Die Geschichte von Leuthwin und Tsarinde

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Es ist im Windhag unter der Bevölkerung des Alten Landes ein offenes Geheimnis, dass Tsarinde, die Ehefrau des Leuthwin Eisenblatt aus Udamans Sippe, eine sippenlos geborene ist. Eine Tatsache, welche die Alten den Jungen noch heute als abschreckendes Beispiel vorhalten und die unter anderem dazu beigetragen hat, dass es dem Mann aus Widdernhall nicht gelang, auch gegenüber den anderen Familien aus Udamans Sippe einen Führungsanspruch zu erwerben. Und doch erzählen sich die Jungen, wenn die Alten einmal außer Hörweite sind, die folgende Geschichte. Denn es ist eine Geschichte von der Liebe.

Die Geschichte von Leuthwin und Tsarinde

In seiner Jugend verließ der heutige Bauernmeister von Widdernhall seine Heimat, um als Soldat in der Fremde sein Glück zu machen, denn der ältere Bruder Fendrik würde den Hof erben. Doch nach dem tragischen Tod des Bruders und dem Ende seiner Dienstzeit bei des Kaisers Fahnen kehrte er an den Großen Fluss zurück, um fortan den elterlichen Hof in Widdernhall zu bewirtschaften, wo neben den betagten Eltern auch die junge Witwe seines Bruders mit ihrem Kind lebte.

Der unbeweibte Leuthwin war noch nicht lange auf den ererbten Hof zurückgekehrt, da begab es sich, dass er allein auf dem Feld war, um die Reife der Frucht zu prüfen. Da begann in seiner Nähe ein Mädchen zu singen, und er meinte, es müsse die liebliche Herrin Rahja selbst sein, so schön klang es in seinen Ohren. Vorsichtig schlich er sich an den Feldrain und verbarg sich hinter der hohen Hecke, welche den Acker umfriedete, wie man es im Windhag häufig sieht. Er wollte wissen, wer da so wundervoll sänge. Auf der Straße näherten sich langsam zwei Frauen, denen in beträchtlichem Abstand noch ein Mann mit einem hoch bepackten Esel folgte. Zunächst fiel sein Blick auf die ehrwürdig wirkende Frau, welche in den bunten Mantel einer Tsageweihten gehüllt war und die ihm trotz ihres Alters von einer Aura der Jugendlichkeit umgeben schien. Mit ihrer voll tönenden Altstimme fiel sie in den Gesang ihrer jüngeren Begleiterin ein. Diese war es, die Leuthwin zunächst vernommen hatte. Sie war hoch von Wuchs und ihre Augen banden seinen Blick. Da trat er hervor, verbeugte sich artig und begrüßte die beiden Wanderinnen im schönen Land zu Füßen der Windhagberge. Nachdem er sich vorgestellt hatte, erfuhr er, dass es sich bei der älteren Frau um die neue Tsageweihte und Hebamme des Dorfes handelte. Denn wie es bei den Dienern der jungen Göttin üblich ist, brach sie nach einigen Jahren im Tempel von Havena auf, um hier in Widdernhall ein neues Amt zu übernehmen. Und in Widdernhall mit seinem Doppeltempel hat es Tradition, dass die Diener Tsas den Menschen zugleich als Hebamme und die Diener Peraines als Heiler dienen. Und während die Geweihten der Peraine dieses Amt in Familientradition bereits in dritter Generation versehen, wechseln die Geweihten der Tsa alle paar Jahre, denn der stete Wandel ist der jungen Göttin ein Wohlgefallen.

