Der Junge wird sich sicher freuen, mal rauszukommen.“

„Ich denke, es reicht, wenn sich einer diesen Mist anhört,“ brummte Praiophan derweilen mürrisch. „Abgesehen davon ist er kein Bösenbursch!“

„Das macht doch nichts. Er ist dein Sohn und somit ein halber. Nimm ihn doch einfach mit zum, hm, Hospitieren.“

„Bei wem? Bei Praihild? Praios bewahre!“

„Dann nimm ihn mit, um ihn als Kandidat für etwaige Hochzeitsbünde vorzustellen. Er hat das richtige Alter.“

Praiophan, der sich eben schon missmutig in sein Kissen gemummelt hatte, sah über die Schulter hinweg in Richtung seiner Gemahlin, aber ohne sie wirklich anzusehen. „Ich wollte dieses Kind nicht. Du hingegen wolltest, dass er den Namen deiner Familie bekommt. Was soll ich mich dann um solcherlei Dinge kümmern? Verzeih, aber das ist deine Aufgabe.“

„Dann werde ich euch einfach begleiten.“ erklärte Fridegard als Konsequenz seiner Worte.

Nun setzte Praiophan sich doch noch einmal stöhnend auf. „Götter mit uns, Weib! Hast du eine Ahnung, was uns diese vermaledeite Reise kosten wird? Mitten im Winter?! Die Kutsche, die lange Anreise, das zusätzliche Gepäck. Ganz zu schweigen von den Zollabgaben, denen wir ausgesetzt sein werden!“

„Ach, ich würde dieses Gemharsbusch schon gerne sehen. Ich war lange nicht mehr anderswo.“ erwiderte seine Gemahlin mit einem sehnsuchtsvollen Seufzen, während sie sich mit der Salbe die Hände einschmierte, dabei die Alchemika sehr gewissenhaft einmassierte.

„Du vergisst deine Reisen nach Albenhus,“ grummelte Praiophan tadelnd, denn sie wusste genau, dass er es nicht guthieß, wenn sie das Fest der Freuden und den dortigen Rahjatempel besuchte. Obgleich ihre Besuche dort ihrer jungen Nichte galten, die im Rosentempel Geweihte war, missfielen ihm solche Reisen stets. Er selbst würde nie im Leben auch nur einen Fuß in einen Tempel der Heiteren setzen. Viel zu ungezügelt, zu unsittlich ging es dort zu, das wusste doch jeder. Auch der Herre Praios.

„Oh Praiophan, nach Albenhus reise ich doch wegen Rajalind und damit wenigstens jemand aus der Familie mit ihr Kontakt hält. Sie hat ja sonst niemanden.“

„Sie hat eine Mutter, diese…”

“Avua?”

“Nein, ich meinte Hure.” spieh er verächtlich aus.

“So jemand war sie vor langer Zeit. Vor Rajalinds Geburt. Dass du ihr das immer noch vorhältst, finde ich nicht schön.”

“Fridegard. Um das ein für alle mal klar zu stellen: dein Bruder hatte einen schlechten Geschmack und noch schlechtere Angewohnheiten, davor hat ihn seine Stellung als Flussgardeobrist nicht bewahrt. Boron habe ihn selig und es ist ein Frevel, wie er verstarb, doch es ist wahrlich nicht, ich betone, nicht deine Aufgabe, sich um seinen Bastard zu kümmern. Zumal das Kind keine Waise ist. Und außerdem erwachsen!“ Kommentierte Praiophan verächtlich und wandte sich wieder um. Er nahm seine übliche Schlafposition ein - er schlief stets von seiner Frau abgewandt - zog die Decke über die Schultern und seufzte laut und tief, bevor er seinen Worten noch hinzufügte: “Außerdem vergisst du dich. Der Alveransfürst gab dir eigene Questen auf! Und jetzt leg dich hin und lass uns schlafen!“

