Familienrat auf Dun Glaoran (1045) Teil 04: Eröffnung

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Nach einem kräftigen Frühstück beginnt am 06. Firun 1045 im Rittersaal des Palas auf Dun Glaoran der Bösenburscher Familienrat. Eröffnet wird dieser erneut durch den Hofkaplan, der einen Segen des Herrn Praios über die Versammlung spricht. Haushofmeisterin Morena Aldewen schreibt Protokoll, auf dem Tisch steht Wasser bereit und der Raum wird gerade so weit beheizt, dass es nicht mehr unangenehm kalt ist.

Es wird offensichtlich, dass einige Familienmitglieder der Einladung Praihilds und Rahjalins nicht gefolgt sind. Unter den Abwesenden sind beispielsweise Phelinde und Korbrandt von Bösenbursch, die sich mit Hinweis auf ihre Verpflichtungen bzw. ihren weiten Anreiseweg entschuldigt hatten. Für hochgezogene Augenbrauen könnte übrigens sorgen, dass Leomar Erlinau als uneheliches Kind Gerfrids von der Baronin kommentarlos in den Raum gelassen wird.

Den Anwesenden wird eine kurze Tagesordnung ohne Einzelheiten ausgehändigt:

  • Familienoberhaupt
  • Familienrat
  • Politik
  • Wappenrecht
  • Traviabünde
  • Wirtschaft
  • Gemharsbuscher Rat
  • Weiteres

Schließlich stand Baronin Praihild auf und eröffnete die Sitzung. “Liebe Anverwandte. Praios und Travia zum Gruße. Ich danke euch dafür, dass ihr der Einladung gefolgt seid, auch, wenn einige Sitze heute leerbleiben.” Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: “Lasst mich zuerst das Offensichtliche ansprechen: Niemandem hier am Tisch ist neu, dass es in dieser Familie Probleme gibt. Ich gebe mich auch nicht der Illusion hin, diese heute lösen zu können. Dennoch wünsche ich, zumindest unsere politische, rechtliche und geldliche Situation zu ordnen. Diese sind zuletzt durcheinander geraten. Ich denke, dies ist in unser aller Sinne. Wir werden uns beraten und am Ende werden Wohlgeboren Rahjalin und ich einen gemeinsamen Beschluss verkünden, unter den ihr euer Zeichen setzen mögt.” Die Baronin erweckte den Anschein, dass sie dieses Vorgehen damit für gesetzt hielt. “Bevor wir zum ersten Punkt kommen, gebe ich euch allen die Gelegenheit, euch frei zu äußern, so ihr eingangs noch etwas vorbringen wollt. Natürlich in gefälliger Reihenfolge.” Sie nickte Anselm von Hohenfels zu. “Der Herr hat es gefügt, dass ihr mir im Rang am nächsten seid. Sprecht, falls ihr dies wünscht.”

Praihilds Worte und die Aufforderung an den nur angeheirateten Junker von Güldenhain waren kaum verklungen, da hatte sich Praiophan auch schon mit einem herzhaften Räuspern erhoben. In seiner Beamten-Kluft, einer langen Robe aus dunklen Stoffen mit unheimlich vielen blankgeputzten Knöpfen über Brust und Schreibstubenbauch und einem Barsch-Anstecker, der seine hohe Stellung heraushob, sein Monokular an einer kleinen Kette in der Brusttasche verstaut, fixierte er die vormalige Sprecherin, wie auch alle anderen, mit strengem Blick.

Die Baronin musste ihren Kopf zwar nicht weit drehen, aber selbst das tat sie bedrohlich langsam. Sie blickte ihren Bruder indigniert an. “Praiophan…?” Aus ihrer Stimme war bereits abzulesen, dass sie über die sofortige Störung nicht erbaut war.

Leomar lehnte sich ein wenig nach hinten, um an seinem Vater vorbei sehen zu können, wer gleich zu Beginn für Missstimmung sorgte. Der junge Geweihte konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen - da meinte wohl jemand, die Familienzugehörigkeit über die in Praios Sinne durch den Adelsrang vorgegebene Ordnung stellen zu können. Gerfrid derweil schien größeres Interesse am Mienenspiel der Baronin und des hochgeborenen Herrn Vogts am anderen Ende der Tafel zu haben.