Ihre Begleiterin, zu der Leuthwin immer wieder verstohlen hinblicken musste, war ihre Tochter, eine wandernde Apothekergesellin aus dem fernen Havena, welche sich ihrer Mutter angeschlossen hatte, um sie auf der langen Reise zu ihrer neuen Wirkungsstätte zu geleiten und dabei die Flora dieser als wild und urwüchsig beschriebenen Region kennen zu lernen. Leuthwin glaubte, schon einmal von einer Fee dieses Namens gehört zu haben, und dachte bei sich, dass dies wohl eine sehr gebildete und mutige junge Frau sein müsse, wenn sie eine so weite Reise unternahm, um einen unheimlichen Naturgeist kennen zu lernen. Glockenhell erklang ihr Lachen, als sie ihm erklärte, dass Flora keinesfalls der Name einer Fee sei, sondern ein Wort für die Pflanzenwelt in der alten Gelehrtensprache Bosparano. Mit der Pflanzenwelt kannte Leuthwin sich nun wirklich aus, hatte er doch in seiner Jugend mit dem Vater das Land von den Auen des großen Flusses bis zu den Rändern der dunklen Bergwälder durchstreift, und so bot er sich der jungen Frau, die sich ihm als Tsarinde vorstellte, als ortskundiger Führer an. Inzwischen war auch der Eseltreiber herangekommen, in welchem Leuthwin einen Knecht des Fuhrmanns Grubrech erkannte. Und so kamen sie alle vier zusammen ins Dorf, wo es ein großes Hallo gab und sich die Kunde von der Ankunft der neuen Tempelmutter wie ein Lauffeuer verbreitete. Man soll bekanntlich die Feste feiern wie sie fallen, weshalb am folgenden Praiostag ganz Widdernhall zusammenkam, um die Geweihte zu ehren; und während der Baron Gringulf eine seiner halb belächelten, halb gefürchteten Ansprachen hielt, sorgte Leuthwins Vetter Arek für stets gefüllte Bierkrüge.

In jenem Sommer waren Leuthwins Knechte häufig auf sich allein gestellt, denn dann begleitete ihr Herr die immer neugierige Tsarinde auf ihren Streifzügen durch die Umgebung. Er war verblüfft, wie viel die junge Frau über die Wirkungen von Kräutern und anderen Pflanzen wusste, genoss ihren Anblick und lauschte ihrer Stimme nach. Leuthwin hatte sich verliebt, und auf etwas unbeholfene Art machte er Tsarinde den Hof, was diese zum Lachen brachte. Doch auch Tsarinde hatte Gefallen an ihrem zwar rauen aber offenbar vielseitig interessierten Begleiter gefunden, der ihr mit dem Land so verwurzelt schien wie die Wälder an den Hängen der Berge. Und so kam es, dass die junge Apothekerin nicht mehr in die große Stadt zurückkehrte, in der sie ihre Lehr- und Jugendjahre verbracht hatte, um fortan bei ihrem Geliebten und auch bei ihrer Mutter zu leben. Denn Leuthwin setzte seinem Vater das Messer auf die Brust, und nach einigen familieninternen Auseinandersetzungen, die die Familie Eisenblatt zu spalten drohten und welche die Alten den Jungen noch heute als abschreckendes Beispiel vorhalten, konnte er seine Eltern von dieser Verbindung überzeugen. Hierbei spielte sicherlich eine Rolle, dass die Familie Leuthwins als Ackerbauern traditionell ebenfalls in hohem Maße der jungen Göttin zugewandt war. Und so schlossen Leuthwin und Tsarinde im Traviamond den Ehebund.

Mancher aus der Verwandschaft von Tsarindes Gemahl ließ sie ihre Sippenlosigkeit aber deutlich spüren. Doch die Göttin Tsa hielt ihre Hand über die Liebe der beiden Eheleute und es fügte sich, dass Tsarinde durch ihre Kunst das Kind der Schwägerin vor einer schlimmen Vergiftung bewahren konnte. Seitdem begegnete man ihr freundlicher und nahm sie in die Familie auf. Auch der Herr Boron verlangte das seine und Golgari trug zwei ihrer sechs Kinder auf seinen Schwingen davon. Aber auch wenn die Arbeit hart ist und der Wille der Zwölf unergründlich, so leben sie dennoch glücklich und vergnügt auf ihrem Hof zwischen den Bergen und dem Großen Fluss.

(aufgezeichnet 1028 BF von Windwanderer)