„Ja… in Ordnung… Geruhsame Nachtruhe, Praiophan. Es tut mir leid, dich verärgert zu haben. Reden wir doch morgen noch einmal in Ru—“

„Still jetzt, Weib! Du weißt, dass in 12 Stundengläsern das Tagwerk neu beginnt.“

„Ja ja, ist ja schon gut.“

Himiltrud

Himiltrud stand auf dem überdachten Wehrgang der Burgmauer und schaute über die Brüstung hinaus auf den Zusammenfluss von Schnatter und Winde. Es war kalt. Die Isenhagerin hatte sich zwar warm angezogen und darüber noch einen Pelz geworfen, dennoch spürte sie die Kälte durch die Kleidung dringen. Aus ihrer Heimat war sie raues Klima gewohnt. Das Vorgebirge der Ingrakuppen konnte im Winter recht unbehaglich sein. Doch hier oben auf der Mauer zog ein eisiger Wind. Melancholisch blickte sie hinaus. Vor einigen Monden, zu Beginn dieses Götterlaufes 1045, war sie mit der Großmutter ihres verstorbenen Gemahls nach Albernia gezogen. Sie fühlte sich hier fremd. Doch konnten auch die Nordmarken nicht mehr ihre Heimat sein. In Moosgau erinnerte sie alles an Gudo. Seine Familie hatte ihr Stammgut verlassen. Tief saß der Schmerz um den Verlust ihres Gemahls - immer noch. Würde sich das jemals ändern?

In Elenvina war sie seit dem Skandal um ihre Lehrmeisterin und Großcousine Junivera von Rechklamm Persona non grata, da man ihr unterstellte, Mitwisserin des Hochverrats gewesen zu sein. Himiltrud hatte ihren Dienst als Rechtsgelehrte am Reichsgericht gerne ausgeübt. Sie bedauerte es sehr, diese Aufgabe nicht mehr ausüben zu können. Hier in Albernia wurden ihre Kompetenzen kaum gefragt. Der Ort ihrer Geburt, die Scheuburg im Eisensteinschen Rittergut Breewald, war ihr auch nicht mehr Heimat. Dort war sie unter unglücklichen Umständen aufgewachsen. Ihr Vater Abbo hatte im Feldzug wider Borbarad ein Bein verloren und war seither schwermütig und trinksüchtig. Ihre Mutter Wiborada war viel zu jung gewesen und mit der Situation absolut überfordert. Himiltrud hatte als Kind sehr unter den Umständen gelitten. Einzig ihre Großmutter Noitburg, die sie aufgezogen hatte, war Halt und Orientierung für sie. So kam es auch nicht von Ungefähr, dass sie in der Großmutter ihres verstorbenen Gemahls Gudo, also in Rahjalin von Bösenbursch, ebenfalls einen Menschen sah und erhoffte, der ihr Halt und Orientierung geben könnte. Aber hier in Albernia? Einen halben Götterlauf war sie nun hier. Sie hatte sich aber immer noch nicht an die neue Heimat gewöhnt. Sie fühlte sich fremd. Einzig ihre gleichaltrige Schwägerin Luzia war für sie jemand, mit dem sie reden konnte über das, was sie bewegte.

Himiltrud seufzte. Sie zog den Pelz enger zusammen. Nun würden in wenigen Tagen die Familienmitglieder des Hauses Bösenbursch hier zusammenkommen. Rahjalin hatte ihr gewährt, dass sie am Familienrat teilnehmen durfte. Quasi an Gudos Stelle. Sie hatte bei Praios schwören müssen, dass sie über die Beratungen Verschwiegenheit bewahrte. Nun war sie gespannt, wen sie alles kennenlernen würde, wer noch alles zu der Familie ihres verstorbenen Gemahls gehörte. Einige hatte sie damals bei ihrer Hochzeit bereits kennengelernt. Sie war auch gespannt, welche Themen die Bösenburschs bewegten. Noch einmal seufzte sie. Sie fröstelte. Hier war es zu ungemütlich. Himiltrud wandte sich von dem wunderbaren Ausblick ab, drehte sich und ging zum Turm, wo sie durch die Tür eintrat, um die Treppe nach unten zu steigen. Sie würde sich nun erst einmal aufwärmen müssen am Feuer des Kamins.