Anselm von Hohenfels war in einer edlen dunkelgrünen Schecke, die mit feinem sonnegelben Stoff gefüttert war. gekleidet. Auf der Herzseite war eine sehr detaillierte Stickerei eines Greifen aufgebracht. Sein Haupt wurde von einem dunkelgrünen Chaperon geziert. Um den Hals hing eine Amtskette mit einem goldenen Turm als Anhänger. Seine Miene verfinsterte sich und er machte kurz eine Bewegung nach vorne, als seine Frau seine Hand griff und sie wie selbstverständlich sanft strich. Der Vogt blieb sitzen, seine Miene entspannte sich und er blickte seine Frau mit einem freudigen Lächeln an.

Während der Stehende von seiner neben ihm sitzenden Gemahlin irgendetwas zugezischelt bekam und diese dabei alles andere als erfreut dreinsah, schaute der Elenviner Ministeriale selbstbewusst. „Liebste Schwester, ich danke für deine einführenden Worte zu Beginn. Und Neffe Anselm, verzeiht den Einwand, ich werde mich auch kurz halten, so dass ihr alsbald sprechen dürft, wie es euch gebührt“, sprach der einzige Bruder Praihilds, Rahjalins und Roanas mit klarer Stimme unbeeindruckt der Blicke, die ihn gerade trafen, zuletzt ein kurzes Nicken an den Hohenfelser Vogt gerichtet. „Doch mir scheint, es sind nicht nur die politischen, rechtlichen und geldlichen Situationen durcheinander geraten, sondern auch andere Tugenden von Recht und Ordnung! Ich für meinen Teil bin der Einladung hierher gefolgt, weil es hieß, dass sich das Haus trifft. Das Haus Bösenbursch! Ich bin jedoch überrascht, dass dazu wohl allem Anschein nach auch Personen zählen, die nicht einmal diesen Namen tragen, geschweige denn mir bislang als rechtens zugehörig vorgestellt wurden. Dabei bin ich ein Mitglied dieses ehrenwerten alten praiosgefälligen Hauses. Wenn ich also darum bitten dürfte, dass den Rechten des Götterfürsten UND der Herrin Travia genüge getan, in dem eben jenem Versäumnis nachgekommen wird, so werde ich dies zumindest wohlwollend zur Kenntnis nehmen.“ Er wartete einen Augenblick. Dann sagte er „Das war vorerst alles.“ und setzte sich. Dass er den angeheirateten Anselm von Hohenfels als ‚Neffe‘ betitelte, konnte wohl nur heißen, dass er diesen als Familienmitglied akzeptierte, nur nicht damit zufrieden war, dass man ihm die Vorstellung des jüngeren Kegels seines Vetters vorenthalten hatte.

Ein Unding, wie Praiophan selbst fand. So etwas hätte es in den Nordmarken nicht gegeben.

Neben Praiophan nickte dessen Schwester Rahjalin, als er sprach, beiläufig aber stark mit dem Kopf.

“Zu gütig,” stellte Praihild unverhohlen sarkastisch fest. “Euer Einwand kommt nicht überraschend, aber es gibt einen Grund für Leomars Anwesenheit. Er ist als Diener Hesindes hier und hat etwas Sachdienliches vorzubringen, weshalb ich ihm ausnahmsweise gestattet habe, beim ersten Verhandlungspunkt anwesend zu sein. Danach wird er den Rat wieder verlassen.” Sie schien die Sache damit für erledigt zu halten. “Herr Anselm”, sagte sie nachdrücklich.

Rahjalins Mund hatte sich währenddessen einen guten Halbfingerbreit geöffnet und und sie starrte ihre Halbschwester über die beachtliche Länge der Tafel hinweg ungläubig an. Dann sah sie frustriert zu Praiophan.

Der hatte bei dem Wort ‚Sachdienliches‘ die Brauen weit in seine hohe Stirn gezogen und suchte, nachdem er Praihild verstehend zugenickt hatte, nun angestrengt auf dem Papier mit den Tagesordnungspunkten nach einem Anhaltspunkt. So entging ihm das Ärgernis im Blick seiner ältesten Schwester völlig. Er war sich wohl zu eitel, sein Monokel auf die schlechten Augen zu setzen, denn er hielt das Papier mit einem Arm weit weg von sich. Als dann der Herr von Hohenfels anfing zu sprechen, sah er auf und ließ das Papier sinken.

Fridegard hatte die Empörung in der Mimik Rahjalins wahrgenommen, hütete sich allerdings, gerade jetzt etwas zu ihrem Mann zu sagen. Sie wusste ja, wie er war.