Travialin und Wappen des Hauses Hohenfels Anselm

Mit skeptischem Blick betrachtete der Burggraf von Hohenfels die Ausbildung seiner neuen Burgwache im 1. Hof der Veste Hohenfels. Heute war Truppentag und daher lehnte er in der Plattenrüstung eines Offiziers der Flussgarde, jedoch ohne Rang- und Einheitsabzeichen, an dem Zaun des Geviertes, in dem sein Weibel seine Rekruten schliff. Die Rüstung war auf Hochglanz poliert und eine Gravur, ein Greif und der Hohenfelser Turm, zierten die Brustplatte.

“Araschar.”, flüsterte ihm seine Gemahlin ins Ohr. “Warum so betrübt? Wollen die Rekruten nicht geformt werden?” Travialin von Bösenbursch war neben ihren Mann getreten. Sie trug ein einfaches Tagesgewand nach Havener Mode, ihr Haar lag unter einem Schleier verborgen, welcher von einem fein gearbeiteten Reif gehalten wurde. Ihr Mann wandte den Blick nicht ab und schwieg. “Hast Du den Brief gelesen?”, fragte sie leise. Anselm nickte. “Heute Morgen. Meine Agenda steht. Erlinaus Kinder.” Travialin nickte. “Durchaus, das bindet ihn noch stärker an uns und ich denke, wir sind uns einig, dass wir jedes Schwert brauchen werden.” Anselm schwieg und nickte. “Ich veranlasse alles Notwendige”, sprach seine Frau und ging in Richtung 3. Hof und Palas.

Roana und Aurea

Sehr überrascht blickte Roana von Richtwald auf den Brief aus Albernia. Lange Götterläufe hatte sie nur wenig von ihrer Familie gehört. Sehr wohl wusste sie um die Streitigkeiten zwischen ihren Schwestern, hatte sich jedoch nie wirklich darin involvieren lassen. Um so mehr war sie nun erstaunt, als sie die Zeilen in dem Brief wiederholt las. Immer und immer wieder hatte sie sie gelesen und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sollte es womöglich endlich zur Aussöhnung zwischen den beiden Streithennen kommen?

Würde Firunhard noch leben, hätte er ihr vermutlich geraten, sich auch weiterhin aus den Belangen der beiden Damen herauszuhalten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde nichts Gutes aus dieser Zusammenkunft erwachsen. Doch damals in diesem verhängnisvollen Efferdmond vor vier Götterläufen hatte sie ihren Gemahl verloren, Boron hatte ihn zu sich gerufen. Ein Verlust, der sie noch heute schmerzte, hatte er ihr doch stets Halt und Stärke gegeben. Natürlich war sie zu dieser Zeit bereits nur noch nominell die Herrin auf dem Richtwald gewesen, schließlich hatte ihr Gatte seinen Titel bereits an ihren Sohn weitergereicht und ihn anschließend als dessen Vogt vertreten.

Jetzt war die Feste nur noch ihr Heim, in dem sie nur noch der Höflichkeit nach etwas zu sagen hatte. Ein Heim, das zumindest für sie vieles von seiner Seele verloren hatte. So viele schöne Erinnerungen waren noch da, lauerten ihr förmlich hinter jeder Ecke auf. “Ich werde hingehen!”, beschloss sie deshalb laut, als ihr Blick auf ein Familienportrait fiel. Bei der Gelegenheit könnte sie auch gleich Vea und die Kinder auf der Vairnburg besuchen.