Anselm erhob sich und blickte Praihild mit einem offenen Lächeln an. "Frau Praihild, habt dank für die Ehre an diesen Beratungen teilzunehmen. Doch bitte seht mich nur als bescheidenen Beisitzer und Freund des Hauses Bösenburschs. Praios möge es so fügen, dass wir alle großen und kleinen", dabei blickte er abschätzend zu Praiophan, "Probleme gelöst bekommen. So das Haus Hohenfels dazu beitragen kann, wäre dies mir und meiner Gemahlin eine Ehre." Anselm nickte Praihild zu, blickte noch einmal in die Runde und setzte sich.

Diese wiederum nickte freundlich und sah zu Roana.

Die Verärgerung ihrer älteren Schwester war kaum zu übersehen gewesen, doch ließ sich Roana davon nicht berühren. Natürlich hätte sie sich deshalb einen Kopf machen können, aber was würde das schon ändern?

“Ich weiß, dass ich mich lange aus den Belangen der Familie herausgehalten habe. Umso mehr oder gerade deshalb, freue ich mich nun hier sein zu können und womöglich in der einen oder anderen Angelegenheit eine unbefangene Sichtweise beizusteuern.”

Rahjalin von Bösenbursch hatte sich bislang nicht geäußert. Nun, da sie an der Reihe war, stand sie kurz auf. Die über 60-jährige Edle trug wie üblich Mode von Anfang des letzten Jahrzehnts auf. Leicht vornübergebeugt stützte sie sich mit geballten Fäusten auf die Tafel und blickte einen Moment den Tisch entlang. Entgegen gängiger Gerüchte schien das Familienoberhaupt zwar alt, aber gesund und gefasst. “Es ist schön, dass wir nach all der Zeit wieder zusammenkommen. Trotz der Umstände. Mit wenigen Ausnahmen”, und dabei streifte ihr Blick ihre Erstgeborene, “habe ich euch in Moosgau sehr vermisst.” Praiophan grunzte verächtlich, denn er wusste schon gar nicht mehr, wie oft er bereits angeboten hatte zu helfen. “Ich hoffe, dass wir heute alle die Karten auf den Tisch legen, um zu sehen, wo wir stehen. Und dass wir”, nun war offenbar wieder Leomar Erlinau gemeint, “mit Praios’ Hilfe im ordentlichen Kreis der Verwandtschaft zu Beschlüssen kommen werden, die unser Haus in die Zukunft führen können.”

Eigentlich war sie selten um eine Wortmeldung verlegen, doch hier handelte es sich um einen Familienrat. Sie kannte die Gepflogenheiten und Sitten derer von Bösenbursch nur bedingt und vor allem aus ihrer Knappenzeit als sie bei einer Edlen der Baronin das Handwerk der Ritterin erlernte. So entschied sich Aurea von Richtwald zu einer kurzen und knappen Aussage:

“Ich bin sicher nicht so erfahren wie einige der Anwesenden, doch möchte ich gern dazu beitragen, dass die Familie einen gemeinsamen Pfad in die Zukunft beschreitet.”

Der insbesondere neben seinem Sohn recht untersetzt wirkende, dunkelhaarige, jedoch langsam ergrauende Ritter erhob sich mit einem leisen Seufzen. Bisher war nicht viel Zielführendes gesagt worden. Und während Leomar immer noch unverhohlen schmunzelte und interessiert die Anwesenden musterte, hatte Gerfrid wenig Lust auf unterschwellige Animositäten und endloses Gerede um den heißen Brei.

“Habt Dank für die Einladung”, nickte er knapp in Richtung der Gastgeberin und kam direkt zum Punkt, denn natürlich wusste er über Leomars Gespräch mit dem Praiosgeweihten bereits bescheid: “Um es sogleich vorweg zu nehmen: Ich habe gute Gründe, Euch allen den Namen der Mutter meiner Kinder vorzuenthalten. Ich habe geschworen, ihn nicht preiszugeben, ich bin aber gewillt, mit dem Segen Seiner Gnaden Rude vor Praios zu schwören, dass sie von untadeliger adliger Herkunft ist und dass unsere Verbindung gesegnet wurde.” Er sah von Praihild zu Rahjalin und wieder zurück, dann setzte er sich wieder.

Die Baronin öffnete die Augen etwas weiter, sah einen Moment lang nachdenklich an die Wand hinter Rahjalin, nickte dann - wohl eher zu sich selbst - und sah zu Travialin. Auch Rahjalin äußerte sich nicht direkt dazu, aber sie blickte trotzdem noch eine zeitlang düster zu Gerfrid hinüber.