Wappen des Hauses Bösenbursch Praihild

Mit ernstem Blick blätterte die Baronin von Gemharsbusch noch einmal ihre Notizen für die kommenden Tage durch. Sie hatte viele Gespräche mit ihrer Halbschwester geführt. Manche mehr, manche weniger gehaltvoll, aber viele von ihnen anstrengend. Ohne ihren Schwager Leomar wäre es kaum auszuhalten gewesen. Wieder fragte sie sich, ob es eine gute Idee gewesen war, Rahjalin und ihre ganze Familie in Gemharsbusch aufzunehmen. Sie hatte nun wirklich Wichtigeres zu tun (und zu bezahlen). Mit einem Seufzer stand sie von ihrem Schreibtisch auf und sah durch das Fenster ihres Arbeitszimmers hinunter in den verschneiten Burghof. ‘Die Bergs wussten damals wirklich, wie man klotzt, hm?’

Einen Moment später hatte sie sich wieder gefangen. Sie brauchte Verbündete. Die Hohenfelser waren wichtig, aber ohne ihre eigene Familie würde sie untergehen, falls der Herzog einmal die Grafschaft verlieren sollte. Abzusehen war’s nicht, aber man wusste ja nie. Dann wäre sie völlig allein. Dem Stepahan mit seinen Feen war einfach nicht zu trauen, und solchen Wichtigtuern wie dem Ildborn schon dreimal nicht. Sie konnte sich ein missgünstiges Grinsen nicht verkneifen, als sie daran dachte, dass sie unter anderen Umständen noch weit unter Yaron gestanden hätte. Gleich darauf scholt sie sich selbst dafür. Wie dem auch sei: Sie konnte Garmwart nicht als einzigen Bösenbursch hier zurücklassen, auch nach Fairngard nicht, Wolkentrutz hin oder her.

Die nächsten paar Tage waren essentiell. Falls es ihr nicht gelang, ihre Familie auf einen gemeinsamen Kurs einzustimmen, würde sie es noch schwerer haben. Der Auftakt war das Wichtigste. Der musste ihr gelingen. Praihild betete zu Praios, dass er Rahjalin Einsicht schenken würde. So konnte es doch nicht weitergehen.

Leomar B.

Leomar war in letzter Zeit sehr nachdenklich geworden. Er war mit seiner Frau schon ein halbes Jahr bei Ihrer Schwester auf der Burg zu Gast. Zum einen war er froh darüber mit seiner Frau Rahjalin dort wohnen zu dürfen, gerade weil es ihr zusehend schlechter ging und sie immer vergesslicher wurde. Sie war somit an einem Ort mit vertrauten Gesichtern und war hier ebenfalls die Versorgung besser als in Moosgau. Auf der anderen Seite war er hier nur zu Gast und nicht in seinen eigenen vier Wänden. Tja, das Thema die eigenen vier Wände – Wie sollte das alles weitergehen? Auch wenn ihn der Gedanke daran schmerzte, war ihm bewusst, dass seine Frau bald nicht mehr das Lehen führen können würde und auch nicht mehr das Familienoberhaupt bleiben konnte. Zumindest wusste er das die Familie, im besonderen deren Tochter Jolenta, ihr das Leben noch schwerer machen würde, als es überhaupt schon war und erst recht wenn Jolenta um den Gesundheitszustand von Rahjalin wusste. Für Leomar war aktuell nur eines wichtig: Das es seiner Frau bestmöglich gut ging, er für sie da sein konnte und die beiden in Ruhe ihre restliche Zeit zusammen leben konnten. Er lag in Gedanken versunken auf dem Bett, während seine über alles geliebte Gattin neben ihm schlief. Es vergingen ein, zwei Stunden in denen er sich den Kopf zerbrach, bis ihm einige Ideen kamen, die er am nächsten morgen mal direkt angehen wollte.

Anreise

Roana und Aurea

Auf ihrem Weg zur Reichsstraße hatte Roana bereits einen ersten Zwischenhalt auf der Vainburg eingelegt. Sie hatte die Gelegenheit genutzt, um ihren Aufenthalt auf dem Rückweg zu vereinbaren, aber auch, um sich ein wenig Beistand an ihre Seite zu holen. Bereits seit einer Weile weilte ihre Tochter auf der Burg, die glücklicherweise einwillige sie nach Gemharsbusch zu begleiten.