Genauso mochte man in Praiophans Gesicht gut und gerne Unwillen herauslesen. Sein kommentierendes „Aha, soso,“ kam ihm brummelig über die Lippen und sicherlich hätte er sich verleitet gesehen, noch mehr zu sagen, hätte ihn seine entschuldigend lächelnde Gemahlin nicht besänftigend die Hand auf den Oberschenkel gelegt.

Der Burggraf aus Hohenfels nickte zufrieden zu seinem Ritter.

“Praios und Travia seien gedankt für diesen so schmerzlich vermissten Moment das Haus, unser Haus, Bösenbursch vereint wiederzusehen. Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelänge, die Zwistigkeiten im Sinne einer praiosgewollten Ordnung, zum Wohle einer harmonischen und traviagefälligen Familie zu lösen.”, sprach Travialin mit ruhiger Stimme.

Leomar war an der Reihe. Er stand auf, schaute kurz zu seiner Frau Rahjalin und blickte in die Runde. “Auch ich hoffe natürlich sehr, dass wir diesen Rat gesittet hinter uns bringen können und wir für die Zukunft unserer Familie gemeinsam Lösungen finden.” Er sah jeden einzelnen einmal kurz an, doch sein Blick blieb mit ernster Miene bei der Sitzgruppe um Gerfrid und Jolenta stehen, bevor er sich wieder hinsetzte und mit einem lächeln zu seiner Frau sah.

Nun war es Jolenta, die sich erhob. Sie trug eine weinrote Houppelande, die direkt unter ihrem Busen von einem handbreiten goldenen Gürtel gehalten wurde. Das mit weißem Kaninchenfell besetzte Dekolleté reichte, vorne wie hinten, bis zu eben diesem Gürtel hinab. Eine goldene Kette, an der ein großer tropfenförmiger Amethyst hing, lenkte den Blick zusätzlich auf ihre, immer noch üppigen, Vorzüge. Die Ärmel der Houppelande waren eng anliegend und ebenfalls mit Fell besetzt. Ebenso wie der Saum auf Bodenhöhe. Das Haar war “sittsam” unter einer Hörnerhaube verborgen, die wie das Kleid in weiß und rot gehalten war.

“Nun, an mir soll es nicht liegen”, sagte sie mit kühlem Blick, “ich bin es nicht, die andere in aller Öffentlichkeit demütigt.” Theatralisch fasste sie sich dabei ans Herz und ließ die bebenden Lippen traurig herunterhängen. Dann setzte sie sich mit bewusst gesenktem Blick. “Wenn es doch nur so wäre…”, warf Rahjalin sarkastisch ein. “...aber das mit der Demütigung schaffst du ja offenbar auch gut alleine.”

Nerek ergriff ihre Hand und flüsterte für alle wahrnehmbar: “Schon gut, Liebes, schon gut. Niemand hier will Dir etwas Böses.” Er trug enge weiße Beinlinge, eine weinrote geschlitzte Hose, die nur den halben Oberschenkel bedeckte, mit provokant hervorstehender Schamkapsel, ein weißes Wams und eine weinrote geschlitzte Schaube. Das Futter der geschlitzten Stücke war in goldfarbenen Ton gehalten. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit Feder und zinnenförmig ausgeschnittenem Rand. Das Haar war kurz geschnitten und ein gut gepflegter Bart zierte das Gesicht. Seine Füße steckten in weinroten Bärenklauen. Wer genau hinsah, konnte feststellen, dass beide neuwertige Kleidung trugen.

Praihild starrte das Paar schlicht eisig über die Länge der Tafel hinweg an, blieb aber still.

Ihre rechte Hand schnellte zur Stirn und berührte diese mit dem Handrücken, während die linke sich an ihre Brust krallte. "Weh mir, dieser Schmerz. Wie kalt ist nur Dein Mutterherz." Mit einem Seufzen sackte sie zusammen.

Nerek stand auf und fragte, während er seiner Frau Luft zufächelte, in die Runde: "Ist das der Friede, von dem hier eingangs die Rede war? Der Friede unter dessen Schutz wir uns hier versammelt haben, um uns zu beraten."