Die Heckenlande waren Roana dabei irgendwie fremd. Das Land war so weit und offen, während sie sich zumeist in dicht bewaldeten Ländereien bewegte. Landstriche, deren Weite sich nur an den Hängen der ersten Ausläufer des Koschgebirges erblicken ließ.

“Wie zu meiner Zeit als Knappin, noch immer richtig anheimelnd hier!”, merkte Aurea etwas spöttisch an. Woraufhin sich Roana ihr mit einem Schmunzeln zuwandte.

Praiophan, Fridegard und Gosbert

„Mein Lieber, wir sind Meilen hinter der Grenze zum Herzogtum, willst du nicht mal aufhören zu arbeiten?“ Fridegard sah von ihrer Lektüre auf, einem kleinen Schmöker, in dem es um schwülstige Liebensgeschichten ging. Über ihnen wackelte eine Laterne, die dem Inneren der Kutsche etwas Licht spendete. Es reichte gerade so aus, da die Vorhänge an den Fenstern der Kutsche offenstanden und von draußen auch Licht in die Kutsche fiel. Der weiße Schnee, durch den die Reise ging, reflektierte zum Glück das kraftlose Licht der Praiosschiebe auf angenehme Weise. Trotzdem war die Reise alles andere als angenehm, denn es war kalt und das Sitzen ohne Bewegung ließ die Kälte trotz der dicken Fellmäntel unter alle Kleiderschichten kriechen. Die Buchhalterin aus Elenvina seufzte abermals, als ihr Gemahl nur brummte wie ein Bär, und weiterhin mit dem Kohlestift in sein Buch kritzelte, während sich neben dem Beamten ein Stapel Kladden stapelten, die er sich auf die Reise nach Gemharsbusch mitgenommen hatte. Zum Zeitvertreib.

Neben der Zweibruckenburg saß ihr Sohn Gosbert, welcher den selben Hausnamen trug, und der gelangweilt aus der Kutsche blickte, während er eine Silbermünze über die Knöchel seiner Hand rollen ließ. Von einer Seite zur anderen und wieder zurück.

Praiophan sah auf und nahm das Monokel ab. „Ich bitte dich doch auch nicht, aufzuhören, diesen Schund zu lesen.“ entgegnete er seiner jüngeren Gemahlin unwirsch, bevor sein Augenmerk auf seinen alternden Sprössling fiel und sich sein Blick verfinsterte. „Würde der junge Herr endlich mit diesem …diesem… Unfug aufhören? Man kann ja keinen klaren Gedanken fassen, wenn man stets diesen zappelnde Blitzen im Augenwinkel sieht.“

Gosbert entließ auf diese Zurechtweisung hin hörbar Luft aus seinem Mund und hielt die Münze fest, woraufhin sein Vater ein zufriedenes Grunzen von sich gab.

„Willst du denn auch während der Beratungen arbeiten?“ fragte Fridegard weiter, wissend, dass sie eine provokante Frage stellte.

„Nun, wenn ich zum Schluss komme, dass meine Zeit es nicht wert ist, mir Schwachsinn in die Ohren blasen zu lassen, werde ich es tun, ja.“

„Ach, Praiophan, das ist nicht dein Ernst.“

„Natürlich. Muss alles gemacht werden.“ Der Bösenbursch klopfte auf den Stapel Kladden. „Und wer macht das, wenn ich weg bin? Niemand.“

„Aber du hast doch ein ganzes Heer an Beamten, über das du gebietest, hätte da nicht jemand…?“

„Fridegard, ich muss dir doch nicht erklären, dass man gewisse Dinge am besten selbst erledigt.“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie seufzte abermals.