Nun seufzte die Baronin entnervt auf. “Genug mit dem Kinderkram, allesamt!” Hierbei sah sie von Nerek zu Jolenta und auch zu Rahjalin. Dann wies sie zu einer Seite des Rittersaals, wo zwei Türen zu den Gemächern der höheren Amtleute führten. “Wenn ihr wollt, könnt ihr das unter euch ausmachen. Durch die Tür rechts, bis zum Ende durch, dort ist ein leeres Zimmer. Falls nicht, erwarte ich erwachsenes Betragen. Von allen.” Ein “oder sonst” war hier wohl eher impliziert.

Rahjalin stockte kurz, senkte dann den Blick und grummelte etwas vor sich hin, enthielt sich aber weiterer Kommentare.

Jolenta setzte sich wieder gerade hin und auch Nerek begab sich wieder auf seinen Stuhl. Beide warfen sich einen verstohlenen Blick zu. "Jawohl, Hochgeboren", sagte Nerek und Jolenta nickte. Es war eine Feststellung. Ohne ein Zeichen von Bedauern oder gar Schuldbewusstsein.

Mit äußerer Gelassenheit beobachtete Roana das Schauspiel und ahnte bereits jetzt, dass die kommenden Unterredungen keine einfachen werden würden.

Praiophan hatte bei Rahjalins Bedauern, die Familie im Stammlehen in Eisenstein vermisst zu haben, verächtlich gegrunzt, sich jedoch einer Wortmeldung enthalten. Auch die anderen Unhöflichkeiten hatte er mehr oder weniger stumm hingenommen. Nun, da er an der Reihe war und sprechen durfte, tat er das auch. Allerdings blieb er demonstrativ sitzen und lehnte sich lediglich etwas über den Tisch.

"Werte Familie. Beim Herrn Praios, der die Wahrheit liebt, sage ich euch, wie ich diese Zusammenkunft hier sehe. Wir brauchen hier keine stummen Beisitzer", griff er die Worte Anselms auf, "denn wie es sich allein gerade eben zeigt, braucht es Worte der Aussprache und der Ehrlichkeit und nicht die Zurschaustellung von Eitelkeiten. Ich vermisse Ernsthaftigkeit, Respekt und Information!” Seine Stimme gewann an Kraft. “Sieht so ein ordentliches Haus aus? Nein. Der eine hüllt sich in Schweigen, bei der anderen müssen wir froh sein, wenn sie sich verhüllt.” Er deutete mit der Linken neben sich, wo Gerfrid und Jolenta saßen. “Die eine meiner geschätzten Schwestern kommt ihren Lehenspflichten nicht nach,“ er deutet nach rechts an das eine Tischende, „die andere ergeht ihrem Machthunger,“ er deutete ans andere Tischende, zuletzt über die Tafel hinweg „,die dritte wiederum zeigt weder Interesse an dem einen noch dem anderen. Dabei ist dieses Haus, das Haus Bösenbursch, ein Haus des Herrn Praios! Nicht der Schwert- und auch nicht der Rosenschwester. Und schon gar nicht des Fuchses!! Praios bewahre!” Er warf tadelnde Blicke über den ganzen Tisch, ließ dabei eine kurze Pause und sammelte sich, um moderat weiterzusprechen: “Der Name Bösenbursch steht seit Generationen für den Dienst vor dem einzig wahren Herrn! Aufrichtig, huldvoll, ordentlich, pflichtbewusst, penibel. So war das schon immer! Und ich mahne einen jeden hier, sich den falschen Stolz oder das respektlose Grinsen aus dem Gesicht zu waschen,” Seine Gnaden Leomar durfte das Gefühl haben, dass dem älteren Beamten dies sehr wohl aufgefallen war, “und sich zu besinnen, die Tugenden des Herrn, unsere Tugenden des Hauses Bösenbursch, trotz vielerlei Eitelkeiten nicht aus den Augen zu verlieren! Und im Sinne eines erfolgreichen Ratschlusses rate ich einem jeden hier, sich zu fragen, ob er oder sie sich gemäß dieser Tugenden des Alveransfürsten verhalten kann. So! Dies musste einmal gesagt werden. Ansonsten sehe ich die Ziele dieses Rates als zu hoch gegriffen und meine Anwesenheit hier an diesem Tische als Verschwendung von Silber und Dienstzeit."

Anschließend lehnte Praiophan sich zurück, während er die missbilligenden Blicke, die ihm zuflogen, hinter strengen Augen fast genoss.

In Fridegards Gesicht mit den geröteten Wangen stand deutlich sichtbar für alle, dass sie sich zwar fremdschämte, aber dem nichts zu erwidern gedachte. Stattdessen sah sie entschuldigend zu all denen, gegen die ihr Gemahl gerade ausgeteilt hatte.

Praihild atmete noch einen Moment lang tief durch. So etwas war ja zu erwarten gewesen. Dann platzte ihr der Kragen und sie schlug mit der flachen Rechten auf die Tafel. “Verschwendung von Dienstzeit?! Dafür, dass du dir seit Jahrzehnten in Elenvina den Hintern plattsitzt, schwingst du hier ziemlich große Reden über die Pflichten regierender Adliger, von denen du doch keine Ahnung hast! Und dann kommst du her, auf unsere Einladung, und hast die Nerven, dich darüber zu ereifern, wer der reinen Lehre des Herrn am Engsten folgt?! Wie kommst du dazu, unseren Glauben anzuzweifeln?” Jetzt wurde sie doch ziemlich laut. “Wie kannst du es wagen?! Obwohl du nichts weißt? Was glaubst du denn, warum wir hier sitzen?” Dann verstreute sie einen kleinen Stapel Tagesordnungen, die übrig geblieben waren, einige Spann weit über den Tisch. “Warum wir uns die Beratungspunkte überlegt haben? Worüber wir heute sprechen wollen, wenn nicht über genau diese Dinge?” Wieder sog sie tief Luft ein und starrte Praiophan einige Augenblicke wie ein wütender Schlinger über die Länge des Tisches hinweg an. Dann beruhigte sie sich etwas, begann mit unruhiger Hand die Papierzettel zu ordnen und wieder zu einem sauberen Stapel zurechtzustoßen. “Ich empfehle dringend, die Beratungen abzuwarten, bevor man sich in solchen Mutmaßungen ergeht.” Praihild räusperte sich und sah zu Himiltrud. Betont freundlich fuhr sie fort: “Himiltrud, Liebes, jetzt du.”

Bei der Bemerkung bezüglich seines Hinterteils hatte Praiophan empört den Mund geöffnet und Fridegard, die ihren Mann nur zu gut kannte, begonnen, leise auf diesen einzureden. Hätte sich ein Loch im Boden aufgetan, die Zweibruckenburg wäre wohl ohne zu zögern hineingesprungen. Leider trugen ihre Bemühungen keine Früchte, denn Praiophan beugte sich wieder vor und fasste das Tischende, an dem die Baronin saß, ins Auge. Ungeachtet der Tatsache, dass seine Schwester die junge Himiltrud aufgerufen hatte, und er erneut Redezeit usurpierte, ließ er die Faust auf den Tisch fallen.

„Nun hört’s aber auf. ICH habe Nerven?! Ich müsste eher fragen, ob IHR noch Nerven habt. Diesen Rat einzuberufen. Mitten in der kalten Jahreszeit, wo eine jede Reise das Doppelte an Zeit und Silber kostet. Mitten in der kalten Jahreszeit, wo WIR IN ELENVINA das meiste zu tun haben, vor allem jetzt, da sich Ihre Kaiserliche Majestät zu Visite und Hoftag angekündigt hat. Das mag hier in Dingensbusch ja weit weg erscheinen, aber wir, die wir Jahrzehnte lang schon in Elenvina unsere Hintern platt sitzen, haben Arbeit zu tun. Wichtige Arbeit. Im Sinne des Herzogtums. Und somit auch des gesamten Reiches. Also WENN sich jemand hier aufzuregen hat über diesen Rummel, den ihr hier angesichts wirklich wichtiger Dinge augenscheinlich wegen Kleinigkeiten veranstaltet, die man zum einen vermeiden, zum anderen womöglich auch mit Briefen hätte klären können - oder, in dem man Hilfe einfach mal annimmt, statt sie ständig abzulehnen… dann, ja dann ja wohl WIR IN ELENVINA!“ Nach diesem Schlusswort stand Praiophan auf, sichtlich erregt und verärgert, aber in jedem Falle bereit, auch weiterhin seine offenkundige Meinung zu vertreten. Er winkte seiner Gemahlin zu, sich ebenfalls zu erheben. „Fridegard, Weib, steh auf! Wir gehen!“

„Aber Praiophan….“ Fridegard sah ihre Chancen schwinden, dass sie ihren Gemahl nach diesem Zerf noch dazu bringen können würde, sich die Unterlagen von Moosgau anzusehen. Seufzend fuhr sie sich in einer Geste von Scham über die Nasenspitze. Man sah ihr an, dass sie alles andere als begeistert und auch ebensowenig gewillt war, ihrem Gatten nachzueifern, zaghaft schob sie daher ihren Stuhl nach hinten, Rahjalin erneut entschuldigend anblickend. Ihre Lippen formten dabei ein stummes ‚Es tut mir leid‘.