„Siehst du.“

„Gosbert kann dir helfen, wenn es dir so wichtig ist.“ schlug die Zweibruckenburg vor. „Er ist schließlich nicht unbewandert.“

Praiophan stutzte. Offenbar nahm er ihren Vorschlag nicht für voll, denn er steckte sich das Monokel wieder auf und vergrub sich in seine Arbeit zurück.

Fridegard stupfte ihren Sohn an, der daraufhin ein zaghaftes „Soll ich, Vater?“ von sich gab, dabei aber bloß seine Mutter irritiert ansah.

„Ihr sollt mich beide meine Arbeit machen lassen. Und ich lasse euch eure. Was…auch immer ihr tut…“

„Ah, gut,“ machte Gosbert und ließ die Münze weiter über seine Knöchel tanzen.

Was seinen Vater dazu veranlasste, das Monokel wieder abzunehmen und ihn anzustieren: „Dies ist keine Arbeit.“

„Für meine Finger schon.“ antwortete Gosbert trocken und ließ die Münze auch auf die linke Hand überwechseln, um zu zeigen, dass er diesen Trick dort auch vollführen konnte. Dabei grinste er leicht und wartete, ob sein alter Herr noch etwas zum Besten geben wollte.

„Fridegard!“ brummte Praiophan jedoch nur und wechselte den Blick zu seiner Gemahlin. „Entweder du sagst ihm, dass ich Frechheit nicht dulde und er hält sich an diese Regel, oder er geht zu Fuß - dein Sohn.“

„Ach, ihr beiden“. Fridegard legte zum Wohle des Familienfriedens einen Hand auf die ihres Sohnes, welche die Münze schaukelte und selbige still hielt. „Ihm ist eben langweilig. Sieh es ihm nach, ich bitte dich. Er wird sich natürlich benehmen bei den Beratungen. Das wird er doch, nicht wahr, Gosbert?“ sie sah den 27-jährigen eindringlich und bittend an.

„Das ist löblich, doch ich habe noch nicht abschließend beschlossen, ob er an den Beratungen teilnimmt.“

Gosbert blickte verwirrt. „Ich musste also wegen nichts und wieder nichts mitkommen?“

Wieder war es Fridegard, die vermittelnd einschritt: „Gosbert. Schatz. Natürlich bist du mitgekommen, weil es wichtig ist, dass du dabei bist. Du bist immerhin ein halber Bösenbursch und diese Dinge gehen auch dich etwas an,“ versuchte sie vorsichtig eine Erklärung, blickte dabei immer wieder zu ihrem Mann hinüber. „Und ich denke - dass dein Vater dich zu besonders interessanten Themen sicherlich mit dazu holt. Das tut er doch, nicht wahr, Praiophan?“

„Sicherlich wird deine Mutter dich vorstellen, wenn es um die Heiratspolitik geht.“ murmelte Praiophan, wieder versunken in seiner Arbeit.

„Ich verstehe nicht. Mutter?“ Gosbert blickte seine Mutter mit wachsender Verwirrung an.

Sein Vater antwortete: „Nun, was gibt es da nicht zu verstehen, Junge. Du bist wie alt?“

„27?“ kam es nur zögerlich von Gosbert.

„Nun, in deinem Alter war ich schon beinahe eine Dekade lang verheiratet. Es wird Zeit,“ erklärte der Beamte fast beiläufig, während sein Sohn und seine Gemahlin einige Blicke wechselten, die auch ihm auffielen. „Was ist?“

„Also Gossiberti, was dein Vater sagen will ist…“ fing Fridegard an, doch Praiophan krätschte gleich dazwischen:

„Tu doch nicht so, als sei der Junge ein Dümmling. Er hat schon verstanden. Das hat er doch, nicht wahr?“

„Ihr wollt mich verheiraten?“

„Ja, ja, in der Tat. Das war eine Idee deiner Mutter. Und sie hat Recht. Es wird Zeit, wie gesagt.“

Daraufhin blickte Gosbert seine Mutter entsetzt an. Die Münze von seinen Fingern war zu Boden gefallen.