Himiltrud war den bisherigen Wortbeiträgen aufmerksam und ernst gefolgt. Sie war bemüht, dass ihrem Gesicht nur wenig Reaktion anzumerken war. Doch das Verhalten Praiophans, den sie aus Elenvina kannte, erstaunte auch sie und sie konnte das nur schwer verbergen. Sie wagte jedoch nicht, mitten hinein in diese brenzlige Situation das Wort zu erheben und wartete ein schlichtendes Wort der Baronin ab.

Diese hatte ihren Bruder während seines Monologs zunächst nur aufgebracht angestarrt. Dann wies sie unwirsch in Richtung der Treppe ins Erdgeschoss. “Da ist die Tür.” Sie wandte sich zu ihrer Haushofmeisterin. “Frau Aldewen, stellt sicher, dass meinem Bruder seine Reisekosten auf Heller und Kreuzer ersetzt werden. Auf Nachweis, versteht sich." Morena hatte in den letzten Minuten etwas Mühe gehabt, mitzuschreiben. Sie schaute leicht schwitzend zu Praihild hinüber, nickte leicht und fuhr sofort mit dem Protokoll fort. Sie hatte ihre Herrin seit der Begegnung mit Yaron Ildborn auf der Bredenhager Rittertafel nicht mehr so aufgebracht erlebt. Aber gut, das war auch erst knapp einen Monat her… Dann sah Praihild zurück zu Praiophan und Fridegard. "Keine Sorge, Frau Fridegard, das ist nicht euer Verschulden."

„Ich, ähm…“ Mehr konnte Fridegard nicht erwidern…

…denn ihr Mann schnitt rüde dazwischen: „So wird hierzulande also Familienbande gelebt.“ Eine Feststellung, keine Frage. „Beschämend und bedauernd. Doch bezeichnend für die Probleme, die es auf diese Tagesordnung geschafft haben. Nun gut. Es sei.“ Praiophan nickte dem Praiosgeweihten demütig zu, den er noch respektvoll mit seinem Titel grüßte. Die restlichen Anverwandten würdigte der alternde Beamte keines Blickes, sondern drehte sich schnaubend um und ging zügigen Schrittes in Richtung der ihm gewiesenen Tür.

„Rahjalin, Leomar, also wegen der Unterlagen….“ wagte Fridegard einen zweiten vorsichtigen Versuch.

„Fridegard, kommst du!“ bellte Praiophan jedoch ungnädig, als er merkte, wie seine Gemahlin den Abschied verzögerte. Er selbst stapfte unaufhaltsam zur Tür, ohne sich noch einmal umzusehen.

So packte Fridegard eilig zusammen, was vor ihr und ihrem Mann auf dem Tisch gelegen hatte, Schreibpapier, Tintenfass und Feder, auch die lederne Mappe, die sie just aus den Händen ihrer Moosgauer Schwägerin bekam. Sie fasste alles gehetzt zusammen und drückte den Stapel mit beileidsvollem Blick an ihren wogenden Busen, während sie die Blicke der am Tisch sitzenden über sich ergehen ließ, immer noch mit Hoffnung auf das ersehnte Loch, in das sich sich vor Scham verkriechen konnte. Es war ja alles so furchtbar bedauerlich. Und erst recht verzwickt mit diesem Manne. Herrje.

„Danke… für alles. … Es tut mir so leid.“ murmelte sie noch, an die Hausherrin gerichtet, dann eilte sie ihrem Gemahl nach.

Rahjalin sah hinüber zu Leomar. “Geh’ besser hinterher. Wir brauchen Gudos Mappe eventuell noch beim Rat. Wenn die beiden jetzt direkt abreisen, sehen wir sie vielleicht erstmal nicht wieder.”

Leomar überlegte nicht lange und stand direkt auf und sagte leise zu seiner Liebsten. “Ja du hast recht, die Mappe werden wir auf jeden Fall noch brauchen. Ich bin gleich wieder da.” Zu dem Rest am Tisch sagte er nur kurz: “Wenn ihr mich ebenfalls kurz entschuldigen würdet. Ich bin pünktlich wieder da.” Und mit den Worten ging er zeitnah hinter Praiophan und Fridegard hinterher.

Die Baronin rieb sich kurz die Schläfen, dann sah sie zu Himiltrud und Leomar Erlinau. “Ihr habt das Wort. Ich denke, danach sollten wir eine kurze Pause einlegen und dann direkt mit den ersten Themen fortfahren.”

Gudos Witwe stand vorsichtig auf, den Blick gesenkt. Sie verneigte sich vor der Baronin und vor den Anwesenden. Himiltrud trug ein schlichtes blaues Kleid aus feinem Linnen mit einem breiten, ledernen Gürtel um die Hüfte. Über ihre Schultern hatte sie aufgrund der Kälte der Jahreszeit einen Pelz gelegt. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten und durch eine Haube gehalten. “Hochgeboren”, setzte sie an. Ihr Blick blieb weiterhin demütig gesenkt. Sie wollte nach all dem vorangegangenen Ärger möglichst wenig Angriffsfläche bieten. “Ich danke Euch, dass Ihr mich teilhaben lasst an diesem Rat, als angeheiratete, aber doch bedauerlich bereits verwitwete. Ich verspreche Euch, dass ich mein Bestes tun werde, um bei den Beratungen zu helfen, soweit es mir möglich ist. Ich stehe ganz zu Euren Diensten.” Dann verneigte sie sich erneut und setzte sich.

Praihild - und übrigens auch Rahjalin - nickten gütig. Himiltrud schien eine der wenigen Personen im Raum zu sein, über die beide Schwestern gleichsam guter Meinung waren.

Der junge Hesindegeweihte erhob sich selbstbewusst und verneigte sich sogleich leicht vor der Gastgeberin. Noch immer lag ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen. “Habt Dank, dass ich hier für mich selbst sprechen darf, Hochgeboren. Ehe ich während des ersten Verhandlungspunktes die von Euch angesprochene sachdienliche Anmerkung vorbringe, möchte ich zunächst als Kind anderen Namens des Hohen Herrn Gerfrid von Bösenbursch, das die Initiation erhalten hat, in PRAios’ Angesicht schwören, über die Inhalte der Gespräche Stillschweigen zu bewahren”, zitierte Leomar die Einladung, während er seine Schwurhand gehoben hatte, und blickte kurz ernst zu Rude von Beilunk. Dann lächelte er die Baronin jungenhaft unschuldig an: “Sicherlich gewährt Ihr doch - im Sinne Eurer Einladung - dies auch meiner Schwester, Hochgeboren, um dem Rat ebenso wie die weiteren Damen und Herren anderen Namens - seien sie nun angeheiratet oder anders benannte Kinder - beiwohnen zu können.”

Die eben noch vergleichsweise freundlichen Züge Praihilds verhärteten sich wieder und sie blickte den Hesindegeweihten ernst an. “So sehr ich den Versuch respektiere, werdet ihr sicher verstehen, dass ich eurer Bitte nicht stattgebe. Wir werden uns in wenigen Augenblicken damit beschäftigen, wer Zugang zu dieser Runde hat. Ihr seid genau deswegen hier, aber wegen eines anderen… Blickwinkels. Euch ist gestattet, an den Beratungen zu diesem Punkt teilzunehmen. Freilich könnt ihr dabei auch für eure Situation und die eurer Schwester sprechen. Das ist das Zugeständnis, dass ich euch für eure klugen Einwände mache.” Rahjalin rümpfte die Nase. “Mag sein- aber wir haben die Einladung gemeinsam ausgesprochen. Daher wundert es mich doch sehr, liebe Schwester, dass ich offenbar nicht einmal gefragt werde, bevor Gerfrids Abkömmlinge eingelassen werden. Und ich protestiere!” Sie zeigte auf Leomar Erlinau. “Er ist kein Bösenbursch!” Praihild verdrehte die Augen. ‘Schon wieder dieselbe Leier.’ Dann räusperte sie sich. “Ich sehe, die Sache erhitzt viele Gemüter. Also lasst uns gleich zur Sache kommen und zuerst über die Zulassung unehelicher Kinder sprechen. Dann sehen wir, wo wir stehen. Nichtsdestotrotz habe ich mein Wort gegeben und bin fest entschlossen, Leomar zu erlauben, seinen Teil noch beizutragen. Auch, wenn wir uns “gegen” ihn entscheiden, wenn man so will.” Nun stand sie auf, offenbar, um die angekündigte Pause einzuläuten. “Wir treffen uns in einigen Momenten wieder.”