„Naja, so meint dein Vater das nicht, Gossiberti, Liebling.“ Fridegard sah etwas zerknirscht drein und kaute letztlich hilflos auf ihrer Lippe herum, denn der erbarmende Blick zu ihrem Gemahl brach dessen harte Schale nicht auf.

„Oh, und wie er das meint. So und jetzt Ruhe, ich möchte mich konzentrieren.“

„Verzeiht, Vater, dass ich diese Ruhe stören muss, doch ich möchte das jetzt wissen. Und ich fordere Ehrlichkeit. Bin ich Verhandlungsmasse? Wenn ja, möchte ich mich dagegen aussprechen und stelle einen mündlichen Antrag, hier und jetzt aussteigen zu dürfen, um den Heimweg antreten zu können.“

Mit einem tiefen Grollen, das durchaus gefährlich klang, schlug Praiophan die Kladde auf seinem Schoß zu, nahm das Monokel ab und deutete damit im Wechsel auf seine Gemahlin und seinen Sohn. „Antrag abgelehnt. Mein junger Herr, ich sage dir jetzt etwas, das du dir am besten hinter deine Rotzlöffel-Ohren schreibst. Deine Mutter wollte dich zur Welt bringen. Hat sie bekommen. Dann wollte sie, dass du ihrem Hause angehörst. Hat sie bekommen…“

„…Praiophan, hat das wirklich Not?“ fuhr Fridegart mit Sorge in der Stimme zwischen die Worte ihres Gemahls.

„Ruhe! Ja hat es! - Deine Mutter wollte, dass du eurem Hause und dem meinen Ehre machst, indem du etwas gescheites lernst. Hat sie bekommen. Zuletzt wollte sie, dass ich dich mit zum Familienrat nehme. Und als ich ihr sagte, dass ich es nicht tue, weil du kein Bösenbursch bist, da schlug deine Mutter vor, ich solle dich wenigstens als Kandidat für einen Traviabund vorstellen. Nun, da du in dieser Kutsche sitzt, mein Junge, wird dem so sein und wie du siehst, hat deine Mutter wieder bekommen, was sie wollte. Entweder, du akzeptierst daher, dass dies dein Platz ist, den dir der Herr Praios durch das Wort deiner Frau Mutter zugeteilt hat, oder du bestehst darauf, jetzt aus dieser Kutsche zu steigen, aber dann wisse, dass es für uns so sein wird, als hätten wir nie einen Sohn gehabt. Und bevor du fragst: ja, dies ist mein voller Ernst, so wahr mich der Götterfürst an diesen Platz gesetzt hat.“ Zur Untermauerung stach der Beamte mit seinem Zeigefinger ein paar mal auf den Umschlag der Kladde.

Fridegard öffnete zwar für eine Erwiderung den Mund, aber sie schloss ihn wieder.

„Und jetzt will ich nichts mehr von all dem hören. Kein Widerwort, keine Beschwerde, keine frechen Bemerkungen. Dafür tadelloses Benehmen und Besinnung auf die Ehre, die du deinen Eltern bringst, sollte sich eine geeignete Kandidatin für den Bundschluss finden. Bei den Zwölfen, 27 bist du schon, diesen Umstand werden wir schönigen müssen! So, nun möchte ich arbeiten, bis wir ankommen, ohne noch einmal gestört zu werden.“ Mit diesen Worten schlug Praiophan die Kladde wieder auf, setzte das Monokel ans Auge und rechnete still, während sich auf der Bank ihm gegenüber Fridegard und Gosbert nur stumm anblickten und die Zweibruckenburg ihrem Sohn ein stummes Zeichen gab, nun ja nichts mehr zu sagen.

„Verstehe. Verzeiht, Vater, wenn ich euer Gemüt erregt habe“ murmelte Gosbert devot und sah wieder aus dem Fenster.

„Überaus vernünftig.“ lobte sein Vater, ohne aufzusehen.

Fridegard seufzte abermals. Na, das konnte ja noch was geben….

[...später, beim Empfang...]

“Was unser Begehr ist? Dem Manne gehört der Sold gekürzt! Unser Begehr, unser Begehr. Da soll er mal seine Herrin fragen, diese taube Nuss….”

Während Praiophan brummte und ‘bruddelte’, wie man in den Nordmarken sagte, versuchte seine Gemahlin ihn wieder auf den Boden zu holen, während sie über die Steinbrücke stapften. “Nun reg dich doch nicht auf, er tut doch nur seine Pflicht.”

“Ich rege mich nicht auf, Fridegard, ich bin entrüstet. Dieser Mangel an Intelligenz ist beklagenswert. Bei Praios! Ah! Diese da sieht geistig erbauter aus.”

Wappen des Hauses Bösenbursch Gerfrid mit Roana und Leomar

Missmutig betrachtete Leomar die Prozession des Hohenfelser Gefolges, das sich seinen Weg durch die schneebedeckte albernische Heide bahnte. Der junge Mann hatte sich mit seinem Rappfalben ans Ende des Zuges zurückfallen lassen, um ungestört seinen Gedanken nachhängen zu können, und wären selbige nicht so düster gewesen, hätte er sicherlich ein Auge für die Schönheit der Landschaft gehabt. So aber fühlte er sich weniger inspiriert als einfach nur fürchterlich kalt und schon vorsorglich von diesem Familientreffen genervt, das ihm bevorstand. Doch sein Vater hatte dem Erzabt, gleich nachdem er die Einladung von Hochgeboren Praihild erhalten hatte, einen Brief geschrieben und so hatte Leomar keine andere Wahl gehabt, als seine Studien und vor allem die Anwartschaft bei den Draconitern ruhen zu lassen und mit dem nächstbesten Schiff die Heimreise anzutreten.

Die vergangenen Tage auf Burg Hohenfels hatte der junge Hesindegeweihte bereits als eher unerquicklich empfunden und die Reise durch die frostige Firunslandschaft machte es nun wirklich alles nicht besser. Sein Blick ging zu seiner Schwester, die mit geradem Rücken neben ihrem Vater ritt und immer ein wachsames Auge auf die Umgebung hatte. Sie waren einander sehr ähnlich, fand Leomar. Beide waren sie Ritter, beide hielten sie Praios wie Rondra gleichermaßen in Ehren, beide waren sie eine wichtige Stütze von Haus Hohenfels. Einen entscheidenden Unterschied allerdings gab es: Während Gerfrid seine Heckenzeit über ein ganzes Jahrzehnt ausgedehnt hatte, hatte Roana gleich nach ihrem Ritterschlag das Amt der Burgvögtin von Hohenfels übertragen bekommen, und Leomar konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass weniger die Befähigung seiner Schwester als vielmehr politisches Kalkül ihr in solch jungen Jahren zu dieser Position verholfen hatten.

Sein Vater drehte sich im Sattel um, als hätte er Leomars Blick auf sich gespürt. Er winkte. Er winkte? Leomar runzelte die Stirn. Gerfrid winkte ihn heran. Mit einem tiefen Seufzer schloss Leomar zu seinem Vater und seiner Schwester auf und sah die beiden fragend an.

“Mein Sohn”, stellte Gerfrid väterlich jovial und vollkommen überflüssig fest. Er legte Leomar eine seiner schwieligen Pranken auf die Schulter. “Wir sprachen bereits darüber, dass ich Euch einfach in den Familienrat setzen und die Familie darum bitten werde, dass Ihr Euch von da an Bösenbursch nennen dürft, aber ich möchte euch beide noch um etwas bitten: Weiterhin kein Sterbenswörtchen über eure Mutter oder die Zeit auf Gut Dreibirken.”

Leomar schnaubte verächtlich: “Das wird uns leicht fallen, Vater, kennen doch selbst wir weder ihren Namen, noch wissen wir, wo das Gut überhaupt genau lag.” Eine Wissenslücke, die er allerdings zu schließen gedachte.